TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 2002/01/0030

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Veröffentlicht am 14.05.2002
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Index

41/02 Melderecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des FM in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 26. November 2001, Zl. 2-11.M/651 - 00/32, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Entscheidung über den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Datiert mit 20. Februar 2000 stellte der Beschwerdeführer einen (ersten) Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung der Verleihung auf seine Ehegattin und die beiden gemeinsamen Kinder. In dem dabei verwendeten Formular gab er an, seinen Hauptwohnsitz seit 9. August 1991 ununterbrochen in Österreich zu haben. Im angeschlossenen Lebenslauf führte er (ua.) aus, am 16. Juli 1991 aus Jugoslawien nach Österreich geflüchtet zu sein; nach einem kurzen Aufenthalt im Flüchtlingslager Traiskirchen habe er eine Unterkunft in Arnfels bekommen, ab Oktober 1992 sei er wieder im Flüchtlingslager gewesen und schließlich im März 1993 nach Arnfels zurückgekehrt.

Eine Anfrage der belangten Behörde an das Bundesministerium für Inneres ergab, dass sich der Beschwerdeführer lediglich zwischen dem 19. und 29. Juli 1991 im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgehalten habe. Eine daraufhin ergangene Aufforderung, für den Zeitraum vom 20. Oktober 1992 bis 24. März 1993 Meldezettel vorzulegen, beantwortete der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 18. Mai 2000 damit, dass er in dieser Zeit im Flüchtlingslager in Traiskirchen gewohnt habe; er sei mangels Beschäftigungsmöglichkeit gezwungen gewesen, von Arnfels nach Traiskirchen zu "reisen", um dort den Winter zu verbringen; im Frühling sei er wieder nach Arnfels zurückgekehrt, um Arbeit zu suchen.

In einem weiteren Vorhalt ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer "erstmals am 24.03.1993 im Bundesgebiet zur Anmeldung" gelangt sei. In weiterer Folge (am 12. Jänner 2001) zog der Beschwerdeführer seinen ersten Verleihungsantrag zurück.

Mit bei der belangten Behörde am 23. März 2001 eingelangtem Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, wiederum verbunden mit dem Antrag auf Erstreckung der Verleihung auf seine Ehegattin und die beiden - 1997 und 1998 im Bundesgebiet geborenen - Kinder. Wieder erklärte er formulargemäß, seinen Hauptwohnsitz seit 9. August 1991 im Bundesgebiet zu besitzen. Als besonders berücksichtigungswürdigen Grund gab er an, er sei "seit dem 24. 3. 1993 im Bundesgebiet legal und dem Meldegesetz entsprechend gemeldet, aufhältig." Außerdem wies er darauf hin, dass er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet einer ordentlichen Erwerbstätigkeit nachgehe und dass er über einen Befreiungsschein sowie über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung verfüge; auch seine Familie sei legal in Österreich aufhältig.

Über Vorhalt der belangten Behörde, "erstmals am 24.03.1993 im Bundesgebiet zur Anmeldung" gelangt zu sein, gab der Beschwerdeführer in einer am 2. Oktober 2001 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme an, dass er nach einem kurzfristigen Aufenthalt im Flüchtlingslager Traiskirchen gemäß den beigelegten Meldebestätigungen in der Zeit vom 9. August 1991 bis 20. Oktober 1992 (und wiederum in der Zeit vom 24. März 1993 bis zum 10. August 1994) mit Hauptwohnsitz in Arnfels gemeldet gewesen sei. Zwischen Oktober 1992 und dem 24. März 1993 habe er sich bei verschiedenen Landsleuten im Bundesgebiet in deren Wohnung aufgehalten, jedoch aus Nachlässigkeit eine Meldung unterlassen. Nichtsdestotrotz bestehe schon im Hinblick auf das damals anhängige Asylverfahren kein Zweifel daran, dass er "zu jeder Zeit seinen Hauptwohnsitz in Österreich" habe nehmen wollen. Im Übrigen sei auf Grund des Vorliegens eines Befreiungsscheines und im Hinblick auf den Kindergartenbesuch seiner beiden Kinder von einer nachhaltigen Integration im Inland auszugehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. November 2001 wies die belangte Behörde die gestellten Anträge gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) iVm § 39 leg. cit. ab. Sie begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer erst seit 24. März 1993 - und damit noch nicht über zehn Jahre - einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet nachweisen könne. Im Hinblick darauf käme eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer nur bei Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes iS des § 10 Abs. 4 Z 1 StbG in Betracht. Das Vorliegen eines solchen besonders berücksichtigungswürdigen Grundes habe jedoch nicht festgestellt werden können. Einerseits habe sich im Ermittlungsverfahren ergeben, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers die deutsche Sprache nur in unvollständigen Sätzen bzw. Wortbrocken beherrsche; andererseits sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 18. September 1992 wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB - "gefälschter Führerschein" - und wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 100 Tagessätzen verurteilt worden, existiere eine - von der Staatsanwaltschaft Graz später zurückgelegte - Anzeige der Bundespolizeidirektion Graz vom 1. September 1998 wegen des Verdachtes des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung und scheine im Fremdenakt der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz per 31. August 1992 eine Verwaltungsübertretung nach § 64 Abs. 1 KFG auf. Diese Umstände sprächen gegen eine nachhaltige persönliche Integration des Beschwerdeführers, weshalb der Verleihungsantrag - und mit ihm die damit verbundenen Erstreckungsanträge - abzuweisen gewesen wären.

Über die ausdrücklich nur gegen die Abweisung des Verleihungsantrages erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Im gegenständlichen Fall geht es wesentlich darum, ob der Beschwerdeführer das Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG erfüllt, er somit seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat. Gegebenenfalls wäre eine Verleihung der Staatsbürgerschaft auch ohne Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes möglich.

