TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/17 98/17/0250

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Veröffentlicht am 17.12.2002
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Index

L34009 Abgabenordnung Wien;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §20;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
BAO §93 Abs3 lita;
B-VG Art130 Abs2;
LAO Wr 1962 §18;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §67 Abs3 lita;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des GH in H, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14/1/4, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 23. Juni 1998, Zl. MD-VfR - H 33/97, betreffend Haftung für Anzeigenabgabe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Haftungsbescheid des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien vom 23. August 1996 wurde der Beschwerdeführer "gemäß §§ 7 und 54 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der geltenden Fassung," für den Rückstand an Anzeigenabgabe der Sch Ges.m.b.H. in Liquidation in der Höhe von S 45.913,-- für den Zeitraum August 1992 bis Dezember 1992 haftbar gemacht und aufgefordert, diesen Betrag binnen einem Monat ab Zustellung zu entrichten.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der bestritten wurde, dass die Voraussetzungen der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 WAO vorlägen. Insbesondere liege keine schuldhafte Pflichtverletzung vor. Der nach § 7 WAO erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und der erschwerten Einbringlichmachung sei von der Behörde erster Instanz "nicht einmal behauptet" worden und auch nicht gegeben.

Nachdem eine Berufungsvorentscheidung ergangen war und der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag gestellt hatte, wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei unter Bedachtnahme auf die qualifizierte Mitwirkungspflicht von der Abgabenbehörde erster Instanz mit Schreiben vom 29. Oktober 1996 aufgefordert worden, zum Nachweis dafür, dass die Sch Ges.m.b.H. zum Zeitpunkt der Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit nicht mehr über die erforderlichen Mittel zur Abgabenentrichtung verfügt habe, eine monatliche Liquiditätsaufstellung für die Zeit ab 28. Jänner 1993 (das ist der Zeitpunkt der Firmenbucheintragung der Bestellung des Beschwerdeführers zum Geschäftsführer) vorzulegen. Nachdem der Beschwerdeführer ein in einem gerichtlichen Strafverfahren erstattetes Gutachten (von Dkfm. L) über die Gründe und den Zeitpunkt des Eintrittes der Zahlungsunfähigkeit der Sch Ges.m.b.H. und weitere damit im Zusammenhang stehende Fragen vorgelegt habe, sei ihm in der Berufungsvorentscheidung vom 24. April 1997 präzise und detailliert mitgeteilt worden, was Inhalt einer Liquiditätsaufstellung zu sein habe, um den entscheidungswesentlichen Entlastungsbeweis als Haftender zu erbringen.

Der Beschwerdeführer habe jedoch im Vorlageantrag lediglich festgehalten, er sei im Gegensatz zur Abgabenbehörde erster Instanz der Auffassung, dass ihm mit der Vorlage des Gutachtens der Entlastungsbeweis gelungen sei. Diesem Gutachten könne entnommen werden, dass die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bereits im Jahre 1991 eingetreten sei, was bedeute, dass die Gesellschaft schon damals nicht in der Lage gewesen sei, bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung die Schulden vollkommen zu begleichen. Es sei daher seiner Auffassung nach ausgeschlossen, dass eine allfällige Pflichtverletzung seinerseits für die Uneinbringlichkeit der Abgaben kausal gewesen sei.

Nach Wiedergabe der wesentlichen Rechtsgrundlagen der Wiener Abgabenordnung für die Vertreterhaftung führte die belangte Behörde sodann aus, es sei nicht strittig, dass die im erstinstanzlichen Bescheid angeführten Abgabenforderungen tatsächlich bestünden. Weiters sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer ab 28. Jänner 1993 zunächst Geschäftsführer und in der Folge ab 7. Juni 1993 Liquidator der Gesellschaft gewesen sei und somit zu dem in § 54 Abs. 1 WAO angeführten Personenkreis gehöre. Es stehe weiters fest, dass mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 7. Juni 1993 der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über die Sch Ges.m.b.H. mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen worden sei und die Gesellschaft in der Folge gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften, dRGBl. I 1934, S 914, idF BGBl. Nr. 10/1991, mit Rechtskraft dieses Beschlusses aufgelöst worden sei. Die Abgabenschuld sei daher bei der Gesellschaft nicht mehr einzubringen.

