TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/24 2000/04/0136

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Veröffentlicht am 24.10.2001
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verfassungsgerichtshof;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

B-VG Art132;
VerfGG 1953 §87 Abs2;
VwGG §27 Abs1 idF 1998/I/158;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der B Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien I, Elisabethstraße 22, gegen den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom

Spruch

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 42 Abs. 4 VwGG wird der angefochtene Bescheid wie folgt geändert:

Die Auflagenpunkte 36, 38, 42 und 43 entfallen. Auflagenpunkt 37 lautet:

"Für die Einnahme der Sitzposition vor dem Scanner selbst ist eine rutsch- und kippsichere, höhenverstellbare Fußstütze beizustellen (Mindesttiefe: 350 mm, Mindestbreite bei vorgesehenen Sitzpositionen: 450 mm). In die Fußstütze ist ein Fußschalter für das Förderband zu integrieren, wenn das Förderband nicht über Lichtschranken gesteuert ist. Die Fußstützenneigung muss im Bereich von 0 Grad bis 20 Grad verstellbar sein (Neigung in Richtung Zehenspitzen ansteigend). Die Höhe der Fußstützen muss mindestens im folgenden Bereich verstellbar sein:

Arbeitsflächenunterkante minus 510 mm bis 650 mm

(Mindesthöhenverstellbereich: 140 mm)."

Auflagenpunkt 39 lautet:

"Um eine optimale Arbeitshaltung, Ausgleichsbewegungen und ergonomisch günstige Beinstellung für das Kassenpersonal zu gewährleisten, ist der Beinfreiraum für die erhöhte Sitzposition wie folgt zu gestalten:

-

Höhe von mindestens 650 mm, bezogen auf die ergonomisch wirksame untere Fußauflagenhöhe und Arbeitsflächenunterkante;

-

Breite von mindestens 580 mm;

-

Fußraumtiefe von mindestens 600 mm an der ergonomisch wirksamen unteren Fußauflagenhöhe;

-

die Fußräume für das Stehen sind zu beachten (Stehkassen ohne Stehhilfe: Fußraumtiefe von 210 mm, Fußraumhöhe von 225 mm über die Breite der Mindeststehfläche (600 mm));

-

die Knieraumtiefe unter der Arbeitsflächenunterkante hat mindestens 360 mm zu betragen;

-

nach einer Seite muss ein volles Herausschwenken mit dem Arbeitsstuhl ohne Hindernisse möglich sein."

Auflagenpunkt 40 lautet:

"Die Höhe der Sitzfläche muss mindestens im folgenden Bereich verstellbar sein: Arbeitsflächenunterseite minus 220 mm (in diesem Fall werden 180 mm toleriert) bis 100 mm (Mindesthöhenverstellbereich: 180 mm). Der drehbare Arbeitsstuhl muss über eine Aufstiegshilfe, ein fünfstrahliges Gestell mit Gleitern an Stelle von Rollen und eine höhenverstellbare oder Permanentkontakt-Rückenlehne verfügen. Er darf keine Armstützen aufweisen."

Auflagenpunkt 41 lautet:

"Die freie unverstellte Kassenraumfläche im Bereich der Stehpositionen vor dem Scannerfeld und der Geldlade muss 600 x 600 mm betragen. Der Arbeitsstuhl muss bei stehender Tätigkeit angrenzend an diese freie Fläche für die Stehpositionen abgestellt sein und darf die Fluchtmöglichkeit aus der Stehposition durch die Kassenraumzutrittsöffnung nicht blockieren (der Arbeitsstuhl muss ungehindert durch die Kassenraumzutrittsöffnung geschoben werden können)."

Im Übrigen wird die Berufung abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 10. August 1994 wurde der BW AG, nunmehr B AG, über ihren Antrag vom 13. Juli 1992 die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer gewerblichen Betriebsanlage (Lebensmittelmarkt) an einem näher beschriebenen Standort nach Maßgabe der eingereichten Projektunterlagen unter Einhaltung von im Einzelnen genannten Auflagen gemäß den §§ 77, 333 und 359 GewO 1973 i.V.m. § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz erteilt. Unter anderem wurden folgende Auflagen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer vorgeschrieben:

"36. Der Kassaarbeitsplatz ist auf einem Podest zu errichten. Die Podesthöhe hat zwischen 100 und 165 mm zu betragen. Der Zugang zum Sitzplatz muss durch eine Tür gegeben sein. Bei der Türöffnung der Kassa ist durch eine geeignete Maßnahme das Abrollen oder Abgleiten des Arbeitsstuhles vom Podest zu verhindern.

