TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/10 G259/98, G262/98, G8/99, G24/99, G39/99

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Veröffentlicht am 10.12.1999
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/04 Sonstiges

Norm

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art90
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
StEG §6 Abs3
StEG §6 Abs4
VfGG §65a

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes über die Anhörung des Betroffenen und die Kundmachung von Beschlüssen über den Anspruch auf Entschädigung für zu Unrecht erlittene Anhaltung oder Haft; Verkündung der Entscheidung des für zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen oder strafrechtliche Anklagen zuständigen Gerichtes vom österreichischen Vorbehalt zu Art6 EMRK umfaßt

Spruch

Die Anträge auf Aufhebung der Worte "oder Verurteilte" in §6 Abs3 des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes, BGBl. Nr. 270/1969 werden zurückgewiesen.

Im übrigen werden die Anträge abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Auf Grund des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes, BGBl. Nr. 270/1969, zuletzt novelliert BGBl. Nr. 91/1993 (im folgenden: StEG) hat der Bund unter bestimmten Voraussetzungen die durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile dem Geschädigten auf dessen Verlangen in Geld zu ersetzen.

1.1. §6 StEG regelt das Verfahren zur Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für diesen Anspruch.

Diese Bestimmung lautet (die angefochtenen Wortfolgen sind durch Unterstreichung hervorgehoben):

"§6. (1) Der Gerichtshof, der dem Gericht, das die Anhaltung angeordnet, verlängert oder durch sein Auslieferungsersuchen veranlaßt hat oder das zur Führung des Strafverfahrens zuständig gewesen wäre, übergeordnet ist, hat auf Antrag des Angehaltenen oder des Staatsanwaltes durch Beschluß festzustellen, ob die im §2 Abs1 lita und Abs3 bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind oder ob einer der im §3 lita und b bezeichneten Ausschlußgründe vorliegt. Beim Gerichtshof erster Instanz obliegt die Beschlußfassung der Ratskammer.

(2) Das Gericht, das eine Person freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder milder verurteilt (§2 Abs1 litb oder c), hat von Amts wegen oder auf Antrag des Angehaltenen oder Verurteilten oder des Staatsanwaltes durch Beschluß festzustellen, ob die im §2 Abs1 litb oder c und Abs2 und 3 bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind oder ob einer der im §3 bezeichneten Ausschlußgründe vorliegt. Ist das Urteil auf Grund eines Wahrspruches der Geschwornen gefällt worden, so entscheidet der Gerichtshof gemeinsam mit den Geschwornen; §303 der Strafprozeßordnung (1960) gilt entsprechend. Ist im Verfahren vor dem Geschwornengericht oder Schöffengericht, dem Gerichtshof zweiter Instanz oder dem Obersten Gerichtshof eine sofortige Entscheidung nicht möglich, so hat das Strafgericht erster Instanz, und zwar der Gerichtshof erster Instanz in der im §13 Abs3 der Strafprozeßordnung (1960) bestimmten Zusammensetzung, zu entscheiden. Wird das Verfahren durch Beschluß des Untersuchungsrichters eingestellt, so entscheidet die Ratskammer.

(3) Vor der Beschlußfassung ist der Angehaltene oder Verurteilte zu hören und es sind die für die Feststellung erforderlichen Beweise aufzunehmen, soweit sie nicht bereits im Strafverfahren erhoben worden sind. Im Verfahren nach Abs1 und im Verfahren nach Abs2, sofern der Gerichtshof erster Instanz in der im §13 Abs3 der Strafprozeßordnung (1960) bestimmten Zusammensetzung oder als Ratskammer zu entscheiden hat, sind die Erhebungen vom Untersuchungsrichter des Gerichtshofes erster Instanz vorzunehmen.

(4) Der nicht kundzumachende Beschluß ist, im Verfahren nach Abs2 nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Strafverfahren, dem Angehaltenen oder Verurteilten, und zwar zu eigenen Handen, und dem Staatsanwalt zuzustellen. Wird in dem Beschluß das Vorliegen der im §2 bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen bejaht und das Vorliegen der im §3 bezeichneten Ausschlußgründe verneint, so ist der Angehaltene oder Verurteilte über die Bestimmungen der §§5 und 7 sowie über die Bestimmungen des §506a ASVG., des §201a GSPVG. Und des §180a LZVG zu belehren.

(5) Gegen den Beschluß steht dem Angehaltenen oder Verurteilten und dem Staatsanwalt die Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu; sie ist binnen vierzehn Tagen zu erheben.

