TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/29 E6 236686-0/2008

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Veröffentlicht am 29.10.2008
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Spruch

E6 236.686-0/2008-12E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Habersack als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Grabner-Kloibmüller als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Frau Sovka über die Beschwerde des A. I., geb. 00.00..1979, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.04.2003, FZ. 02 22.853-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer gab an, Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Abstammung zu sein und beantragte am 20.08.2002 die Gewährung von Asyl. Er wurde hiezu am 07.02.2003 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.04.2003, FZ. 02 22.853-BAG, wurde der Asylantrag in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG abgewiesen; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Gegen diesen mit Wirksamkeit vom 11.04.2003 dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 23.04.2003 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben.

 

Auf Grund des Zuständigkeitsüberganges vom Unabhängigen Bundesasylsenat auf den Asylgerichtshof wurde gegenständliches Verfahren am 01.07.2008 dem erkennenden Senat zugeteilt.

 

Am 15.10.2008 führte der Asylgerichtshof in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

 

2. Der Beschwerdeführer stammt aus der Türkei, ist kurdischer Abstammung und gehört dem islamischen Glauben an. Aufgewachsen ist der Beschwerdeführer im Dorf Y., im Kreis A., in der Provinz G., wo er fünf Jahre lang die Schule besuchte und sich in weiterer Folge seinen Lebensunterhalt als Hirte verdient hat. Im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren zog der Beschwerdeführer zu seiner Großmutter nach G., wo er als Bauhilfsarbeiter tätig war. Nach der Ableistung seines Militärdienstes im Jahr 2001 und bis zu seiner Ausreise aus der Türkei im August 2002 war der Beschwerdeführer als Bauhilfsarbeiter abwechselnd in G. und in M. tätig. Der Beschwerdeführer ist seit 1998 verheiratet. Die Tochter des Beschwerdeführers kam im Juli 2002 bei einem Stromunfall ums Leben. Seit der Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei lebt seine Ehegattin bei deren Eltern in A.. Die Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in G.. Ein Bruder absolviert zurzeit seinen Militärdienst und ein anderer Bruder ist unsteten Aufenthaltes in der Türkei.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung oder Strafe maßgeblicher Intensität oder die Todesstrafe droht oder dem Beschwerdeführer in der Türkei die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre.

 

3. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

 

Überblick

 

Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Ein herausragendes politisches und für die gesamte Türkei wegweisendes Ereignis der letzten Jahrzehnte ist der Beginn von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei zum 03.10.2005. In ihrem Fortschrittsbericht vom 08.11.2006 greift die EU-Kommission vor allem drei Kritikpunkte auf:

mangelnde Flexibilität in der Zypernfrage und Defizite bei der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie bei den Minderheitenrechten. Nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU vom Dezember 2006 wurden die Verhandlungen von acht der 35 Verhandlungskapitel eingefroren. Auf ein Ultimatum im Zypernstreit wurde verzichtet; die Türkei wird aber weiter dazu gedrängt, ihre Häfen und Flughäfen für die Republik Zypern zu öffnen, die seit Mai 2004 EU-Mitglied ist. Unter deutscher EU-Präsidentschaft wurden im ersten Halbjahr 2007 insgesamt drei weitere Verhandlungskapitel eröffnet. Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt. Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Nach Jahren relativer Stabilität erlebte die Türkei im Zusammenhang mit den gescheiterten Präsidentschaftswahlen im Mai 2007 eine Phase innenpolitischer Polarisierung. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 22.07.2007 trat eine Beruhigung der Lage ein. Die anschließende erfolgreiche Wahl eines Präsidenten und die Regierungsbildung trugen zu einer weiteren Konsolidierung bei. Im Osten und Südosten der Türkei kommt es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der terroristischen PKK und türkischen Sicherheitskräften; der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wurde mit Wiedererstarken des PKK Terrorismus lauter.

 

Politische Opposition

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaketvom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert. Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten.

