TE Vwgh Erkenntnis 2001/5/10 98/15/0215

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Veröffentlicht am 10.05.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §263 Abs2;
BAO §263 Abs3;
BAO §270 Abs1;
BAO §270 Abs3;
B-VG Art83 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der P GmbH & Co. KG in E, vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VIII, vom 12. November 1998, Zlen. GA 17-96/4669/12 und GA RV/090-17/12/97, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Einkünften für die Jahre 1990 bis 1992 und Umsatzsteuer für das Jahr 1990 sowie die Bescheide über die Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 1990 bis 1992, Umsatzsteuer für das Jahr 1990 und Gewerbesteuer für das Jahr 1992, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In der gegen den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde (zur Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden KG vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1999, 99/15/0014 und 0015) wird u. a. "Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde wegen der ungerechtfertigten Heranziehung von Stellvertretern" geltend gemacht. Dazu wird ausgeführt, die an der "bekämpften Entscheidung" beteiligten Senatsmitglieder seien neben dem Vorsitzenden Hofrat Mag. J. St. Frau Mag. I. E., Herr F. H., Herr Dkfm. Dr. G. Z. und Herr Dr. H. N. gewesen. Nach der an der Amtstafel kundgemachten Senatszusammensetzung und Geschäftsverteilung seien jedoch Frau Mag. I. E. und Herr Dr. H. N. nicht Mitglieder des Berufungssenates, sondern lediglich Stellvertreter. Selbst wenn man eine Überbesetzung von Berufungssenaten für zulässig erachten sollte, komme die Heranziehung eines Stellvertreters nur dann in Betracht, wenn alle Senatsmitglieder aus triftigen Gründen verhindert gewesen wären. Eine derartige Verhinderung aller drei ernannten Mitglieder und aller neben den beiden anderen Mitgliedern verbleibenden 24 entsendeten Mitglieder des Berufungssenates VIII sei "höchst unwahrscheinlich". Es ließen sich dafür auch weder im angefochtenen Bescheid noch auch sonst Anhaltspunkte finden.

In ihrer Gegenschrift vertritt die belangte Behörde zur als ernanntes Senatsmitglied mitwirkenden Berichterstatterin Mag. I. E. im Wesentlichen die Ansicht, würde diese ausschließlich als Stellvertreterin tätig sein, somit nur "bei Verhinderung eines Berichterstatters bzw. Berichterstatterin", würde der Verfassungsbestimmung des Art. 126 b B-VG (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit) nicht entsprochen werden. Das entsendete Senatsmitglied Dr. H. N. sei im Sinne der "Rotation" um Teilnahme ersucht worden. Dr. G. R. (einziges Senatsmitglied - Notare) habe an einer relativ kurz davor liegenden Senatssitzung teilgenommen. Nach Meinung der belangten Behörde sei daher Dr. H. N. als Stellvertreter tätig geworden.

Zusammen mit den Verwaltungsakten übermittelte die belangte Behörde die "Geschäftsverteilung der Berufungssenate der Berufungskommissionen in Abgabensachen für die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland" betreffend den Senat VIII (Stand 1. Juli 1998). Nach dem zusätzlich vorgelegten Ernennungsdekret vom 2. Dezember 1996 ist Frau Mag. I. E. nach Ablauf ihrer bisherigen Funktionsperiode als Stellvertreter von Mitgliedern der Berufungskommissionen mit 31. Dezember 1996 beginnend ab 1. Jänner 1997 wiederum zum Stellvertreter von Mitgliedern der Berufungskommissionen bis zum Ende der Funktionsperiode mit Ablauf des 31. Dezember 2002 ernannt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 270 Abs. 3 BAO entscheidet über Berufungen gemäß § 260 Abs. 2 leg. cit. ein fünfgliedriger Berufungssenat, der sich aus dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion oder einem von ihm bestimmten Finanzbeamten als Vorsitzenden und vier Beisitzern zusammensetzt. Von den Beisitzern haben einer der Gruppe der ernannten und drei der Gruppe der entsendeten Mitglieder der Berufungskommission anzugehören. Ein Mitglied muss von einer gesetzlichen Berufsvertretung selbstständiger Berufe, ein weiteres von einer gesetzlichen Berufsvertretung unselbstständiger Berufe entsendet sein, während das dritte Mitglied von der gesetzlichen Berufsvertretung des Berufungswerbers entsendet sein soll.