37. Es ist eine rutsch- und kippsichere, höhenverstellbare, neigbare und nicht mit dem Pult verbundene Fußstütze beizustellen (Mindesttiefe: 350 mm; Mindestbreite: 450 mm). Die Fußstütze ist so zu gestalten, dass der Fußschalter für das Förderband integriert werden kann.

38. Der Arbeitstisch (Kassapult) hat - von der Manipulationsseite (Arbeitstisch) des Kassenpersonals gemessen - eine Höhe (Podestoberkante bis Pultoberkante) zwischen 720 und 750 mm aufzuweisen.

39. Um eine optimale Arbeitshaltung sowie bequeme Beinstellung für das Kassenpersonal zu gewährleisten, ist der Beinfreiraum wie folgt zu gestalten:

Freiraumhöhe (Podestoberkante bis Pultunterkante) mindestens 620 mm

Freiraumtiefe (direkt unterhalt der Pultunterkante) mindestens 450 mm

Freiraumtiefe im Fußbodenbereich mindestens 600 mm

Breite des Beinfreiraumes mindestens 580 mm

Nach einer Seite muss ein volles Herausschwenken mit dem Arbeitsstuhl ohne Hindernisse möglich sein.

40. Als Arbeitsstuhl ist ein höhenverstellbarer, drehbarer Bürosessel mit verstellbarer Rückenlehne beizustellen. Der Arbeitsstuhl muss ein fünfarmiges Fußgestell besitzen. Bei der Auswahl des Arbeitsstuhles ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit des Kassenpersonal vorzugsweise in aufrechter (mittlerer) Sitzhaltung durchgeführt werden soll. Bei Unterbrechungen im Arbeitsfluss soll auch die mittlere Sitzhaltung eingenommen werden können (Definition der Sitzhaltungen siehe ÖNORM A 8020).

41. Alle Geräte und Bedienteile, die für die Tätigkeit des Kassenpersonals wesentlich sind, müssen auf der Pultoberfläche so angeordnet werden, dass sie vom Kassenpersonal in aufrechter Sitzhaltung zu handhaben sind.

42. Die Warenförderbänder sind so anzuordnen, dass die von den Kunden - aufgelegte Ware in dem der entsprechenden Hand zugeordneten kleinen Greifarm (Definition siehe ÖNORM A 5910) befördert und von dort in Richtung Warenzellen oder Einpackflächen weitertransportiert wird. Falls ein Vorlaufband und Nachlaufband vorgesehen sind, ist der Abstand möglichst klein zu halten. Der vertikale Abstand zwischen der ebenen Pultoberseite und der Oberseite der Förderbänder darf innerhalb des Greifarmes des Kassenpersonals 20 mm nicht überschreiten. Die Bandgeschwindigkeit ist so zu wählen, dass ein sicherer Transport der Ware (z.B. Vermeiden des Umkippens von Flaschen) gegeben ist.

43. Durch entsprechende Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes sollte das Kassenpersonal zu Kontrollzwecken vollen Einblick in Einkaufswagen und -körbe haben, ohne die sitzende Position ändern zu müssen. Wenn notwendig, sind Spiegel - bzw. andere Kontrollvorrichtungen - anzubringen. Die Sichtfreiheit des Kassenpersonals in Richtung herannahender Kunden muss gegeben sein.

44. Der Aufenthaltsraum ist mit einer mechanischen Be- und Entlüftungsanlage auszustatten."

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie sich gegen die Auflagen 36. bis 44. wendete und vorbrachte, sie gestalte die Kassenarbeitsplätze nicht als Sitzarbeitsplätze, sondern als "Sitz-Steh-Arbeitsplätze". Ein Podest sei daher ergonomisch ebenso unzweckmäßig wie eine Fußstütze mit integriertem Fußschalter. Gleiches gelte für die vorgeschriebene Arbeitstischhöhe sowie für die vorgeschriebene Beinraum-Dimensionierung. Auflage 40. beruhe ebenso wie Auflage 41. auf der irrigen Annahme, dass die Mitarbeiter ihre Tätigkeit ständig im Sitzen verrichteten. Auflage 42. widerspreche Auflage 39. und habe überdies keinen konkreten Inhalt. Schließlich gehe auch Auflage 43. irrigerweise davon aus, dass es sich um Sitzarbeitsplätze handle. Spiegel an der Decke seien arbeitsmedizinisch unzweckmäßig. Auflage 44. sei rechtswidrig, weil der Aufenthaltsraum auch ohne die vorgeschriebene Be- und Entlüftungsanlage eine ausreichende Belüftung im Sinne des § 87 Abs. 3 AAV aufweise. Das Fenster des Aufenthaltsraumes habe eine Größe von 54 x 100 cm, damit sei eine ausreichende Belüftungsmöglichkeit für einen Raum mit einer Größe von 19,26 m2 gegeben.

