TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/24 S13 401705-2/2008

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Veröffentlicht am 24.11.2008
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Spruch

S13 401.705-2/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde des K.A., geb. 00.00.1986, StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag Wolfgang Auner, Parkstraße 1/I, 8700 Leoben, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 22.07.2008, FZ. 08 03.274, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig wird stattgegeben und der Bescheid behoben. Das Verfahren in Österreich ist zugelassen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verwaltungsverfahren und Sachverhalt

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt und Vorverfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 0.04.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Eine Eurodac-Abfrage (AS 9) ergab, dass er bereits am 28.03.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.

 

Am selben Tag wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der PI Traiskirchen EAST, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch, durchgeführt. Dabei wurde der Beschwerdeführer mit dem Ergebnis der Eurodac-Abfrage konfrontiert (AS 11).

 

Am 11.04.2008 stellte das Bundesasylamt an die zuständige Behörde in Polen ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) (AS 39).

 

Am 14.04.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke seit dem 11.04.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden (AS 51).

 

Mit Schreiben vom 15.04.2008, eingelangt am 16.04.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers bereit (AS 63).

 

Am 26.05.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt EAST WEST nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen (AS 77)

 

Am 09.06.2008 wurde der Beschwerdeführer von derselben Dienststelle ein zweites Mal schriftlich einvernommen, wieder in Anwesenheit eines Rechtsberaters und unter Zuhilfenahme eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch (AS 95).

 

Nach der Beteiligung an einer Massenschlägerei unter Asylwerbern in Traiskirchen wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 16.07.2008 die Grundversorgung entzogen (AS 113, 121)

 

Mit Bescheid vom 22.07.2008, FZ 08 03.274-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid).

 

In der Begründung wird u.a. angeführt, dass der Beschwerdeführer nicht mit seiner Lebensgefährtin in einem Haushalt lebe, sondern in der Grundversorgung untergebracht sei, dass er von ihr fünf Jahre getrennt gelebt hätte, so dass nicht von einer intensiven Beziehung gesprochen werden könne. Er sei auch in der Befragung nicht in der Lage gewesen, der Behörde eine Verbundenheit mit diesem Mann (sic.) glaubhaft zu machen, die über den Formakt einer Trauung vor dem Mullah hinaus gehe, so dass insgesamt keine Verletzung des Schutzes des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK zu erwarten sei, wenn der Beschwerdeführer sein Asylverfahren in Polen durchführen müsse (AS 123).

 

Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers demgemäß mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Der Beschwerdeführer wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).

 

Da der Beschwerdeführer der EAST verwiesen worden und eine ZMR-Anfrage erfolglos geblieben war (AS 187), wurde der angefochtene Bescheid gemäß § 8 Abs. 2 i.V.m. § 23 ZustellG am 24.07.2008 im Akt hinterlegt (AS 191).

 

Mit Fax vom 13.08.2008 teilte das Bundesasylamt den polnischen Behörden mit, dass sich der Beschwerdeführer untergetaucht sei und sich die Überstellungsfrist nach Art 20 Abs. 2 Dublin II-VO daher auf 18 Monate verlängere (keine AS).

 

Am 18.08.2008 ersuchte das Bundesasylamt die BPD um eine Hauserhebung an der Adresse der Ehefrau des Beschwerdeführers, die ergab, dass diese und weitere namentlich genannte Personen dort wohnhaft sind. (AS 231).

 

Mit Schreiben vom 20.08.2008 legte RA Mag. AUER eine Vollmacht für den Beschwerdeführer vor und ersuchte um Bekanntgabe des Verfahrensstands. Mit Schreiben vom folgenden Tag teilte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt unter Vorlage eines entsprechenden Meldezettels mit, dass er seit diesem Tag am Wohnsitz seiner Ehefrau gemeldet sei (AS 215, 221, 225).

 

Das Bundesasylamt antwortete mit Schreiben vom 02.09.2008 mit, dass der angefochtene Bescheid am 24.08.2008 zur Abholung im Akt hinterlegt worden und damit am 08.08.2008 rechtskräftig geworden sei (AS 247).

 

Am 03.09.2008 stellte der Beschwerdeführer einen erneuten Asylantrag, der mit Bescheid vom 19.09.2008 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und die Ausweisung nach Polen gemäß § 10 Abs. 1 AsylG verfügt wurde (AS 67).

