TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 98/01/0327

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Veröffentlicht am 14.05.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des AK in W, geboren am 10. Oktober 1968, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 3/8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Februar 1998, Zl. 201/581/0- V/15/98, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am 1. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. Jänner 1998 Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, dass er in Algier bis zum Dezember 1997 als selbstständiger Kleiderhändler tätig gewesen sei und ein gut gehendes Geschäft betrieben habe. Etwa im November 1997 sei er von mehreren Männern erpresst worden. Diese hätten von ihm verlangt, innerhalb von vier Tagen 10 Mio. Dinar zu bezahlen, andernfalls würde der Beschwerdeführer umgebracht werden. Er könne nicht angeben, ob diese Erpresser den islamischen Fundamentalisten (der GIA) oder der Regierung zugehörig wären. Er habe die Drohung ernst genommen und sich daher zur Flucht entschlossen. Er habe diesen Vorfall aus Angst nicht der Polizei gemeldet. Es sei nämlich so, "dass solche Personen einen beobachten und im Falle einer Anzeigeerstattung wäre ich gleich umgebracht worden." Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, von den genannten Personen umgebracht zu werden. Mit den Behörden seines Heimatlandes habe er noch nie Probleme gehabt.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 14. Jänner 1998 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. In der Begründung dieser Entscheidung ging das Bundesasylamt davon aus, dass das Vorbringen des Asylwerbers wahr sei. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten bzw. befürchteten Übergriffe durch Private würden jedoch die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Dass die staatlichen Behörden des Heimatlandes des Beschwerdeführers nicht in der Lage und nicht gewillt gewesen wären, dem Beschwerdeführer Schutz vor Verfolgung zu gewähren, sei seinem Vorbringen nicht zu entnehmen gewesen. Den Ausspruch nach § 8 AsylG begründete das Bundesasylamt damit, dass es zwar in Algerien immer wieder zu vorwiegend von islamischen Terroristen verübten Massakern an der Zivilbevölkerung komme; es sei aber nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer durch die Weigerung, die islamischen Fundamentalisten finanziell zu unterstützen, landesweit der konkreten Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Für den Beschwerdeführer habe die Möglichkeit bestanden, durch ein Ausweichen innerhalb des Landes sich eventuellen Nachstellungen seitens der Terroristen zu entziehen.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung führte der Beschwerdeführer aus, dass in Algerien eine Situation von allgemeiner Gewalt und Terror herrsche, die sich besonders in den letzten Monaten enorm verschärft habe. Wer für Gewaltanwendung und Terrorausübung die Verantwortung trage, sei nicht mehr klar definierbar. Es sei anzunehmen, dass es sich bei den Personen, die den Beschwerdeführer erpresst hätten, um Mitglieder einer islamistischen Gruppierung gehandelt habe, die versuche, sich über solche "Schutzgeldzahlungen" Geldmittel zu beschaffen und ihren Einfluss auf die Zivilbevölkerung auszubauen. Der algerische Staat sei unfähig, seinen Staatsbürgern Schutz zu gewähren, sodass es verständlich sei, dass der Beschwerdeführer sich entschlossen habe, aus Algerien zu fliehen. Der Beschwerdeführer sei von der Behörde erster Instanz nicht zur Frage der staatlichen Schutzgewährung befragt worden. Es sei ihm auch während des erstinstanzlichen Verfahrens keine Gelegenheit gegeben worden, zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme betreffend die Schutzfähigkeit der algerischen Regierung Stellung zu nehmen. Im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Algerien drohe dem Beschwerdeführer eine Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG. Die algerische Zivilbevölkerung sei schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Vor allem grausame Massaker und Überfälle zeigten immer wieder, dass in Algerien zur Zeit niemand sicher sei. Der Beschwerdeführer verwies zur Begründung seines Vorbringens auf im Einzelnen bezeichnete Berichte und Zeitungsartikel und beantragte die Einholung von Stellungnahmen zur aktuellen Situation in Algerien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG ab und stellte "gemäß § 8 Asylgesetz in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei.

