TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/10 D6 315757-1/2008

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Veröffentlicht am 10.11.2008
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Spruch

D6 315757-1/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzerin über die Beschwerde der H.Z., geb. 00.00.1956, StA. Usbekistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.10.2007, FZ. 0610.578-BAE, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und H.Z. gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass H.Z. kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Beschwerdeführerin, eine usbekische Staatsangehörige der uigurischen Volksgruppe und Angehörige der buddhistischen Glaubensgemeinschaft, reiste - gemeinsam mit ihrer Tochter (der Beschwerdeführerin zu D6 315759-1/2008), ihrem älteren Enkelkind (dem Beschwerdeführer zu D6 315760-1/2008) sowie ihrem Schwiegersohn (dem Beschwerdeführer zu D6 315758-1/2008) - am 4.10.2006 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 4.10.2006, 10.10.2006 und am 28.8.2007 wurde die Beschwerdeführerin vor der Polizeiinspektion Traiskirchen in der Erstaufnahmestelle-Ost bzw. vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

1. Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin in ihrer Erstbefragung an, auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur uigurischen Volksgruppe verfolgt worden zu sein. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn seien bedroht und zusammengeschlagen worden; unbekannte Usbeken hätten auch ihr Haus angezündet. Ihr Ehemann sei 1994 getötet worden. Ihr Enkelkind sei in der Schule geschlagen worden.

 

Im Rahmen ihrer Einvernahme am 28.8.2007 ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgründe dahingehend, dass sie am 4.2.2003 von unbekannten Männern geschlagen worden sei; sie habe ihr Bewusstsein verloren. Im Krankenhaus sei eine Gehirnerschütterung sowie ein Bruch am linken Unterarm sowie am linken Knöchel festgestellt worden. Sie habe bei der Polizei Anzeige erstattet. Die Polizei habe die Täter jedoch nicht ermitteln können. Hinsichtlich des Todes ihres Ehemannes, der in einem Brunnen gefunden worden sei, führte die Beschwerdeführerin aus, die Männer des Bestattungsunternehmens hätten ihr gesagt, dass die Leiche ihres Ehemannes Messerstiche aufgewiesen habe. Die Polizei habe dagegen von einem Unfall gesprochen. Ihr Ehemann habe in der Verwaltung gearbeitet und auch Feinde gehabt, weil er Uigure war.

 

Im Juli 2006 sei ihr Hund umgebracht und auf den Holzzaun geschrieben worden: "Hunde verschwindet von hier". Anfang August 2006 sei ein angezündetes getränktes Tuch durch das Fenster ins Haus geworfen worden. Das Schlafzimmer und ein Teil des Kinderzimmers seien abgebrannt. Sechs oder sieben Männer hätten im September 2006 ihren Schwiegersohn geschlagen. Von 2005 bis zur Ausreise habe es ungefähr fünf bis sechs Vorfälle gegeben, in denen die Beschwerdeführerin von jungen Männern angespuckt und verbal angegriffen worden sei.

 

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 30.10.2007 gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG), ab und erkannte der Beschwerdeführerin den Status des Asylberechtigten nicht zu. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 leg. cit. wurde der Beschwerdeführerin auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Usbekistan nicht zuerkannt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Usbekistan ausgewiesen.

 

