TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/12 A12 229908-0/2008

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Veröffentlicht am 12.11.2008
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Spruch

A12 229.908-0/2008/21E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde des S.R., geb. 00.00.1970, StA. von Afghanistan, vertreten durch RA Mag Georg Bürstmayr, Hahngasse 25, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.06.2002, Zahl: 02 00.129-BAG, nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 05.05.2003 und 07.11.2003 gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 75 Abs. 1 und 7 Z 1 AsylG 2005 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde von S.R. wird stattgegeben und S.R. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass S.R. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er reiste am 28.12.2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 01.02.2002 einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG 1997. Vor der Behörde erster Instanz bezog sich der Antragsteller zentral darauf, die Militärakademie absolviert zu haben und Mitglied der Demokratischen Volkspartei Afghanistans gewesen zu sein, sowie des Weiteren eine künstlerische Gruppe gegründet zu haben. Im Weiteren berief sich der Antragsteller auf die schlechte Behandlung von diesen Künstlern durch Angehörige der Mudjaheddin. Des Weiteren sei seine Großfamilie von den Taliban verfolgt. Auf Nachfrage konkretisierte der nunmehrige Beschwerdeführer seine Verfolgungsbefürchtung dahingehend, dass er als früherer Kommunist und Künstler von Seiten seiner Großfamilie gefährdet sei.

 

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 20.06.2002, Zahl: 02 00.129-BAG, gem. § 7 AsylG ab und erklärte jedoch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan gem. § 8 leg.cit. für nicht zulässig. Gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides wurde binnen einer offenen Frist Beschwerde erhoben.

 

Im Rahmen der abgehaltenen öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat - als vormals zuständiger Rechtsmittelinstanz nach dem AsylG 1997 - legte der Beschwerdeführer einerseits seine berufliche Tätigkeit und seinen Werdegang im Hinblick auf seine militärpolitische Ausbildung dar, sowie bekräftigte er Mitglied bzw. auch Vorstand einer Operativgruppe der VDAP (ie. kommunistische Partei Afghanistans) gewesen zu sein und im Rahmen einer künstlerischen Gruppe sich in politisch artikulierender Weise betätigt zu haben, weshalb er zentral auch von Seiten seiner Verwandten in Kabul nunmehr gesucht werde, eine Verfolgung befürchte.

 

Des Weiteren verwies der Beschwerdeführer darauf, dass die Ausübung dieser Kunst per se nicht erlaubt sei und eine Beleidigung für die Familie bedeute. Diese Künstler hätten immer einen schlechten Ruf gehabt.

 

Im Rahmen der Zweitverhandlung vom 07.11.2003 erstattete der beigezogene länderkundliche Sachverständige ein Gutachten zum Vorbringen des Antragstellers.

 

Die Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 02.02.2004, Zahl:

229.908/0/V/13/02, gem. § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Der letztgenannte Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.03.2007, Zl. 2006/19/0076-6, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

 

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis unter anderem auch an: "... für das fortgesetzte Verfahren ist - zur Vermeidung allfälliger inhaltlicher Rechtswidrigkeit des zu erlassenden Bescheides - auf diejenigen Ausführungen in dem zitierten Erkenntnis vom 19.10.2006, Zahlen 2006/19/0065-0068, mit dem der von der belangten Behörde zum Vorbild genommene Bescheid aufgehoben wurde, zu verweisen, nach denen ein aus mehreren Komponenten Privater, allenfalls für sich genommen, nicht asylrelevanter Verfolgung und fraglichen staatlichen Schutzes davor zusammengesetztes Bedrohungsbild einer kombinierenden Gesamtbetrachtung bedarf. Die eher abstrakt gehaltenen, das konkrete Vorbringen zum Teil sogar ausdrücklich ausklammernden und im Übrigen die Verfolgungsgefahr "allein" wegen jeweils einzelner Komponenten des behaupteten Bedrohungsbildes vermeinenden Ausführungen des Sachverständigen im vorliegenden Fall, werden unter diesem Gesichtspunkt gegebenenfalls zu ergänzen sein. ..."

