TE Vwgh Erkenntnis 2007/3/21 2006/19/0076

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Veröffentlicht am 21.03.2007
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des R, vertreten durch Mag. Dr. Gregor Famira, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Februar 2004, Zl. 229.908/0-V/13/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 28. Dezember 2001 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. April 2002 gab er an, Kabul im Juni 2001 auf der Flucht vor den Taliban verlassen zu haben. Er sei bis zum Sturz Nadjibullahs für die Demokratische Volkspartei Afghanistans sowie in einer Musikgruppe tätig und in der Folge unter den Mudjaheddin 16 Tage lang inhaftiert gewesen. Vor den Taliban sei er wegen des Vorwurfs, "Kommunist und Sänger" zu sein, geflohen, nachdem ihn seine eigene Großfamilie - die ihrerseits von den Taliban besonders verfolgt worden sei - an die Taliban verraten habe. Die "früheren Machthaber" seien "auch in der jetzigen Regierung vertreten" und der Beschwerdeführer befürchte wegen seiner früheren Aktivitäten auch "völlig regierungsunabhängig" von seiner eigenen Großfamilie "verhaftet" zu werden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 20. Juni 2002 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig. Es stellte fest, in Afghanistan kehre "langsam ... wieder ein normales Alltagsleben ein". Im Besonderen sei "Musik ... erlaubt und auch der Fernseher sowie Satellitenschüssel haben wieder Einzug in Afghanistan gefunden." Die Situation sei "völlig geändert". Insoweit der Beschwerdeführer die Gefahr einer Verfolgung seitens seiner eigenen Familie behauptet habe, sei sein Vorbringen nicht glaubwürdig gewesen.

In seiner Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages brachte der Beschwerdeführer vor, seine Tätigkeit als Sänger habe darin bestanden, mit seiner Musik die kommunistische Ideologie zu verbreiten. Kommunisten würden in Afghanistan noch immer verfolgt. Insoweit sich der Beschwerdeführer - ein Pashtune - auf eine Bedrohung durch seine "Familie" beziehe, meine er damit seine "Volksangehörigkeit". Die Pashtunen seien "sehr radikal".

Die belangte Behörde verhandelte über die Berufung zunächst am 5. Mai 2003, wobei der Beschwerdeführer sowohl über seinen schulischen und beruflichen Werdegang und die von ihm dazu vorgelegten Dokumente als auch über seine Behauptungen zu der ihm drohenden Verfolgungsgefahr vernommen wurde. Er gab u.a. an, seine Cousins würden ihn wegen seiner früheren Tätigkeit umbringen. Die Verhandlung wurde vertagt, um dem Sachverständigen eine Überprüfung der Dokumente zu ermöglichen.

Zu Beginn der fortgesetzten Verhandlung am 7. November 2003 führte der Beschwerdeführer aus, in Afghanistan habe er "Privatfeinde", die ihn im Falle einer Rückkehr töten könnten. Es handle sich um Moalem E., weiters um Said "Jossofpacha", der Gouverneur in K. gewesen und jetzt nach Kabul zurückbeordert worden sei, und um Dr. A., der im staatlichen Sicherheitsdienst tätig gewesen sei und sich jetzt ebenfalls in Kabul aufhalte.

Der Sachverständige führte aus, er habe die Dokumente des Beschwerdeführers im Zuge einer Reise nach Afghanistan überprüft und halte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit für "echt und authentisch", verneine aber eine aktuelle Verfolgungsgefahr "auf Grund dieser Dokumente" über die Ausbildung und die frühere Tätigkeit des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer erläuterte die ihm seitens der "Familie", eines von ihm näher bezeichneten "großen Stammes", drohende Verfolgungsgefahr im Zuge seiner fortgesetzten Einvernahme dahingehend, dass er insbesondere seitens seines Cousins Moalem E. Verfolgung zu fürchten habe. Er habe noch zwei weitere Cousins namens O. und N., die ein Flugzeug nach Pakistan entführt hätten. Der Vater dieser Cousins (so offenbar die Korrektur des Beschwerdeführers nach Rückübersetzung der Verhandlungsschrift) sei in diesem Zusammenhang 1985 im Haus der Familie des Beschwerdeführers vom Geheimdienst verhaftet worden, was O. und N. dem Beschwerdeführer übel nähmen. Der Schwiegervater von N. sei Said "Yossof Pacha".

Nach weiterer Erörterung dieser Behauptungen sowohl mit dem Beschwerdeführer als auch mit dem Sachverständigen führte Letzterer in Beantwortung der Frage des Verhandlungsleiters nach einer Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Flucht aus, zur Zeit der Flucht seien "Minderheiten (Musiker, anders Denkende) potentiell gefährdet (gewesen), ohne auf die persönlichen Angaben des BW einzugehen, von den Taliban verfolgt zu werden".