Die Beschwerdeführerin legte weiters ein Schreiben der Wirtschaftskammer Österreich, Gruppe Ergonomie, vor, in dem einerseits dargelegt wird, dass aus ergonomischer Sicht viel dafür spreche, Kassenarbeitsplätze so zu gestalten, dass man eine sitzende oder stehende Körperhaltung einnehmen könne und indem andererseits auf die unterschiedlichen Voraussetzungen für "Sitz-Kassenarbeitsplätze" und "Sitz-Steh-Kassenarbeitsplätze" eingegangen wird.

Die die Berufung der Beschwerdeführerin abweisende Entscheidung des im Devolutionsweg gemäß § 73 Abs. 2 AVG zuständig gewordenen Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 24. Oktober 1995 wurde mit hg. Erkenntnis vom 28. August 1997, Zl. 95/04/0244, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, die - damals - belangte Behörde habe es in Verkennung der Rechtslage unterlassen, von Amts wegen zu prüfen, ob die antragsgegenständlichen "Sitz-Steh-Arbeitsplätze" den Schutzinteressen des § 27 Abs. 2 ASchG 1972 entsprechen. Im Übrigen habe die belangte Behörde in Ansehung des Auflagenpunktes 44. (Belüftung des Aufenthaltsraumes) die Begründungspflicht verletzt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum nicht durch Öffnen eines Fensters mit einer Fläche von 0,54 m2 eine ausreichende Be- und Entlüftung bewerkstelligt werden könne.

Der nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde über die Berufung ergangene (Ersatz-)Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 19. Oktober 1998 wurde mit hg. Erkenntnis vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0227, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der - damals - belangten Behörde aufgehoben, weil der Bescheid erst nach Ablauf der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist erlassen und dies von der Beschwerdeführerin ausdrücklich gerügt worden war.

Mit Schriftsatz vom 10. August 2000 erhob die Beschwerdeführerin neuerlich Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG und brachte vor, ihre Berufung sei seit Zustellung des hg. Erkenntnisses vom 2. Juni 1999 wieder unerledigt, die belangte Behörde habe allerdings weder Ermittlungsschritte vorgenommen, noch einen Berufungsbescheid erlassen. Diese Beschwerde wurde zur hg. Zl. 2000/04/0136 protokolliert.

Nach Ablauf der ihr mit hg. Verfügung vom 17. August 2000 (zugestellt nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten am 29. August 2000) gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist legte die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und brachte vor, die genannte Verfügung sei weder in der Sektion III, noch in der zuständigen Abteilung III/A/9 eingelangt; es habe daher der hg. Aufforderung nicht entsprochen werden können.

Mit hg. Verfügung vom 26. April 2001 wurde die belangte Behörde gemäß § 36 Abs. 9 VwGG ersucht, ein ergänzendes arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen. In diesem ergänzenden Gutachten wird - nach eingehender Darlegung der an Steh-Sitz-Kassenarbeitsplätze im Unterschied zu reinen Sitz-Kassenarbeitsplätzen zu stellenden Anforderungen sowie der in Betracht zu ziehenden Gesundheitsgefahren - im Wesentlichen ausgeführt, bei den als Steh-Sitz-Kassenarbeitsplätzen ausgestalteten Kassenarbeitsplätzen seien zur Gewährleistung von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer die im erstinstanzlichen Bescheid vorgeschriebenen Auflagenpunkte 36, 38, 41, 42 und 43 nicht erforderlich, wohl aber die folgenden Auflagen:

"Fußstütze (Auflagenpunkt 37)