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur Situation in Usbekistan und stellte die Nationalität der Beschwerdeführerin, nicht aber ihre Identität fest. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin erachtete das Bundesasylamt als nicht glaubwürdig. Ihre ethnische Verfolgung habe die Beschwerdeführerin "nur allgemein in den Raum" gestellt. Den Länderfeststellungen zufolge seien Personen aufgrund ihrer uigurischen Volksgruppenzugehörigkeit bzw. buddhistischen Religion jedoch keiner Verfolgung in Usbekistan ausgesetzt. Darüber hinaus seien die Schilderungen mit Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten belastet: Die Beschwerdeführerin habe die nach der Tötung des Hundes im Sommer 2006 auf den Holzzaun geschriebenen Worte anders als ihr Schwiegersohn beschrieben. Dieser habe darüber hinaus von zwei Flaschen mit Benzin gesprochen, mit denen das Haus in Brand gesteckt worden sei, wogegen die Beschwerdeführerin ein angezündetes getränktes Tuch als Brandursache genannt habe. Zudem habe der Schwiegersohn von acht unbekannten Personen, die am 25.9.2006 erschienen seien, gesprochen. Überdies hätte die Beschwerdeführerin sich der von ihm behaupteten Bedrohungssituation durch einen Umzug innerhalb Usbekistans entziehen können.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht (als Berufung) eingebrachte Beschwerde, in welcher der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes substantiiert entgegen getreten wird. Die behaupteten Widersprüche in den Angaben seien der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgehalten worden. Was den Schriftzug am Holzzaun anbelangt, habe sie sich durch die Erinnerung an all die im Laufe der Zeit erduldeten Beschimpfungen in die Irre führen lassen. Auch bezüglich der Brandursache würde sich ihre Aussage lediglich auf Vermutungen stützen. Unter Hinweis auf Berichte von Amnesty International aus dem Jahr 2001 und 2006 verweist die Beschwerdeführerin auf die schlechte Situation der Uiguren in Usbekistan; dass nicht umfangreichere Berichte diesbezüglich an die Weltöffentlichkeit dringen würden, sei angesichts der verschwindenden Größe der Minderheit und der fehlenden Pressefreiheit in seinem Heimatstaat nachvollziehbar und deswegen kein Beweis für Verfolgungsfreiheit. In dieser Hinsicht habe die belangte Behörde auch ihre Ermittlungspflichten zur Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt. Abschließend tritt die Beschwerde der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen.

 

4. Am 4.11.2008 führte der Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin sowie ihre Tochter, ihr Schwiegersohn und der Beschwerdevertreter teilnahmen; das Bundesasylamt war nicht erschienen. Der Verhandlung wurde eine Dolmetscherin für die russische Sprache beigezogen. Die Verhandlung war geboten, da die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Beschwerde substantiiert bekämpft wurde und dem erkennenden Senat ergänzungsbedürftig erschien.

 

Beweis wurde erhoben, indem die Beschwerdeführerin, ihre Tochter und ihr Schwiegersohn einvernommen und folgende, auch in der Verhandlung erörterte Unterlagen eingesehen wurden:

 

Länderinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes vom Juni 2008, aus dem Internet heruntergeladen am 31.10.2008;

 

Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz, Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien vom 20.1.2006;

 

Bericht von Amnesty International vom 9.2.2007, aus dem Internet heruntergeladen am 31.10.2008;

 

International Religious Freedom Report des U.S. Department of State 2007;

 

Country Reports on Human Rights Practices des U.S. Department of State 2006 vom März 2007;

 

Islam Karimow lässt sich wieder wählen, Vougar Aslanov in "Neues Deutschland" vom 22.12.2007, aus dem Internet heruntergeladen am 31.10.2008;

 

Zentralasien: Kein Grund für vermehrte Menschenrechtsverletzungen, Amnesty International vom 11.10.2001;

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den erkennenden Senat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

1.1 Zur Situation in Usbekistan:

 

1.1.1 Demographische Angaben:

 

Usbekistan ist der bevölkerungsreichste Staat in Zentralasien und grenzt an alle üblicherweise zu Zentralasien gezählten Staaten (Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan). Usbekistan hat eine Gesamtbevölkerung von 26.851.195 Einwohnern (Stand 2005) und eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 59 Einwohnern pro km². Die Besiedlung verteilt sich jedoch ungleichmäßig auf das Land. So steigt die Bevölkerungsdichte in den zu mehreren Staaten gehörenden Ferghana-Becken auf über 400 Einwohner pro km².

