TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/19 2001/20/0442

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Veröffentlicht am 19.12.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des S in L, geboren am 16. Oktober 1974, vertreten durch Dr. Horst Koch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schillerstraße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. März 2001, Zl. 220.040/0-X/30/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein dem Volk der Sikh angehörender und aus dem Punjab stammender indischer Staatsangehöriger, betrat am 10. September 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am 11. September 2000 einen Asylantrag, den er bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 6. Oktober 2000 damit begründete, dass er ein Sekretär der "Sikh Student Federation" sei. Er habe in dieser Funktion Büroarbeiten erledigt und in verschiedenen Städten große Demonstrationen gegen die Regierung und die Polizei angeführt, um den Forderungen nach einem eigenen Staat Nachdruck zu verleihen. Seit Jänner 1994 sei er - unter näher geschilderten Umständen - immer wieder verhaftet und misshandelt worden. Nach einer Verhaftung am 15. August 1998 habe er vier bis fünf Monate im Gefängnis verbracht, bis sein Vater durch Bezahlung von 50.000,-- Rupien seine Freilassung erwirkt habe. Nach einer neuerlichen Verhaftung im Dezember 1999 sei er im Jänner 2000 gegen Zahlung von 100.000,-- Rupien durch seinen Vater freigekommen. Ein paar Tage nach seiner Freilassung habe er in der Zeitung gelesen, dass sein im Dezember 1999 mit ihm zusammen verhafteter Freund tot sei. Aus Furcht, ebenfalls von der Polizei umgebracht zu werden, habe er sein Heimatland verlassen.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers als absolut unglaubwürdig und in sich widersprüchlich und ging davon aus, dass der Beschwerdeführer bei der mündlichen Einvernahme bewusst falsche Angaben gemacht habe. Der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage und sei daher gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen.

In der dagegen erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer in erster Linie gegen die Vorgehensweise der Behörde erster Instanz,

"gemäß § 6 Z 3 die Asylanträge indischer Staatsangehöriger als offensichtlich unbegründet abzuweisen. (...) Ich fühle mich eines fairen erstinstanzlichen Verfahrens beraubt, und zeigt die Einstellung der Erstbehörde, dass sie nicht bereit war, mit meinem Vorbringen sich auch nur annähernd objektiv auseinanderzusetzen. Wie wenig konkret mein Sachverhalt durch die Erstbehörde bearbeitet wurde, zeigt die Tatsache, dass man nicht einmal gewillt war, mir eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung und ein Vorgehen nach § 7 AsylG zu gewähren, obwohl die Erstbehörde sich in diesem Zusammenhang wohl 'nichts vergeben' hätte. Vielmehr versucht die Erstbehörde durch rigoroses Vorgehen und die Anwendung des § 6 AsylG Asylwerber offensichtlich von berechtigten Asylantragstellungen abzuhalten."

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. Februar 2001 erörterte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer u.a. das Verhältnis zwischen der "All India Sikh Students Federation" (AISSF) und der von ihr abgespaltenen "Sikh Students Federation" (SSF), wobei der Beschwerdeführer angab, er habe sich bei der erstinstanzlichen Einvernahme auf die AISSF bezogen und könne über die Abspaltungen, die zum Teil auch wieder rückgängig gemacht worden seien, nicht im Einzelnen Auskunft geben. Der Beschwerdeführer wurde auch näher über die politischen Verhältnisse in seiner Heimatregion und über die von ihm organisierten Demonstrationen befragt. Das Protokoll über die Beweisaufnahme in der mündlichen Berufungsverhandlung umfasst insgesamt 17 Seiten, die Verhandlung dauerte viereinhalb Stunden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 6 und 8 AsylG ab und sprach (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer Sikh sei und aus einem näher genannten Ort im Punjab stamme. Sein Vorbringen zu der behaupteten Bedrohungssituation entspreche aber - aus Gründen, deren Darstellung die Seiten 6 unten bis 11 oben des angefochtenen Bescheides gewidmet sind - ganz offensichtlich nicht den Tatsachen. Den Behauptungen über die Mitgliedschaft "bzw." die Funktion des Beschwerdeführers in der AISSF "bzw." seine Tätigkeiten für diese Organisation und die deshalb erlittenen Repressalien durch die indischen Behörden komme ganz offensichtlich keine Glaubwürdigkeit zu. Es bestünden nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Indien einer Bedrohung durch die indischen Behörden ausgesetzt wäre. Die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG seien daher erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 6 AsylG lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Anschluss an die schon im Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, dargestellte Vorjudikatur in dem Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, mit den Voraussetzungen der qualifizierten Unglaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers im Sinne des § 6 Z 3AsylG näher auseinandergesetzt und dazu u.a. ausgeführt, die Wahrheitswidrigkeit der Behauptungen müsse unmittelbar einsichtig sein und sich ohne weitwendige Überlegungen oder lange Argumentationskette quasi "aufdrängen". Bei der Anwendung der genannten Bestimmung könne es - entsprechend der zur rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes vertretenen Auffassung, dass das Erfordernis einer Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ausschließe - typischerweise nur um die Klarstellung einfacher Fragen, aber nicht um diffizile Beweiswürdigungsprobleme gehen. Fallbezogen wurde in dem Erkenntnis u.a. ausgeführt, das zu beurteilende Vorbringen sei "nicht so abwegig", dass es "von vornherein als völlig konstruiert" erscheinen müsste, und dem Argument, die Angaben zu den Fluchtgründen seien teilweise widersprüchlich und unklar, sei entgegenzuhalten, dass auf Einzelaspekte gestützte Erwägungen für die Heranziehung des § 6 AsylG in der Regel nicht ausreichend tragfähig seien.