Dieser Auflagenpunkt 37 wäre im Sinne der allgemeinen Ausführungen zu konkretisieren um den ergonomisch wirksamen Verstellbereich der Fußstützen sowie um die Mindestverstellbarkeit der Neigung der Fußstütze zwischen 0 Grad und 20 Grad .

o 'Für die Einnahme der Sitzposition vor dem Scannerfeld ist eine rutsch- und kippsichere, höhenverstellbare Fußstütze beizustellen (Mindesttiefe: 350 mm, Mindestbreite bei vorgesehenen Sitzpositionen 450 mm). In die Fußstütze ist ein Fußschalter für das Förderband zu integrieren, wenn das Förderband nicht über Lichtschranken gesteuert ist.

o Die Fußstützenneigung muss im Bereich von 0 Grad bis 20 Grad verstellbar sein (Neigung in Richtung Zehenspitzen ansteigend).

o Die Höhe der Fußstützen muss mindestens im folgenden Bereich verstellbar sein: Arbeitsflächenunterkante minus 510 bis 650 mm (Mindesthöhenverstellbereich: 140 mm).'

Begründung (Erfordernis zum Schutz der Gesundheit):

Auf der Fußstütze werden Füße abgestellt und gestützt, die Beine entlastet und die Oberschenkel parallel zur Sitzfläche eingestellt. Ist nach Auflage auf Grund der Kassengestaltung ein Fußschalter zur Bedienung des Bandes erforderlich, so muss er in die Fußstütze integriert werden, damit Recken und Strecken des Beines, was Gesundheitsgefahr und Kippgefahr bewirkt, vermieden wird.

Rutsch- und kippsicher ausgeführte Fußstützen sind erforderlich, damit Verletzungen durch Ausgleiten oder Umkippen ausgeschlossen sind.

Um nicht nur mit auf 90 Grad angewinkelten Beinen sitzen zu müssen, sondern auch gelegentliche Stellungsänderungen der Unterschenkel und Füße zu ermöglichen, sind Fußstützen erforderlich. Wenn die Beine zu weit ausgestreckt werden müssen, die Füße nicht abgewinkelt werden können und nicht ganzflächig aufgesetzt werden können, ergibt sich ein Unterschenkel-Längendefizit, d.h. die betreffende Person sitzt zu hoch und der Oberschenkel hängt schräg über der Sitzvorderkante. Dadurch kommt es zu einem Druck auf die Blutgefäße und dies führt auf Dauer zu einer Mangeldurchblutung der unteren Extremitäten oder zu einem Rückstau des venösen Blutes. Dies fördert die Entstehung von Muskelkrämpfen, Bildung von Krampfadern und Flüssigkeitsstau. Wenn die Beine andererseits zu stark abgewinkelt werden müssen (wenn sie z.B. auf Schachteln oder Kisten, die provisorisch als Fußstützen umfunktioniert wurden, aufgestellt werden müssen) führt dies ebenfalls, durch das starke Abbiegen zu einer Durchblutungsstörung und den gleichen gesundheitlichen Folgen wie bereits weiter oben beschrieben (Quelle: Oppolzer, Bund-Verlag, 1992).

Beinfreiraum (Auflagenpunkt 39)

Gemäß obigen Ausführungen bleiben die Beinfreiräume bei Steh-Sitz-Kassenarbeitsplätzen für die Tätigkeit im Sitzen gleich, jedoch müssen die Bezugspunkte der Abmessungen auf die erhöhte Sitzposition abgestellt werden - zweckmäßig ist der Bezug der Maße auf die Arbeitsflächenunterseite. Der Auflagenpunkt 39 wäre daher auf die Verhältnisse bei Steh-Sitz-Kassenarbeitsplätzen abzustellen.

Änderung des Auflagenpunktes zu Beinfreiraum

Der Auflagenpunkt 39 sollte lauten:

'Um eine optimale Arbeitshaltung, Ausgleichsbewegungen und ergonomisch günstige Beinstellung für das Kassenpersonal zu gewährleisten, ist der Beinfreiraum für die erhöhte Sitzposition wie folgt zu gestalten:

o Höhe von mindestens 650 mm, bezogen auf die ergonomisch wirksame untere Fußauflagenhöhe und Arbeitsflächenunterkante.

o Breite von mindestens 580 mm.

o Fußraumtiefe von mindestens 600 mm an der ergonomisch wirksamen unteren Fußauflagenhöhe.

o Die Fußräume für das Stehen sind zu beachten (Stehkassen ohne Stehhilfe: Fußraumtiefe von 210 mm, Fußraumhöhe von 225 mm über die Breite der Mindeststehfläche (600 mm)).

o Die Knieraumtiefe unter der Arbeitsflächenunterkante hat mindestens 360 mm zu betragen.

o Nach einer Seite muss ein volles Herausschwenken mit dem Arbeitsstuhl ohne Hindernisse möglich sein.'