 

Die Bevölkerung Usbekistans besteht nach offiziellen Angaben von 1993 zu 73,7 % aus Usbeken, 5,5 % Russen, 5,1 % Tadschiken, 4,2 % Kasachen, 2 % Krimtataren, 2 % Karakalpaken, 1,1 % Koreanern. Zu den kleineren Minderheiten zählen Uiguren, Deutsche (etwa 40.000), Meschetische Türken, Aserbaidschaner und Türken. In manchen Landesteilen, wie dem Gebiet um die Städte Samarkand und Buchara ist eine ethnische Zuordnung allerdings kaum möglich, da die dortige Bevölkerung traditionell zweisprachig (usbekisch- und tadschikischsprachig) ist und eine Trennung in zwei verschiedene Völker erst durch die moderne amtliche Terminologie eingeführt worden ist. Insofern ist die sprachliche und kulturelle "Usbekisierung" Teil einer nationalstaatlichen Konsolidierung nach übernommenen sowjetischen und türkischen Staatsvorstellungen.

 

Die Religion der Mehrheit der Bevölkerung ist der Islam (zumeist Sunniten, schiitische Minderheiten, vor allem in Buchara und Samarkand). Zudem gibt es Christen (Angehörige der Russischen Orthodoxen Kirche, der Armenisch-Apostolischen Kirche, Katholiken und Protestanten (vor allem Baptisten und Evangeliums-Christen), gläubige Juden, Buddhisten, Baha'i und Krishnaiten. Im Unterschied zu den Bevölkerungen in den Nachbarländern Kasachstan, Kirgisien und Turkmenistan - die bis heute im Nomadentum wurzeln und lange nur oberflächlich islamisiert waren - war die Region des heutigen Usbekistan schon seit dem frühen Mittelalter ein Kerngebiet islamischer Kultur (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz).

 

1.1.2 Staatsaufbau:

 

Usbekistan ist gemäß der Verfassung eine präsidiale Demokratie (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz). Usbekistan wird durch den schon zu sowjetischer Zeit amtierenden Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei Usbekistans, Islam Karimow, regiert. Ein Referendum im sowjetischen Stil von 1995 und eine darauf folgende Parlamentsentscheidung erweiterten Karimows Mandat bis zum Jahr 2000. Er wurde am 9.1.2000 mit 91,9% der Stimmen wieder gewählt. Die Wahl entsprach nicht den OSZE-Standards. Ein erneutes Referendum im Januar 2002 verlängerte die Amtszeit des Präsidenten bis zum Jahr 2007. Diese zweite Amtszeit ist im Januar 2007 ausgelaufen (Länderinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes vom Juni 2008). Bei der (erst) am 23.12.2007 durchgeführten Präsidentschaftswahl in Usbekistan ist dem offiziellen Ergebnis zufolge der Amtsinhaber Islam Karimow mit 88,1 % der Stimmen im Amt bestätigt worden (Vougar Aslanov in "Neues Deutschland" vom 22.12.2007).

 

1.1.3 Zur aktuellen politischen Lage:

 

Usbekistan versteht sich als weltlicher Staat mit strikter Trennung von Staat und Religion. Die Regierung versucht, islamisch-religiöse Bewegungen im Lande staatlich zu kontrollieren. Insgesamt hat Usbekistan eine traditionsgebundene, aber weltliche Gesellschaft, in der der Islam seine prägende Rolle vor allem in den Familien und Familientraditionen spielt. Islamistischer Terrorismus wird von der Regierung immer wieder als Bedrohung für den Staat und als Begründung für die Verfolgung und Inhaftierung einzelner Personen angeführt. Die "Islamische Bewegung Usbekistans" wurde durch militärische Operationen der Anti-Terror-Koalition in Afghanistan und im Frühjahr 2007 durch pakistanische Sicherheitskräfte im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet stark geschwächt. Als bislang einziges Land in Zentralasien hat Usbekistan Selbstmordattentate hinnehmen müssen, und zwar im März/April 2004 in Taschkent und Buchara sowie erneut am 30. Juli 2004 in Taschkent (Länderinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes vom Juni 2008).