Die Vertreterin des Beschwerdeführers brachte vor, er sei zum Zeitpunkt der Flucht "gehäuften Umständen ausgesetzt" gewesen, nämlich auf Grund seiner Musik und der deshalb unterstellten politischen Einstellung, auf Grund seiner (tatsächlichen) Mitgliedschaft bei den Kommunisten und wegen der dargestellten persönlichen Feindschaften, und eine Beendigung der Flüchtlingseigenschaft könne nicht angenommen werden. Zum Beweis der Richtigkeit des Vorbringens, insbesondere hinsichtlich der vom Beschwerdeführer genannten Personen, werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers - ohne weiteres Ermittlungsverfahren - gemäß § 7 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid u.a. unter den Gesichtspunkten der Aktenwidrigkeit und des Verstoßes gegen das Überraschungsverbot. Die belangte Behörde halte dem Beschwerdeführer auf Seite 11 des Bescheides (in den Rechtsausführungen) Äußerungen des Sachverständigen über ein Einschreiten staatlicher Autoritäten bei einer an sie herangetragenen "Privatsache zwischen zwei Familien" vor, die sich aus dem Akteninhalt nicht ergeben würden. Dies gelte auch für den weiteren Vorwurf der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe in einer "gesteigerten Aussage" behauptet, er habe "eine herausragende Stellung innerhalb der kommunistischen Partei bekleidet". Dergleichen habe der Beschwerdeführer nie vorgebracht.

Dieser Kritik ist aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes insofern beizupflichten, als die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde - mit kleineren Auslassungen und einem einzigen kurzen Einschub, im Übrigen aber zur Gänze und wörtlich - aus der Begründung eines mit dem hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2006, Zlen. 2006/19/0065 bis 0068, aufgehobenen Bescheides desselben Bescheidverfassers vom 21. Mai 2003 stammt. Das erklärt nicht nur die in der Beschwerde aufgezeigten Widersprüche zu den aktenkundigen Ausführungen des Sachverständigen und zum Vorbringen des Beschwerdeführers, sondern auch den weiteren Umstand, dass die belangte Behörde in ihrer (angeblichen) Würdigung des vorliegenden Falles unter dem Gesichtspunkt einer nicht vom Staat ausgehenden Verfolgung des Beschwerdeführers eine Bedrohung durch die "Familie der Brautwerber" behandelt, obwohl "Brautwerber" im vorliegenden Fall - anders als in dem im Mai 2003 von der belangten Behörde entschiedenen Fall - nicht vorgekommen sind.

Eine Bescheidbegründung, die sich vom zu entscheidenden Fall, sei es auch nur in der rechtlichen Beurteilung, so weit entfernt, hält der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle schon deshalb nicht stand (vgl. zu einer in wesentlichen Punkten den Fall verfehlenden Bescheidbegründung zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 30. November 2006, Zl. 2006/19/0088).

Hinzu kommt, dass die Kritik der Beschwerde an den Ausführungen der belangten Behörde auch in anderer Hinsicht berechtigt ist. Es mag zwar das Fehlen einer klaren Gedankenführung in den beweiswürdigenden Teilen der vorliegenden Bescheidbegründung nicht so ausgeprägt sein wie in den Fällen der dazu in der Beschwerde zitierten Erkenntnisse vom 26. Juli 2001, Zl. 2000/20/0523, und vom 12. Juni 2003, Zl. 2001/20/0250, und der Umstand, dass die belangte Behörde die 16-tägige Inhaftierung des Beschwerdeführers nach dem Sturz Nadjibullahs nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, mag angesichts der kurzen Dauer dieser Haft vor mehr als zehn Jahren von geringer Bedeutung sein. Es trifft jedoch zu, dass die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei "vor seiner Ausreise keinen eingriffsintensiven Verfolgungshandlungen wegen seiner politischen Einstellung noch auch seiner künstlerischen Tätigkeit ausgesetzt" gewesen, in einem zumindest unklaren Verhältnis zur offenbaren Bejahung einer Verfolgungsgefahr im Zeitpunkt der Flucht durch den Sachverständigen steht.

