TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/26 S11 402682-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2008
beobachten
merken
Spruch

S11 402682-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde der minderjährigen M.I., geb. 00.00.2004, StA: Russische Föderation, vertreten durch ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin, G.M., diese vertreten durch Mag. Judith RUDERSTALLER, p.A. Asyl in Not, 1090 Wien, Währingerstr. 59/2, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.10.2008, Zahl: 08 09.956-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Die Eltern und 3 Geschwister der Beschwerdeführerin verließen im Februar 2003 ihre Heimat und reisten nach Österreich, wo sie am 14.04.2003 Anträge auf internationalen Schutz einbrachten, die letztendlich am 05.07.2004 eingestellt wurden. Im Juli 2003 reiste die Familie nach Belgien, wo sie sich bis Februar 2004 aufhielt und danach in die Schweiz weiterreiste, wo sie sich bis 10.10.2008 aufhielt und wo auch die Beschwerdeführerin geboren wurde. Am 04.11.2004 wurde der Antrag auf internationalen Schutz von den schweizerischen Behörden abgewiesen und der Familie mit 11.11.2004 eine vorläufige Aufnahme zuerkannt. Mit Schreiben vom 11.08.2008 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die vorläufige Aufnahme aufzuheben und die Familie in ihr Heimatland rückzustellen, wenn die Voraussetzungen, die zur vorläufigen Aufnahme geführt haben, nicht mehr vorlägen. Das BFM habe aufgrund der geänderten Sicherheits- und Menschenrechtslage in Tschetschenien eine Anpassung der Wegweisungspraxis vorgenommen. Eine Stellungnahme wäre bis 15.09.2008 abzugeben, ansonsten aufgrund der Aktenlage entschieden werde. In Folge verließ die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie die Schweiz und reiste illegal nach Österreich, wo sie am 13.10.2008 eintraf und am 18.11.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

 

Am 13.10.2008 wurde die Vertreterin der Beschwerdeführerin erstmals durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen, am 17.10. und am 22.10.2008 fanden weitere Einvernahmen beim Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters statt.

 

Mit Schreiben vom 21.10.2008 stimmte die zuständige schweizerische Behörde einer Rückübernahme nach dem geltenden Schubabkommen mit Österreich zu, "obschon die Voraussetzungen nach dem Schubabkommen grundsätzlich nicht erfüllt seien". Nähere Angaben über die weitere Vorgehensweise zum laufenden Verfahren hinsichtlich Bleiberecht wurden nicht gemacht.

 

Am 17.10.2008 bestätigte die Vertreterin der Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 AsylG, wonach beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da die Behörde davon ausgehe, dass in der Schweiz Drittstaatssicherheit gegeben sei.

 

Die Beschwerdeführerin brachte im Verfahren durch ihre Vertreterin folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: Ihre Mutter sei im 8. Monat schwanger, der voraussichtliche Geburtstermin sei der 00.00.2008. In Österreich lebten ihr Bruder und ihr Schwager sowie weitere Verwandte der Beschwerdeführerin. Die Eltern und zwei ihrer Geschwister hätten psychische Probleme aufgrund der drohenden Rücküberstellung in die Schweiz und der drohenden Kettenabschiebung in die Russische Föderation.

 

Zu letzterem ist auszuführen, dass zwar der Mutter im Rahmen einer gutachtlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 10 AsylG 05 vom 21.10.2008 keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung bescheinigt wurde, jedoch sehrwohl dem Vater der Beschwerdeführerin und zwei Brüdern.

 

Das Bundesasylamt wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.10.2008, Zahl: 08 09.954-EAST Ost den Asylantrag der Beschwerdeführerin, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 4 Abs. 1 AsylG 05 als unzulässig zurück. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung in die Schweiz zulässig sei. Feststellungen zur asylrechtlichen Situation in der Schweiz wurden im Bescheid nur beschränkt ausgeführt. Abschiebungshindernisse im Sinne der EMRK wurden nicht gesehen, insbesondere kam die Behörde zu dem Schluss, dass aufgrund der vorliegenden medizinischen Gutachten eine Abschiebung in die Schweiz möglich sei.

 

2. Gegen diesen am 30.10.2008 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, wobei ausgeführt wurde, dass die Schweiz keineswegs als sicherer Drittstaat anzusehen sei, vielmehr gäbe es massive Zweifel - unter anderem seitens Amnesty Internationals - an der geänderten Abschiebepraxis der Schweiz in Bezug auf Tschetschenen. Weitres lägen Verletzungen der Art. 3 und 8 EMRK vor. Die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister wären in einer schlechten psychischen Verfassung, die familiären Verhältnisse seien nicht ausreichend geprüft worden. Aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft der Mutter der Beschwerdeführerin sei eine Frühbeziehungsweise Fehlgeburt nicht auszuschließen.

 

3. Die Beschwerde langte am 12.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antragens auf internationalen Schutz oder die Dublin-Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

 

Gemäß Abs. 2 besteht Schutz im sicheren Drittstaat, wenn einem Fremden in einem Staat, in dem er nicht gemäß § 8 Abs. 1 bedroht ist, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der GFK offen steht oder im Wege über andere Staaten gesichert ist (Asylverfahren), er während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt ist und er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - hat, sofern er in diesem gem. § 8 Abs. 1 bedroht ist. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der GFK bereits eine Entscheidung getroffen haben.