Begründung (Erfordernis zum Schutz der Gesundheit):

Die Beinfreiräume dienen den erforderlichen Ausgleichsbewegungen. Ein eingeschränkter Beinfreiraum führt zu einem Bewegungsmangel. Durch das Fehlen der Möglichkeit der Änderung der Bewegungshaltung auch im Sitzen kommt es zu Haltungsmonotonien und dies kann zu Muskelinaktivität, Deaktivierung des Herz-Kreislaufs und des vegetativen Systems führen. Volles Herausschwenken ohne Hindernisse ist notwendig um die erforderlichen Ausgleichsbewegungen zu ermöglichen. Ein fehlender Beinfreiraum begünstigt eine verkrampfte Arbeitshaltung und ungünstige Sitzhaltungen mit entsprechenden Fehlbeanspruchungen im Rücken, in den Beinen und Füßen. Diese Zwangshaltung bedeutet eine anhaltende statische Muskelarbeit, die wiederum zu Durchblutungsstörungen der unteren Extremitäten, sowie durch Ober- und Fehlbeanspruchung der Rückenmuskulatur und Wirbelsäule, auch zu Nacken- und Schulterbeschwerden führt (Quelle: Grandjean, Physiologische Arbeitsgestaltung, 1991; Oppolzer, Bund-Verlag, 1992). Muskeln die sich zu oft, zu lange und zu stark ohne eine Erholungsmöglichkeit anspannen, neigen zur Verkürzung. Verkürzte Muskeln gewähren dem Bewegten nicht mehr das normale Gelenkspiel. Bewegungseinschränkung ist die Folge. Der Versuch, Bewegungen im normalen und gewohnten Umfang auszuführen, verursacht Schmerzen. Verkürzte Muskeln können bei plötzlicher Anspannung leichter gezerrt, manchmal auch eingerissen werden. Die Sehnen solcher Muskeln neigen öfter zu Entzündungen an ihrem Ansatz. (Quellen: Bechmann, Ganz, Landerer, Technologieberatung e. V., Berlin 1991; Laanersten, Harms-Ringdah., Ergonomics Vol. 33, 1990)

Arbeitsstuhl (Auflagepunkt 40)

Gemäß obigen Ausführungen ist ein der Steharbeitsflächenhöhe angepasster Arbeitsstuhl zur Verfügung zu stellen, der die Anforderungen des oben angeführten allgemeinen Teils erfüllen muss. Der entsprechende Auflagenpunkt wäre daher auf die Verhältnisse bei Steh-Sitz-Kassenarbeitsplätzen abzustellen.

Änderung des Auflagenpunktes

Der Auflagenpunkt 40 lautet:

o 'Die Höhe der Sitzfläche muss mindestens im folgenden

Bereich verstellbar sein: Arbeitsflächenunterseite minus 220 mm (in diesem Fall werden 180 mm toleriert) bis 100 mm (Mindesthöhenverstellbereich: 180 mm).

o Der drehbare Arbeitsstuhl muss über eine Aufstiegshilfe, ein fünfstrahliges Gestell mit Gleitern an Stelle von Rollen und eine höhenverstellbare oder Permanentkontakt-Rückenlehne verfügen. Er darf keine Armstützen aufweisen.'

Begründung (Erfordernis zum Schutz der Gesundheit):

Bei diesem Arbeitsstuhl handelt es sich um einen Hochstuhl mit Sitzflächenhöhen, die höher als 650 mm eingestellt werden können. Für einen Hochstuhl sind zur Vermeidung des Umkippens beim Auf- und Absteigen sowie zur Vermeidung der Kippgefahr eine Aufstiegshilfe, ein fünfstrahliges Gestell mit Gleitern an Stelle von Rollen erforderlich. Außerdem darf ein Hochstuhl keine Armlehnen aufweisen, da diese bei einer derartig 'hohen' Ausführung eine nicht mehr akzeptierbare Kippgefahr beim Auf- und Absteigen darstellen.

