TE Vwgh Erkenntnis 1997/8/28 95/04/0244

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Veröffentlicht am 28.08.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1972 §27 Abs2;
AVG §39 Abs2;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der X-AG in N, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 24. Oktober 1995, Zl. 317.962/3-III/A/2a/95, betreffend gewerbliche Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.200,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 73 AVG ergangenen Bescheid erteilte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten der Beschwerdeführerin gemäß § 77 GewO 1994 i.V.m. § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1973 die gewerbehördliche Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Lebensmittelmarktes an einem näher bezeichneten Standort unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen, die u.a. die Gestaltung der Kassenarbeitsplätze (Auflagen 36 bis 43) sowie die Be- und Entlüftung des Aufenthaltsraumes betreffen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Betriebsbeschreibung des Einreichprojektes enthalte keine Ausführungen zur Gestaltung der Kassenarbeitsplätze. Kassenarbeitsplätze in Lebensmittelmärkten, bei denen die Ware auf einem Rollband abgestellt würden, seien bisher durchwegs als Sitzarbeitsplätze gestaltet. Diese Beobachtung könne als allgemeine Lebenserfahrung angesehen werden, ohne daß hierüber weitergehende Ermittlungen anzustellen gewesen seien. Anders gestaltete Arbeitsplätze hätten bisher nicht beobachtet werden können. In diesem Sinn sei auch die ÖNORM A 5910 zu verstehen, die ausschließlich auf Sitzarbeitsplätze abstelle. Der Beschwerdeführerin sei einzuräumen, daß die in Rede stehenden für Sitzarbeitsplätze konzipierten Auflagen für Sitz-/Steharbeitsplätze nicht geeignet seien. Der nunmehrige Plan, Sitz-/Steharbeitsplätze einzurichten, sei als Änderung des Einreichprojektes anzusehen, wobei hinsichtlich der ergonomischen Eignung von Sitz-/Steharbeitsplätzen keine fachlichen Aussagen vorlägen. Erst in der Berufung habe die Beschwerdeführerin ihren Plan bekannt gegeben, Sitz-/Steharbeitsplätze einzurichten, und sich hinsichtlich der Prüfung der Eignung solcher Arbeitsplätze auf die Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens verlassen. Demgegenüber erachte die Behörde jedoch die Antragstellerin als beweispflichtig, weil ein erst im Berufungsverfahren bekannt gewordenes Abgehen von der Norm (Sitzarbeitsplätze) vorliege. Die nunmehr von der Beschwerdeführerin geplante Gestaltung der Kassenarbeitsplätze als Sitz-/Steharbeitsplätze könnte zwar als im Berufungsverfahren zulässige Projektsmodifikation angesehen werden, doch sei die Antragstellerin für ihre Behauptung, die Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen als Sitzarbeitsplätze sei ergonomisch unerwünscht, den Beweis schuldig geblieben. Vielmehr spreche "die allgemeine Anwendungspraxis gegen diese Behauptung"; das Vorbringen, die vorgeschriebenen Auflagen seien dem Arbeitnehmerschutz abträglich, sei "schlechthin unglaubwürdig". Vom Arbeitsinspektorat sei in der Stellungnahme vom 10. Juni 1994 festgehalten worden, daß der Aufenthaltsraum im Kellerschoß nur mit einer Oberlichte zur stark befahrenen W-Straße hin ausgestattet sei. Vom technischen Amtssachverständigen sei anläßlich der mündlichen Augenscheinsverhandlung im Befund festgehalten worden, daß die Kellerräume über Rohrventilatoren entlüftet werden sollten. Eine technische Beschreibung der Be- und Entlüftung sei zum Zeitpunkt der Verhandlung nicht vorgelegen. Eine mechanische Entlüftung bzw. Belüftung der innen liegenden Kellerräume sei daher sowohl vom technischen Amtssachverständigen als auch vom Arbeitsinspektorat als notwendig erachtet worden. Der Vertreter der Antragstellerin habe sich zu diesem Verhandlungsergebnis nicht geäußert. Das Berufungsvorbringen, durch Öffnen eines Fensters mit einer Fläche von 0,54 m2 sei eine ausreichende Be- und Entlüftungsmöglichkeit gegeben, werde durch das dargestellte Verhandlungsergebnis widerlegt. Die belangte Behörde folge diesem Verhandlungsergebnis, wonach eine mechanische Be- und Entlüftung des Aufenthaltsraumes erforderlich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt, "als

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kein gesetzmäßiges Verfahren durchgeführt wurde, insbesondere kein Sachverständigengutachten darüber eingeholt wurde, ob die mit den bekämpften Auflagen vorgeschriebene Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes im Interesse des Arbeitnehmerschutzes notwendig oder zumindest zweckmäßig ist, und keinerlei Sachverhaltsermittlung dahingehend durchgeführt wurde, ob es erforderlich ist, den Aufenthaltsraum mit einer mechanischen Be- und Enlüftungsanlage auszustatten;