 

Die Voraussetzungen des Abs. 2 sind in einem Staat widerlegbar dann gegeben, wenn er die GFK ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, dass die Grundsätze dieser Konvention, der EMRK und des Protokolls Nr. 6, Nr. 11 und Nr. 13 zur Konvention umgesetzt hat.

 

Gemäß Abs. 4 ist trotz Schutz in einem sicheren Drittstaat der Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine mit der Zurückweisung verbundenen Ausweisung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

 

Kann gemäß Abs. 5 ein Fremder, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.

 

Im vorliegenden Fall stimmte die zuständige schweizerische Behörde mit Schrieben vom 21.10.2008 einer Rückübernahme nach dem geltenden Schubabkommen mit Österreich zu, "obschon die Voraussetzungen nach dem Schubabkommen grundsätzlich nicht erfüllt seien". Dabei kann jedoch dem vorliegenden Akt nicht entnommen werden, ob die Behörde über den Zustand der Mutter der Beschwerdeführerin unterrichtet war und wenn ja, welche Vorkehrungen diesbezüglich getroffen wurden oder zu treffen sein werden.

 

Die Beschwerdeführerin brachte in den Einvernahmen durch ihre Vertreterin zwar wenig vor, was auf den Vorwurf einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK schließen ließe. Jedoch haben die Behörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erschienen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Im gegenständlichen Fall werden im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Lage im Drittstaat nur kurz und kursorisch getroffen, wobei auf die Situation der Beschwerdeführerin (Verfahren zur Beendigung des vorübergehenden Aufenthaltes und mögliche Abschiebung ihrer schwangeren Mutter letztendlich in die RF) nicht eingegangen wird. Das Asylverfahren in der Schweiz ist jedoch bereits abgeschlossen, nunmehr wäre das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu beachten, zu prüfen und zu bewerten.

 

Fest steht, dass die Mutter in 8. Monat schwanger ist und der errechnete Geburtstermin der 00.00.2008 ist. Unabhängig von der Frage, ob nicht ein Durchsetzungsaufschub gem. § 10 Abs. 3 AsylG zu gewähren gewesen wäre, was sich nunmehr aufgrund der Entscheidung erübrigt, wäre eine Berücksichtigung der besonderen Umstände (umstrittene Rückstellung durch die Schweiz insbesondere nun auch unter Beachtung der nunmehr vorliegenden Informationen in der Beschwerde, Zustand der Mutter, teils schwere Anpassungsstörungen zweier Brüder der Beschwerdeführerin, psychische Labilität des Vaters und damit mangelnde Unterstützung der Mutter und der Kinder) eine gesonderte Anfrage an die Schweiz zu richten gewesen, wie im vorliegenden Fall die weitere Vorgehensweise der Schweiz (bezüglich Transport, Unterbringung, weitere Versorgungs- oder Unterstützungsangebote, insbesondere medizinische Betreuung während des Verfahrens, und letztendlich wohl auch der aktuelle Verfahrensstand) aussehen werde.

 

Da die Einspruchsfrist im Verfahren vor den Schweizerischen Behörden bereits abgelaufen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass keine Unterstützungsmöglichkeiten mehr bestehen, oder eine Rückstellung ohne weiteres Verfahren durchgeführt wird, was in diesem besonderen Fall sehr wohl unter dem Licht des Art. 3 EMRK zu prüfen gewesen wäre.

 

Eine derartige Prüfung ist jedoch nicht ersichtlich. Auch wäre ein amtsärztliches Gutachten die Mutter betreffend zum Transport zu erwarten gewesen, da offenbar die übliche Berücksichtigung der Fristen des Mutterschutzes bei einer Außerlandesschaffung im gegenständlichen Fall aus aktenmäßig nicht nachvollziehbaren Gründen nicht stattfand.

 

Eine Verletzung des Art. 3 EMRK ist daher aufgrund der gegenwärtigen Aktenlage insbesondere im Fall der Mutter nicht auszuschließen. § 34 AsylG ist zu berücksichtigen.

 

2. Als maßgebliche Determinante für die Anwendbarkeit des § 41 Abs 3 AsylG in diesem Zusammenhang ist die Judikatur zum § 66 Abs 2 AVG heranzuziehen, wobei allerdings kein Ermessen des Asylgerichtshofes besteht.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084; ferner VwGH 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348). Eine kassatorische Entscheidung darf vom Asylgerichtshof nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt, wie dargestellt, keine ordnungsgemäß begründete Entscheidung erlassen. Der Asylgerichtshof war auf Basis eines so gestalteten erstinstanzlichen Verfahrens praktisch nicht mehr in der Lage innerhalb der zur Verfügung stehenden kurzen Entscheidungsfristen (§ 37 Abs. 3 AsylG) eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Der angefochtene Bescheid konnte daher unter dem Gesichtspunkt des § 41 Abs. 3 AsylG keinen Bestand mehr haben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 4 AsylG entfallen.

Schlagworte
Schwangerschaft, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten