TE Vfgh Erkenntnis 1998/12/5 WI-3/98

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Veröffentlicht am 05.12.1998
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 / Allg
B-VG Art141 Abs1 dritter Satz
B-VG Art141 Abs1 lita
Tir GdWO 1994 §55
Tir GdWO 1994 §62
VfGG §70 Abs1

Leitsatz

Stattgabe der Anfechtung einer Gemeinderatswahl infolge rechtswidriger Wertung eines ungültigen Stimmzettels als Stimme für einen Wahlvorschlag; Zurückweisung von nicht auf die Nichtigerklärung des Wahlverfahrens gerichteten Anträgen

Spruch

I. Der Wahlanfechtung wird stattgegeben.

Das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Fügen am 15. März 1998 wird insoweit aufgehoben, als es der Stimmabgabe (Wahlhandlung) im Wahlsprengel I - Fügen nachfolgte.

II. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

III. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Am 15.3.1998 fanden die von der Tiroler Landesregierung mit Kundmachung vom 2.12.1997, LGBl. 1997/84, ausgeschriebenen Wahlen zum Gemeinderat der Gemeinden des Landes Tirol, darunter die Gemeinde Fügen, statt.

Dieser Wahl lagen die von den folgenden wahlwerbenden Parteien eingebrachten, gemäß §45 Tiroler Gemeindewahlordnung 1994 (im Folgenden: GWO), LGBl. 88 idF 1995/94, abgeschlossenen und veröffentlichten Wahlvorschläge zu Grunde:

Liste 1: Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering,

Liste 2: Fügener Wahlgemeinschaft -

Liste für Ordnung und Fortschritt,

Liste 3: SPÖ Fügen,

Liste 4: Aktiv für Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering (AKTIV),

Liste 5: Bürgerliste von Kleinboden, Kapfing, Fügen und Gagering,

Liste 6: Parteiunabhängige Liste Gemeinde Fügen,

Fraktionen Kapfing, Kleinboden, Gagering,

Liste 7: Freie Liste Fügen - Die Fügener Freiheitlichen.

Laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Fügen vom 16.3.1998 entfielen von den insgesamt 1.854 abgegebenen gültigen Stimmen - 112 Stimmzettel wurden als ungültig gewertet - auf

   Gemeinschaftsliste des

   Bürgermeisters von Fügen, Kapfing,

   Kleinboden und Gagering               518 Stimmen (5 Mandate),

   Fügener Wahlgemeinschaft -

   Liste für Ordnung und Fortschritt     445 Stimmen (4 Mandate),

   SPÖ Fügen                             200 Stimmen (1 Mandat),

   Aktiv für Fügen, Kapfing,

   Kleinboden und Gagering (AKTIV)       359 Stimmen (3 Mandate),

   Bürgerliste von Kleinboden,

   Kapfing, Fügen und Gagering           104 Stimmen (0 Mandate),

   Parteiunabhängige Liste Gemeinde

   Fügen, Fraktionen Kapfing

   Kleinboden, Gagering                  107 Stimmen (1 Mandat),

   Freie Liste Fügen - Die Fügener

   Freiheitlichen                        121 Stimmen (1 Mandat).

2.1. Mit ihrer am 10.4.1998 zur Post gegebenen, an den Verfassungsgerichtshof gerichteten und auf Art141 Abs1 lita B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehrt die Fügener Wahlgemeinschaft - Liste für Ordnung und Fortschritt, der Verfassungsgerichtshof wolle

"das Wahlverfahren für die Wahl des Gemeinderates am 15. März 1998 in der Gemeinde Fügen hinsichtlich der Abstimmung über den gegenständlichen amtlichen Stimmzettel für rechtswidrig erklären und aufheben und die Wahl ab diesem Vorgang für nichtig erklären,

daher dem Wahlvorschlag mit der Nummer 1 'Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering' das fünfte Mandat bescheidmäßig aberkennen

und gemäß §67 Abs4 Tiroler Gemeindewahlordnung 1994 der Gemeindewahlbehörde auftragen, daß zwischen den Wählergruppen Wahlvorschlag Nummer 1 'Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering' und Wahlvorschlag Nummer 5 'Bürgerliste von Kleinboden, Kapfing, Fügen und Gagering' das Los zu entscheiden hat".

