TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/04 S13 400957-1/2008

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Veröffentlicht am 04.11.2008
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Spruch

S13 400.957-1/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der M.M., geb. 00.00.1986, StA. Russische Föderation, p.A. European Homecare GmbH, Otto-Glöckel-Straße 24, Hauptgebäude, 2514 Traiskirchen, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 17.07.2008, FZ. 08 02.209, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verwaltungsverfahren und Sachverhalt

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste mit ihrer minderjährigen Tochter am 04.03.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Am 04.03.2008 wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Bundespolizeidirektion Wien, Landespolizeikommando für Wien, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch durchgeführt. Am selben Tag erfolgte eine Eurodac-Abfrage, die ergab, dass sie bereits am 16.12.2006 und am 11.07.2007 in Polen Asylanträge gestellt hatte.

 

Am 05.03.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund des Ergebnisses der Eurodac-Abfrage ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) an die zuständige polnische Behörde.

 

Am 11.03.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutzgemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden.

 

Mit Schreiben vom 12.03.2008 erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin und ihrer minderjährigen Tochter bereit.

 

Am 01.04.2008 erfolgte die Untersuchung der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin.

 

Am 10.04.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch einvernommen.

 

Von 00.00.2008 bis 00.00.2008 befand sich die Beschwerdeführerin in stationärer Behandlung des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien, Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin.

 

Am 00.00.2008 wurde das dritte Kind der Beschwerdeführerin in Österreich geboren, welches am 00.00.2008 im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien verstarb.

 

Am 15.07.2008 wurde die Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. I.H. neuerlich untersucht.

 

Am 17.07.2008 wurde die Beschwerdeführerin erneut vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch erneut einvernommen.

 

Mit Bescheid vom 17.07.2008, FZ. 08 02.209, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid).

 

Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).

 

Beschwerde

 

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 05.08.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 11.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

In der Beschwerdeschrift bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass sie und ihre Familie in Polen eine Duldung erhalten hätten und daher der Entzug von existentiellen Lebensgrundlagen drohe. Ferner gebe es in Polen keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten für Kranke. Der Ausweisung stehe weiters entgegen, dass zwei Tanten ihres Mannes in Österreich leben würden, zu denen eine sehr innige Beziehung bestehe.

 

Beweismittel

 

Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung am 04.03.2008 und in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 10.04.2008 und am 17.07.2008 und weitere Beweismittel verwendet.

 

Parteivorbringen der Beschwerdeführerin

 

1. In der Erstbefragung am 04.03.2008 hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS 11):

 

Sie habe ihr Heimatland am 12.12.2006 legal mit ihrem eigenen Reisepass verlassen und sei über Polen in die EU eingereist. In Polen habe sie bis Jänner 2008 gemeinsam mit ihrem Mann im Flüchtlingslager Leon gelebt. Dann habe ihr Mann das Lager in Richtung EU verlassen. Wohin er gereist sei, wisse sie nicht. Sie vermute jedoch nach Österreich, da er hier Verwandte habe. Ob er tatsächlich in Österreich sei, wisse sie ebenfalls nicht, da sie seither keinen Kontakt mehr zueinander hätten. In Polen habe sie zwei Asylanträge gestellt. Nach dem ersten Antrag habe sie in Polen bleiben dürfen. Über den zweiten Antrag habe sie noch keinen Bescheid erhalten. Am 03.03.2008 habe sie Polen mit ihrem Kind, welches in Polen geboren worden sei, verlassen und sei schlepperunterstützt nach Österreich gefahren.

 

Ihr Heimatland habe sie wegen der Probleme ihres Ehemannes verlassen. Dieser sei auch in Polen verfolgt worden und habe daher vor ca. zwei Monaten das Lager verlassen und sei vermutlich nach Österreich gereist, da hier zwei Tanten von ihm lebten.

 

In Polen seien sie und ihr Kind versorgt worden. Sie wolle nicht nach Polen zurück, da ihr Mann wegen der Leute, die ihn suchen würden, nicht nach Polen könne und sie somit mit ihrem Kind allein in Polen bleiben müssen.

 

In Österreich lebe ein Bruder von ihr. Da ihr Ehemann nicht mehr nach Polen zurückgekommen sei, sei sie nach Österreich gefahren, um zu ihrem Bruder zu gelangen.

 

2. In der ersten Einvernahme am 10.04.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 125):

 

In Polen sei ihr Ehemann wegen Blutrache verfolgt worden. Wenn es diese Probleme nicht gegeben hätte, wäre sie gerne in Polen geblieben. Sie könne gegen Polen nichts sagen. Polen sei kein schlechtes Land. In Polen sei ihr Mann wegen dieses Verfolgers zur nächsten Polizeistation gegangen und dort habe man ihm gesagt, dass er die genaue Nationale des Mannes bekannt geben müsse. Er habe jedoch nicht gewusst, wer genau dieser Mann sei und daher habe die Polizei nichts unternommen. Da sie die genauen Angaben zu diesem Mann nicht gehabt hätten, habe die Polizei nichts machen können. Daher seien sie zum Onkel ihres Gatten in Polen gefahren und hätten dort gewohnt. Sie wolle hier in Österreich bleiben, da es in Polen und in Tschetschenien zu gefährlich sei.

 

Auf Vorhalt des Gutachtens von Dr. I.H., dass keine schweren psychischen Erkrankungen einer Überstellung nach Polen entgegenstünden, gab sie an, das könne man bei einem Gespräch alleine nicht erkennen. Auf die Frage des Bundesasylamtes nach ihrem Gesundheitszustand brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie gesund sei. Ihre Tochter sei in Polen mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gebracht worden und hier ebenfalls untersucht worden. Man habe ihr gesagt, dass keine Tbc vorliege.

 

Ihr Bruder lebe mit seiner Familie seit ca. fünf Jahren als anerkannter Flüchtling in Österreich. Seit seiner Flucht habe sie ein- oder zweimal im Monat telefonischen Kontakt zu ihm gehabt und in Polen habe er sie besucht. In der Heimat hätten sie bis zu seiner Flucht vor fünf Jahren im gemeinsamen Haushalt gelebt. Finanzielle Unterstützung erhalte sie von ihrem Bruder nicht. Am Wochenende hole er sie ab und habe auch schon Geschenke mitgebracht. Die Beziehung zu ihrem Bruder sei so eng wie zwischen Bruder und Schwester üblich.

 

3. In der zweiten Einvernahme am 17.07.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 147):

 

Sie sei körperlich gesund und könne zu den von Dr. I.H. getroffenen Feststellungen nichts sagen. Sonst könne sie keine Angaben mehr machen.

 

Weitere Beweismittel

 

1. Laut Eurodac-Abfrage vom 04.03.2008 hat die Beschwerdeführerin bereits am 16.12.2006 in Lublin (Polen) und am 11.07.2007 in Warschau einen Asylantrag gestellt (vgl. AS 7).

 

2. Die polnischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 12.03.2008 gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin und ihrer minderjährigen Tochter für zuständig erklärt (vgl. AS 75).

 

3. Die gutachterlichen Stellungnahme vom 01.04.2008 von Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, kommt zu dem Ergebnis, dass eine Anpassungsstörung (F.43.22) vorliegtt, der Überstellung nach Polen derzeit aber nicht entgegenstehe. Eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes könne aus ärztlicher Sicht zwar nicht ausgeschlossen werden, es lägen derzeit aber keine Hinweise dafür vor. Die Beschwerdeführerin leide an einer Anpassungsstörung und an einer protrahierten Trauerreaktion die auf den Tod ihres Sohnes im Jahr 2006 zurückzuführen sei, die Stimmung sei beim Thema "Tod des Sohnes" "adäquat traurig" (vgl. AS 81).

 

4. Der Entlassungsbericht des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien, Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, bestätigt, dass die Beschwerdeführerin von 00.00.2008 bis 00.00.2008 in oben angeführtem Krankenhaus wegen vorzeitiger Wehen und Blutungen in der 26 Schwangerschaftswoche in stationärer Behandlung war (vgl. AS 117)

 

5. Aus weiteren den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass sie am 00.00.2008 einen Sohn zur Welt brachte, der am 00.00.2008 im Wiener AKH an einer allgemeinen Organunreife verstarb (vgl. AS 95)

 

6. Dem zweiten Gutachten von Dr. I.H. vom 15.07.2008 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin weiterhin an einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide (Belastungsstörung F.43.22), jedoch bei einer Überstellung nach Polen aus ärztlicher Sicht nicht zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden. Eine Verschlechterung sei zwar bei einer Überstellung nach Polen mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben, eine Unzumutbarkeit aus derzeitiger Sicht jedoch nicht begründbar. Die Ärztin rät jedoch wegen der der kurz zuvor erfolgten Geburt und dem Kindstod mit der Überführung nach Polen bis nach der für September geplanten Untersuchung zu warten (vgl. AS 139).

 

Sachverhalt nach Beweiswürdigung

 

Nach Würdigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:

 

1. Die Beschwerdeführerin ist gemeinsam mit ihrem Ehemann in Polen eingereist und stellte dort am 16.12.2006 einen Asylantrag. Dieser Asylantrag wurde zwar abgewiesen, allerdings erhielten die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann eine sogenannte Duldung ("pobyt tolerowany"). In der Folge stellte sie am 11.07.2007 einen weiteren Asylantrag in Polen. Am 03.03.2008 hat die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter, die bereits in Polen geboren wurde, Polen verlassen und ist am 04.03.2008 illegal in Österreich eingereist.

 

Diese Feststellungen ergeben sich sowohl aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin als auch aus der Eurocac-Abfrage, wonach ein Asylantrag in Polen am 16.12.2006 und ein zweiter Asylantrag in Polen am 11.07.2007 gestellt wurden und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin am 04.03.2008 bereits in Österreich eingetroffen war.

 

2. Die Beschwerdeführerin hatte in der Heimat ein Kind kurz nach der Geburt durch Tod verloren und ein weiteres Kind vor Kurzem nach der Flucht nach Österreich. Das Kind starb an allgemeiner Organschwäche. Sie hat eine gesunde Tochter im Alter von einem Jahr, die sie auf der Flucht begleitet hat.

 

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie aus dem vorgelegten Entlassungsbericht des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien vom 00.00.2008, der Geburtsurkunde des Standesamtverbandes Baden, vom 00.00.2008 und der Sterbeurkunde des Standesamtes Wien-Innere Stadt, vom 00.00.2008.

 

3. Es besteht keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin der Bedrohung oder Verfolgung durch Feinde ihres Mannes in Polen ungeschützt ausgesetzt ist oder in Polen keine ausreichende Existenzsicherung zur Verfügung steht.

 

Der Asylgerichtshof stellt dazu zunächst fest, dass sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin darauf beschränkt, dass ihr Ehemann "von Leuten" gesucht werde. Dass sie selbst einer Gefahr oder Verfolgung ausgesetzt sei, hat sie weder im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens noch in den Beschwerdeausführungen vorgebracht. Sie gab lediglich an, dass ihr Ehemann nicht nach Polen zurück könne, und es daher für sie in Polen gefährlich sei.

 

Zum Beschwerdevorbringen betreffend die fehlende Existenzgrundlage für Personen mit "pobyt tolerowany" ist weiters anzuführen, dass sich nahezu sämtliche, in der Beschwerde angeführte, Berichte lediglich auf die Jahre 2005 und 2006 beziehen, die im Vergleich zu den wesentlichen jüngeren Länderfeststellungen im erstinstanzlichen Bescheid, die nahezu ausschließlich aus den Jahren 2007 und 2008 stammen, veraltet sind. Ferner ist auszuführen, dass die Beschwerdeführerin in ihren Einvernahmen im erstinstanzlichen Verfahren nicht erwähnt hat, dass sie nach Gewährung der "Duldung" (= "pobyt tolerowany") keine Existenzgrundlage in Polen mehr gehabt habe. Ganz im Gegenteil hat die Beschwerdeführerin nämlich mehrfach angegeben, dass sie und auch ihre minderjährige Tochter in Polen gut versorgt worden seien. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen hat sohin keinen Bezug zum individuellen erstinstanzlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin und ist sohin als reine Schutzbehauptung zu werten.

 

4. Die Beschwerdeführerin leidet an einer belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung, die u.a. auf den Verlust des ersten Kindes zurückzuführen ist, welche durch den Verlust des dritten, wenige Tage nach der Geburt verstorbenen, Kindes aktualisiert wird. Der Überstellung nach Polen steht dies jedoch nicht entgegen.

 

Dies ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. I.H. vom 15.07.2008. Bereits in der ersten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 01.04.2008 hat Dr. I.H. bei der Beschwerdeführerin eine Anpassungsstörung und eine protrahierten Trauerreaktion festgestellt, die auf den Tod des ersten Kindes zurückzuführen sind. Nach dem Tod des dritten Kindes hat das Bundesasylamt zu Recht eine neuerliche gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren veranlasst, um feststellen zu können, ob die Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen nach wie vor möglich ist. Dr. I.H. führt in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15.07.2008 nach ausführlicher Begründung zwar an, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin bei einer Überstellung zwar gegeben, jedoch eine Unzumutbarkeit nicht ausreichend begründbar sei. Die Beschwerde ist dieser Beurteilung durch Dr. I.H. in der Folge nicht entgegengetreten und der Asylgerichtshof sieht keine Anhaltspunkte dafür, die Schlussfolgerung der Gutachterin in Frage zu stellen.