Die belangte Behörde, die die Sachverhaltsfeststellungen des Bundesasylamtes ausdrücklich übernahm, begründete die Abweisung des Asylantrages damit, dass die Erpressung des Beschwerdeführers ein strafrechtlicher Tatbestand sei, der für sich allein keine Asylrelevanz zu begründen vermöge. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal ansatzweise behauptet, aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt zu werden. Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien begründete die belangte Behörde damit, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Berufungswerber Gefahr liefe, in Algerien einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt zu werden. Er habe ausdrücklich angegeben, niemals Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt zu haben. Die von ihm geäußerte Befürchtung, im Falle seiner Rückkehr von den genannten Personen, deren staatliche Zugehörigkeit er nicht auszumachen vermöge, umgebracht zu werden, reiche nicht hin, die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung festzustellen. Ebenso wenig stellten die im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers allgemein herrschenden Verhältnisse, von denen jeder Staatsangehörige gleichermaßen betroffen sei, einen hinreichenden Grund für die Annahme einer Gefährdung bzw.

Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG dar.

     Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der

Verwaltungsgerichtshof erwogen:

     Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages damit

begründet, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgung auf Grund seiner Verweigerung der Zahlung von Schutzgeld in keinem Zusammenhang mit einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe stünde. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer vorgebracht hat, dass ihm von den Erpressern (von denen er - so sein Berufungsvorbringen - annehme, dass es sich um islamische Fundamentalisten handle) für den Fall, dass er sich weigern sollte zu zahlen, seine Ermordung angedroht worden sei, und dass er befürchte, bei einer Rückkehr in sein Heimatland von den genannten Personen umgebracht zu werden. Wenn der Beschwerdeführer auch nicht behauptet hat, auf Grund eines nach der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Merkmals als Opfer der "Schutzgelderpressung" ausgewählt worden zu sein, so ist doch eine Asylrelevanz der sich als Folge der Verweigerung der finanziellen Unterstützung der (vermutlich) islamischen Fundamentalisten darstellenden Drohung, den Beschwerdeführer umzubringen, nicht von vornherein auszuschließen. Insofern scheint der vorliegende Sachverhalt den Fällen der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei vergleichbar, bei der eine asylrelevante Verfolgung in Anknüpfung an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung, auf Grund derer sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hatte, gegeben sein kann. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an (vgl. u.a. die zu insofern vergleichbaren Sachverhalten ergangenen hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 2001, Zl. 98/20/0549, vom 31. Mai 2002, Zl. 2000/20/0496, und vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332).

Da somit die Asylrelevanz der drohenden Ermordung durch (vermutlich) islamische Fundamentalisten in Algerien wegen Verweigerung ihrer finanziellen Unterstützung bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, hätte die belangte Behörde aus dem in der Berufung ergänzten Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung das Fehlen eines Asylgrundes ableiten dürfen (zur Verhandlungspflicht des unabhängigen Bundesasylsenats gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG vgl. zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0525, und vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0114; zur Verhandlungspflicht auch in Bezug auf § 8 AsylG vgl. u.a. das Erkenntnis vom 21. Juni 2001, Zl. 99/20/0460, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Im Übrigen fehlen im vorliegenden Verfahren auch nachvollziehbare Feststellungen zu der im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt in Algerien herrschenden Lage, welche im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer konkret vorgebrachte Befürchtung, im Falle seiner Rückkehr nach Algerien von eben jener Personengruppe umgebracht zu werden und von staatlicher Seite infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt keinen Schutz zu erhalten, erforderlich gewesen wären (vgl. zur Asylrelevanz der Verfolgung durch Privatpersonen bzw. private Gruppierungen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. die auf Algerien bezogenen Erkenntnisse vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, und 19. Juni 2001, Zl. 2000/01/0170, mit weiteren Nachweisen).

Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid auch insoweit inhaltlich rechtswidrig, als die belangte Behörde die Prüfung des Abschiebeschutzes gemäß § 8 AsylG sowohl im Spruch als auch in der Begründung des angefochtenen Bescheids nur unter den Gesichtspunkten des § 57 Abs. 1 FrG - nicht jedoch des Abs. 2 dieser Bestimmung - vorgenommen hat (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0397, vom selben Tag, Zl. 99/01/0435, sowie vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0411, u. a.).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen (der prävalierenden) Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998010327.X00

Im RIS seit

22.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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