Die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers ergebe sich aus der Missachtung des § 7 Wiener Anzeigenabgabegesetz 1983 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle LGBl. für Wien Nr. 1/1995, wonach der Abgabepflichtige für jeden Monat bis längstens 14. des darauffolgenden Monates den Abgabenbetrag an die Stadt Wien zu entrichten habe. Die Gesellschaft bleibe verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr bzw. Einzahlung sie in Rückstand geraten sei, zu erfüllen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung sei gemäß § 54 Abs. 1 WAO der Geschäftsführer einer Ges.m.b.H. verhalten. Er müsse sich bei Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die von ihm vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Somit bestehe die Haftung auch für Abgabenrückstände, deren Fälligkeit vor der Bestellung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer liege. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. September 1954, Slg. Nr. 1003/F, ausgesprochen habe, sei es Aufgabe des Geschäftsführers nachzuweisen, dass ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich gewesen sei, weil nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen derjenige, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfülle, die Gründe darzutun habe, aus denen ihm die Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden könne, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen sei.

Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten von Dkfm. L ergebe sich zwar, dass die Gesellschaft bereits im Jahr 1991 zahlungsunfähig und somit außer Stande gewesen sei, bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung binnen angemessener Frist ihre fälligen Schulden zu begleichen; gleichzeitig habe der Sachverständige aber ausdrücklich festgestellt, dass der Gesellschaft auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit weiterhin Geldmittel zur Verfügung gestanden seien. Eine Liquiditätsaufstellung der Gesellschaft für den Zeitraum ab seiner Bestellung zum Geschäftsführer habe der Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Er habe auch nicht den Nachweis erbracht, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei. Es könne daher angenommen werden, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist.

Liege eine derartige schuldhafte Pflichtverletzung vor, so dürfe die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit gewesen sei.

Abschließend wird festgehalten, dass die Geltendmachung der Haftung auch den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit entspräche. Bei Abstandnahme von der Haftung würde der Abgabengläubiger seines Anspruches verlustig gehen, da die Gesellschaft bereits liquidiert sei und allein schon auf Grund der sich aus den der Behörde vorliegenden zivilgerichtlichen Urteilen bzw. gerichtlichen Vergleichen ergebende finanzielle Situation des mit 28. Jänner 1993 ausgeschiedenen Geschäftsführers Sch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Einbringung des Abgabenrückstandes bei diesem innerhalb eines angemessenen Zeitraumes möglich wäre. Es spreche nichts dafür, dass es unbillig wäre, wenn ein Geschäftsführer, der seine abgabenrechtlichen Pflichten verletze, zur Haftung herangezogen werde; anderenfalls würden jene Abgabepflichtigen und ihre Vertreter, die ihre Pflichten erfüllten, im wirtschaftlichen Wettbewerb benachteiligt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, dass die Gesellschaft schon zu einem Zeitpunkt lange vor Übernahme der Geschäftsführertätigkeit durch ihn nicht mehr über ausreichende Mittel verfügt habe, um vorgeschriebene Abgaben zu entrichten. Es könne dem Beschwerdeführer nicht zur Last gelegt werden, eine Geschäftsführertätigkeit zum Zeitpunkt einer wirtschaftlich angespannten Situation einer Gesellschaft zu übernehmen, um allenfalls eine Besserung zu erzielen bzw. eben wie im gegenständlichen Fall das Konkursverfahren einzuleiten, da andernfalls schon die bloße Übernahme der Geschäftsführertätigkeit zu einer schuldhaften Pflichtverletzung führen müsste. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, vor Bestellung zum Geschäftsführer irgendeinen Einfluss auf die Gebarung der Gesellschaft zu nehmen.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. § 7 Abs. 1 WAO ist gemäß Art. II der Novelle LGBl. Nr. 40/1992 im Beschwerdefall in der Fassung dieser Novelle anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1997, Zl. 96/17/0066).

1.2. Gemäß § 54 Abs. 1 WAO haben u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter haften gemäß § 7 Abs. 1 WAO neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die betreffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine auf die zitierten und auf verwandte Rechtsvorschriften gestützte Haftungsinanspruchnahme voraus, dass die rückständigen Abgaben uneinbringlich wurden und dies auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044). Neben dem Eintritt eines objektiven Schadens - Ausfall der gegen den Vertretenen gerichteten Abgabenforderung - und dem Verschulden des Vertreters ist ein Rechtswidrigkeitszusammenhang - die Verletzung von Vertreterpflichten führt zur Uneinbringlichkeit - erforderlich. Das tatbestandsmäßige Verschulden kann in einem vorsätzlichen oder in einem fahrlässigen Handeln oder Unterlassen bestehen. Fahrlässig die Verpflichtung, für die Abgabenentrichtung Sorge zu tragen, vernachlässigt zu haben, wird angenommen, wenn der Vertreter keine Gründe darlegen kann, wonach ihm die Erfüllung unmöglich war. Das Tatbestandsmerkmal "... infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können" ist etwa dann als erfüllt anzusehen, wenn der Vertreter bei oder nach Fälligkeit der Verbindlichkeiten Mittel für die Bezahlung - gegebenenfalls nach gleichmäßiger Aufteilung der Zahlungsmittel auf alle Verbindlichkeiten - zur Verfügung hatte und nicht - wenn auch nur anteilig - für die Abgabentilgung Sorge getragen hat (vgl. ebenfalls das zitierte Erkenntnis vom 21. Mai 1992).