Nach § 263 Abs. 2 BAO besteht die Berufungskommission aus zwei Gruppen von Mitgliedern, welche in je einer Liste zu vereinigen sind. Die erste Gruppe setzt sich aus den von der gesetzlichen Berufsvertretung entsendeten, im jeweiligen Bundesland wohnhaften Mitgliedern zusammen, wobei das Bundesministerium für Finanzen die Zahl der von den einzelnen Berufsvertretungen zu entsendenden Mitglieder unter Berücksichtigung der Bedeutung der Berufsgruppen für die Steuerleistungen im Bundesland bestimmt. Die Mitglieder der zweiten Gruppe werden in erforderlicher Anzahl vom Bundesministerium für Finanzen ernannt. Abs. 3 des eben zitierten § 263 BAO bestimmt, dass neben den Mitgliedern der Berufungskommission nach den Grundsätzen des Abs. 2 leg. cit. die gleiche Anzahl von Stellvertretern zu bestellen und gleichfalls in je einer Liste zu vereinigen ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. März 2001, 99/14/0105, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1999, 98/13/0153, ausgeführt hat, sind Stellvertreter zur Mitwirkung in Berufungssenaten nach § 270 Abs. 3 BAO erst dann heranzuziehen, wenn alle Mitglieder an der Mitwirkung verhindert sind. Die Verhinderung aller Mitglieder ist von der belangten Behörde (zumindest aktenintern eindeutig und nachvollziehbar) darzutun.

Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass sowohl aus der Gruppe der ernannten als auch aus der Gruppe der entsendenden Mitglieder jeweils nur ein als Stellvertreter bestelltes Mitglied im erkennenden Berufungssenat VIII mitgewirkt hat. Dass die ernannten oder entsendenden Mitglieder laut der von der belangten Behörde vorgelegten Geschäftsverteilung für den Berufungssenat VIII tatsächlich an der Mitwirkung verhindert gewesen wären, behauptet die belangte Behörde in der Gegenschrift im Ergebnis nicht. Überlegungen zur "Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit" oder Gesichtspunkte der "Rotation" vermögen die tatsächliche Verhinderung von Senatsmitgliedern nicht darzutun. Dass Dr. G. R. als "einziges Senatsmitglied - Notare" erst an einer kurz davor liegenden Senatssitzung teilgenommen habe, bedeutet ebenfalls noch nicht seine tatsächliche Verhinderung zur Teilnahme an der gegenständlichen Senatssitzung (wobei auch darauf hinzuweisen ist, dass zur Besetzung mit etwa einem Mitglied von einer gesetzlichen Berufsvertretung selbstständiger Berufe nicht nur die entsendeten Mitglieder der Notariatskammer, sondern auch diejenigen anderer Kammern in Betracht gekommen wären).

Da der Berufungssenat VIII, der den angefochtenen Bescheid beschlossen hat, nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. April 1995, 93/15/0061).

Der in der Beschwerde auch ins Spiel gebrachten "Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde wegen Überbesetzung der Berufungssenate" nach § 270 Abs. 1 BAO ist entgegen zu halten, dass der Verwaltungsgerichtshof im bereits oben zitierten Erkenntnis vom 15. September 1999, 98/13/0153, die Auffassung vertreten hat, es sei durch § 270 Abs. 1 BAO nicht ausgeschlossen, dass jedem Berufungssenat eine größere Anzahl von Mitgliedern zugewiesen wird, als zur Besetzung des erkennenden Senates nach § 270 Abs. 3 BAO erforderlich ist. Der Vollständigkeit halber ist schließlich zu einer in der Beschwerde auch angesprochenen "Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde weger der ungerechtfertigten Heranziehung von nicht an erster Stelle genannten Mitgliedern" Folgendes zu sagen:

In der Beschwerde wird gerügt, die Herren F. H. und Dkfm. Dr. G. Z. seien zwar nach der an der Amtstafel kundgemachten Senatszusammensetzung Mitglieder des Senates VIII, allerdings nicht die erstgenannten Personen aus dem Kreise der von den Berufsvertretungen selbstständiger Berufe bzw. den Berufsvertretungen unselbstständiger Berufe entsendeten Mitglieder.

Die Auflistung der (ernannten und entsendeten) Senatsmitglieder in der erforderlichen Anzahl nach § 270 Abs. 1 BAO, die sich nach den Ausführungen in der Gegenschrift nach dem - zufälligen - Ablauf der jeweiligen Funktionsperiode und der Neunominierung von Mitgliedern richtet, bedeutet entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht keine Festlegung einer Reihenfolge, welche die Heranziehung des nächstgenannten Mitgliedes erst bei nachweislicher Verhinderung des vorher (oder der vorher) genannten Mitglieder erlaubte. Zu einer solchen Anwendung einer "Stellvertreterregelung" auch innerhalb des Kreises der dem Berufungssenat nach § 270 Abs. 1 BAO zugewiesenen ernannten und entsendeten Mitglieder zwingt eine laut Beschwerde geforderte "verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften der BAO" nicht. So ist das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Bereich der Verwaltung auf die zuständige staatliche Behörde als solche bezogen. Es garantiert nicht bestimmte Organwalter oder eine bestimmte Zusammensetzung der Berufungssenate (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 1999, B 1148/98, Slg. Nr. 15496).

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. Mai 2001

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998150215.X00

Im RIS seit

04.03.2002

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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