TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/05 E12 307054-1/2008

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Veröffentlicht am 05.11.2008
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Spruch

E12 307.054-1/2008-13E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Maria MITTERMAYR über die Beschwerde der A.G., geb. am 00.00.1979, StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.10.2006, FZ. 05 17.018-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde von A.G. vom 31.10.2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.10.2006 Zl.: 05 17.018-BAI, wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I.

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Aserbaidschan, brachte am 13.10.2005 beim Bundesasylamt (BAA) einen Asylantrag ein. Dazu wurde sie erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte sie im Wesentlichen vor, für sie würden ebenso die Gründe ihres Mannes gelten, sie habe aber auch eigene Gründe. Sie habe in ihrer Heimat als Lehrerin gearbeitet, sei aber wegen der Mitgliedschaft ihres Mannes bei einer Oppositionspartei und wegen der Teilnahme an Demonstrationen aus dem Lehrerdienst entlassen worden. Am 16.10.2003 habe sie in Baku nach den offensichtlich manipulierten Präsidentenwahlen an einer Demonstration (gegen diese Manipulationen) teilgenommen und sei bei der Auflösung der Demonstration durch die Polizei von einem Polizisten geschlagen und getreten worden; in der Folge habe sie deswegen ihr Kind verloren. Ihr Mann sei bei dieser Demonstration festgenommen, während der anschließenden Haft misshandelt und am 21.10.2003 entlassen worden. Nach der Haftentlassung habe er feststellen müssen, dass sein Geschäft vollkommen geplündert worden war. Beide hätten sie sodann beschlossen, das Land zu verlassen; nach zweijährigem Aufenthalt in Georgien seien sie weiter nach Österreich geflüchtet.

 

2. Der Asylantrag wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 24.10.2006, Zahl: 05 17.018-BAI, gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Fluchtvorbringen der BF als nicht glaubhaft.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 31.10.2006 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die BF aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd GFK aus ihrem Heimatland geflüchtet sei. Im Übrigen werde auf die Berufung ihres Gatten verwiesen.

 

4. Mit Schreiben vom 14.03.2007 wurden ein Befundbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie vom 00.00.2006 und ein ärztlicher Kurzbericht des Bezirkskrankenhauses vom 00.00.2006, die BF betreffend, sowie Dokumente in russischer Sprache, die BF und ihren Gatten betreffend, vorgelegt.

 

5. Am 00.00.2008 wurde die BF wegen Verdacht der gefährlichen Drohung und Sachbeschädigung der Staatsanwaltschaft angezeigt.

 

6. Mit Schreiben vom 04.06.2008 gab der rechtsfreundliche Vertreter die Vertretung der BF bekannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der Asylgerichtshof hat durch Einsicht in den vorliegenden

Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

1. Unschlüssige Beweiswürdigung

 

1.1. In der Beweiswürdigung führte die Erstbehörde aus, dass die Angaben der BF denkmöglich waren. Sie habe die Heimat verlassen, weil sie an einer illegalen Demonstration der Opposition teilgenommen habe und dabei von einem Polizisten mit einem Knüppel niedergeschlagen worden sei. Weiters habe ihr der Polizist in den Bauch getreten, wodurch sie dann eine Fehlgeburt erlitten habe. Es sei durchaus verständlich, dass sie sich bemüht habe, mit allen erdenklichen Mitteln ihre Geschichte zu unterstützten und auszuschmücken, vor allem auch dadurch, weil am 14.10.2005 in der EAST-West eine ärztliche Untersuchung durchgeführt worden sei, die im Hinblick auf eine "psychotische Erkrankung" ohne Befund geblieben sei und dann eine Untersuchung am 26.01.2006 nach einem Suizidversuch eine Polytraumatisierung in der Kindheit ergeben habe, wobei auch im Untersuchungszeitpunkt keine psychotischen Symptome zu eruieren gewesen seien. Nicht selten würden derartige Vorgehensweisen - plötzliches Auftreten einer Traumatisierung - als Instrument für einen Verbleib in Österreich gelten. Hierzu werde die Asylbegründung häufig "optimiert", um den Aufenthalt in Österreich sichern zu können.