(6) Das zur Entscheidung über die Beschwerde zuständige Gericht hat, soweit dies für die Entscheidung erforderlich ist, ergänzende Erhebungen durch das Strafgericht erster Instanz anzuordnen. Beim Gerichtshof erster Instanz sind diese Erhebungen vom Untersuchungsrichter vorzunehmen.

(7) Der rechtskräftige Beschluß ist für das weitere Verfahren bindend."

1.2. Das in §6 Abs7 erwähnte weitere Verfahren wird in den §§8 ff. StEG geregelt:

§8 Abs1 StEG weist die Zuständigkeit zur Entscheidung der Hauptfrage, nämlich der Streitigkeit über den Ersatzanspruch grundsätzlich (d.h. abgesehen von den in Abs2 geregelten Sonderkonstellationen) dem mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen betrauten Landesgericht zu, in dessen Sprengel die eine Ersatzpflicht bewirkende Anhaltung oder Verurteilung erfolgt ist. §9 regelt Fälle der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, §10 die Wirkung von Vergleichen zwischen dem Bund und dem Entschädigungswerber.

1.3. Das nach §6 Abs1 und 2 StEG zuständige Strafgericht hat somit nach diesen Vorschriften mit bindender Wirkung über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach dem StEG, das Zivilgericht hingegen über den Ersatzanspruch selbst zu entscheiden.

2. Beim Oberlandesgericht Wien sind in fünf Fällen Verfahren über Beschwerden gemäß §6 Abs5 StEG anhängig:

2.1. Über Stefan H. wurde nach seiner Festnahme am 15. März 1996 sowie Einleitung der Voruntersuchung wegen verschiedener Delikte mit Beschluß des Journalrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. März 1996 die Untersuchungshaft verhängt. Am 22. März 1996 wurde die Untersuchungshaft aufgehoben und der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt. Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. März 1997 wurde der Beschuldigte von der gegen ihn erhobenen Anklage rechtskräftig freigesprochen.

Gestützt auf §2 Abs1 litb StEG beantragte der frühere Angeklagte die Zuerkennung einer Haftentschädigung. Zum Beweis der vollständigen Verdachtsentkräftung beantragte er unter anderem die Einvernahme verschiedener Personen. Der Einzelrichter stellte jedoch - nach Aufhebung und Zurückverweisung seiner Entscheidung durch das Oberlandesgericht Wien im zweiten Rechtsgang - mit näherer Begründung fest, daß ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe. Von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nahm der Einzelrichter unter Hinweis auf die Bestimmung des §6 Abs3 StEG Abstand. Entsprechend der Bestimmung des §6 Abs4 erster Satz StEG wurde der Beschluß nicht öffentlich kundgemacht, sondern lediglich dem rechtsfreundlichen Vertreter des Entschädigungswerbers zugestellt.

Gegen diesen Beschluß erhob der Entschädigungswerber neuerlich Beschwerde beim Oberlandesgericht Wien, in der er unter anderem die Unterlassung einer durch Art6 EMRK gebotenen öffentlichen Verhandlung rügt, sowie die Durchführung einer solchen Verhandlung und die öffentliche Verkündung der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren verlangt.

2.2. Über Maryam M. wurde nach ihrer Festnahme am 8. März 1998 mit Beschluß der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. März 1998 die Untersuchungshaft verhängt. Am 16. März 1998 wurde die Untersuchungshaft aufgehoben. Auf Grund der Erklärung der Staatsanwaltschaft vom 25. März 1998, keinen Grund zur weiteren Verfolgung zu finden, wurde das Strafverfahren mit Beschluß vom 30. März 1998 eingestellt.

Am 21. April 1998 beantragte die frühere Angehaltene unter Berufung auf §2 Abs1 lita StEG die Zuerkennung einer Haftentschädigung. Die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien stellte mit Beschluß vom 20. Mai 1998 fest, daß der Entschädigungswerberin ein Ersatzanspruch nicht zustehe. Gemäß §6 Abs3 erster Satz StEG wurde die Entschädigungswerberin vor der Entscheidung über den Entschädigungsanspruch bloß von der Untersuchungsrichterin angehört. Entsprechend der Bestimmung des §6 Abs4 erster Satz StEG wurde der Beschluß nicht öffentlich kundgemacht, sondern lediglich der Entschädigungswerberin zu eigenen Handen zugestellt.