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Im Zuge der Zählung der Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates am 15.3.1998 sei es - entgegen §62 Abs1 lite iVm §55 Abs4 GWO - noch am 15.3.1998 zu einer gesetzwidrigen bzw. rechtswidrigen Bewertung eines Stimmzettels durch die Gemeindewahlbehörde gekommen. Dieser Stimmzettel sei ungültig gewesen, jedoch von der Gemeindewahlbehörde mit einer Stimmenmehrheit von sechs gegen drei für gültig erklärt worden. In der Niederschrift über diese Sitzung seien zudem nur acht Mitglieder als anwesend geführt.

§55 Abs4 GWO regle den verfahrensgegenständlichen Fall, dass ein amtlicher Stimmzettel nur die Eintragung eines Wahlwerbers aufweist, eindeutig. In einem solchen Fall sehe die genannte Bestimmung klar und eindeutig vor, dass eine gültige Stimme für die Wählergruppe des vom Wähler eingetragenen Wahlwerbers nur dann vorliegt, wenn der Name des Wahlwerbers in der gleichen Zeile in dem dafür vorgesehenen Raum eingetragen ist, welche die Bezeichnung der Wählergruppe des Wahlwerbers enthält. Im vorliegenden Fall sei der Name des Wahlwerbers vom Wähler bei den Überschriften in der Rubrik "Vorzugsstimme für:" eingetragen worden. Der verfahrensgegenständliche Stimmzettel sei daher ungültig gewesen und somit rechtswidrig durch eine Abstimmung der Gemeindewahlbehörde der Wählergruppe "Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering" zugeordnet worden.

Bei der ermittelten Wahlzahl von 104,16 habe dies zur Folge gehabt, dass die "rechtswidrig zustande gekommene Gültigkeit" dieses einen Stimmzettels ein weiteres Mandat, nämlich das fünfte, für diese Wählergruppe bedeutete. Durch die rechtswidrig angenommene Gültigkeit eines Stimmzettels sei das Wahlergebnis manipuliert worden. Bei gesetzesgemäßem Vorgehen der Gemeindewahlbehörde hätte sich für die Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering und für die Wählergruppe "Bürgerliste von Kleinboden, Kapfing, Fügen und Gagering" eine gleiche Wahlzahl ergeben, sodass gemäß §67 GWO diese beiden Wählergruppen im Sinne von §67 Abs4 GWO auf ein Mandat denselben Anspruch gehabt hätten; aus diesem Grunde hätte bei gesetzmäßiger Vorgangsweise das vom jüngsten Mitglied der Gemeindewahlbehörde zu ziehende Los entscheiden müssen.

Da die Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters, das ist Wahlvorschlag Nr. 1, gekoppelt mit Wahlvorschlag Nr. 6 auch in der Gemeindewahlbehörde über eine Stimmenmehrheit verfügt, sei die genannte ungültige Stimme in rechtswidriger Art und Weise für gültig erklärt worden, was ein weiteres Mandat für die Liste des Bürgermeisters bedeutete.

Zudem seien das Wahlverfahren und die Niederschrift in diesem Zusammenhang selbst mangelhaft und ungültig, da nur acht Mitglieder der Gemeindewahlbehörde namentlich angeführt sind.

Die so zustande gekommene Mandatsverteilung sei rechtswidrig, weil die Liste des Bürgermeisters - hätte das Los entschieden - genauso gut letztlich vier Mandate und die Bürgerliste von Kleinboden, Kapfing, Fügen und Gagering ein Mandat mehr hätten bekommen können. Dadurch jedoch, dass ein an sich ungültiger Stimmzettel rechtswidrig für gültig erklärt wurde, hätten sich automatisch fünf Mandate für Wahlvorschlag Nr. 1 und kein Mandat für den Wahlvorschlag Nr. 5 ergeben.

Dies habe auch zur Folge, dass die am 3.4.1998 stattgefundene konstituierende Gemeinderatssitzung, bei welcher auch der Vizebürgermeister gewählt worden war, zu einem völlig anderen Ergebnis hätte führen können. Beispielsweise hätte bei anderer Mandatsverteilung - nach dem gesetzlich vorgesehenen Losentscheid - die Wählergruppe "Fügener Wahlgemeinschaft - Liste für Ordnung und Fortschritt", deren zustellungsbevollmächtigter Vertreter bei der Bürgermeisterwahl hinter dem erfolgreichen Kandidaten (mit 914 Stimmen) 818 Stimmen erreichte, in dieser Sitzung den Bürgermeister-Stellvertreter stellen können.