 

Exilpolitische Aktivitäten

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung. Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Menschengerichtshofs durch die Türkei hat sich deutlich verbessert. Der Europäische Menschengerichtshof spielt in der Türkei eine wichtige Rolle, da er wegen Fehlens einer Individual-Verfassungsbeschwerde in vielen Fällen angerufen wird. Auch deshalb ist die Zahl der die Türkei betreffenden Verfahren sehr hoch; auch 2006/2007 wurde die Türkei wieder in einer Reihe von Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben und wegen Verstoßes gegen das Folterverbot verurteilt. Die Verurteilungen der Türkei betreffen in der Regel Fälle, deren Sachverhalte mehrere Jahre zurückliegen, so dass aus den Verurteilungen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nur bedingt Schlüsse auf die aktuelle Praxis der Verwaltung und Justiz gezogen werden können.

 

Markante Fortschritte in der Menschenrechtslage konnten durch die Gesetzes- und Verfassungsänderungen der letzten Jahre sowie weitere Reformmaßnahmen (z.B. Justizreformen) erzielt werden; dadurch wurde ein Mentalitätswandel bei großen Teilen der Bevölkerung eingeleitet. Es wird von den Menschenrechtsorganisationen mitgeteilt, dass Fälle schwerer Folter (z.B. mit sichtbaren körperlichen Verletzungen) nur noch vereinzelt vorkommen. Ihre Zahl lag in den letzten Jahren nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen im unteren einstelligen Bereich, wird aber neuerdings nicht mehr gesondert erfasst. Hinweise auf einen Anstieg gibt es auch nach inoffiziellen Angaben nicht. Die überwiegende Zahl der angezeigten Fälle betreffen z.B. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen, zu langes Festhalten, Vorenthalten eines Toilettenbesuchs bis hin zu Drohungen mit Tötung.

 

Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Blutrache

 

Im Staatsanzeiger Resmi Gazete (veröffentlicht am 04.07.2006) wurde ein Runderlass von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan über Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Kinder und Frauen sowie von sogenannten "Ehrenmorden" veröffentlicht. Die diesbezüglichen "schädlichen Traditionen und Ansichten" sollen durch Bildung und Aufklärung aus der Welt geschafft werden. Derartige Verbrechen sind laut Hürriyet "eines der größten Probleme der Türkei". Mit dem Erlass werden verschiedene Generaldirektionen angewiesen, in Zusammenarbeit mit den ihnen unterstellten Behörden Vorschläge zum Schutz von Minderjährigen und Maßnahmen gegen Gewalt sofort umzusetzen.

 

Das neue Strafgesetzbuch berücksichtigt verstärkt den Schutz von Frauen und regelt Straftaten wie "Ehrenmorde" und Vergewaltigung (auch in der Ehe). Für strafmündige Täter ist keine Privilegierung für solche Morde mehr enthalten; es enthält im Gegenteil die Möglichkeit zur Strafverschärfung. Das tStGB enthält jedoch keine Definition des "Ehrenmords". In Art 82 tStGB wird Blutrache (Kan gütme saikiyle) ausdrücklich als Mord unter Strafe gestellt (mit erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe). Der Begriff "Ehrenmord" (namus cinayeti) findet sich aber nicht im Gesetzestext (der Begriff namus bezieht sich allein auf die Ehre, die durch das sexuelle Verhalten der Frau bestimmt wird).

 

Eine Untersuchung der Polizei aus dem Jahr 2006 besagt, dass zwar die meisten Täter und ihre Opfer aus dem Osten und Südosten der Türkei stammten, die meisten Morde jedoch in der reichen Marmara- und Ägäisregion sowie in den großen Städten verübt worden seien. Insgesamt zählt der Bericht 1.190 Ehrenmorde und Blutrachedelikte in den Jahren 2001 bis 2006. Während die überwiegende Zahl der Täter eindeutig Männer seien (1.413 Männer, 180 Frauen), habe es 710 männliche und 480 weibliche Opfer gegeben. Die Statistik bezieht neben klassischen Ehremorddelikten auch Familienfehden, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung mit ein, was die hohe männliche Opferzahl erklärt. Männer können ebenso wie Frauen Opfer eines "klassischen Ehrmordverbrechens" sein. Vor allem aber sind Männer Ziel von Verbrechen im Rahmen von Familienfehden (Blutrache). Hierbei ist manchmal nicht mehr zu erkennen, aus welchem Motiv die Tat begangen wurde. Wie auch ein Pressebericht des Bundeskriminalamtes bestätigt, kann eine Verletzung der "Geschlechtsehre" Auslöser für ein Blutracheverbrechen sein.