Auch die negative Feststellung der belangten Behörde zur behaupteten Bedrohung durch bestimmte vom Beschwerdeführer namentlich genannte Personen beruht auf einer Beweiswürdigung, die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht standhält. Mit der zwar nicht allein ins Treffen geführten, aber von der belangten Behörde ausdrücklich "hervorgehobenen" Behauptung, der Beschwerdeführer habe das diesbezügliche Vorbringen in der fortgesetzten Berufungsverhandlung "auch erst nach Vorhalt" der verbesserten Lage durch den Verhandlungsleiter erstattet, und der Wiederholung dieser Behauptung dahingehend, der Beschwerdeführer habe "erst nach Vorhalt der Sachverständigenausführungen sowie nach Hinweis auf die allgemeine Verbesserung der Situation nach dem Sturz der Taliban ... (neu) ins Treffen (geführt), dass es noch ein Risikomoment einer Verfolgung von Seiten eines seiner Cousins gibt", setzt sich die belangte Behörde nämlich ein weiteres Mal in Widerspruch zum Akteninhalt. Zunächst handelt es sich bei den Ausführungen des Sachverständigen, auf die der Beschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung in dieser Weise reagiert haben soll, nicht um die Verneinung einer aktuellen Verfolgungsgefahr auf Grund des bisherigen Vorbringens, sondern um die - dem Beschwerdeführer von den Ausführungen des Sachverständigen bis dahin lediglich zur Kenntnis gebrachte - positive Bewertung der Authentizität der vorgelegten Dokumente. Die belangte Behörde berücksichtigt aber vor allem nicht, dass die von ihr gemeinten Ausführungen des Beschwerdeführers im Zuge seiner fortgesetzten Vernehmung inhaltlich an seine einleitende Erwähnung bestimmter Personen (insbesondere Moalem E. und Said "Jossofpacha") zu Beginn der fortgesetzten Verhandlung anknüpften.

Darüber hinaus weist die Beschwerde aber auch zu Recht darauf hin, dass der Beschwerdeführer dem Vorwurf gesteigerten Vorbringens in Bezug auf diese Ergänzung des behaupteten Bedrohungsbildes in der fortgesetzten Berufungsverhandlung mit dem Argument entgegen getreten ist, er sei sowohl bei der erstinstanzlichen Einvernahme als auch in der Berufungsverhandlung am 5. Mai 2003 daran gehindert worden, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. In der erstinstanzlichen Niederschrift stehe sogar, dass er "zuviel rede", und in der Verhandlung im Mai 2003 sei der Verhandlungsleiter "so erbost" gewesen, dass der Beschwerdeführer die Nerven verloren habe, und der Verhandlungsleiter habe ihm keine Gelegenheit gegeben, sein Vorbringen zu erstatten.

Letzteres trifft zwar insofern nicht zu, als der Beschwerdeführer bei der Verhandlung im Mai 2003 vom Verhandlungsleiter wohl wiederholt unterbrochen und um eine "ganz kurze Antwort" auf die Frage nach den Fluchtgründen ersucht wurde, wozu es in der Niederschrift heißt, der Beschwerdeführer antworte "weitschweifend" und müsse unterbrochen werden, die Niederschrift aber schließlich doch längere Ausführungen zur behaupteten Verfolgungsgefahr wiedergibt. Der Beschwerde ist aber dahingehend beizupflichten, dass die beschriebene Verantwortung des Beschwerdeführers zum Vorwurf "gesteigerten" Vorbringens angesichts der erwähnten Stellen in der Niederschrift vom Mai 2003 (und ähnlicher Stellen in der erstinstanzlichen Niederschrift) einer argumentativen Behandlung bedurft hätte, die in der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht enthalten ist.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren ist - zur Vermeidung allfälliger inhaltlicher Rechtswidrigkeit des zu erlassenden Ersatzbescheides - auf diejenigen Ausführungen in dem zitierten Erkenntnis vom 19. Oktober 2006, Zlen. 2006/19/0065 bis 0068, mit dem der von der belangten Behörde zum Vorbild genommene Bescheid aufgehoben wurde, zu verweisen, nach denen ein aus mehreren Komponenten privater, allenfalls für sich genommen nicht asylrelevanter Verfolgungsgefahr und fraglichen staatlichen Schutzes davor zusammengesetztes Bedrohungsbild einer kombinierenden Gesamtbetrachtung bedarf. Die eher abstrakt gehaltenen, das konkrete Vorbringen zum Teil sogar ausdrücklich ausklammernden und im Übrigen die Verfolgungsgefahr "allein" wegen jeweils einzelner Komponenten des behaupteten Bedrohungsbildes verneinenden Ausführungen des Sachverständigen im vorliegenden Fall werden unter diesem Gesichtspunkt gegebenenfalls zu ergänzen sein.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. März 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190076.X00

Im RIS seit

18.05.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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