 

Die Antragstellerin sei mehrmals darauf aufmerksam gemacht worden, dass es wichtig sei, die Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen, sodass es nicht nachvollziehbar sei, dass sie erst nach ihrem Suizidversuch psychische Probleme geltend gemacht habe. In ihrem Falle sei es somit offensichtlich, dass es sich bei ihren nachfolgenden Angaben um ein gesteigertes Vorbringen gehandelt habe. Aus denklogischer Sicht betrachtet, ergebe sich nämlich für Personen, die tatsächlich an einer Traumatisierung leiden, keine Notwendigkeit dafür, im Land, in dem sie sicher seien und um Hilfe (Asyl) ersuchen, diese Erkrankung zu verschweigen. Zufolge der erst später gemachten Angaben musste ihrem Vorbringen betreffend Traumatisierung die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden.

 

Auch bei ihren Rückkehrbefürchtungen handle es sich um subjektiv empfundene Furcht, die von ihr durch keinerlei objektive Beweise untermauert werden konnten, weshalb diese mangels Konkretisierung auch nicht objektivierbar gewesen seien. Die Antragstellerin habe lediglich die Behauptung in den Raum gestellt, die gleichen Dinge, die sie erlebt hatte, wieder zu erleben. Zusammenfassend sei daher zu befinden, dass ihre Geschichte wohl asylzweckbezogen angelegt, in dieser Form aber nicht nachvollziehbar gewesen sei.

 

Das Vorbringen der BF wurde deshalb vom BAA in wesentlichen Teilen als nicht glaubhaft beurteilt.

 

1.2. Das BAA hält es für möglich, dass die BF im Zuge einer Demonstration misshandelt und dadurch ihr Kind verloren hatte, nicht jedoch den Umstand der Traumatisierung. Gestützt wird dies auf eigene Spekulationen und subjektive Wahrnehmungen des Bescheid erlassenden Organes, nicht jedoch auf sachlich fundierte Gutachten diesbezüglicher sachverständiger Spezialisten. Folgt man der Argumentation der Erstbehörde, so hätte die BF - quasi im Zuge einer Selbstdiagnose - die eigene Traumatisierung feststellen müssen und diese dann mitzuteilen gehabt. Die BF verfügt weder über eine medizinische, noch über eine psychotherapeutische Ausbildung; jedenfalls kann man ihr die Nichtbekanntgabe oder verspätete Bekanntgabe dieser Umstände nicht vorwerfen.

 

Die Wertung des Bundesasylamtes, es sei nicht nachvollziehbar, warum die BF ihre Erkrankung (Traumatisierung) erst so spät im Verfahren vorgebracht habe, ist daher unschlüssig.

 

Ebenso unschlüssig ist die Beweiswürdigung des BAA im Hinblick auf ihre Rückkehrbefürchtungen. Wenn das BAA das Vorbringen der BF als denkmöglich erachtet, so ist es ist für den Asylgerichtshof jedenfalls nicht unplausibel, wenn die BF Furcht vor den erlebten Dingen - die als denkmöglich erachtet wurden - hegt, sondern nur eine logische Folge des Erlebten.

 

Darüber hinaus hat sich das BAA mit dem Vorbringen, die BF sei als Lehrerin entlassen bzw. suspendiert worden Beweis würdigend überhaupt nicht auseinander gesetzt.

 

Wie die Erstbehörde dabei zur Ansicht gelangen kann, es sei nachvollziehbar, dass sie im Falle der Rückkehr keine Probleme mit den Behörden des Heimatstaates (womit wohl auch Schulbehörden gemeint sein müssen) zu befürchten habe, ist daher wiederum unschlüssig.

 

Die Beweiswürdigung der Erstbehörde ist daher insoweit unschlüssig und nicht geeignet, den Befund - ihr Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft - zu tragen.

