TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/24 99/11/0197

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Veröffentlicht am 24.04.2001
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
90/02 Führerscheingesetz;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs2 impl;
StGB §146;
StGB §147 Abs1 Z1;
StGB §147 Abs2;
StGB §148;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. Jänner 1999, Zl. MA 65 - 8/516/98, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Landeshauptmann von Wien entzog dem Beschwerdeführer mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. Jänner 1999 gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 FSG 1997 die am 21. November 1995 für die Klasse B erteilte Lenkberechtigung und verfügte gemäß § 25 Abs. 3 FSG 1997, dass dem Beschwerdeführer (beginnend am 16. September 1998 und endend am 16. September 1999) für die Dauer von 12 Monaten, und zwar ohne Einrechnung von Haftzeiten, keine neue Lenkberechtigung erteilt werden dürfte. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Wien im Wesentlichen aus, nach der Aktenlage sei über den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Jänner 1998 wegen des Verbrechens nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB, und des Vergehens nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z. 7 StGB rechtskräftig eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten (bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren) verhängt worden. Er sei für schuldig erkannt worden, mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, näher bestimmte Personen durch Täuschung über Tatsachen, und zwar über das Vorliegen eines Versicherungsfalles, zur Erbringung von Versicherungsleistungen verleitet zu haben, was nachgenannten Versicherungsgesellschaften in nachstehend angeführter Höhe am Vermögen geschädigt hätte, wobei er den jeweiligen schweren Betrug in der Absicht begangen hätte, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar

1. Anfang Februar 1997, im einverständlichen Zusammenwirken mit S und  B, Angestellte der W Versicherung zur Zahlung einer Schadensablöse von S 47.500,-- an ihn und einer solchen von

S 22.836,-- an B, indem sie ein falsches Beweismittel benützt hätten, nämlich einen von ihnen ausgestellten unwahren Unfallbericht, wonach S als Lenker eines bestimmten PKW aus Fahrlässigkeit gegen den abgestellten PKW des Beschwerdeführers gestoßen sei, sodass dieser gegen den unmittelbar davor abgestellten PKW von B gestoßen sei, wodurch die zuletzt genannten Fahrzeuge erheblich beschädigt worden seien; Schaden: S 70.336,-- zum Nachteil der genannten Versicherungsgesellschaft, sowie

2. in der Zeit von 9. bis 17. Februar 1997 im einverständlichen Zusammenwirken mit Anderen Angestellte der

E Versicherung zur Zahlung einer Schadensablöse von S 20.897,-- an den Beschwerdeführer, indem sie einen von ihnen ausgestellten unwahren Unfallbericht über einen fingierten Verkehrsunfall, sohin ein falsches Beweismittel benützt hätten, wobei sie vorgegeben hätten, einer der Mittäter habe am 9. Februar 1997 als Lenker eines bestimmten PKW infolge der Nichtbeachtung eines Verkehrszeichens einen Zusammenstoß mit dem PKW des Beschwerdeführers verschuldet;

3. Schaden: S 20.897,-- zum Nachteil der genannten Versicherungsgesellschaft;

4. am 24. Juni 1997 im einverständlichen Zusammenwirken mit Anderen Angestellte der D Versicherung zur Zahlung einer Schadensablöse von S 25.500,-- an ihn, indem sie ein falsches Beweismittel benützt hätten, nämlich einen unwahren Unfallbericht, in dem sie, nachdem sie absichtlich einen Zusammenstoß herbeigeführt hätten, vorgegeben hätten, T habe am 24. Juni 1997 fahrlässig als Lenker eines bestimmten LKW beim Einparken seinen PKW beschädigt;