 

Hizb-ut Tahrir (Partei der Befreiung) ist eine Partei des politischen Islams, die sich - ebenso wie die erwähnte "Islamische Bewegung Usbekistans" - das Ziel gesetzt hat, einen islamischen Staat zu errichten, der von einem Kalifen regiert wird. In Zentralasien, vor allem in Usbekistan, hat die Organisation inzwischen starken Zulauf, wo sie politisch, jedoch nicht - wie etwa die "Islamische Bewegung Usbekistans" - militärisch, gegen die herrschende Regierung kämpft. Ein wesentlicher Aspekt der Partei ist ihr Antizionismus, der häufig in eine massive, antijüdische Agitation mündet, sie ist daher seit dem 15. Januar 2003 in Deutschland wegen Gewaltpropaganda und antijüdischer Hetze verboten. Generell gilt für Hizb ut-Tahrir, dass sie ein demokratisch-rechtsstaatliches Konzept radikal ablehnt und in der Theorie durchaus die Anwendung von Gewalt für die Durchsetzung politischer Ziele ("Dschihadismus") befürwortet, sich derzeit jedoch ohne Verzicht auf eine durchaus gewalttätige Sprache gegen terroristische Aktionen ausspricht (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz).

 

Am 12./13. Mai 2005 kam es in Andijan im Ferghana-Tal zu Demonstrationen gegen die Regierung von Präsident Karimow. Auslöser war ein Prozess gegen 23 lokale Kleinunternehmer, die beschuldigt wurden, Mitglieder einer Splittergruppe von Hizb ut-Tahrir zu sein. Mehrere Teilnehmer der Kundgebung gegen den Prozess wurden von Sicherheitskräften verhaftet. Daraufhin stürmten Demonstranten das lokale Gefängnis und befreiten Hunderte Gefangene. Die Regierung setzte am 13. Mai 2005 Sicherheitskräfte ein, die den Aufstand mit massivem Gewalteinsatz niederwarfen. Laut Regierungsangaben wurden 169 Menschen getötet, darunter 32 Sicherheitskräfte. Menschenrechtsorganisationen sprachen dagegen von 500 bis 1000 Toten unter weitgehend unbewaffneten Demonstranten. Die mehrtägigen Unruhen, die neben Andijan auch in anderen Städten nahe der Grenze zu Kirgisistan stattfanden, wurden von der Regierung Karimov der Hizb ut-Tahrir und international agierenden islamistischen Terroristen zugeschrieben und ihre blutige Unterdrückung als Kampf gegen den Terror ausgegeben (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz).

 

1.1.4 Zur Menschenrechtslage im Allgemeinen:

 

Die Situation der Menschenrechte in Usbekistan wird von allen einschlägigen Menschenrechtsorganisationen als äußerst schlecht ("dramatisch, "drastisch", "disaströs", "very poor") beurteilt. Wesentliche Lebensbereiche, die auch eine Nähe zu menschenrechtlichen Garantien aufweisen (wie Gerichtsbarkeit, Bildungswesen, Gesundheitswesen), werden als durch ein hohes Maß an Korruption gekennzeichnet dargestellt (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz).

 

Usbekistan hat im August 2007 zwei Gesetze verabschiedet, mit denen ab 1. Januar 2008 die Todesstrafe abgeschafft und die Kompetenz zum Ausstellen von Haftbefehlen von der Staatsanwaltschaft auf die Gerichte übergehen wird. Die Reform des Strafrechts beinhaltet auch eine Reduzierung der zum Teil drastischen Gefängnisstrafen für eine Reihe von Straftaten. Im Februar 2008 wurden im Rahmen einer Amnestie auch sechs bekannte Menschenrechtsverteidiger freigelassen und die Bewährungsstrafen von zwei weiteren Menschenrechtsaktivisten aufgehoben. Im März 2008 konnte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes seine Besuche von Haftanstalten und Gefangenen wieder aufnehmen. Im Juni 2008 wurde der schwerkranken Menschenrechtsaktivistin Mukhtabar Tadschibajewa Haftverschonung gewährt. Sie darf allerdings das Land nicht verlassen. Ungeachtet dieser Entwicklungen hat Usbekistan noch nicht damit begonnen, internationale menschenrechtliche Verpflichtungen in nationales Recht umzusetzen. Auch die in der usbekischen Verfassung und nationalen Gesetzgebung verankerten Menschenrechtsgarantien werden in der Praxis kaum angewandt (Länderinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes vom Juni 2008).