 

2. Mangelhafte Sachverhaltsfeststellung

 

2.1. Das BAA führte an, dass die Geschichte der BF wohl asylzweckbezogen angelegt und "in dieser Form aber nicht nachvollziehbar" gewesen sei. Wenn es aber bestimmte Angaben der BF als denkmöglich erachtete, andererseits ihr Vorbringen aber "in dieser Form" als nicht nachvollziehbar erachtete, so fehlen jedenfalls Feststellungen darüber, welche Teile ihres Vorbringens die Erstbehörde nun als unglaubwürdig bzw. glaubwürdig erachtete, dh. von welchem festgestellten Sachverhalt das BAA also ausging (in welcher Form es etwa das Vorbringen als nachvollziehbar ansah) und der rechtlichen Beurteilung zugrunde legte.

 

Auch ist der Sachverhalt im Hinblick auf ihr Vorbringen, sie sei als Lehrerin entlassen worden, mangelhaft ermittelt worden. Es wurde nicht festgestellt, ob sie nun entlassen oder ob sie suspendiert worden sei. Diesbezüglich hätte der Sachverhalt weiter erhellt werden müssen, etwa in welcher Schule sie angestellt gewesen sei, ob sie eine diesbezügliche Urkunde besitze und in welcher Form die Entlassung oder aber Suspendierung vor sich gegangen sei.

 

Es hätten auch weitere Erhebungen und Feststellungen über ihre Lebensgrundlage getroffen werden müssen, dies vor dem Hintergrund, dass der Verlust des Arbeitsplatzes unter bestimmten Umständen asylrelevant sein kann (wenn die Lebensgrundlage des Asylwerbers dadurch massiv bedroht würde - vgl VwGH 12.09.1996, 95/20/0429).

 

2.2. Zwar wurden umfangreiche Feststellungen zur Situation in Aserbaidschan getroffen, die Feststellungen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage (vgl. AS 161 dritter und vierter Absatz) sind aber nicht geeignet, die Rückkehrsituation der BF vor dem Hintergrund ihres Vorbringens - sie sei als Lehrerin entlassen bzw. suspendiert worden; das Geschäft ihres Mannes sei völlig geplündert worden - beurteilen zu können.

 

Ohne solche Feststellungen ist es aber nicht möglich, zu beurteilen, ob ihr im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre oder ob sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt werde. Gleichwohl wurde diese Beurteilung von der Erstbehörde aber vorgenommen.

 

Eine abschließende schlüssige Beurteilung des Vorbringens des BF wird erst nach Vervollständigung der Länderdokumentation möglich sein, da vorher das individuelle Vorbringen zum objektiven Sachverhalt laut Länderdokumentation nicht in Relation gesetzt werden kann.

 

Das Bundesasylamt hat es verabsäumt, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und nachvollziehbar darzulegen, warum ganz konkret welcher Teil des Vorbringens aufgrund welcher Erwägung als glaubwürdig bzw. nicht glaubwürdig angenommen wird.

 

3. Im Beschwerde(Berufungs)schriftsatz rügt die BF die Nichtgewährung des Parteiengehörs (durch Verweis auf die Berufung des Ehemannes, die Verletzung des Parteiengehörs wird dort konkret gerügt) und ist damit im Recht.

 

Es hätte einer Konfrontation der Partei mit dem amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Der BF wurden aber die entsprechenden Länderfeststellungen nicht vorgehalten. Wenn das Ermittlungsergebnis der BF aber nicht vollinhaltlich zur Kenntnis gebracht worden ist, so hatte sie diesbezüglich keine Möglichkeit, sich insoweit dagegen zu äußern.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die genannten fehlenden Sachverhaltsermittlungen sowie die fehlenden Länderfeststellungen und die unschlüssige Beweiswürdigung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu Folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1 erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihm vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes der BF und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung der BF, bzw. eine Konfrontation der BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen (im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH - Erkenntnisses besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".

 

Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299).

 

Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der(die) Beschwerdeführer(in) die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem(der) BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorlegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem(der) BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung zwar als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann.

 

Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des(der) Beschwerdeführer(s)(in) zu folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch die BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es der BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihr die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen (wobei insbesondere auf Widersprüche einerseits in den Aussagen bei den einzelnen Einvernahmen und andererseits zu den Aussagen des Ehegatten der BF zu berücksichtigen sein werden) und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
19.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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