Die am 15.3.1998 gesetzwidrig zustande gekommene Mandatsverteilung habe somit auch bedeutet, dass im Gemeinderat der Gemeinde Fügen der zweitstärksten Fraktion, der Fügener Wahlgemeinschaft - Liste für Ordnung und Fortschritt, deren Bürgermeisterkandidat nur knapp geschlagen wurde, ein schwerer Schaden entstanden ist, der aus rechtlichen und demokratischen Gründen in dieser Form nicht hingenommen werden könne.

2.2. Die Gemeindewahlbehörde Fügen hat die Wahlakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.

Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt:

Im Zuge der Zählung der Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates am 15.3.1998 sei es zu einer Abstimmung über die Gültigkeit eines Stimmzettels gekommen.

Der betreffende Stimmzettel habe keine Kennzeichnung einer Wählergruppe aufgewiesen. In der Rubrik: "Vorzugsstimme für:" sei - in die Zeile für den Wahlvorschlag Nr. 1 "Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering" hinein reichend - vom Wähler der Name des Wahlwerbers "Hr. Klausner Günther (wohl: Günter)" eingetragen worden. Dieser befinde sich auf der Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering an 16. Stelle.

Bei der Debatte über die Bewertung des Stimmzettels habe der Gemeindewahlleiter vor der Abstimmung die Bezirkswahlkommission Schwaz telefonisch kontaktiert. Der Stimmzettel sei sodann mittels Fax an die Bezirkswahlkommission weiter geleitet worden. Nach Prüfung des Stimmzettels sei von den Mitgliedern dieser Wahlkommission die Meinung vertreten worden, dass der Wille des Wählers durch Eintragung eines Wahlwerbers aus dem Wahlvorschlag der Liste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering erkennbar sei, weil vor der Liste 1 keine andere wahlwerbende Gruppe aufscheint und dieser Stimmzettel gültig für die Liste 1 gewertet werden könne. Die Bezirkswahlbehörde habe jedoch lediglich eine beratende Funktion, und die Gemeindewahlbehörde habe in dieser Angelegenheit darüber abzustimmen.

Diese Abstimmung habe mit sechs : drei Stimmen eine Mehrheit für die Gültigkeit des in Rede stehenden Stimmzettels ergeben.

Im vorliegenden Fall sei lediglich der Name eines Wahlwerbers eingetragen worden, sodass sich die Gültigkeit des Stimmzettels aus den folgenden Überlegungen ergebe:

§56 Abs1 GWO schreibe vor, dass eine solche Eintragung gültig ist, wenn aus ihr eindeutig hervor geht, welchen Wahlwerber der gewählten Wählergruppe der Wähler eintragen wollte. Da im vorliegenden Fall sowohl der Nachname als auch der Vorname des Wahlwerbers eingetragen wurden und nur ein Wahlwerber dieses Namens existiert, seien die Voraussetzungen des §56 Abs1 GWO jedenfalls erfüllt.

Als Nächstes sei zu prüfen, ob der vorliegende Sachverhalt einem der in §62 Abs1 GWO taxativ aufgezählten Fälle entspricht. Hier komme insbesondere lite dieser Bestimmung in Frage, die normiert, dass ein Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates ungültig ist, wenn nur Namen von Wahlwerbern eingetragen wurden und die Eintragung nicht nach §55 Abs4 GWO erfolgt ist. Zufolge dieser Bestimmung sei ein Stimmzettel, der nur die Eintragung eines Wahlwerbers aufweist, dann als gültige Stimme für die Wählergruppe des vom Wähler eingetragenen Wahlwerbers anzusehen, wenn der Name des Wahlwerbers in der gleichen Zeile in dem dafür vorgesehenen Raum eingetragen ist, die die Bezeichnung der Wählergruppe des Wahlwerbers enthält.

Im vorliegenden Fall sei es nun tatsächlich so, dass als erste Liste, direkt unter dem Stimmzettelkopf, die Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering abgedruckt war, wobei der Stimmzettelkopf von dem für die oben genannte Wählergruppe vorgesehenen Raum lediglich durch einen horizontalen Strich getrennt war.