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt ausgeführt, dass die Pflicht zur Entrichtung von Abgabenschuldigkeiten nicht mit dem Zeitpunkt der Entstehung der (Abgabenzahlungs-)Schuld, sondern erst mit deren Abstattung endet. Der Primärschuldner bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr bzw. Einzahlung er in Rückstand geraten ist, zu erfüllen; zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer einer GmbH verhalten. Dieser muss sich bei Übernahme seiner Funktion auch darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 10. Juli 1989, Zl. 89/15/0021, oder vom 13. November 1992, Zl. 91/17/0047), und es obliegt ihm, auch die vor seiner Bestellung fällig gewordenen, aber noch nicht abgestatteten Abgabenschuldigkeiten aus den vorhandenen Mitteln zu entrichten (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).

1.4. Zur qualifizierten Mitwirkungspflicht des Haftungspflichtigen im Besonderen gilt, dass nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen hat, sondern der zur Haftung herangezogene Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel. Außerdem hat er darzutun, dass er die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat. Die den Vertreter betreffende Behauptungs- bzw. Nachweispflicht kann allerdings nicht so aufgefasst werden, dass die Abgabenbehörde jedweder Ermittlungspflicht entbunden wäre. Die daraus ableitbare Pflicht des Vertreters, am Ermittlungsverfahren betreffend das Fehlen der erforderlichen Mittel zur Abgabenentrichtung mitzuwirken, entbindet die belangte Behörde nämlich dann nicht von ihrer Ermittlungs- und Feststellungspflicht, wenn sich aus dem Akteninhalt deutliche Anhaltspunkte für das Fehlen dieser Mittel ergeben (vgl. zu all dem beispielsweise auch das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1991, Zl. 89/17/0244, und die dort zitierten Vorentscheidungen).

2. Die belangte Behörde ist auf dem Boden dieser Rechtslage an sich zutreffend davon ausgegangen, dass sie den Beschwerdeführer grundsätzlich zur Haftung für die im Jahre 1992 fällig gewordenen Anzeigenabgaben heranziehen durfte und es am Beschwerdeführer gelegen gewesen wäre, die Liquiditätssituation der von ihm vertretenen GesmbH darzustellen. Die belangte Behörde sah es im Hinblick auf die Aussage des Gutachters, dass der GesmbH auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Geldmittel zur Verfügung gestanden seien, nicht als erwiesen an, dass der Gesellschaft überhaupt keine Geldmittel zur Verfügung gestanden wären und sich deswegen eine konkrete Darstellung des Beschwerdeführers erübrigt hätte.

Die belangte Behörde ist mit dieser Beurteilung im Ergebnis im Recht.

Hervorzuheben ist zunächst, dass sich das genannte Gutachten von Dkfm. L, der mit Beschluss vom 2. März 1993 zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt worden war, ausschließlich mit der Gebarung der GesmbH in den Jahren 1991 und 1992 befasst. Der Gutachter stellte insbesondere fest, dass mangels einer Buchhaltung die Liquidität 2. Grades (nach dem Gutachten die Kennzahl dafür, zu wieviel Prozent die kurz- und mittelfristigen Verbindlichkeiten durch kurz- und mittelfristiges Umlaufvermögen gedeckt sind) für 1992 nicht mehr berechnet werden konnte. Aus dem Gutachten geht hervor, dass die GesmbH auch 1992 noch neue Bankverbindlichkeiten einging. Die GesmbH habe ihre Lieferverbindlichkeiten drastisch ausgeweitet und zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs Bankkredite in Anspruch genommen. Nach der Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit seien nur teilweise alte Schulden beglichen worden; die Bankverbindlichkeiten seien nicht bezahlt worden. Es habe somit keine gleichmäßige Schuldentilgung stattgefunden.

