TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/04 E12 300433-1/2008

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Veröffentlicht am 04.11.2008
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Spruch

GZ. E12 300.433-1/2008-13E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde der G.N., geb. 00.00.1976, StA. Armenien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.03.2006, FZ 05 02.793-BAS, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Die Beschwerdeführerin (nachfolgend: BF) stellte am 2.3.2005 einen Asylantrag und wurde am 4.3. und am 6.10.2005 niederschriftlich dazu einvernommen. 2. Mit Bescheid vom 14.3.2006, FZ 05 02.793-BAS, wies das Bundesasylamt - ohne das Erhebungsergebnis der Botschaft der Republik Armenien abzuwarten - den Asylantrag gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und im Spruchpunkt III gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 die Ausweisung verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 28.3.2006 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B- VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985- VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315, und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren, im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei hat er im zuletzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung gelangte das BAA zur Überzeugung, dass das Vorbringen der BF hinsichtlich des Fluchtgrundes keine Relevanz in Bezug auf die GFK aufweise. Das Vorbringen der BF sei darüber hinaus durch zahlreiche eklatante Widersprüche geprägt. In diesem Zusammenhang hat das BAA aber übersehen, den Sachverhalt ausreichend zu ermitteln: Die Behauptung der BF, an familiärem Mittelmeerfieber zu leiden, stützt sich lediglich auf ein übersetztes Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaft, datiert mit 8.12.2004, obwohl laut Auskunft der BF die Krankheit erst im Februar 2005 diagnostiziert wurde. Um abzuklären, ob die BF tatsächlich an der von ihr behaupteten Krankheit leidet, wäre die Einholung eines medizinischen Facharztgutachtens dringend angebracht gewesen. In diesem Gutachten wäre, falls die Krankheit tatsächlich besteht, auch auf den weiteren Krankheitsverlauf, Behandlungsmöglichkeiten, was zum Ausbruch einer derartigen Krankheit führen kann, benötigte Medikamente, unbedingt erforderliche Therapien, etc. einzugehen. In weiterer Folge ist erforderlichenfalls abzuklären, inwieweit erforderliche Behandlungen, Medikamente, etc. für die BF in Armenien zugänglich sind, wie hoch die Kosten dafür sind, wer dafür aufkommt. In diesem Zusammenhang ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Beantwortung der Anfrage an die Botschaft der Republik Armenien vom 7.12.2005 nicht abgewartet wurde und der Entscheidung stattdessen sehr allgemeine Internetquellen zugrunde gelegt wurden.

 

In Zusammenhang mit der behaupteten Vergewaltigung wären die Angaben der BF ebenfalls einer näheren Überprüfung zu unterziehen gewesen. So wäre beispielsweise abzuklären gewesen, ob es in Yerewan das Restaurant "XY" überhaupt an der angegebenen Anschrift gegeben hat, ob es ein Gerichtsverfahren gegen G.G. wegen Vergewaltigung gegeben hat, ob dessen Vater tatsächlich G.M. ist, etc.

 

Unerklärlich ist auch, warum der niederschriftlichen Einvernahme am 6.10.2005 ein Dolmetsch für die russische Sprache beigezogen wurde, obwohl die BF anlässlich der Einvernahme am 4.3.2005 ihre Muttersprache mit " armenisch" angab.

 

Soweit der vorgelegte armenische Führerschein aufgrund der Angaben der BF zumindest als verfälscht angesehen und in der Beweiswürdigung zur Untermauerung der Unglaubwürdigkeit der BF herangezogen wird, wäre er zumindest im Zuge einer kriminaltechnischen Untersuchung auf seine Echtheit zu überprüfen gewesen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Aufklärung des zugrundeliegenden Sachverhaltes etc. - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die im Asylverfahren speziell determinierten Ermittlungspflichten. Demnach haben nämlich das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken , dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet. Es hätten jedenfalls Widersprüche aufgeklärt, Behauptungen hinterfragt und vollständige Länderinformationen beigeschafft werden müssen.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt drei dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen. Ergänzend sei dazu bemerkt, dass der Asylgerichtshof nicht verkennt, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit April 2006 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit ist jedoch die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG gerechtfertigt.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
19.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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