Nach Ansicht der Wahlbehörde sei es durchaus nachvollziehbar, dass sich der Wähler auf Grund der nicht gerade übersichtlichen Gestaltung des Stimmzettels einfach in der Zeile geirrt und deswegen den Namen des von ihm bevorzugten Wahlwerbers in das Feld mit der Bezeichnung "Vorzugsstimme für:" eingetragen hat. Möglicherweise sei der Wähler auch der Meinung gewesen, dass er nur eine Vorzugsstimme vergeben kann und den Namen des Wahlwerbers eben direkt in das Feld "Vorzugsstimme für:" eintragen muss, wobei der Wähler dazu möglicherweise durch den Doppelpunkt hinter "für" eingeladen wurde.

Gemäß §55 Abs1 GWO gelte der amtliche Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates als gültig ausgefüllt, wenn aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welche Wählergruppe der Wähler wählen wollte. Es stehe jedenfalls außer Zweifel, dass der Wähler seine Stimme dem Wahlwerber "Klausner Günther (wohl: Günter)" geben wollte, da dieser auf dem Stimmzettel namentlich angeführt wurde. Da nun wiederum der Wahlwerber mit dem Namen "Klausner Günther (wohl: Günter)" an 16. Stelle der Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering platziert ist und ein Name "Klausner Günther (wohl: Günter)" auf keiner der übrigen Listen aufscheint, müsse die Stimme für einen Wahlwerber der gegenständlichen Liste auch für die Liste selbst gelten, wobei dies durchaus dem §55 Abs1 und 4 GWO entspreche.

Da es durchaus denkmöglich erscheine, dass sich ein unaufmerksamer Wähler in der Zeile irrt, wobei allerdings der Name des Wahlwerbers nicht bei einer anderen Liste eingetragen wurde, sei die Wahlbehörde der Ansicht, dass die Gültigerklärung des gegenständlichen Stimmzettels rechtskonform erfolgt sei.

Zudem ergebe sich aus der Eintragung "Klausner Günther (wohl: Günter)", dass ein Teil des Nachnamens, nämlich der Großbuchstabe "G", sehr wohl in jene Rubrik fällt, die der Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering entspricht; damit sei auch aus diesem Grunde der strittige Stimmzettel dieser Wählergruppe zuzuordnen gewesen.

Zur Behauptung, dass anlässlich der Gemeinderatswahl vom 15.3.1998 - gemäß der Niederschrift vom gleichen Tag - nur acht Mitglieder der Wahlbehörde anwesend waren, wird von der Gemeindewahlbehörde ausgeführt:

Sowohl auf Seite 1 der Niederschrift über die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl vom 15.3.1998 als auch auf Seite 6 dieser Niederschrift sei der Beisitzer der Wahlbehörde, Friedrich Haim, namentlich angeführt. Auf Seite 6 der gegenständlichen Niederschrift habe Friedrich Haim seine Anwesenheit während des Wahlvorganges mit seiner Unterschrift bestätigt.

Die Antragstellerin ziele wohl auf die Ausführungen auf Seite 2 der gegenständlichen Niederschrift ab, wo ausgeführt wird, dass folgende Mitglieder der Wahlbehörde anwesend waren: Bürgermeister Wetscher, Mayer Hansjörg, Schober Siegfried, Winkler Patrick, Sprenger Georg für Leo Hubert, Baumann Egon, Platzer Johanna, Rumpf Klaus. Offensichtlich sei dabei der Beisitzer Friedrich Haim irrtümlicher Weise nicht angeführt worden.

Die Anwesenheit des Beisitzers Friedrich Haim sei schließlich auch in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Fügen vom 3.4.1998 bestätigt und somit der auf Seite 2 der Niederschrift unterlaufene Fehler ausgeräumt worden.

2.3. Auch die Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters von Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering hat eine Äußerung erstattet.

2.4. Die Anfechtungswerberin hat auf diese Äußerung repliziert.

II. Über die - zulässige - Wahlanfechtung wurde erwogen:

1. Der Stimmzettel zeigt folgendes Bild:

STIMMZETTEL NICHT DARSTELLBAR !!!

2.1. Der mit "Gültige Ausfüllung des amtlichen Stimmzettels für die Wahl des Gemeinderates" überschriebene §55 GWO lautet:

"(1) Der amtliche Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates ist gültig ausgefüllt, wenn aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welche Wählergruppe der Wähler wählen wollte. Dies ist der Fall, wenn der Wähler in einem der links neben den Bezeichnungen der Wählergruppen vorgedruckten Kreise ein liegendes Kreuz oder ein anderes Zeichen mit Tinte, Kugelschreiber, Filzstift, Farbstift, Bleistift und dergleichen anbringt, aus dem eindeutig hervorgeht, daß er die in derselben Zeile angeführte Wählergruppe wählen wollte.