Ein höhenverstellbarer Arbeitsstuhl mit einer Aufstiegshilfe und einer höhenverstellbaren Rückenlehne soll dem 'dynamischen Sitzprinzip' entsprechen, d.h. möglichst viel Bewegungswechsel ermöglichen und die Bewegungen des Oberkörpers unterstützen und ihnen folgen. Mittels Federdruck und permanenten Kontakt soll die Lehne den Oberkörper in jeder Position gut abstützen. Zu stark oder zu schwach eingestellter Lehnendruck verhindert eine Entspannungsmöglichkeit der Rückenmuskulatur und der Zwischenwirbelscheiben. Diese werden nicht entlastet, sondern exzentrisch belastet, wodurch deren verformbarer Gallertkern nach hinten gedrückt wird. Diese Fehlbeanspruchung kann zu Muskelschmerzen, Missempfindungen in Fingern und Zehen und schmerzhaften Bewegungseinschränkungen bis zu einem Bandscheibenvorfall führen (Quelle: Grandjean, 1991; Oppolzer 1992). In einer britischen Untersuchung durch die Health & Safety Executive im Jahre 1998 wurden in 50 Supermärkten, 2000 Kassenarbeitsplätze untersucht (epidemiologische und biomechanische Untersuchung inklusive einer ergonomischen Feldstudie). Die Untersuchung zeigte einen signifikanten Zusammenhang zwischen Problemen bei der Höhenverstellbarkeit der Arbeitsstühle, der fehlenden Möglichkeit der Verstellbarkeit der Rückenlehne, der Möglichkeit der Änderung der Sitzposition und dem Auftreten von Muskel-Skelett Beschwerden. Schmerzen traten vor allem im Bereich des Nackens, der Schultern, der Handgelenke und der unteren Lendenwirbelsäule auf.

'Neue' Auflage für die freie unverstellte Kassenraumfläche:

o 'Die freie unverstellte Kassenraumfläche im Bereich der Stehpositionen vor dem Scannerfeld und der Geldlade muss 600 x 600 mm betragen. Der Arbeitsstuhl muss bei stehender Tätigkeit angrenzend an diese freie Fläche für die Stehpositionen abgestellt sein und darf die Fluchtmöglichkeit aus der Stehposition durch die Kassenraumzutrittsöffnung nicht blockieren (der Arbeitsstuhl muss ungehindert durch die Kassenraumzutrittsöffnung geschoben werden können).'

Begründung (Erfordernis zum Schutz der Gesundheit):

Die freie unverstellte Kassenraumfläche resultiert aus dem

95. Perzentil der entspannten Beinstellung bzw. der Hüftbreite unter Berücksichtigung der erforderlichen Ausgleichsbewegungen.

Der Arbeitsstuhl muss sich für beliebigen Wechsel von Stehin Sitzposition in unmittelbarer Nähe der freien verfügbaren Stehfläche befinden. Er darf allerdings bei stehender Tätigkeit den Stehfreiraum nicht einschränken, da dadurch einerseits erforderliche Ausgleichsbewegungen ausgeschlossen oder eingeschränkt werden siehe Gesundheitsgefahren - andererseits dürfen beim Ausführen der Ausgleichsbewegungen Hindernisse, wie das Stuhluntergestell nicht zu einer Unfallgefahr durch Anstoßen, Stolpern oder Umknicken führen. Auch darf aus Gründen der Sicherheit die Flucht aus der Stehposition nicht durch einen in der Kassenraumzutrittsöffnung blockierten Arbeitsstuhl behindert werden, da dies das Fluchtrisiko unzumutbar erhöht.

Das Fehlen einer freien unverstellten Kassenarbeitsfläche führt zu einer Reduktion oder zum Ausschluss von Ausgleichsbewegungen, zu Zwangshaltungen und statischer Haltungsarbeit. Die Zwangshaltungen führen zu Bandscheibenschäden vor allem in der unteren Hals- und oberen Brustwirbelsäule und im unteren Lendenwirbelbereich. Dadurch treten gehäuft Nacken-, Schulter-, und Kreuzschmerzen auf (Quelle: Ryan, GA., Ergonomics, Vol. 32, No. 4, 1989). Die statische Muskelbelastung bedeutet eine Daueranspannung der Muskeln. Dadurch entsteht ein Durchblutungsdefizit. Jede Mangeldurchblutung eines Muskels verursacht schon nach kurzer Zeit eine Muskelermüdung, die sich bis zu unausstehlichen Schmerzen steigern kann. Wiederholt sich die statische Belastung täglich während längerer Zeit, so ergeben sich mehr oder weniger dauernde Beschwerden in den betroffenen Gliedmaßen, wobei die Schmerzen nicht nur in den Muskeln, sondern auch in Gelenken, Sehnenansätzen und anderen Geweben auftreten können (Quelle: Grandjean, 1991).