 

Im Zuge des von der Regierung Karimov verfolgten Kampfes gegen den Terror wurden nicht nur Extremisten, sondern auch friedliche Muslime und zahlreiche Menschenrechtler festgenommen und ohne ordentliches Verfahren ins Gefängnis geworfen. Von Folterungen und Nahrungsentzug wird berichtet (Vougar Aslanov in "Neues Deutschland" vom 22.12.2007).

 

1.1.5 Die Situation für Minderheiten im Allgemeinen:

 

Die Situation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Auflösung der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe; wirtschaftlicher Niedergang für die Mehrheit der Bevölkerung; Ressourcenverteilung (Eigentum und Macht) nach verwandtschaftlichen Merkmalen (Familie, Klan, Freunde, Klanverband, Ethnie), wodurch die russischsprachige und bucharajüdische Bevölkerung generell benachteiligt wird und damit verbunden diktatorische Machtstrukturen, die Willkür gegen schutzlose Personen ausüben; ethnische, konfessionelle, kulturelle Überlagerungen der sozialen Spannungen, u.a. starker Zulauf zu islamistischen Gruppen, die allerdings von der Regierung Karimov mit brachialen Methoden bekämpft werden (Länderkundliches Gutachten von Univ. Prof. Dr. Richard Potz).

 

1.1.6 Die Situation für Uiguren im Besonderen:

 

Uiguren sind in der Region Zentralasiens schon seit längerem Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt und werden zunehmend beschuldigt, mit verbotenen islamischen Oppositionsbewegungen in Zentralasien zu sympathisieren oder sie gar zu unterstützen. Uiguren werden von den zentralasiatischen Behörden oft willkürlich verhaftet, gefoltert und misshandelt, einige wurden auch zwangsweise nach China abgeschoben (Amnesty International vom 11.10.2001).

 

So wurde auch in jüngerer Zeit ein 38-jähriger, aus der chinesischen Provinz Xinjiang stammender und geflohener Uigure mit (später erworbener) kanadischer Staatsangehörigkeit, der im Jahr 2006 die Familie seiner Ehefrau in Usbekistan besuchen wollte, von usbekischen Behörden festgenommen und China übergeben, wo er (vermutlich) wegen "terroristischer" Aktivitäten vor Gericht gestellt wurde. Nach wie vor ist es gängige Praxis chinesischer Behörden, sozial und politisch engagierte Uiguren pauschal des "Terrorismus" zu beschuldigen, ohne stichhaltige Beweise dafür vorzulegen; in den vergangenen Jahren hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mehrere Fälle von Uiguren dokumentiert, die wegen angeblicher "separatistischer" oder "terroristischer" Handlungen in Xinjiang zum Tode verurteilt und exekutiert wurden (Amnesty International vom 9.2.2007).

 

1.2 Zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen:

 

Die Beschwerdeführerin ist usbekische Staatsangehörige der uigurischen Volksgruppe und Buddhistin. Nach dem Tod von dessen Eltern im Jahr 1991 nahm die Beschwerdeführerin ihren späteren Schwiegersohn bei sich auf. Im Jahr 1993 eröffnete der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin in S. mit Unterstützung des Ehemannes der Beschwerdeführerin ein Teehaus, in dem auch nationale Speisen gereicht wurden. Der Ehemann der Beschwerdeführerin kam 1994 unter ungeklärten Umständen ums Leben. In den Jahren darauf wurde der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin wiederholt von Muslimen sowohl wegen seiner Volksgruppen-, als auch seiner Religionszugehörigkeit verhöhnt, attackiert und geschlagen.