 

Im Türkischen muss zwischen den Begriffen "töre" und "namus" unterschieden werden. Während "töre" Sitten/Ehre im Allgemeinen bedeutet, bezieht sich "namus" allein auf die Ehre, die durch das sexuelle Verhalten der Frau bestimmt wird.

 

Kurden

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig. Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

 

Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, allerdings im "öffentlichen Raum" noch eingeschränkt und im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten. Kurdischkurse für Erwachsene an privaten Lehrinstituten sind seit 2004 zulässig, scheitern jedoch häufig an mangelnder Nachfrage/Fehlen finanzieller Mittel. Seit 2002 sind Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Kurdisch unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfassung stehen und nicht gegen "die unteilbare Einheit des Staates mit seinem Land und seiner Nation" gerichtet sein dürfen, erlaubt.

 

Kurdische Arbeiterpartei (PKK)

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.

 

Grundversorgung

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält an. Angesichts einer Beruhigung der Lage in Teilen des türkischen Südostens in den vergangenen Jahren und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nahm zuletzt jedoch auch die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu. Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2006 6% (im Jahr 2005 lag es bei 7,6%). Kumuliert hat der permanente Aufschwung der türkischen Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren ein Wachstum von 50% eingebracht. Die Inflation ist im Jahr 2006 auf 9,65% gestiegen, nachdem sie 2005 mit ca. 7,7% (Verbraucherpreise) den niedrigsten Wert seit über 30 Jahren erreicht hatte.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

Behandlung von Rückkehrern

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde und dem Unabhängigen Bundesasylsenat, den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz sowie durch öffentlich mündliche Verhandlung der Beschwerdesache und durch Berücksichtigung nachstehender Länderdokumentationsunterlagen:

 

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Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 25.10.2007.

 

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EU-Kommission, Türkei Fortschrittsbericht 2007, 06.11.2007.

 

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Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, Mai 2008.

 

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Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 31.12.2007

 

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BAMF, Türkei, August 2006

 

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BAMF, Türkei, Jänner 2008

 

4. Beweiswürdigend wird ausgeführt:

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet und des Datums seiner Asylantragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdige Angaben im Asylverfahren.

 

Was hingegen die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe betrifft, so ist Folgendes auszuführen:

 

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seiner Ausreise aus der Türkei vor, dass seit Jahrzehnten zwischen seiner Familie und einer Familie aus dem Nachbardorf wegen eines Streites um ein Grundstück eine Blutfehde bestehe. Im Zuge dieses Streites seien auf Seiten beider Familien im Laufe der Jahre Familienangehörige getötet und verletzt worden. Das letzte Opfer sei der Vater des Beschwerdeführers gewesen, der am 05.06.2002 getötet worden sei, weshalb der Beschwerdeführer von seiner Mutter und seiner Großmutter aufgefordert worden sei, jemanden aus der generischen Familie zu töten. Da der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, jemanden umzubringen bzw. befürchte, für einen Mord an einem Familieangehörigen der generischen Familie viele Jahre im Gefängnis verbringen zu müssen, habe er im Juli 2002 die Türkei verlassen.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe aus Furcht, Opfer einer Blutrache zu werden, die Türkei verlassen, stellt sich bei näherer Betrachtung als unschlüssig und nicht nachvollziehbar dar.

 

Der Beschwerdeführer vermochte es nicht, durchgehend konsistente Angaben zur behaupteten Ermordung seines Vaters zu machen. Vor dem Bundesasylamt sagte der Beschwerdeführer, sein Vater sei von einem Auto überfahren worden, wobei zwei Personen im Unfallfahrzeug von Kindern gesehen worden seien. Das Unfallfahrzeug habe man nie gefunden, da es mit gestohlenen Kennzeichen unterwegs gewesen sei. Demgegenüber brachte der Beschwerdeführer während der ergänzenden Einvernahme vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat am 14.10.2005 vor, sein Vater sei von Mitgliedern der generischen Familie gelyncht worden. Sein Vater sei gewürgt worden und habe Verletzungen im Brustbereich sowie zwei gebrochene Rippen gehabt. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederum behauptete der Beschwerdeführer sein Vater sei mit Verletzungen - zwei Rippenbrüchen und einer Wunde im Halsbereich - in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Ein Arzt habe festgestellt, dass der Vater des Beschwerdeführers auf Grund von Verletzungen in Folge eines Sturzes gestorben sei. Der Vater solle von einem Auto angefahren worden sein. Auf Vorhalt dieser Widersprüche gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass der Arzt festgestellt habe, dass seinem Vater zwei Rippen von Mitgliedern der gegnerischen Familie gebrochen worden seien. Auf Vorhalt, dass ein Arzt dies nicht feststellen könne, entgegnete der Beschwerdeführer, dass der Arzt gesagt habe, seinem Vater seien die beiden Rippen von "Leuten" gebrochen worden. Dieses Vorbringen steht wiederum im Widerspruch zu den unmittelbar zuvor getätigten Angaben des Beschwerdeführers, der Arzt habe festgestellt, dass sein Vater an Verletzungen in Folge eines Sturzes gestorben sei.