Gegen die Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Haftentschädigung nach §2 Abs1 litb StEG richtet sich die an das Oberlandesgericht Wien gerichtete Beschwerde der Entschädigungswerberin.

2.3. Nach seiner Festnahme am 20. Oktober 1995 wurde mit Beschluß des Journalrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Oktober 1995 über Robert K. die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Februar 1996 wurde der Angehaltene rechtskräftig freigesprochen.

Am 14. März 1996 beantragte dieser die Zuerkennung einer Haftentschädigung. Nach einer im Sinne des §6 Abs3 StEG im Rechtshilfeweg vorgenommenen bloßen Anhörung des Entschädigungswerbers stellte das Erstgericht fest, daß die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Entschädigung nicht vorlägen. Entsprechend der Bestimmung des §6 Abs4 StEG wurde der Beschluß nicht öffentlich kundgemacht, sondern lediglich dem Entschädigungswerber und seinem rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt.

Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde ist beim Oberlandesgericht Wien anhängig.

2.4. Über den türkischen Staatsangehörigen Yassar K. wurde nach seiner Festnahme am 26. September 1997 mit Beschluß des Journalrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. September 1997 die Untersuchungshaft verhängt. Über Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Untersuchungshaft am 13. November 1997 aufgehoben. Am 24. November 1997 erklärte die Staatsanwaltschaft, keinen Grund zur weiteren Verfolgung zu finden, worauf der Untersuchungsrichter mit Beschluß vom 28. November 1997 das Verfahren einstellte.

Der frühere Untersuchungsgefangene begehrte daraufhin die Zuerkennung einer Haftentschädigung. Mit Beschluß vom 10. Dezember 1997 stellte die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien fest, daß kein Ersatzanspruch zustehe. In Stattgebung einer dagegen erhobenen Beschwerde hob das Oberlandesgericht diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine Ergänzung des Verfahrens auf. Mit Beschluß vom 9. Dezember 1998 stellte die Ratskammer neuerlich fest, daß die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Haftentschädigung nicht bestünden. Gemäß §6 Abs3 erster Satz StEG wurde der Entschädigungswerber vor der Entscheidung über seinen Antrag bloß im Rechtshilfeweg in nichtöffentlicher Sitzung (vor dem Amtsgericht Nürnberg) gehört. Entsprechend der Bestimmung des §6 Abs4 StEG wurde der Beschluß nicht öffentlich kundgemacht, sondern lediglich mit internationalem Rückschein an die Anschrift des Entschädigungswerbers in Deutschland zugestellt.

Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde des Entschädigungswerbers ist beim Oberlandesgericht Wien anhängig.

2.5. Nach seiner Festnahme am 12. Juni 1996 wurde über Mag. Walter B. mit Beschluß des Journalrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Juni 1996 die Untersuchungshaft verhängt. Auf Grund einer Haftverhandlung vom 3. Juli 1996 wurde der Angehaltene auf freien Fuß gesetzt; mit Beschluß vom 7. August 1996 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt.

Am 23. Juni 1997 beantragte der frühere Angehaltene seine Einvernahme im Sinne des §6 Abs3 StEG. Nach bloßer Anhörung des Entschädigungswerbers im Rechtshilfeweg stellte das Erstgericht fest, daß die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Haftentschädigung nicht vorlägen. Entsprechend der Bestimmung des §6 Abs4 erster Satz StEG wurde der Beschluß nicht öffentlich kundgemacht, sondern lediglich dem Entschädigungswerber und seinem rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt.

Zur Beschlußfassung über die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde ist beim Oberlandesgericht Wien ein Verfahren anhängig.

3.1. Das Oberlandesgericht Wien hat in allen genannten Fällen sein Verfahren unterbrochen und wendet sich mit den (im inhaltlichen Teil im wesentlichen gleichlautenden) Anträgen gemäß Art89 Abs2 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, die Wortfolgen "ist der Angehaltene oder Verurteilte zu hören und es" in §6 Abs3 StEG sowie "nicht kundzumachende" in §6 Abs4 StEG als verfassungswidrig aufzuheben.

3.1.1. Das Oberlandesgericht führt in seinen Anträgen im wesentlichen gleichlautend aus, den angefochtenen Wortfolgen komme, obwohl sie sich an das Erstgericht richteten, im vorliegenden Rechtsmittelverfahren insoferne Präjudizialität zu, als das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht den bekämpften Beschluß nicht nur auf seine inhaltliche Richtigkeit, sondern sogar von Amts wegen daraufhin zu überprüfen habe, ob er in einem den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechenden fairen Verfahren ergangen sei. Die Verneinung dieser Frage müsse die Kassation des Beschlusses zur Folge haben, weshalb auch das Rechtsmittelgericht die angefochtenen Wortfolgen anzuwenden habe, nach denen sich das Verfahren des Erstgerichtes richte.