 

Am 22.0.9.2008 wurde dieser Bescheid dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers und ihm selbst in der Wohnung seiner Ehefrau durch die Polizei ausgefolgt und der Beschwerdeführer auf Grund der Ausweisungsverfügung in Haft genommen (AS 151 und 101).

 

Der gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde beim Asylgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 03.10.2008, Gz. D3 401.705-1/2008/2E stattgegeben und der Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben. In der Begründung stützt sich der Asylgerichtshof im Wesentlichen darauf, dass der angefochtene Bescheid vom 22.07.2008 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht in Rechtskraft erwachsen sei, sodass keine entschiedenen Sache i.S.d. § 68 AVG vorliegen könne. Das Bundesasylamt habe es nämlich trotz ihn bekannter Hinweise darauf, dass sich der Beschwerdeführer nach der Entlassung aus der Grundversorgung bei seiner Ehefrau aufhalten könnte, unterlassen, Nachforschungen in dieser Richtung zu unternehmen, bevor es den angefochtenen Bescheid im Akt hinterlegt habe.

 

Am 22.10.2008 wurde dem Bundesasylamt von der BPD mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer beabsichtige, seine nach muslimischem Ritus geehelichte Frau am 00.10.2008 standesamtlich zu heiraten (AS 337).

 

Am 23.10.2008 wurde der angefochtene Bescheid dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführer zugestellt (AS 351) und am selben Tag der Bundespolizeidirektion mit dem Ersuchen um Zustellung an den Beschwerdeführer (AS 352).

 

Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag informiert, dass der der angefochtene Bescheid für ihn hinterlegt wurde (AS 379) und der Bescheid am 27.10.2008 an den Beschwerdeführer übergeben (AS 357).

 

Beschwerde

 

Gegen den Bescheid vom 22.07.2008 hat der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter am 27.10.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 03.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

In der Beschwerdeschrift bringt der Beschwerdeführer vor, dass dem angefochtenen Bescheid ein mangelhaftes Verfahren vorausgegangen sei und die Bescheidbegründung sowie die rechtliche Beurteilung unrichtig bzw. mangelhaft seien. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen den Ablauf verschiedener Fristen und die Verkennung von Art. 8 EMRK an.

 

Beweismittel

 

Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof das Vorbringen des Beschwerdeführers und weitere Beweismittel verwendet.

 

Parteivorbringen des Beschwerdeführers

 

1. In der Erstbefragung am 30.01.2008 hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS 11):

 

Er habe sein Heimatland verlassen, weil er von tschetschenischen Behörden unter Druck gesetzt worden sei, mit ihnen gegen die Freiheitskämper zu arbeiten. Außerdem kenne er eine junge Frau, die zZt in L., vermutlich als Asylwerberin, lebe. Mit ihr wolle er in Österreich zusammen leben.

 

2. In der ersten Einvernahme am 26.05.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 77):

 

Er habe den Abschluss seines Asylverfahrens in Polen nicht abgewartet, weil er nach Österreich gewollt habe, um seine in L. lebende Verlobte, Frau J.Z., zu heiraten (der Beschwerdeführer hat einen Meldzettel von Frau J. vorgelegt, AS 71). Sie seien seit fünf Jahren verlobt, aber getrennt, da er nicht nach Österreich und sie nicht nach Tschetschenien konnte. Er habe nicht früher nach Österreich kommen können, da er noch gewartet habe, bis sein jüngerer Bruder groß geworden sei und den Eltern habe helfen können. Sie hätten sich fünf Jahre nicht gesehen, aber stets telefonisch Kontakt gehabt. Auf Nachfrage, ob sie im Heimatland zusammen gelebt hätten, hat der Beschwerdeführer geantwortet, dass es nach den Bräuchen seiner Heimat nicht üblich sei, vor der Heirat zusammen zu leben. Am 00.05.2008 habe er nun seine Verlobte hier in Österreich nach muslimischen Recht geheiratet (der Beschwerdeführer hat einen Bestätigung des Islamischen Zentrums Wien vorgelegt, AS 73). Standesamtlich habe er auch heiraten wollen, aber man habe ihm den dafür notwendigen Reisepass in Polen abgenommen. Auf die Behauptung des Bundesasylamtes hin, er habe von Polen aus eine Familienzusammenführung beantragen können, hat der Beschwerdeführer angegeben, dass er von dieser Möglichkeit keine Kenntnis gehabt habe.

 

Er wolle nicht nach Polen zurück, da er nach Österreich gekommen sei, um seine Verlobte hier zu heiraten und mit ihr zusammen zu leben.

 

3. In der zweiten Einvernahme am 09.06.2008 hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt (AS 95):

 

Er wohne von montags bis freitags im Lager und Wochenende fahre er zu seiner Frau. Sie habe per 01.07.2008 eine Wohnung gemietet (der Beschwerdeführer hat eine entsprechende Bestätigung vorgelegt, AS

93)

 

4. In der Beschwerdeschrift hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert:

 

Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, dass seine Frau mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.10.2005, Gz. 0402.412-BAG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Die standesamtliche Trauung sei weiterhin geplant, aber mangels notwendiger Papiere immer noch nicht möglich.

 

Weitere Beweismittel

 

1. Laut Eurodac-Abfrage vom 10.04.2008 hatte der Beschwerdeführer bereits am 28.03.2008 in Polen einen Asylantrag gestellt (vgl. AS 9).

 

2. Die polnischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 11.02.2008 gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers für zuständig erklärt (vgl. AS 63).

 

3. Laut einer Bestätigung des Islamischen Zentrums Wien hat der Beschwerdeführer am 00.05.2008 mit Frau J.Z., geb. 00.00.1989, eine nach islamischem Recht gültige Ehe geschlossen (AS 73)

 

4. Laut Angaben des Standesamtes L. haben der Beschwerdeführer und seine Frau beantragt, die Ehe am 00.10.2008 standesamtlich schließen (AS 333).

 

5. Frau J.Z. war mit Bescheid Gz. 0420.412 - BAG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden (AS 66).

 

6. Laut dem medizinischen Gutachten von Dr. H. vom 00.05.2008 leidet der Beschwerdeführer unter einer Anpassungsstörung (F 43.21) und es kann auch eine Posttraumatische Belastungsstörung nicht ausgeschlossen werden. Eine Überstellung nach Polen könnte zu einer Verschlechterung des Zustandes führen, die jedoch nicht unzumutbar sei (AS 87)

 

Sachverhalt nach Beweiswürdigung

 

Nach Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste am 28.03.2008 in Polen ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Nach ca. zwei Wochen reiste er von dort am 10.04.2008 illegal nach Österreich ein.

 

Diese Feststellungen ergeben sich sowohl aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers als auch aus der Eurocac-Abfrage, wonach ein Asylantrag in Polen am 28.03.2008 gestellte wurde und der Zustimmung der polnischen Behörden zur Wiederaufnahme.

 

2. Der Beschwerdeführer lebte bis zum 00.07.2008 von montags bis freitags in der EAST Traiskirchen und am Wochenende nach der Eheschließung nach muslimischem Recht an den Wochenenden bei seiner Ehefrau. Danach lebte der Beschwerdeführer ständig in der Wohnung seiner Ehefrau in L..

 

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem Bundesasylamt, dem der Asylgerichtshof Glauben schenkt, da sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, an diesen Angaben zu zweifeln. Diese Angaben stehen nämlich zunächst in Einklang mit den Angaben des Beschwerdeführers zur muslimischen Tradition in Bezug auf das Zusammenleben Unverheirateter. Des Weiteren liegen Meldebestätigungen der Ehefrau und ein Nachweis darüber vor, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers die Wohnung unmittelbar nach der Eheschließung nach muslimischem Ritus angemietet hat, woraus ersichtlich ist, dass diese den gemeinsamen ehelichen Wohnsitz bilden sollte. Der Tatsache allein, dass der Beschwerdeführer erst seit dem 00.08.2008 dort amtlich gemeldet war, misst der Asylgerichtshof dagegen geringe Bedeutung zu, da die Beachtung melderechtlicher Vorschriften für die tatsächliche Wohnsitznahme nicht konstitutiv ist.