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das Parteiengehör der Beschwerdeführerin verletzt wurde;

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der angefochtene Bescheid keine gesetzmäßige Begründung aufweist und

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der Beschwerdeführerin in gesetzwidriger Weise eine bestimmte Gestaltung der Kassenarbeitsplätze auferlegt wird und in gesetzwidriger Weise vorgeschrieben wird, den Aufenthaltsraum mit einer mechanischen Be- und Entlüftungsanlage auszustatten, wobei die Gesetzwidrigkeit insbesondere darin begründet ist, daß die bekämpften Auflagen nicht hinreichend konkret und zum Zweck der im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren zu berücksichtigenden Interessen nicht erforderlich sind."

In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes macht die Beschwerdeführerin u.a. geltend, die bekämpften Auflagen bezüglich der Gestaltung der Kassenarbeitsplätze seien in mehreren (näher dargestellten) Punkten nicht ausreichend konkretisiert und nicht geeignet, die im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren zu berücksichtigenden Schutzzwecke zu erreichen. Die Beschwerdeführerin habe im Berufungsverfahren durch einen Sachverständigen darauf hingewiesen, daß Sitzarbeitsplätze ergonomisch unerwünscht seien, weshalb Sitz-/Steharbeitsplätze vorzusehen seien. Die vorgeschriebenen Auflagen seien aber nur bei reinen Sitzarbeitsplätzen anwendbar. Bezüglich der Belüftung des Aufenthaltsraumes habe die Beschwerdeführerin dargelegt, daß das Fenster eine ausreichende Lüftungsmöglichkeit darstelle. Der Bescheid weise (auch) diesbezüglich keine gesetzmäßige Begründung auf.

Gemäß § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, das im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einleitung des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens nach der Übergangsvorschrift des § 127 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994 hier anzuwenden ist, ist eine Bewilligung nach Abs. 1 nicht erforderlich bei Betrieben, für die durch eine andere bundesgesetzliche Vorschrift eine Bewilligung vorgeschrieben ist, sowie bei sonstigen Betrieben, die unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung fallen. In dem betreffenden Bewilligungsverfahren sind jedoch die Belange des Arbeitnehmerschutzes zu berücksichtigen und die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendigen Bedingungen und Auflagen vorzuschreiben, soweit dies unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 24 erforderlich ist.

Die belangte Behörde geht selbst davon aus, daß die Auflagen betreffend die Gestaltung der Kassenarbeitsplätze für "Sitz-/Steharbeitsplätze" nicht geeignet seien. Sie geht weiters davon aus, daß es sich beim "nunmehrigen" (im Sinne der Berufung) Plan, "Sitz-/Steharbeitsplätze" einzurichten, um eine zulässige Projektsmodifikation handle.

Die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage wie auch die Genehmigung der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage stellen nach § 353 GewO 1994 einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt dar. Die "Sache", über die die Behörden im Genehmigungsverfahren betreffend Betriebsanlage zu entscheiden haben, wird insofern durch das Genehmigungsansuchen bestimmt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. März 1987, Zl. 86/04/0118, und vom 10. Dezember 1991, Zlen. 91/04/0185, 0186). Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit haben die Behörden dabei gemäß § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen und - auf dem Boden des Genehmigungsansuchens - (auch) im Grunde des § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 zu prüfen, welche Auflagenvorschreibungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer "notwendig" sind.

Die belangte Behörde hat es somit in Verkennung der Rechtslage unterlassen, in amtswegiger Durchführung des Verfahrens zu prüfen, ob die antragsgegenständlichen "Sitz-/Steharbeitsplätze" den Schutzinteressen des § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 entsprechen. Weder das AVG noch die gewerberechtlichen sowie arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen bieten eine Grundlage dafür, daß sich die Beschwerdeführerin nicht - wie die belangte Behörde rechtsirrig meint - hinsichtlich der Prüfung der Eignung solcher Arbeitsplätze auf die Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens hätte "verlassen" dürfen, sondern diesbezüglich beweispflichtig gewesen sei, weil "ein erst im Berufungsverfahren bekannt gewordenes Abgehen von der Norm (Sitzarbeitsplätze) vorliegt".

Schon aus diesem Grund belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Vollständigkeit halber sei noch ausgeführt, daß die Behörde hinsichtlich der Auflage 44 (Belüftung des Aufenthaltsraumes) ihre Begründungspflicht verletzt hat. Inwiefern das Berufungsvorbringen, durch Öffnen eines Fensters mit einer Fläche von 0,54 m2 sei eine ausreichende Be- und Entlüftungsmöglichkeit gegeben, durch das "dargestellte Verhandlungsergebnis" widerlegt werde, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

Schon aus dem oben angeführten Grunde war jedoch der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995040244.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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