3.1.2. In der Sache begründet des Oberlandesgericht seine Anträge im wesentlichen gleichlautend wie folgt:

"Nach Ansicht der Straßburger Instanzen (aber auch nach innerstaatlicher Auffassung: JBl 1986, 444 mit Besprechung Schantls) ist der gegen den Bund gerichtete Anspruch auf Ersatz des durch eine strafgerichtliche Anhaltung entstandenen Vermögensschadens nicht öffentlichrechtlicher, sondern zivilrechtlicher Natur. Demzufolge hat der Entschädigungswerber gemäß Art6 Abs1 EMRK Anspruch auf öffentliche Anhörung seiner Sache und öffentliche Verkündung der Entscheidung.

In Konsequenz dessen verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in jüngster Zeit die Republik Österreich zweimal wegen des Verstoßes gegen die angeführte Konventionsbestimmung, weil die österreichischen Gerichte der aktuellen Gesetzeslage folgend über die Entschädigungsfrage in nichtöffentlicher Sitzung Beschluß fassen und diesen nicht (öffentlich) verkünden (Urteil vom 24.11.1997, Nr. 138/1996/757/956 im Fall Werner gegen Österreich, veröffentlicht in ÖJZ 1998 12 MRK 233 mit Verweis auf das in der Begründung im wesentlichen gleichlautende Urteil im Fall Szücs gegen Österreich vom 22.11.1997, Nr. 135/1996/754/953).

Dazu sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte explizit aus, daß die Abhaltung einer (volks-)öffentlichen Gerichtsverhandlung und die öffentliche (Urteils-)Verkündung die Streitteile vor einer geheimen und ohne öffentliche Überprüfung stattfindenden Rechtspflege schützen, sie das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit aufrecht erhalten und somit hervorragend geeignet sind, das Ziel des Art6 Abs1 EMRK, nämlich ein faires Verfahren, dessen Garantie einer der fundamentalen Grundsätze jeder demokratischen Gesellschaft im Sinne der Konvention ist, zu erreichen (Z45, Z54 der erstzitierten Entscheidung).

Im Verfahren nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz (BGBl 1969/270 idF BGBl 1993/91) können die österreichischen Gerichte ebendiesem Grundsatz nicht entsprechen.

Die innerstaatliche Rechtsordnung weist die Entscheidung über das Bestehen eines Ersatzanspruches für vermögensrechtliche Nachteile einer strafgerichtlichen Anhaltung oder Verurteilung dem Grunde nach - wie sich aus der Verfahrensvorschrift des §6 StEG unzweifelhaft ergibt - den Strafgerichten zu. Handelt es sich beim Geschädigten (§1 StEG) - wie im Regelfall - um den in Verfolgung gezogenen Teil (Verdächtigen, Beschuldigten, Angeklagten), so sind für dessen rechtliche Stellung im Verfahren nach §6 StEG die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung (BGBl 1975/631 idF BGBl I 1998/153) subsidiär anzuwenden (vgl. 11 Os 125/83).

Dieses Prozeßgesetz führt nun jene Fälle ausdrücklich an, in denen die Entscheidung nach (volks-)öffentlicher Verhandlung zu fällen und öffentlich zu verkünden ist, wobei die entsprechenden Normen auch ausdrückliche Anordnungen hinsichtlich des Ablaufes der Verhandlung treffen (siehe die Vorschriften über die Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen I. Instanz des XVIII. sowie die Bestimmungen zum Verfahren bei vorbeugenden Maßnahmen und beim Verfall des XXV. Hauptstückes der Strafprozeßordnung sowie jene des §33 Abs2, Abs4, Abs5 des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes BGBl 1979/529 idF 1996/462). Im übrigen ordnen die Verfahrensgesetze für bestimmte Fälle die nur parteiöffentliche 'Anhörung' (insbesondere im Vorverfahren beim Augenschein- und Sachverständigenbeweis (§116 StPO), in der Haftverhandlung (§182 StPO), im Verfahren über den Widerruf bedingter Strafnachsicht (§495 Abs3 StPO), aber auch im Entschädigungsverfahren (§6 Abs3 StEG)), an und zählen die Prozeßhandlungen auf, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu erfolgen haben (im Vorverfahren explizit §§97 Abs2 und 198 Abs1 StPO), zu denen Gerichtszeugen zuzuziehen sind (§§116, 142 Abs3 StPO) und das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson besteht (§162 Abs2, Abs3 StPO). Auch im Rechtsmittelverfahren beschreibt der Gesetzgeber ausdrücklich jene Fälle, in denen die Entscheidung nach einem öffentlichen Gerichtstag zu ergehen hat und öffentlich zu verkünden ist, was nur auf das Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung zutrifft (§§285c Abs2, 294 Abs5; 471 Abs1, 489 Abs1 StPO). Ansonsten ist in nichtöffentlicher Sitzung Beschluß zu fassen (§§285c Abs1, 294 Abs4; 470 StPO), was auch im Verfahren über Beschwerden sowie in jenem über den Anklageeinspruch zutrifft (§§114 Abs2; 210 Abs3 StPO).

