TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/22 E12 263827-0/2008

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Veröffentlicht am 22.10.2008
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Spruch

E12 263.827-0/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde des S. M., geb. 00.00.1981, StA Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.8.2005, FZ. 05 01.001-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 06.09.2005 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 22.1.2005 einen Asylantrag und wurde am 25.1., 28.1. und 24.6.2005 niederschriftlich dazu einvernommen (AS 17ff, 55f und 99ff).

 

2. Mit Bescheid vom 30.8.2005, FZ 05 01.001-BAT, hinterlegt am 2.9.2005, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und in weiterer Folge im Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 6.9.2005 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B- VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Der BF brachte im Zuge seiner Einvernahmen vor dem Bundesasylamt im wesentlichen vor, er sei Kurde alevitischen Glaubens, werde beschuldigt Ende 1997 an der Sabotage einer Ölpipeline beteiligt und somit die PKK unterstützt zu haben, er sei HADEP-Mitglied und auch Wehrdienstverweigerer. Er sei mehrmals in Haft gewesen, zuletzt im Mai 2004. In Istanbul sei er wegen der Teilnahme am Newroz-Fest 3 Tage festgenommen worden. Anfang 2001 habe er eine Ladung zur Militärbehörde bzw. zur amtsärztlichen Untersuchung erhalten. Dies müsse im Jänner 2001 gewesen sein, da im März in der Türkei Ladungen zur Musterung verschickt werden. Als Wehrdienstverweigerer und Alevit müsse er mit einer höheren Strafe rechnen.

 

Im angefochtenen Bescheid hat das BAA lediglich festgestellt, dass es nicht glaubhaft war, dass dem Antragsteller im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dabei wurde es allerdings vollkommen unterlassen, sich mit dem Vorbringen des BF im Einzelnen auseinanderzusetzen. Es wurde lediglich festgestellt, dass die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme darstellt, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion als solche keine Verfolgung iSd GFK darstellt. Eine Würdigung der Aussagen des BF in diesem Zusammenhang ist zur Gänze unterblieben.

 

Nicht nachvollziehbar anhand der Bescheidbegründung ist auch, warum dem Vorbringen des BF im Zusammenhang mit seiner HADEP-Mitgliedschaft bzw. PKK-Nähe und einer möglicherweise daraus resultierenden politischen Verfolgung kein Glauben geschenkt wurde. So wurde beim BF nicht einmal nachgefragt bzw. gar ergänzend erhoben, ob er mit der Sabotage der Ölpipeline tatsächlich in irgendeinem Zusammenhang gestanden ist. Auch zu einer möglichen Verfolgung aus religiösen Gründen (der BF gab an Alevit zu sein) lässt der angefochtene Bescheid jegliche Beweiswürdigung vermissen.

 

Weiters wurde unterlassen, den in der Stellungnahme von Frau Dr. H. vom 14.2.2005 enthaltenen Widerspruch " Der AW wäre seit 1977 verfolgt", obwohl er nach seinen Angaben erst 1981 geboren ist, in Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des AW bei den Angaben zu seiner Identität zu überprüfen bzw. zu würdigen.

 

Gesamt gesehen lässt daher der angefochtene Bescheid nahezu jegliche Beweiswürdigung, aber auch entsprechend vollständige Länderfeststellungen vermissen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung von Widersprüchen etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die im Asylverfahren§ speziell determinierten Ermittlungspflichten. Demnach haben nämlich das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken , dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen beigeschafft werden müssen.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit September 2005 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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