 

Zum Sachverhalt:

 

Der Antragsteller war zum vormaligen Zeitpunkt Mitglied der Kommunistischen Afghanischen Partei und absolvierte er in den Jahren 1987 bis 1988 die Polizeiakademie und gleichzeitig eine Polituniversität. Sodann war der Antragsteller im Innenministerium Afghanistans tätig. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer zum vormaligen Zeitpunkt durch das Absingen bestimmter Liedtexte unter anderem einen der örtlichen Anführer bzw. Kommandanten seiner Herkunftsregion schwer beleidigt hat. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt vor seiner Flucht als durch die vormalige Talibanherrschaft gefährdet zu qualifizieren. In den Jahren 1983 bis 1992 war der Beschwerdeführer aktives Mitglied einer künstlerischen Gruppe, die Konzerte veranstaltete, welche vom Sicherheits-, Innen- und Verteidigungsministerium organisiert wurden und sich gegen die Mudjaheddin richteten.

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den bezughabenden als glaubhaft zu erkennenden Angaben des Antragstellers zu seiner Situation und Tätigkeit bzw. seinem politischen Engagement und seinem beruflichen Werdegang. Zentral herangezogen wurden die niederschriftlichen Aussagen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz in Zusammenhalt mit den getätigten Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der abgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates als vormals zuständiger Rechtsmittelinstanz vom 05.05.2003, inklusive Beilagen sowie 07.11.2003. Die Kernaussagen des Antragstellers zu seinem beruflichen Werdegang sowie seiner "künstlerischen Tätigkeit" wurden durch die durchgeführten Recherchen des beigezogenen länderkundlichen Sachverständigen bestätigt.

 

VI . Rechtliche Beurteilung:

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 75 Abs. 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

1.

 

Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

2.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

3.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Gem. § 75 Abs. 1 erster Satz, AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Asylanträge - wie die vorliegenden -, die bis zum 30. April 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Nach § 44 Abs.3 AsylG sind die §§ 8,15,22,23 Abs.5 und 6,36,40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf solche Verfahren anzuwenden.

 

Gem. § 124 Abs. 2 des ebenfalls mit 1.1.2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, an deren Stelle die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt des aus Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Zurechnungssubjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat bzw. bei Staatenlosen der Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes. Daher muss die Verfolgungsgefahr (bzw. die wohlbegründete Furcht davor) im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; VwGH 14.10.1998, 98/01/262).

 

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit Verfolgung von Seiten privater Personen unter gleichzeitigem Nichtbestehen effizienten staatlichen Schutzes rechnen müsste. Die dargestellte Bedrohung der Freiheit, der körperlichen Integrität und des Lebens des Antragstellers weist unzweifelhaft asylrelevante Intensität auf.

 

Die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung gründet sich jedenfalls in politischen Motiven; dergestalt, dass der Antragsteller aufgrund seiner vormaligen Ausbildung, Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei Afghanistans sowie insbesondere durch seine künstlerische Tätigkeit, welche eine politische Gesinnung artikulierte, nunmehr bei Rückkehr gefährdet ist.

 

Hervorzuheben ist, dass der Antragsteller sich zum vormaligen Zeitpunkt als Mitglied der Kommunistischen Partei Afghanistans und der diesbezüglichen Artikulierung, sich jedenfalls im Gegensatz zum vormals herrschenden Talibanregime brachte, er jedoch sich zum Ziel einer maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgung von Seiten jeglicher Mudjaheddin-Gruppen machte.

 

Aufgrund der allgemeinen als notorisch zu qualifizierenden Entwicklung in Afghanistan ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach wie vor ernsthaft gefährdet ist. Die Gesamtbetrachtung bzw. in casu gebotene Verknüpfung der einzelnen vorliegenden Risikoelemente führt zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer - in Abkehr der ursprünglich lediglich einzelne Komponenten des Vorbringens behandelnden und bewertenden Sachverständigengutachtens, welches ein Bedrohungsbild verneinte - durch Kumulierung der Einzelumstände mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr intensiver eingriffsintensiver Verfolgung Anheimfallen würde.

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, politische Gesinnung, private Verfolgung, Schutzunfähigkeit, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
13.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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