Im vorliegenden Fall wird in der Beschwerde - ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid die Funktion eines Parteisekretärs der AISSF abgesprochen wurde - vor allem geltend gemacht, die belangte Behörde habe sich mit dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vorbringen, auch die einfache Mitgliedschaft in Sikh-Parteien könne in Verbindung mit einem Eintreten für ein Selbstbestimmungsrecht der Sikh zu asylrelevanter Verfolgung führen, nicht auseinandergesetzt (vgl. dazu Seite 13 unten der Verhandlungsschrift und die anschließende Bestreitung der Gefahr einer Verfolgung "aufgrund der bloßen Mitgliedschaft bei der AISSF" durch den Vertreter des Bundesasylamtes).

Dem ist insoweit beizupflichten, als die im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht, der Schluss auf eine Konzentration des Interesses indischer Behörden ausschließlich auf politische "Führungspersonen", die im Verdacht stünden, Straftaten begangen zu haben, erscheine aus näher dargestellten Gründen als "zulässig", für die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet nicht ausreichen würde. Dazu hätte es im Sinne des erwähnten Erkenntnisses vom 21. August 2001 einer eindeutigen Aussage bedurft.

Die belangte Behörde ist aber wohl davon ausgegangen, nicht nur die Behauptung des Beschwerdeführers, in der AISSF auf lokaler Ebene in führender Position tätig gewesen zu sein, sondern schon seine Mitgliedschaft in dieser Organisation und seine Teilnahme an den Demonstrationen, die er organisiert haben will, entsprächen nicht den Tatsachen (vgl. dazu Seite 5 oben des angefochtenen Bescheides). Dass die Wahrheitswidrigkeit des Vorbringens auch insoweit "offensichtlich" sei, was für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nach dem Gesagten erforderlich wäre, wird mit den Ausführungen der belangten Behörde zum Aussageverhalten des Beschwerdeführers aber nicht dargetan. Diese Ausführungen beziehen sich auf die von der belangten Behörde angenommene Unvereinbarkeit der Angaben mit der behaupteten Funktion des Beschwerdeführers und gehen nur in einem Punkt - bei der Behandlung des Unterschiedes zwischen AISSF und SSF - auf den anzunehmenden Wissensstand auch eines bloßen Mitgliedes einer dieser Organisationen ein. Gerade in diesem Punkt findet die Kritik an der Ansicht des Beschwerdeführers, die Worte "All India" würden der mit der SSF im Übrigen gleichlautenden Bezeichnung bei der Bezugnahme auf die AISSF nicht immer vorangestellt, und die stillschweigende Voraussetzung der belangten Behörde, die SSF sei eine organisatorisch und personell von der AISSF klar getrennte, während des hier maßgeblichen Zeitraumes auch in der Heimatregion des Beschwerdeführers aktive Organisation von vergleichsweise nicht völlig untergeordneter Bedeutung, in den Feststellungen der belangten Behörde aber zumindest keine so klare Untermauerung, dass sich daraus ein dem Offensichtlichkeitskalkül genügendes Argument gegen die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers in der AISSF gewinnen ließe.

In Bezug auf die Funktion, die der Beschwerdeführer in der AISSF ausgeübt haben will, scheinen sich die Schlüsse, die die belangte Behörde aus seinem Aussageverhalten gezogen hat, zumindest stellenweise in der Tat aufzudrängen, wobei auch die Länge der Ausführungen, die die belangte Behörde diesem Thema gewidmet hat, für sich allein noch nicht zwingend bedeutet, dass sich die Beweiswürdigung im Sinne des erwähnten Vorerkenntnisses vom 21. August 2001 auf "weitwendige Überlegungen" oder eine "lange Argumentationskette" stützt und die Heranziehung des § 6 Z 3 AsylG schon deshalb nicht richtig ist. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren aber auch Originalurkunden vorgelegt, in denen ihm u.a. von dem angeblichen "Präsident" der AISSF bestätigt wird, er sei deren "Generalsekretär" gewesen und deshalb von der Polizei brutal verfolgt worden. Dass diese Urkunde, wie es im angefochtenen Bescheid heißt, "bedenklich" erscheine und "somit keineswegs geeignet" sei, das Vorbringen des Beschwerdeführers "zu belegen", reicht auch in Bezug auf die Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Funktion in der AISSF für das für die Entscheidung erforderliche Offensichtlichkeitskalkül nicht aus, solange - was gegenständlich aber nicht der Fall ist - keine deutlichen Hinweise dafür vorliegen, die Urkunde stamme nicht vom Aussteller oder dieser stelle solche Bestätigungen auch für Personen ohne Funktion in der AISSF aus.

Im Ergebnis ist dem in der Beschwerde (insbesondere auf Seite 9) vertretenen Standpunkt, dass sich die "offensichtliche" Unbegründetheit des Asylantrages aus den vorliegenden Verfahrensergebnissen nicht ableiten lasse, daher beizupflichten. Da die belangte Behörde dies - trotz eines grundsätzlich richtigen Verständnisses der Voraussetzungen der von ihr angewendeten Bestimmung - verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001200442.X00

Im RIS seit

03.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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