 

In weiterer Folge wurde der Enkelsohn der Beschwerdeführerin in der Schule mehrfach attackiert. Nachdem er einen Nasen- und Rippenbruch erlitten hatte, untersagte die Tochter der Beschwerdeführerin ihrem Sohn, den sie von da an zuhause unterrichtete, jeden weiteren Schulbesuch. Am 4.2.2003 drangen zwei unbekannte Männer in den Hof des Hauses und misshandelten die Beschwerdeführerin schwer. Die beiden Männer fragten sie nach ihrem Schwiegersohn, schlugen auf sie ein und stießen ihren Kopf gegen den Zaun. Im Zuge der Misshandlung verlor die Beschwerdeführerin ihr Bewusstsein. Im Krankenhaus wurde ein Bruch am rechten Unterarm sowie am linken Knöchel festgestellt. Sie erlitt ferner eine Gehirnerschütterung und einen Steißbeinbruch.

 

Im April 2003 fragten unbekannte Männer die Tochter der Beschwerdeführerin, wo sich ihr Ehemann befindet. Nachdem sie dessen Anwesenheit verneint hatte, versetzte einer der Männer ihr einen Schlag ins Gesicht. Dabei erlitt die Tochter der Beschwerdeführerin einen Nasenbeinbruch, der eine Operation erforderlich machte.

 

Ab dem Jahr 2005 ereigneten sich bis zu ihrer Ausreise mehrere Vorfälle, in denen die Beschwerdeführerin von jungen Männern aufgrund ihrer Zugehörigkeit der uigurischen Ethnie angespuckt und verbal angegriffen wurde. Im Frühjahr 2006 betraten sechs Personen, von denen drei Personen aufgrund ihres Äußeren erkennbar als Wahabiten einzustufen waren, das Teehaus des Schwiegersohnes. Im Zuge des Wortgefechts forderten sie ihn auf, zum Islam zu konvertieren. Als Reaktion auf dessen ablehnende Aussagen schlugen sie den Schwiegersohn der Beschwerdeführerin zusammen und fügten ihm mit einem Messer eine Stichverletzung im Bauchbereich zu. Im Juli 2006 wurde ihr Hund im Hof des Hauses getötet. Am Zaun fand sich der Schriftzug: "Uiguren, verschwindet von hier". Im August 2006 warfen Unbekannte Flaschen mit brennenden Tüchern in das Schlaf- und das Kinderzimmer des Hauses. Beide Zimmer, die der Hauptstraße zugewandt waren, brannten aus.

 

Am 25.9.2006 wurde der von seiner Arbeit heimkommende Schwiegersohn der Beschwerdeführerin von insgesamt acht Personen, von denen zwei Personen etwas abseits standen, vor dem Hof seines Hauses erwartet. Die Männer verhöhnten und forderten ihn auf, nach China zu verschwinden. In der Folge schlugen sie auf den Schwiegersohn der Beschwerdeführerin ein. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter hörten seine Schreie und liefen aus dem Haus, um ihm zu Hilfe zu kommen. Auch auf sie wurde eingeschlagen. Auf Grund dieses Vorfalles beschloss die Beschwerdeführerin, mit ihrer Familie Usbekistan zu verlassen. Noch am selben Abend organisierte ihr Schwiegersohn mit Hilfe eines Bekannten die Ausreise.

 

2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1 Die Länderfeststellungen beruhen auf den jeweils angegebenen Quellen. Der entscheidungsrelevante Inhalt der Berichte entspricht im Wesentlichen den in der Verhandlung erörterten (zusammengefassten) vorläufigen Schlussfolgerungen des erkennenden Senates. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den erkennenden Senat kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben in den Länderberichten zu zweifeln.

 

Im Hinblick auf die Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung, wonach den behördlichen Feststellungen zufolge Personen aufgrund ihrer uigurischen Ethnie bzw. buddhistischen Religion keiner Verfolgung in Usbekistan ausgesetzt seien, ist Folgendes zu bemerken: Abgesehen von dem Hinweis, dass keine gesicherten Daten über die genaue Anzahl der in Usbekistan lebenden Uiguren vorliegen würden, findet sich in den Länderfeststellungen ausschließlich die Feststellung, dass keine Berichte über gezielte Verfolgungen von Uiguren bekannt seien. Wie sich den oben unter 1.1 getroffenen Länderfeststellungen entnehmen lässt, geht aus den im vorliegenden Beschwerdeverfahren herangezogenen Quellen hervor, dass sich Minderheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers schon seit Jahren in einer äußerst problematischen Situation befinden; so wird von einer generellen Benachteiligung der russischsprachigen und bucharajüdischen Bevölkerung in Usbekistan gesprochen; gleichzeitig würden islamistische Gruppen, die minderheitenfeindliche und gegenüber anderen Religionen intolerante Konzepte verfolgen, starken Zulauf erhalten (vgl. Gutachten von Univ. Prof. Dr. Potz vom 20.1.2006). Bereits im Jahr 2001 resümierte Amnesty International, dass Uiguren schon bisher in der (auch Usbekistan miteinschließenden) Region Zentralasiens Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt gewesen und zunehmend beschuldigt worden seien, mit Oppositionsbewegungen in Zentralasien zu sympathisieren oder sie gar zu unterstützen (ai Index EUR 4/003/2001). Angesichts der jüngeren Berichte über Abschiebungen uigurischer Personen nach China wegen Terrorismusverdachts (vgl. Amnesty International vom 9.2.2007) und der - von der belangten Behörde selbst als kritisch eingeschätzten - Menschenrechtslage in Usbekistan (vgl. Seite 21 f. des angefochtenen Bescheides) kann daher aus dem Umstand, dass die belangte Behörde für ihre Länderfeststellungen keine Berichte, die ausdrücklich und konkret eine gezielte Verfolgung der uigurischen Minderheit in Usbekistan darlegten, heranziehen konnte, eine solche Verfolgung überhaupt ausgeschlossen werden.

 

2.2 Bei den Feststellungen zur Identität und Nationalität der Beschwerdeführerin folgte der erkennende Senat deren eigenen Angaben. Was ihre Nationalität anbelangt, wurde diese bereits von der belangten Behörde festgestellt. Es sind im Verfahren keine Zweifel hervorgekommen, die die Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin in Frage stellen könnten.

 

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen stützten sich auf die Aussagen der Beschwerdeführerin in der Verhandlung, in welcher sie persönlich glaubwürdig erschien und ihre Erlebnisse nachvollziehbar, plausibel und logisch darlegen konnte. Was die von der belangten Behörde in ihrer Beweiswürdigung angeführten Ungereimtheiten bzw. Widersprüchlichkeiten angeht, konnten diese in der Verhandlung entweder gänzlich ausgeräumt (wie z.B. der von der Beschwerdeführerin und ihrem Schwiegersohn unterschiedlich wiedergegebene Schriftzug am Zaun nach der Tötung des Hundes) oder glaubwürdig die Gründe für eine allfällige Divergenz in den Aussagen erläutert werden (wie z.B. die Zahl der Personen, die am 25.9.2006 die Beschwerdeführerin und ihre Familienangehörigen misshandelten). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus gleiche Ereignisse von unterschiedlichen Personen auch unterschiedlich wahrgenommen und wiedergegeben werden:

Im vorliegenden Fall stimmten die Aussagen der Betroffenen in den wesentlichsten Sachverhaltselementen, wie hinsichtlich des Zeitpunktes bzw. des Herganges der Geschehnisse am 25.9.2006 oder des Brandanschlages im August 2006, völlig überein. Die ohnedies nur äußerst geringfügigen Abweichungen zwischen den im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben der Familienmitglieder konnten dagegen nach ihrer Aufklärung in der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rahmen der Beweiswürdigung als unerheblich vernachlässigt werden.

