TE AsylGH Erkenntnis 2009/01/16 S2 403730-1/2009

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Veröffentlicht am 16.01.2009
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Spruch

S2 403.730-1/2009/2E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde desC.M, geb.00.00.1983, StA:

Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.12.2008, Zahl 08 10.464 EAST-West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gelangte mit seiner Frau unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 23.10.2008 bei der Erstaufnahmestelle West einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Hinsichtlich des Beschwerdeführers scheint ein EURODAC-Treffer für Polen auf (11.10.2008, Lublin, AS 5).

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.10.2008 gab er an, er sei am 07.10.2008 gemeinsam mit seiner Frau mit dem Zug nach Moskau und über Brest nach Polen eingereist, wo sie am 10.10.2008 von der polnischen Polizei aufgegriffen und nach Weißrussland zurückgeschoben worden seien. Am 11.10.2008 seien sie wieder mit dem Zug nach Polen und vom Grenzgebiet mit dem Taxi ins Lager Dembak gefahren, wo sie tschetschenische Leute kennengelernt hätten. Diese hätten sie mit nach Hause genommen. Am 22.10.2008 seien sie mit dem PKW von einem Polen nach Österreich gebracht worden. Der Beschwerdeführer legte einen russischen Inlandsreisepass vor. Der Beschwerdeführer sagte aus, er habe in Polen nur die Fingerabdrücke abgegeben und keinen Asylantrag gestellt. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er habe eine Schwester in Österreich, könne aber keine näheren Angaben machen. Als Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer an, er habe beobachtet, wie bei einer Schießerei in seinem Garten zwei Rebellen ums Leben gekommen seien. Mehrere Kadyrovzi hätten ihn daraufhin entführt. Sie hätten ihm mit dem Umbringen gedroht, wenn er ihnen nicht sage, warum die Rebellen in seinem Garten gewesen seien. Einer der Rebellen sei der Onkel seiner Frau gewesen. Deswegen sei sein Leben in Gefahr. In Polen hätte man ihm gesagt, dass er einvernommen werde, was aber nicht passiert sei. Der Beschwerdeführer gab an, er habe in Polen gesagt, er sei Flüchtling. Über seinen Aufenthalt in Polen könne er sonst nichts angeben. Bezüglich einer möglichen Rückkehr nach Polen führte der Beschwerdeführer aus, Tschetschenen hätten erzählt, dass in Polen ebenfalls Kadyrovzi seien und man dort auch abgeholt werden könne. Es gäbe dort keine Sicherheit für ihn und seine Frau. Bezüglich einer möglichen Rückkehr in seine Heimat meinte der Beschwerdeführer, er habe Angst um sein Leben und das Leben seiner Frau. Es sei dort gefährlich für sie und er habe Angst, dass man sie umbringen würde (AS 21ff).

 

Das Bundesasylamt richtete am 27.10.2008 ein auf Art 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen (AS 35ff). Am 29.10.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 27.10.2008 Konsultationen mit Polen geführt würden (AS 65/67). Mit Schreiben vom 30.10.2008, eingelangt am 31.10.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 73).

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 06.11.2008 machte der Beschwerdeführer, nach erfolgter Rechtsberatung, ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Er sei gesund und benötige keinerlei Medikamente. Er habe einen Inlandsreisepass und eine Heiratsurkunde. Sein Reisepass sei ihm aber in Polen abgenommen worden. Eine Schwester sei in Österreich aufhältig. Er erhalte aber keinerlei Unterstützung von ihr oder sei sonst in irgendeiner Form von ihr abhängig. Er sei noch klein gewesen, als sie geheiratet habe und ausgezogen sei. In Polen habe er einen Asylantrag gestellt. Bezüglich einer möglichen Rückkehr nach Polen gab der Beschwerdeführer an, er sei die ganze Zeit nur im Zimmer gewesen, da er sehr große Angst gehabt habe. Es habe aber keine Vorfälle gegeben. Bezüglich seines polnischen Asylverfahrens teilte der Beschwerdeführer mit, es seien nur seine Fingerabdrücke abgenommen worden und es habe noch keine Einvernahme gegeben. Auf die Frage, ob er auf der Reise jemals von seiner Frau getrennt gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, nein aber er wolle sagen, dass er nicht reise, sondern Flüchtling sei. Für ihn sei Polen genauso wie Tschetschenien und er würde lieber in Tschetschenien sterben, als nach Polen zurückzukehren. Er habe erfahren, dass in Polen viele Leute von Kadyrov seien und diese könnten ihn genauso umbringen wie in Tschetschenien (AS 81ff).