Auflagenpunkt 44 (Erfordernis der mechanischen Be- und Entlüftung für Aufenthaltsraum):

Wegen Schutz vor Beeinträchtigung oder unzumutbarer Belästigung durch Lärm, Staub oder Einwirkung gefährlicher Arbeitsstoffe ist das Öffnen des Fensters in Straßenniveau nicht möglich. Deshalb ist eine mechanische Be- und Entlüftung erforderlich.

Begründung:

Das Autoabgas Kohlenmonoxid (CO) ist fast geruchlos und deshalb wegen mangelnder Gefahrerkennung umso gefährlicher. CO tritt bei verkehrreichen Strassen in höheren Konzentrationen (in Großstätten 10 - 40 ppm bei Verkehrsstockungen bis zu 370 ppm) auf. CO ist ein Blutgift, d.h. es schädigt nicht nur die roten Blutkörperchenhülle, sondern durchdringt sie und verbindet sich mit dem Hämoglobin (Hb) zu HbCO indem es den Sauerstoff verdrängt (Hypoxämie). Langfristige immer wiederkehrende Exposition führt zu einem nachweislichen Anstieg der HbCO - Konzentration im Blut. Eine chronische Vergiftung äußert sich durch Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Übelkeit bis zum Erbrechen, nervöse Reizbarkeit bis Psychosen, Schläfrigkeit oder Schlaflosigkeit, und 'nervösen' Herzbeschwerden.

Nitrose Gase sind schwerer als Luft und werden als sog. Lungenreizstoffe bezeichnet, d.h. es kann zu immer wiederkehrenden Entzündungen der Atemwege kommen.

Durch die starkbefahrene Strasse kommt es beim Öffnen der Fenster zu einer Belästigung oder Gesundheitsgefährdung durch einen erhöhten Lärmpegel."

Die Beschwerdeführerin machte von der ihr gebotenen Gelegenheit, im Rahmen des Parteiengehörs zu diesem Gutachten eine Stellungnahme zu erstatteten, keinen Gebrauch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate erheben, wer im Verwaltungsverfahren zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Die Frist für die Erlassung von Ersatzbescheiden nach Bescheidaufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof oder Verfassungsgerichtshof beginnt mit der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde (vgl. z.B. Mayer, B-VG2 (1997), 636, und die hier zitierte hg. Judikatur). Diese Frist war im Hinblick auf die oben genannten Daten des Verwaltungsverfahrens im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Beschwerde abgelaufen.

Da die belangte Behörde - wie dargelegt - den versäumten Bescheid auch innerhalb der ihr gemäß § 36 Abs. 2 VwGG eröffneten Frist nicht nachgeholt hat, ist die Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen.

Gemäß § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, das im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einleitung des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens nach der Übergangsvorschrift des § 127 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994 hier anzuwenden ist, ist eine Bewilligung nach Abs. 1 nicht erforderlich bei Betrieben, für die durch eine andere bundesgesetzliche Vorschrift eine Bewilligung vorgeschrieben ist, sowie bei sonstigen Betrieben, die unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung fallen. In dem betreffenden Bewilligungsverfahren sind jedoch die Belange des Arbeitnehmerschutzes zu berücksichtigen und die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendigen Bedingungen und Auflagen vorzuschreiben, soweit dies unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 24 erforderlich ist.

Dem nunmehr eingeholten arbeitsmedizinischen Gutachten ist nachvollziehbar zu entnehmen, dass die darin vorgeschlagenen Auflagen nicht bloß ergonomisch zweckmäßig, sondern zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendig sind. Auch die Beschwerdeführerin ist den sachverständigen Ausführungen nicht entgegengetreten.

Auf Grund des vorliegenden Gutachtens ist davon auszugehen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Vorschreibung der vorgeschlagenen Auflagen erfüllt sind. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Oktober 2001

Schlagworte

Errichtung und des Betriebes einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000040136.X00

Im RIS seit

12.12.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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