5. Schaden: S 25.500,-- zum Nachteil der genannten Versicherungsgesellschaft;

weiters mit Anderen fremde Sachen vorsätzlich beschädigt bzw. zerstört hätte, indem sie mit von ihnen gelenkten Fahrzeugen absichtlich mit anderen Fahrzeugen zusammengestoßen wären, wobei der durch den Beschwerdeführer herbeigeführte Schaden S 25.000,-- überstiegen hätte. Bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG sei nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht nur auf das Verhalten im Straßenverkehr, sondern auf das gesamte Verhalten einer Person gegenüber ihrer Umwelt abzustellen. Delikte nach den §§ 146, 147, 148, 125 sowie 126 StGB könnten bestimmte Tatsachen im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG sein, auch wenn diese Tatbestände nicht in der demonstrativen Aufzählung des § 7 Abs. 4 FSG enthalten seien. Es könnten vielmehr auch andere Verhaltensweisen, die geeignet seien, die Verkehrszuverlässigkeit einer Person in Zweifel zu ziehen, als bestimmte Tatsache herangezogen werden, wenn sie im Einzelfall durch ihre Verwerflichkeit den beispielsweise bezeichneten strafbaren Handlungen an Unrechtsgehalt etwa gleichkämen. Durch das vom Beschwerdeführer gezeigte strafwürdige Verhalten sei seine persönliche Verlässlichkeit im Hinblick auf die Verwendungsmöglichkeiten eines Kraftfahrzeuges nicht mehr gewährleistet. Dass "im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges stehende und in derart schwer wiegendem Maße gegen das Vermögen Dritter gerichtete strafbare Handlungen als verwerflich und gefährlich zu werten seien, bedürfe keiner weitwendigen Ausführungen". Es liege auf der Hand, dass eine solche Verhaltensweise auf einer erheblichen "Fehlhaltung" gegenüber rechtlich geschützten Werten beruhe, die auch in Zukunft gleichartige Straftaten befürchten lasse. Da seit der letzten strafbaren Handlung des Beschwerdeführers noch keine so lange Zeit verstrichen sei, dass mit Sicherheit auf eine Änderung seiner Sinnesart geschlossen werden könne (die Dauer des gerichtlichen Strafverfahrens sei "nicht voll" bei der Beurteilung der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit anzurechnen, habe doch der Beschwerdeführer während dieses Zeitraumes ein besonderes Interesse, in der Öffentlichkeit "nicht unangenehm aufzufallen"), müsse der Beschwerdeführer "auch derzeit" noch als verkehrsunzuverlässig angesehen werden. Die von der Erstbehörde festgesetzte Frist von 12 Monaten müsse trotz des Vorbringens des Beschwerdeführers, es handle sich bei dem von ihm gesetzten strafbaren Verhalten um ein einmaliges Fehlverhalten, "nach allgemeiner Erfahrung" als Minimum des Erforderlichen angesehen werden, da frühestens nach Ablauf dieser Bewährungsfrist aus einem bis dahin gezeigten Wohlverhalten auf eine entsprechende Änderung der Sinnesart geschlossen werden könne. Bei einer verkürzten Entziehungsfrist wäre aber der Zweck der getroffenen Maßnahme, den als verkehrsunzuverlässig erkannten Beschwerdeführer bis zu einer Änderung seiner Sinnesart vom öffentlichen Verkehr fernzuhalten, "in erheblichem Maße in Frage gestellt".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

§ 7.

...

(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

...

(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

1. wiederholt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand eine strafbare Handlung begangen hat (§ 287 StGB und § 83 SPG), unbeschadet des Abs. 3 Z 1,

2. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat,

3. eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat,

4. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 102 (erpresserische Entführung), 131 (räuberischer Diebstahl), 142 und 143 (Raub und schwerer Raub) StGB begangen hat,

5. eine strafbare Handlung gemäß § 12 Suchtgiftgesetz 1951, BGBl. Nr. 160/1952, begangen hat.

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend."

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellungen der belangten Behörde zu seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen der Delikte nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 und 148 zweiter Fall, 125 und 126 Abs. 1 Z. 7 StGB, bringt jedoch vor, dass bei Bewertung seines strafbaren Verhaltens ein Konnex zum Lenken eines Fahrzeuges hergestellt werden müsse. Der von § 7 Abs. 2 FSG geforderte Konnex der Erleichterung vergleichbaren strafbaren Verhaltens durch das Lenken eines Kraftfahrzeuges sei in seinem Falle aber nicht gegeben.

Diesem Vorbringen ist Folgendes zu entgegnen: Der Umstand, dass Betrugshandlungen (hier: Versicherungsbetrug) nicht im Katalog der ausdrücklich als bestimmte Tatsachen angeführten strafbaren Handlungen aufscheinen, ist insofern nicht entscheidend, als nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes derartige, im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen begangene strafbare Handlungen jedenfalls bei mehrfacher Begehung und hoher Schadenssumme sehr wohl die Verkehrszuverlässigkeit der betreffenden Person ausschließen können (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. September 1981, Zl. 81/02/0059, vom 5. Juli 1985, Zl. 85/11/0101, vom 13. Oktober 1987, Zl. 87/11/0138, vom 7. Oktober 1997, Zl. 96/11/0357, und vom 9. Februar 1999, Zl. 98/11/0270). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die belangte Behörde zu Recht in der Gesamtheit der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 2 FSG erblickt.

Ob das jeweilige Delikt tatsächlich unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges begangen wurde, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht maßgeblich. Wesentlich ist vielmehr, ob die Begehung derartiger Delikte durch die Verwendung von Kraftfahrzeugen typischerweise erleichtert wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1996, Zl. 94/11/0136), was bei Versicherungsbetrügereien der im Strafurteil wiedergegebenen Art der Fall ist.

Angesichts der näheren Umstände der einzelnen Tatbegehungen, bei denen Kraftfahrzeuge zur Vortäuschung von Unfällen verwendet wurden, bestehen im Beschwerdefall auch gegen die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG keine Bedenken.

Wenn der Beschwerdeführer weiters vorbringt, die belangte Behörde hätte ein Amtssachverständigengutachten einholen müssen, um konkret feststellen zu können, in welcher Zeit aus psychologischer Sicht bei einem Führerscheinentzug eine Änderung der Sinnesart erwartet werden könne, ist ihm zu entgegnen, dass zur Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes es weder eines ärztlichen Gutachtens noch einer verkehrspsychologischen Untersuchung bedarf (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 9. Februar 1999, Zl. 97/11/0283, oder vom 23. Mai 2000, Zl. 98/11/0300).

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden.

Der Beschwerdeführer wendet ein, die Argumente der belangten Behörde zur Entziehungsdauer seien nicht nachvollziehbar und erschöpften sich in inhaltsleeren Füllsätzen. Damit ist der Beschwerdeführer im Recht. Das Argument, es entspreche der "allgemeinen Erfahrung", dass die verfügte Dauer die Mindestdauer für die Herbeiführung der Änderung der Sinnesart des Beschwerdeführers sei, ist eine Leerformel und nicht nachvollziehbar. Weiters ist im Strafurteil davon die Rede, der Beschwerdeführer habe "bisher einen untadeligen Lebenswandel" geführt. Dazu hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen. Es bleibt unklar, ob sie von einer vorherigen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ausgeht oder nur vorliegendenfalls die Frage einer allfälligen Unbescholtenheit für unwesentlich hält. Die Begründung für die Bemessung der Dauer der Entziehung gemäß § 25 FSG ist daher mangelhaft. Dieser Begründungsmangel ist auch wesentlich. Hätte sich die belangte Behörde ausführlicher mit der Frage auseinander gesetzt, wie lange die - mit der Begehung der strafbaren Handlungen im Jahr 1997 einsetzende - Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers dauern würde, anstatt die von der Erstbehörde begründungslos verfügte Entziehungsdauer zu bestätigen, und hätte sie gegebenenfalls die vorherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ihren Überlegungen zu Grunde gelegt, hätte sie auch zum Ergebnis kommen können, dass die Annahme, der Beschwerdeführer werde insgesamt etwa zweieinhalb Jahre verkehrsunzuverlässig sein, verfehlt ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 98/11/0243).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. April 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999110197.X00

Im RIS seit

06.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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