 

Eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren, die nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.11.2008 von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin vorgenommen wurde, ergibt, dass beim Beschwerdeführer zwar eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen stehe aber keine schwere psychische Störung entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde (AS 125ff).

 

Bei einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 04.12.2008 gab der Beschwerdeführer bezüglich dieser gutachterlichen Stellungnahme an, er wisse nicht was er sagen soll. Er habe Angst vor Polen (AS 147f).

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs.1 lit. c der Dublin II-VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe daher zu. Auch seien beim Beschwerdeführer keine Krankheiten festgestellt worden, die ein Abschiebehindernis darstellen würden. Dazu wurde auch ausführlich auf die Behandlungsmöglichkeiten in Polen hingewiesen. Ein familiärer Anknüpfungspunkt zu seiner Schwester sei ausgeschlossen, da ein eventuelles familiäres Band oder ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis nicht vorlägen und dies vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet wurde. Es seien auch weder ein gemeinsamer Haushalt noch finanzielle Abhängigkeit behauptet worden. Ein Eingriff in das Familienleben iSd Art 8 EMRK bestehe somit nicht. Dies gelte auch hinsichtlich seiner Ehefrau, die ebenfalls als Asylwerberin in Österreich aufhältig sei und daher ebenfalls potentiell von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sei.

 

Der Bescheid enthält auch eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Asylwerber, zu staatlichen Leistungen für Fremde mit (bloß) toleriertem Aufenthalt sowie insbesondere auch die Ausführung, wonach tschetschenischen Asylwerbern idR zumindest subsidiärer Schutz gewährt werde. Aus diesen Darstellungen geht hervor, dass das Verfahren in Polen den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genügt und aus diesen ist nicht erkennbar, dass Polen etwa eine mit der GFK unvertretbare rechtliche Sonderposition verträte. Zudem ist eine ausreichende Versorgung von Asylwerbern - auch von solchen mit psychischen und physischen Problemen - gewährleistet (AS 151ff).

 

3. Gegen den Bescheid der Erstbehörde wurde fristgerecht Beschwerde (AS 241ff) erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 09.01.2009 beim Asylgerichtshof einlangte.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Frau mit dem Zug von A.über Moskau und Brest nach Polen, er stellte am 11.10.2008 in Lublin erstmals einen Asylantrag. Er wartete das Verfahren dort jedoch nicht ab, sondern reiste illegal mit seiner Frau in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 23.10.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Ehefrau stellte ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in Polen anhängig.

 

Der Beschwerdeführer hat eine volljährige Schwester in Österreich, die anerkannter Flüchtling ist, zu der keine enge persönliche Bindung zu erkennen ist und mit der er nicht gemeinsam lebt.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer aktuellen Überstellung nach Polen Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, aktuell besteht hinsichtlich des Beschwerdeführers kein medizinischer Behandlungsbedarf.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seiner Asylantragstellung in Polen und seinen persönlichen Verhältnissen sowie zum Fehlen eines aktuellen medizinischen Behandlungsbedarfes ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 (AsylG) zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer zunächst in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sowie sich vor Abschluss dieses Verfahrens nach Österreich begeben, dass er seither nicht verlassen hat, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. c (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Polen hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers und Behandlung seines Antrages bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: In der Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer - erstmals - vorgebracht, dass seine Schwester an einer schweren psychischen Störung leide und dringend auf seine Hilfe und Unterstützung angewiesen sei. Dazu wurde ein Kurzarztbrief von Dr. M. und Dr. S. vom 03.03.2008 vorgelegt .