 

3. Auf eine weitergehende Würdigung der sonstigen Beweise, insbesondere im Hinblick auf das Naheverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau vor seiner Flucht aus der Heimat (die Verlobten waren damals 14 und 17 Jahre alt und lebten noch bei den Eltern) und danach (der Beschwerdeführer hat unmittelbar nach seiner Ankunft in Österreich Kontakt zu seiner damaligen Verlobten aufgenommen und sie bereits einen Monat später geheiratet, er lebte bis zu seiner Entlassung aus der Grundversorgung an den Wochenenden und danach gänzlich bei seiner Frau) verzichtet der Asylgerichtshof, da dies für die dem vorliegenden Erkenntnis zu Grunde liegenden rechtlichen Erwägungen nicht ankommt. Dasselbe gilt für den Gesundheitszustand des Beschwerdeführer im Hinblick auf eine mögliche Rückführung nach Polen.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass jener Mitgliedstaat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, wenn der Grenzübertritt in besondere auf der Grundlage der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 (Eurodac-VO) festgestellt wird.

 

Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, der sich während der Prüfung des Antrags unerlaubt aus seinem Staatsgebiet entfernt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, wieder aufzunehmen.

 

Gemäß Art. 20 Abs 1 lit. d) Dublin II-VO muss ein Mitgliedstaat, der die Wiederaufnahme akzeptiert hat, den Asylwerber wieder aufnehmen. Die Überstellung muss innerhalb von sechs Monaten ab der Zustimmungserklärung des wiederaufnehmenden Mitgliedstaates erfolgen oder ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Gemäß Abs. 2 leg. cit. geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten erfolgt. Diese Frist kann auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags auf Grund der Inhaftierung des Asylwerbers nicht erfolgen konnte, oder auf 18 Monate, wenn der Asylwerber flüchtig ist.

 

Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.

 

Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit. Der angefochtene Bescheid vom 22.07.2008 wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers erst am 23.10.2008 wirksam zugestellt, sodass insbesondere die Beschwerdefrist eingehalten wurde.

 

Mit Beschluss vom 07.11.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Die angefochtene Entscheidung ist rechtswidrig, da das Bundesasylamt zu Unrecht festgestellt hat, dass Polen für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers zuständig ist und zu Unrecht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.

 

Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Dem Beschwerdeführer wurde insbesondere durch die Erstbefragung, die Einvernahme mit vorhergehender Rechtsberatung und schließlich durch das erneute Parteigehör unmittelbar vor Erlass des angefochtenen Bescheides - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Ihm wurde weiters vor der ersten Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen seine Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen Zuständigkeit Polen zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Zuständigkeit Österreichs

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt jedoch einen Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers ausschließlich Polen zuständig ist.

 

Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so ergibt sich dessen grundsätzliche Zuständigkeit aus Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO, da der Beschwerdeführer - wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt (I.4. unter 1.) ergibt - das Gebiet der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO durch illegale Einreise in Polen betreten hat.

 

Der angefochtene Bescheid berücksichtigt jedoch nicht die seit seinem Erlass geänderte Sach- und Rechtslage.

 

Zum Zeitpunkt der Zustellung an den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, d.h. am 23.10.2008, waren nämlich bereits mehr als sechs Monate seit der Zustimmung zur Wiederaufnahme durch die polnischen Behörden, beim Bundesasylamt eingelangt am 16.04.2008, vergangen. Österreich war aber bereits mit Ablauf des 16.10.2008 als Mitgliedstaat der der Antragstellung zuständig geworden (Art. 20 Abs. 1 lit. d), Abs. 2 Dublin II-VO).

 

Es greift im vorliegenden Fall auch keine der in der Dublin II-VO normierten Ausnahmen von der Sechs-Monats-Frist im vorliegenden Fall ein.

 

Was zunächst die Ausnahme gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO betrifft, ist festzustellen, dass der Asylgerichtshof dem Rechtsbehelf des Beschwerdeführers gegen den angefochtenen Bescheid zwar mit Beschluss vom 07.11.2008 aufschiebende Wirkung zuerkannt hat. Diese aufschiebende Wirkung wurde jedoch erst am 07.11.2008 gewährt, somit bereits nach Ablauf der Überstellungsfrist und konnte daher deren Ablauf als solche nicht mehr verhindern.