(2) Der amtliche Stimmzettel ist auch dann gültig ausgefüllt, wenn der Wille des Wählers auf andere Weise, z.B. durch Anhaken, Unterstreichen, sonstige entsprechende Kennzeichnung einer Wählergruppe oder durch Durchstreichen der übrigen Wählergruppen eindeutig zu erkennen ist.

(3) Der amtliche Stimmzettel gilt weiters als gültig ausgefüllt, wenn ihn der Wähler hinsichtlich zweier oder mehrerer Wählergruppen nach Abs1 oder 2 behandelt hat, deren Wahlvorschläge miteinander gekoppelt sind. Die Stimme gilt für jene dieser Wählergruppen als gültig abgegeben, die auf dem amtlichen Stimmzettel zuerst gereiht ist.

(4) Ein amtlicher Stimmzettel, der nur die Eintragung eines Wahlwerbers aufweist, gilt als gültige Stimme für die Wählergruppe des vom Wähler eingetragenen Wahlwerbers, wenn der Name des Wahlwerbers in der gleichen Zeile in dem dafür vorgesehenen Raum eingetragen ist, die die Bezeichnung der Wählergruppe des Wahlwerbers enthält. Dasselbe gilt, wenn zwei Wahlwerber derselben Wählergruppe auf die angeführte Weise eingetragen wurden. Wurden zwei Wahlwerber verschiedener Wählergruppen, deren Wahlvorschläge miteinander gekoppelt sind, aber jeder von ihnen auf die im ersten Satz angeführte Weise eingetragen, so gilt die Stimme als für die auf dem amtlichen Stimmzettel zuerst angeführte Wählergruppe der miteinander gekoppelten Wahlvorschläge gültig abgegeben. §56 Abs1 zweiter, dritter und sechster Satz ist anzuwenden."

2.2. §62 GWO - übertitelt mit "Ungültigkeit des Stimmzettels für die Wahl des Gemeinderates" - bestimmt:

"(1) Der Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates ist ungültig, wenn

a) ein anderer als der amtliche Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates zur Stimmabgabe verwendet wurde,

b) der Stimmzettel durch Abreißen eines Teiles derart beschädigt wurde, daß nicht eindeutig hervorgeht, für welche Wählergruppe der Wähler seine Stimme abgeben wollte,

c) der Stimmzettel entgegen dem §55 Abs1 und 2, etwa durch Durchstreichen aller Wählergruppen und dergleichen, behandelt wurde,

d) zwei oder mehrere Wählergruppen bezeichnet wurden, deren Wahlvorschläge nicht gekoppelt sind,

e) nur Namen von Wahlwerbern eingetragen wurden und die Eintragung nicht nach §55 Abs4 erfolgt ist,

f) aus den vom Wähler angebrachten Zeichen oder der sonstigen Kennzeichnung des Stimmzettels nicht eindeutig hervorgeht, für welche Wählergruppe er seine Stimme abgeben wollte.

(2) Wahlkuverts, die keinen Stimmzettel für die Wahl des Gemeinderates enthalten, gelten als ungültige Stimmen.

(3) Wörter, Bemerkungen oder Zeichen, die auf dem Stimmzettel außer zur Kennzeichnung einer Wählergruppe oder zur Bezeichnung von Wahlwerbern angebracht wurden, beeinträchtigen die Gültigkeit des Stimmzettels nicht, sofern sich hiedurch nicht einer der angeführten Ungültigkeitsgründe ergibt. Im Wahlkuvert befindliche Beilagen aller Art beeinträchtigen die Gültigkeit des Stimmzettels nicht."

3. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund der Aktenlage davon aus, dass auf dem streitverfangenen, im Wahlsprengel I - Fügen abgegebenen Stimmzettel in der mit "Vorzugsstimme für:" bezeichneten Spalte der Kopfzeile des Stimmzettels handschriftlich zwei Worte eingetragen sind. Selbst wenn es sich dabei - wie offenbar auch die Anfechtungswerberin annimmt - um den Namen des Wahlwerbers "Klausner Günter", der an 16. Stelle auf der Liste des Wahlvorschlages der Gemeinschaftsliste des Bürgermeisters für Fügen, Kapfing, Kleinboden und Gagering kandidierte, handeln sollte, wäre ein solcher Stimmzettel wie folgt zu beurteilen:

Ein Stimmzettel, der nur die Eintragung eines Wahlwerbers (und nicht die eindeutige Kennzeichnung einer Wählergruppe) aufweist, gilt - gemäß der streng auszulegenden (vgl. etwa VfSlg. 6750/1972, 8848/1980, 10610/1985, 10907/1986, 12287/1990 und 12289/1990) Bestimmung des §55 Abs4 GWO - nur dann als gültige Stimme für die Wählergruppe des vom Wähler eingetragenen Wahlwerbers, wenn der Name des Wahlwerbers in der gleichen Zeile in dem dafür vorgesehenen Raum eingetragen ist, die die Bezeichnung der Wählergruppe des Wahlwerbers enthält.