 

Die Beschwerdeführerin hat - ebenso wie ihre Tochter und ihr Schwiegersohn - sich erkennbar und sichtlich bemüht, an der Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes wahrheitsgemäß mitzuwirken. Der Körper des Schwiegersohnes der Beschwerdeführerin weist zahlreiche (in der Verhandlung gezeigte) Narben auf, die von Gewalteinwirkungen gegen ihn zeugen. Nach seinen glaubwürdigen und in hohem Maße konkreten und plausiblen Schilderungen geht der erkennende Senat davon aus, dass die Narben auf die behaupteten Misshandlungen zurückzuführen sind. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich auch mit den getroffenen Länderfeststellungen in Einklang bringen. Es besteht kein Anlass und kein Grund, an der Glaubwürdigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass der erkennende Senat die behaupteten Fluchtgründe der Beschwerdeführerin seinen Feststellungen zu Grunde legen konnte.

 

Ungeachtet der persönlichen Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin konnten ihre Aussagen zu einem gewaltsamen Tod ihres Ehemannes - trotz einer gewissen Stimmigkeit gegenüber dem sonstigen Fluchtvorbringen - den Feststellungen nicht zu Grunde gelegt werden, da die Angaben sich weitgehend auf Vermutungen bzw. auf nicht gesicherte, sondern vielmehr auf Aussagen anderer Personen, nämlich den Angehörigen des Bestattungsunternehmens, über den Zustand der Leiche stützten. Der Tod musste daher als ungeklärt erachtet werden.

 

3. Rechtlich folgt daraus:

 

3.1 Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall, da der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz am 4.10.2006 gestellt hat.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3.2 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614; 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann dem Staat zuzurechnen, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist; dies kann vielmehr auch dann der Fall sein, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.

 

Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).

 

3.3 Es ist der Beschwerdeführerin gelungen, (drohende) Verfolgung glaubhaft zu machen: Gemäß den getroffenen Feststellungen wurde die Beschwerdeführerin - ebenso wie ihre Familienangehörigen - aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur uigurischen Ethnie und zur buddhistischen Glaubensgemeinschaft wiederholt von Privatpersonen misshandelt und schwer verletzt. Einmal wurde sogar ein Brandanschlag auf ihr Haus verübt. Die von ihr mehrfach kontaktierten staatlichen Sicherheitsbehörden haben der Beschwerdeführerin - ebenfalls wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit - keinen Schutz vor der privaten Verfolgung geboten.

 

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen kann daher nicht mit der im gegebenen Zusammenhang notwendigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin nach einer Rückkehr nach Usbekistan auf Grund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit erneut Übergriffen von Privatpersonen, gegen die usbekische Behörden keinen effektiven Schutz gewähren, ausgesetzt wäre.

 

Diese zu befürchtende Verfolgung knüpft an die Volksgruppenzugehörigkeit der Verfolgten an. Deshalb würde sie bei einer Rückkehr verfolgt werden. Sie ist somit aufgrund asylrelevanter Merkmale Opfer von Verfolgung und lebt in der begründeten Furcht, im Falle ihrer Rückkehr einer fortgesetzten Verfolgung aus diesem Grund ausgesetzt zu sein.

 

Anders als die Annahme der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie in anderen Landesteilen Usbekistans niederlassen könnte, um Schutz vor Verfolgung zu finden:

Wie bereits festgestellt wurde, sind Minderheiten, wie die uigurische Volksgruppe, infolge der Islamisierung des Landes starkem Druck ausgesetzt, wobei sich die Situation neben der allgemein problematischen Menschenrechtslage noch dadurch verschärft, dass die Beschwerdeführerin mit ihren Familienangehörigen keinen Schutz von staatlichen Sicherheitsbehörden erwarten kann. Vor dem Hintergrund der festgestelltermaßen der Beschwerdeführerin tatsächlich widerfahrenen zahlreichen Ereignisse, die sich über Jahre erstreckten, scheidet die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im vorliegenden Fall aus.

 

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes ihres Herkunftsstaates zu bedienen. Auch einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe liegt nicht vor.

 

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Diskriminierung, Misshandlung, private Verfolgung, Religion, Schutzunfähigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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