 

Was weiters die Meldung des Bundesasylamts gegenüber den polnischen Behörden vom 13.08.2008, wonach der Beschwerdeführer flüchtig sei und sich die Überstellungsfrist daher auf 18 Monate verlängere, betrifft, so weist der Asylgerichtshof darauf hin, dass - wie im Sachverhalt unter I.4 zu 2. festgestellt - der Beschwerdeführer sich nach dem Entzug der Grundversorgung und dem Verlassen der EAST Traiskirchen bei seiner Ehefrau aufgehalten und bei ihr gelebt hat und diese Adresse dem Bundesasylamt bekannt waren.

 

Dass der Beschwerdeführer dort erst ab dem 00.08.2008 gemeldet war, ist nach Ansicht des Asylgerichtshofes ohne Bedeutung. Der Begriff der "Flüchtigkeit" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO ist nämlich gemeinschaftsrechtlich auszulegen und kann sich daher nicht ausschließlich an den melderechtlichen Vorschriften eines einzigen Mitgliedstaates orientieren. Eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung, die sich am Zweck der Vorschrift orientiert, ergibt, dass die Fristerstreckung auf bis zu 18 Monaten den Mitgliedstaat der Antragstellung davor bewahrt von den Grundregeln der Art. 6 ff. Dublin II-VO abweichend für die Prüfung eines Asylantrages aus Gründen zuständig zu werden, die ausschließlich in der Person des Asylwerbers liegen. Als Ausnahme ist die Bestimmung eng auszulegen. Wenn es demnach den Behörden des Mitgliedstaats der Antragstellung ohne besonderen Aufwand möglich ist, den Aufenthalt eines Asylwerbers festzustellen, ist das Tatbestandmerkmal der "Flüchtigkeit" i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfüllt.

 

Im vorliegenden Fall war es der Verwaltungsinstanz - wie schon im Urteil des Asylgerichtshofes vom 03.10.2008 festgestellt wurde - auf Grund der ihr zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Angaben in Bezug die Ehefrau des Beschwerdeführers und ihren nachgewiesenen Wohnsitz (Meldezettel, Nachweis des Vermieters) ohne besonderen Aufwand möglich, den Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nach der Entlassung aus der Grundversorgung zu ermitteln, den angefochtenen Bescheid zuzustellen und damit die Grundlage für eine Überstellung innerhalb von sechs Monaten ab Zustimmung der Wiederaufnahme durch die polnischen Behörden zu schaffen.

 

Insoweit das Bundesasylamt am 18.08.2008 eine Hauserhebung in Auftrag gegeben hat, die im Hinblick auf den Beschwerdeführer erfolglos war, stellt der Asylgerichtshof fest, dass die erhebende BPD offenkundig nicht festgestellt hat, ob sich der Beschwerdeführer auch ohne polizeiliche Meldung tatsächlich in der Wohnung lebt. Dies ergibt sich für den Asylgerichtshof daraus, dass dem Bundesasylamt eine offenbar elektronisch erhobene Liste übergeben wurde, auf der lediglich für den tatsächlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Wohnung der Ehefrau völlig unnütze Daten (Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, fremdenrechtlicher Status usw. aller (!) Hausbewohner) aufscheinen, aber keine Angaben bezüglich einer Erhebung in der Wohnung der Ehefrau selbst.

 

Nur der Vollständigkeit halber weist der Asylgerichtshof schließlich darauf hin, dass dem Bundesasylamt spätestens seit dem 00.08.2008 durch Vorlage des Meldezettels des Beschwerdeführers klar war, wo er anzutreffen war und der Beschwerdeführer somit jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als "flüchtig" hat angesehen werden können. Dass die Behörde zu diesem Zeitpunkt rechtirrig davon ausging, dass der angefochtene Bescheid bereits rechtskräftig war und nicht noch einmal zugestellt werden musste, ist nicht der Sphäre des Beschwerdeführers zuzurechnen und kann daher als solches nicht zu einer Erstreckung der Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO führen.

 

Rechtswidrigkeit der Ausweisung

 

Was die Rechtswidrigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sie sich unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Unrecht zurück gewiesen wurde.

 

Da die Ausweisung nach Polen rechtwidrig ist, hat das Bundesasylamt entgegen § 10 Abs 4 AsylG auch zu Unrecht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist.

Schlagworte
Fristversäumung, Überstellungsfrist
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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