Die belangte Behörde ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet (erst) ab 24. März 1993 nachweisen könne, er somit "noch keinen 10jährigen ununterbrochenen Wohnsitz im Bundesgebiet" habe. Zwar hat sie im bekämpften Bescheid sein Vorbringen in der bei ihr am 2. Oktober 2001 eingelangten Stellungnahme, wonach er sich seit 1991 in Österreich befinde und sich in der Zeit zwischen Oktober 1992 und 24. März 1993 bei verschiedenen Landsleuten im Bundesgebiet in deren Wohnung aufgehalten habe, wiedergegeben; eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen ist hingegen gänzlich unterblieben. Dazu wäre die belangte Behörde jedoch aus den noch nachstehend darzulegenden Gründen verpflichtet gewesen, zumal - entgegen der Darstellung in der Gegenschrift - die eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren stets dahingehend lauteten, er habe sich (bereits) seit Juli bzw. August 1991 ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten bzw. hier seinen Hauptwohnsitz gehabt. Verfehlt wäre es jedenfalls, schon im Hinblick auf das Fehlen eines Meldenachweises für die Zeit vom 20. Oktober 1992 bis 24. März 1993 (für die Zeit vom 9. August 1991 bis 20. Oktober 1992 erliegt, ohne dass dies von der belangten Behörde erwähnt worden wäre, ein vom Beschwerdeführer vorgelegter Meldezettel im Akt, demzufolge er an einer näher genannten Unterkunft in Arnfels seinen ordentlichen Wohnsitz gehabt habe) die notwendige ununterbrochene "Wohnsitzfrist" iS des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG zu verneinen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/18/0249) oder - worauf aber der in diesem Zusammenhang im bekämpften Bescheid verwendete Begriff "nachweisen" hindeutet - bezüglich dieser "Wohnsitzfrist" eine über die allgemeine Mitwirkungspflicht hinausgehende besondere "Beweispflicht" anzunehmen.

Bei der hier zu beantwortenden Frage, ob der Beschwerdeführer auch vor dem 24. März 1993 über einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügte, ist auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, zurückzugreifen. Bis zu diesem Zeitpunkt - mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme trat das Hauptwohnsitzgesetz gemäß seinem Art. VIII Z 5 am 1. Jänner 1995 in Kraft - sah das StbG in § 5 Abs. 1 eine Legaldefinition des bis dahin wesentlichen "ordentlichen Wohnsitzes" vor. Diese lautete wie folgt:

"Der ordentliche Wohnsitz einer Person ist an dem Ort begründet, an dem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben".

Gemäß Art. VII Hauptwohnsitzgesetz schied die eben zitierte Bestimmung aus dem aktuellen Rechtsbestand aus (Z 1) und wurde der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" durch den Begriff "Hauptwohnsitz" (in der jeweils grammatikalisch richtigen Form) ersetzt (Z 2); schließlich wurde normiert, dass für Zeiten vor Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes der ordentliche Wohnsitz als Hauptwohnsitz gelte (Z 3). Letzteres bedeutet, dass bei Beurteilung des Umstandes, ob der Beschwerdeführer vor dem 24. März 1993 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet inne hatte, auf den "ordentlichen Wohnsitz" im Verständnis des § 5 Abs. 1 StbG vor Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes abzustellen ist.

Wenngleich das Fehlen einer polizeilichen Meldung die Existenz eines Hauptwohnsitzes bzw. ordentlichen Wohnsitzes nicht ausschließt (siehe schon oben; zum ordentlichen Wohnsitz vgl. auch Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II (1990) 114), so kommt polizeilichen An- und Abmeldungen doch immerhin Indizfunktion (vgl. abermals das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000) zu. Von da her kann jedenfalls nicht ohne Weiteres der Standpunkt vertreten werden, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum vom 9. August 1991 bis 20. Oktober 1992, für den er einen Meldezettel vorgelegt hat, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Bundesgebiet gehabt. Einer näheren Erörterung bedarf aber auch die nicht durch Meldezettel dokumentierte Zeitspanne vom 20. Oktober 1992 bis 24. März 1993, weil ausgehend von den Behauptungen des Beschwerdeführers in der bei der belangte Behörde am 2. Oktober 2001 eingelangten Stellungnahme, wonach er sich im fraglichen Zeitraum bei verschiedenen Landsleuten im Bundesgebiet in deren Wohnung aufgehalten habe (die im ersten Verleihungsverfahren aufgestellte Behauptung, er sei während dieses Zeitraumes im Flüchtlingslager Traiskirchen gewesen, wurde nicht aufrechterhalten), nicht ausgeschlossen werden kann, dass er auch während dieses Zeitraumes seinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet inne hatte. Dem steht auch nicht entgegen, dass es in der besagten Stellungnahme heißt, der Beschwerdeführer habe sich "bei verschiedenen Landsleuten ... aufgehalten", weil unmittelbar im Anschluss daran darauf hingewiesen wird, dass "der Staatsbürgerschaftswerber selbstverständlich zu jeder Zeit seinen Hauptwohnsitz in Österreich nehmen wollte".

Indem die belangte Behörde demgegenüber ohne nähere Feststellungen zu dem Ergebnis gelangte, der Beschwerdeführer erfülle nicht den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG, hat sie ihre Entscheidung mit einem Verfahrensmangel belastet, weshalb der angefochtene Bescheid im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war. Auf die Frage, ob die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes verneinen durfte, braucht unter diesen Umständen nicht eingegangen zu werden.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002010030.X00

Im RIS seit

19.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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