Damit lässt sich dem Gutachten jedoch keine Aussage zur finanziellen Situation der GesmbH im Jahre 1993, nachdem der Beschwerdeführer zum Geschäftsführer bestellt worden war, entnehmen. Bei dieser Sachlage ist der Beschwerdefall aber nicht signifikant anders gelagert als jene Fälle, zu denen die oben dargestellte Rechtsprechung zur qualifizierten Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers entwickelt wurde. Die belangte Behörde konnte zu Recht davon ausgehen, dass es dem Beschwerdeführer oblag, allenfalls nachzuweisen, dass ihm die Mittel zur zumindest anteiligen Befriedigung der (in der Zeit vor seiner Bestellung fällig gewordenen) Abgaben nicht zur Verfügung standen. Dadurch, dass der Beschwerdeführer dies unterlassen hat, ist er dieser Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Sein Hinweis auf das für das gerichtliche Verfahren erstattete Gutachten zur finanziellen Situation der GesmbH in den Jahren 1991 und 1992 war schon deshalb nicht ausreichend, weil sich daraus keinerlei Anhaltspunkt für die finanzielle Situation der GesmbH im Jahre 1993 ergibt.

3. Mit dem Vorbringen, die Geltendmachung der Haftung dem Beschwerdeführer gegenüber, der in einer wirtschaftlich angespannten Situation die Geschäftsführung des Unternehmens übernommen habe, "um ... eben wie im gegenständlichen Fall das Konkursverfahren einzuleiten", erscheine unbillig, wird der Sache nach auch die Ausübung des Ermessens durch die belangte Behörde bekämpft.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist zwar die Geltendmachung der Haftung in das Ermessen der Behörde gestellt; Ermessensentscheidungen der Abgabenbehörde haben sich aber gemäß § 18 WAO (vgl. auch die gleichlautende Vorschrift des § 20 BAO) innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 11. Dezember 1992, Zl. 92/17/0178, oder vom 24. Februar 1997, Zl. 96/17/0066). Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. Dezember 1992, Zl. 92/17/0178, und vom 30. September 1993, Zl. 92/17/0215). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. August 1996, Zl. 92/17/0186, ausgesprochen hat, ist auch die Heranziehung eines von mehreren (auch nacheinander bestellt gewesener) Vertreter des Primärschuldners als Haftungspflichtige von der Behörde entsprechend zu begründen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044, und vom 13. November 1992, Zl. 91/17/0047). Die Behörde darf sich bei den Zweckmäßigkeitsüberlegungen nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 92/17/0215).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung auch für die vor seiner Bestellung fällig gewordenen Abgabenschulden im Lichte dieser Kriterien der Zweckmäßigkeit und Billigkeit begründet und dabei letztere deshalb als kein Hindernis für die Geltendmachung der Haftung gegenüber dem Beschwerdeführer angesehen, weil der Beschwerdeführer schuldhaft seine Verpflichtungen verletzt habe. Es sei auf Grund der der belangten Behörde vorliegenden gerichtlichen Urteile und Vergleiche nicht anzunehmen, dass die Einbringung des Rückstandes bei dem im Jänner 1993 ausgeschiedenen Geschäftsführer innerhalb eines angemessenen Zeitraums möglich wäre.

Die belangte Behörde hat damit ihre Ermessensentscheidung begründet und auch die für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen getroffen (vgl. zu Fällen, in denen keine derartigen Feststellungen getroffen wurden bzw. die Überlegungen der belangten Behörde nicht offen gelegt wurden, z.B. die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044, oder vom 6. August 1998, Zl. 92/17/0186). Die Beurteilung der belangten Behörde widerspricht nicht dem Sinn des Gesetzes und basiert insbesondere nicht auf unsachlichen Erwägungen. Wenngleich es nach der hg. Rechtsprechung nicht Rechtsvoraussetzung für die Heranziehung eines Vertreters als Haftungspflichtiger ist, dass die Abgabenschuldigkeiten des Vertretenen nicht nur bei diesem, sondern auch bei den früheren Vertretern nicht einbringlich sind, sondern allein, dass Abgabenschuldigkeiten beim Primärschuldner nicht eingebracht werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 91/17/0044), wurden die von der belangten Behörde herangezogenen Umstände im Rahmen der Ermessensausübung bei der Abwägung, gegen welchen der in Betracht kommenden Haftpflichtigen vorgegangen werden soll, zulässigerweise ins Kalkül gezogen.

4. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.

Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 17. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998170250.X00

Im RIS seit

22.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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