 

Zum allgemeinen Beschwerdevorbringen, die medizinische Versorgung in Polen sei nicht gesichert, ist anzuführen, dass sich aus dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin eine derartige Beurteilung der medizinischen Versorgung in Polen nicht ableiten lässt. Zum einen gab die Beschwerdeführerin mehrfach dezidiert an, dass es in Polen "nicht schlecht" gewesen sei und Polen "ein gutes Land" sei und zum andern wurde ihre Tochter mit einer Lungenentzündung in Polen ins Krankenhaus eingeliefert und dort auch behandelt. Von einer unzureichenden medizinischen Versorgung in Polen kann sohin aufgrund des eigenen Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht gesprochen werden. Ferner ist darauf zu verweisen, dass sich die in der Beschwerde zitierten Berichte diverser NGOs betreffend die medizinische Versorgung in Polen nahezu ausschließlich auf die Jahre 2004, 2005 und 2006 beziehen und sohin im Vergleich zu den von der erstinstanzlichen Behörde in den Bescheid eingeflossenen Länderfeststellungen jedenfalls veraltet sind (vgl. insbesondere AS 183 und AS 185).

 

5. Ein Bruder der Beschwerdeführerin lebt mit seiner Familie als anerkannter Flüchtling in Österreich. Zu diesem Bruder besteht jedoch keine über das übliche Maß unter erwachsenen Verwandten hinausgehendes besonderes Verhältnis, insbesondere durch finanzielle oder sonstige Abhängigkeit.

 

Dies ergibt sich daraus, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ihr Bruder lediglich kleine Geschenke mache und das Verhältnis zwischen den Geschwistern über gelegentliche gegenseitige Besuche nicht hinausgehe. Ferner hat die Beschwerdeführerin selbst angegeben, dass ihr Verhältnis so eng ist, wie zwischen Bruder und Schwester üblich.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, wieder aufzunehmen.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist. Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u. a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).

 

Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.

 

Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden, und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.

 

Mit Beschluss vom 11.08.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.

 

Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Der Beschwerdeführerin wurde insbesondere durch die Erstbefragung, die Einvernahme mit vorhergehender Rechtsberatung und schließlich durch das erneute Parteigehör unmittelbar vor Erlass des angefochtenen Bescheides - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Ihr wurde weiters vor der ersten Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen ihres Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Unzuständigkeit Österreichs

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin ausschließlich Polen zuständig ist.

 

Zur Zuständigkeit Polens

 

Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid richtigerweise auf Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO gestützt, da die Beschwerdeführerin bereits in Polen am 11.07.2007 einen (zweiten) Asylantrag gestellt hat und sich während der Prüfung dieses Asylantrages unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates, nämlich in Österreich, aufgehalten hat.

 

Keine Zuständigkeit Österreichs durch Ablauf der Überstellungsfrist

 

Da der Asylgerichtshof am 11.08.2008 die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, lief die Überstellungsfrist nicht mit Ablauf von sechs Monaten ab dem Datum der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme (12.03.2008) ab, sondern erst ab dem Datum des vorliegenden Erkenntnisses (Art. 20 Abs. 1 lit. d, Abs. 3 Dublin II-VO).

 

Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt

 

Schließlich besteht auch keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich wegen der damit verbunden Ausweisung nach Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.

 

Was eine Verletzung von Art. 3 EMRK betrifft, so ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 3. und 4.), dass die Beschwerdeführerin nicht konkret Gefahr läuft, durch die Überstellung nach Polen einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden. Sie wäre nämlich dort weder der ernsten Gefahr einer Verfolgung durch die Feinde ihres Ehemannes ausgesetzt noch würde sich ihr physischer oder psychischer Gesundheitsszustand derart verschlechtern, dass eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung in Polen keine Hilfe versprechen würde.

 

Es liegt auch kein Eingriff auf das Recht auf Schutz des Privatlebens vor, da in der Person der Beschwerdeführerin nicht von einer verfestigten Integration in Österreich gesprochen werden kann.

 

Was eine Verletzung von Art. 8 EMRK betrifft, so stellt der Asylgerichtshof fest, dass sich das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid mit der familiären Situation der Beschwerdeführerin in Österreich befasst hat und zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass - wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 5.) ergibt - keine über das übliche Maß hinausgehende familiäre Beziehungen zu ihrem Bruder in Österreich bestehen und daher kein Eingriff in das Recht auf Familienleben vorliegt, wenn die Beschwerdeführerin nicht zum Verfahren in Österreich zugelassen würde.

 

Rechtmäßigkeit der Ausweisung

 

Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurück gewiesen wurde.

 

Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG oder gegen § 10 Abs. 3 AsylG unzulässig wäre. Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter 3.2.3. gemachten Ausführungen.

 

Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk
Zuletzt aktualisiert am
03.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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