 

In Österreich lebt (mit Ausnahme der mitgereisten Frau) nur diese erwachsene Schwester des Beschwerdeführers. Am Maßstab der Judikatur der Höchstgerichte zum Familienleben unter Erwachsenen gemessen zeigt die Beschwerde keine Fehlbeurteilung der Erstbehörde unter diesem Gesichtspunkt auf: So ist in VfGH 9.6.2006, B 1277/04, ausgeführt, eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen falle "- auch nach der Rechtsprechung des EGMR - nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen" (VwGH 26. 1. 2006, 2002/20/0423; 26. 1. 2006, 2002/20/0235; 8. 6. 2006, 2003/01/0600; 29. 3. 2007, 2005/20/0040 bis 0042; 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723). Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers hatten er und seine Schwester schon vor der - im Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers bereits vier Jahre zurückliegenden - Übersiedlung der Schwester nach Österreich nicht mehr zusammengewohnt und bis 2008 gar keinen sowie ab diesem Zeitpunkt nur einmaligen Kontakt gehabt. Besondere, über die normalen Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten hinausgehende Umstände wurden nicht detailliert und konkret dargetan. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 06.11.2008 verneinte der Beschwerdeführer jegliche Abhängigkeit oder Unterstützung, obwohl aus dem vorgelegten Kurzarztbrief hervorgeht, dass seine Schwester bereits seit März 2008 an einer längerdauernden Anpassungsstörung mit familiärer Konfliktsituation leidet. Der Beschwerdeführer gab auf die Frage, ob er Kontakt zu seiner Schwester habe, an, dass er sie einmal vor einer Woche im Asylamt gesehen habe. Auch in der Beschwerde wurde nicht näher dargelegt, wie der Beschwerdeführer seine Schwester unterstützen würde und ob und auf welche Weise der Kontakt intensiviert wurde. Es wird daher schon nicht als glaubhaft angesehen, dass in einer so kurzen Zeitspanne zwischen der Einvernahme vom 06.11.2008 und der Beschwerde vom 29.12.2008 ein derart enges Abhängigkeitsverhältnis, entstanden sein soll. Daher erübrigen sich Erörterungen zur Frage der Zulässigkeit dieser Neuerung genauso wie die Frage, ob durch eine allfällige Anpassungsstörung der - vom gegenständlichen Verfahren ansonsten nicht betroffenen - Schwester die angesprochene Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers überhaupt stattfinden könnte.

 

Es liegen auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Es ist daher nicht erkennbar, dass im Falle einer (gemeinsam mit seiner Frau durchzuführenden) Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen ein Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht zu befürchten wäre.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken habe im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, 31246/06;

Ayegh, 07.11.2006, 4701/05; Karim, 04.07.2006, 24171/05;

Paramasothy, 10.11.2005, 14492/03; Ramadan & Ahjredini, 10.11.2005, 35989/03; Hukic, 27.09.2005, 17416/05; Kaldik, 22.09.2005, 28526/05;

Ovdienko, 31.05.2005, 1383/04; Amegnigan, 25.11.2004, 25629/04; VfGH 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723).

 

Laut psychologischem Gutachten vom 17.11.2008 liegt beim Beschwerdeführer eine belastungsabhängige, krankheitswertige psychische Störung vor, die jedoch einer Überstellung nach Polen nicht entgegensteht, da sie bei einer Überstellung keine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde. Sie weist also keinesfalls jene besondere Schwere auf, die nach oa Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK eine Überstellung nach Polen als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe, zumal diesbezüglich eine Krankenbehandlung erforderlichenfalls auch in diesem Mitgliedsstaat möglich ist.

 

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme angab, er habe gehört, dass in Polen "ebenfalls Kadyrovzi seien und man dort auch abgeholt werden könne" und es dort für ihn und seine Frau keine Sicherheit gäbe, so handelt es sich einerseits um bloße Vermutungen, andererseits fehlt dem Vorbringen jegliche nähere Konkretisierung, sodass nicht erkennbar ist, inwiefern konkret die Schutzfähigkeit- bzw. Schutzwilligkeit dieses Staates in Zweifel zu ziehen wäre. Im Beschwerdefall greift daher die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Polen (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist, noch der Beschwerdeführer in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt, zu denen er einen engen Familienbezug hätte. Zum Nichtvorliegen eines unzulässigen Eingriffes in Art. 8 EMRK wird auf die obigen Ausführungen zum Selbsteintrittsrecht verwiesen [Punkt 3.2.b)aa)]. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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