 

Da der Beschwerdeführer im Laufe des gesamten Asylverfahrens nicht in der Lage war, gleichbleibende Angaben betreffend die Umstände des Todes seines Vaters zu tätigen, hat der Asylgerichtshof erhebliche Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.

 

Diese Zweifel werden durch das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die generische Familie immer wieder Angriffe auf Personen der Familie des Beschwerdeführers verüben würde - so seien von Mitgliedern der generischen Familie nach dem Tod seines Vaters sein Bruder mit einem Moped angefahren, seine Mutter angeschossen und eine Nichte am Arm verletzt worden -, gestärkt. Obwohl aus den Behauptungen des Beschwerdeführers ableitbar ist, dass nach dem Tod seines Vaters seine Familie im Rahmen der Blutfehde die nunmehr geschädigte Familie sei und nach den Regeln der Blutrache die Familie des Beschwerdeführers ein Recht auf Rache haben würde, vermochte es der Beschwerdeführer - vor allem im Hinblick auf die Regeln einer Blutrache - nicht schlüssig und plausibel darzulegen, weshalb immer wieder Angriffe von Seiten der generischen Familie auf Familienmitglieder des Beschwerdeführers verübt werden würden. Der Asylgerichtshof geht daher davon aus, dass es sich bei diesen Ausführungen um reine Schutzbehauptungen handelt, die nicht den Tatsachen entsprechen, und dass der Beschwerdeführer damit versucht, seinem Vorbringen mehr Gewicht im Hinblick auf eine aktuelle Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr zu verleihen.

 

Ein weiters Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers stellt der Umstand dar, dass es sämtlichen Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Anbetracht des Bestehens der behaupteten Blutfehde (Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern sowie zwei Brüder seines Vaters und weitere Verwandte) nach wie vor möglich ist, ungestört und unbehelligt in der Türkei insbesondere in G. zu leben.

 

Abgesehen davon ist auszuführen, dass sich im Laufe der mündlichen Verhandlung das Vorbringen des Beschwerdeführers dahingehend reduzierte, dass er vor allem wegen der Aufforderungen seiner Mutter und seiner Großmutter, er müsse jemanden von der generischen Familie umbringen, die Türkei im Juli 2002 verlassen habe. Da der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, einen Mord zu begehen und er im Falle einer Weigerung, den Aufforderungen seiner Mutter und seiner Großmutter Folge zu leisten, aus der Familie ausgeschlossen worden wäre, habe er sich entschlossen ins Ausland zu gehen. Dieses Vorbringen ist ebenfalls nicht nachvollziehbar und nicht plausibel und somit nicht geeignet eine Verfolgung iSd GFK glaubhaft zu machen. Vor allem nicht vor dem Hintergrund, dass sich die drei Brüder des Beschwerdeführers nach wie vor in der Türkei - der älteste Bruder lebt in G. - aufhalten, ohne dass diese von der Mutter und Großmutter unter Druck gesetzt werden würden, ein Mitglied der gegnerischen Familie zu töten bzw. die Blutfehde fortzusetzen. Die diesbezüglichen Erklärungsversuche des Beschwerdeführers, seine Brüder hätten Schulbildung und würden deswegen kein Blut vergießen, sind nicht nachvollziehbar. Sollte daher die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe aus Furcht vor seiner Mutter und Großmutter die Türkei verlassen, den Tatsachen entsprechen, so ist ihm zu entgegnen, dass es seinen Brüdern seit Jahren möglich ist, die Aufforderungen der Mutter und der Großmutter zu ignorieren oder zu verweigern. Durch dieses Vorbringen drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass der Beschwerdeführer anhand von verschiedenen - nicht nachvollziehbaren und unschlüssigen Erklärungen und Argumentationen - versucht, seinem Asylantrag eine asylrelevante Begründung zu geben.