An dieser Voraussetzung mangelt es dem streitverfangenen Stimmzettel aber jedenfalls:

Die Eintragung des Namens wurde nämlich nicht in derselben Zeile vorgenommen, die die Bezeichnung der Wählergruppe enthält, auf deren Liste der oben genannte Wahlwerber kandidiert hat.

Der Anfechtungswerberin ist darum beizupflichten, wenn sie geltend macht, dass die Wahlbehörde den streitverfangenen - ungültig ausgefüllten - Stimmzettel rechtswidrig als eine Stimme für den Wahlvorschlag der Liste 1 wertete.

4. Nun ist einer Wahlanfechtung - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung darlegte (zB VfSlg. 11732/1988) - nicht schon dann stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde; sie muss darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 Satz 1 VerfGG 1953).

Dies trifft hier auf Grund der folgenden Erwägungen zu:

Der Gemeinderat der Gemeinde Fügen besteht aus 15 Mitgliedern (§18 Tiroler GemeindeO 1966). Auf der Basis der in der Niederschrift vom 15.3.1998 fest gehaltenen Parteisummen berechnete die Gemeindewahlbehörde die Wahlzahl gemäß §67 Abs1 und 2 GWO. Als Wahlzahl galt demnach die Zahl 104,16 periodisch. Demnach entfiel von den 15 zu vergebenden Gemeinderatsmandaten auf die einzelnen Listen die unter Punkt I.1. wiedergegebene Anzahl an Mandaten.

Legt man der Wahlzahlberechnung jedoch das entsprechend den Ausführungen unter Punkt II.3. korrigierte Wahlergebnis zu Grunde, nämlich (eine Stimme weniger, das sind) 624 Stimmen für die Listen 1 und 6, deren Wahlvorschläge gekoppelt waren, so ergibt sich als richtige Wahlzahl die Zahl 104. Die genannte Zahl entspricht nun sowohl dem 1/6 der Parteisummen der gekoppelten Listen 1 und 6 als auch (dem 1/1) der Parteisumme der Liste 5, weshalb es - anders als nach dem kundgemachten Wahlergebnis - zu einem Losentscheid käme.

5. Der Wahlanfechtung war daher stattzugeben und das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Fügen am 15.3.1998 insoweit aufzuheben, als es der Stimmabgabe (Wahlhandlung) im Wahlsprengel I - Fügen nachfolgte.

6. Gemäß §70 Abs1 letzter Satz VerfGG 1953 hat der Verfassungsgerichtshof in einem der Anfechtung stattgebenden Erkenntnis entweder das ganze Wahlverfahren oder von ihm genau zu bezeichnende Teile des Wahlverfahrens aufzuheben. Weder die Bundesverfassung noch andere gesetzliche Vorschriften räumen ihm jedoch die Kompetenz zur Erlassung von Bescheiden - die anfechtende Wählergruppe beantragt ua., der Verfassungsgerichtshof wolle einer bestimmten Wählergruppe ein Mandat "bescheidmäßig aberkennen" - oder von Verfügungen in der weiters von der Anfechterin beantragten Art, dass zwischen bestimmten Wählergruppen das Los zu entscheiden habe (Letzteres wird - wie nebenher bemerkt sei - die Konsequenz der zu Spruchpunkt I. ergangenen verfassungsgerichtlichen Entscheidung sein), ein. Daher waren die nicht auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens gerichteten Anträge der Anfechtungswerberin als unzulässig zurückzuweisen.

7. Kosten konnten nicht zugesprochen werden, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur in §71 a Abs5 VerfGG 1953 (vgl. dazu auch §27 VerfGG 1953) vorgesehen ist, welche Bestimmung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wahlen, Stimmzettel, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:WI3.1998

Dokumentnummer

JFT_10018795_98W00I03_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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