 

Vergleicht man nun die Darstellung der Situation, welche den Beschwerdeführer zum Verlassen seines Heimatlandes veranlasst hat, so ergeben sich zahlreiche Widersprüche, die auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers schließen lassen. Zusammenfassend geht der Asylgerichtshof daher davon aus, dass nach Abwägung der vorhandenen Aussagen durch den Vergleich der Aussage im erstinstanzlichen Verfahren mit der Aussage im Beschwerdeverfahren keine asylrelevanten Verfolgungshandlungen in Bezug auf den Beschwerdeführer stattgefunden haben.

 

Weitere Probleme, speziell mit den türkischen Behörden wurden vom Beschwerdeführer nicht dargelegt. Der hier entscheidende Senat des Asylgerichtshofes hat während der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf Grund der mehrmaligen Erwähnung der schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Türkei den Eindruck gewonnen, dass der tatsächliche Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers die wirtschaftliche Lage in der Türkei war. Hinsichtlich etwaiger wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist anzumerken, dass wirtschaftliche Probleme objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

 

Hinsichtlich der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass - auch unter Berücksichtigung des derzeit wieder verschärften Vorgehens des türkischen Staates gegen militante Kurden - momentan keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden, zumal er eine politische Betätigung in der Türkei dezidiert verneinte.

 

Hinsichtlich der Wiedereinreise in die Türkei ist auszuführen, dass, wenn der türkischen Grenzpolizei bekannt ist, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen wird, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde.

 

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den behördlicherseits erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Der Beschwerdeführer zog auch die Objektivität der herangezogenen Berichte nicht in Zweifel.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF. BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a sind gemäß § 44 Abs. 3 leg. cit. in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden.

 

3. Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

4. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben. Der Beschwerdeführer vermochte nämlich eine asylrelevante Verfolgung zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens anzugeben.

 

Sonstige Gründe zum Verlassen des Herkunftsstaates, insbesondere irgendeine staatliche Repression, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefährdung im Sinn des Art. 3 EMRK kann demnach nicht erkannt werden.

 

Sofern der Beschwerdeführer wirtschaftliche Gründe für das Verlassen der Türkei ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass alleine in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine Verfolgung gesehen werden kann (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322) und eine dem Beschwerdeführer diesbezüglich aus Gründen der GFK drohende Verfolgung nicht ersichtlich ist.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

 

5. Zum Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen:

 

Zur Auslegung des § 8 AsylG iVm § 50 FPG 2005 (Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1.

Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge:

FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verweisen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach ist die Verweisung des Art. 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechenden Bestimmungen" des FPG zu beziehen, das ist § 50 FPG.) ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 und § 57 Fremdengesetz, BGBl I Nr. 126/2002 BGBL, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Bei der Entscheidungsfindung ist insgesamt die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).

 

6. Wie bereits oben ausgeführt, gelang es dem Beschwerdeführer nicht, eine Verfolgung im Sinne der GFK darzutun, daher bleibt zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall begründete Anhaltspunkte dafür gibt, der Beschwerdeführer liefe Gefahr, in der Türkei, einer Bedrohung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG unterworfen zu werden.

 

Darüber hinaus kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK), hat doch der Beschwerdeführer - dessen Ehegattin sowie Mutter und Geschwister sich seinen Angaben zu Folge noch in der Türkei aufhalten - selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in die Türkei jegliche Existenzgrundlage - im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059 - fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmittel oder Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jegliche Arbeitsmöglichkeit versagt bleiben würde, zumal er durchaus in der Lage war, vor seiner Ausreise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

 

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Blutrache, Glaubwürdigkeit, Lebensgrundlage, mangelnde Asylrelevanz, non refoulement, soziale Verhältnisse, Volksgruppenzugehörigkeit, wirtschaftliche Gründe
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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