Gerade diese differenzierten Gesetzesbefehle zwingen zum Umkehrschluß, daß die Fälle der öffentlichen Verhandlung und Entscheidungsverkündung in den Verfahrensvorschriften abschließend geregelt sind. Der innerstaatliche Rechtsbestand - an dem sich auch das Beschwerdegericht zu orientieren hat - schließt somit das über den Entschädigungsanspruch vom Antragsteller im Einklang mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geforderte Verfahren aus.

Dem widerstreitet auch nicht, daß der Gerichtshof II. Instanz befugt ist, Aufklärungen zu verlangen oder ergänzende Erhebungen anzuordnen, weil nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §6 Abs6 StEG eine derartige Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage durch die I. Instanz vorzunehmen ist, daher die angeführte Gesetzesstelle ebenfalls keinen Anknüpfungspunkt für die Anordnung einer öffentlichen Verhandlung oder Anhörung des Entschädigungswerbers vor dem Beschwerdegericht bietet, die allenfalls der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Genüge tun könnte.

Der öffentlichen Verkündung der Entscheidung hinwieder steht das ausdrückliche (einfachgesetzliche) Gebot der Nichtkundmachung des Beschlusses (§6 Abs4 1.Satz StEG) entgegen.

Nach Dafürhalten des in der vorliegenden Entschädigungssache zur Entscheidung über die Beschwerde zuständigen Senates des Oberlandesgerichtes Wien ist aufgrund der dargelegten Erwägungen weder eine verfassungskonforme Interpretation des Gebotes der Anhörung des Antragstellers (§6 Abs3 1.Satz StEG) im Sinne einer aufgrund der Prozeßgesetze eingeräumten Befugnis der Anordnung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung über den Entschädigungsanspruch möglich, noch ist der Zugang zum generell nicht zu verkündenden Beschluß für jedermann gesichert.

Durch die einfachgesetzliche, die Gerichte bindende Anordnung nur einer Anhörung und das ebensolche Verbot der Kundmachung der Entscheidung scheint der Beschwerdeführer vielmehr im verfassungsmäßig geschützten Recht auf ein gerechtes Entschädigungsverfahren verletzt zu sein.

Der Senat sieht sich daher veranlaßt, die Aufhebung der Wortgruppen 'ist der Angehaltene oder Verurteilte zu hören und es' des §6 Abs3 1.Satz StEG und 'nicht kundzumachende' des §6 Abs4 1.Satz StEG als verfassungswidrig zu beantragen, erachtet aber eine weitergehende Gesetzesanfechtung nicht für notwendig, zumal der verbleibende Text der angeführten Absätze bei Eliminierung der verfassungsrechtlich bedenklichen Regelungen und den aufgezeigten Kriterien eines fairen Verfahrens entsprechenden legistischen Maßnahmen nicht im Spannungsfeld zu Art6 Abs1 EMRK steht."

3.2. Die Bundesregierung hat im Verfahren G8/99 eine Gegenäußerung erstattet, auf welche sie in den weiteren Verfahren verweist.

3.2.1. Die Bundesregierung wendet sich zunächst gegen die Zulässigkeit der Anträge, soweit die Wortfolge "oder Verurteilte" in §6 Abs3 StEG angefochten wurde. In keinem der beim Oberlandesgericht anhängigen Verfahren sei der Beschwerdeführer verurteilt worden. Das Oberlandesgericht habe daher die Worte "oder Verurteilte" ganz offenkundig nicht anzuwenden, weshalb es an der - eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrages auf Gesetzesprüfung darstellenden - Präjudizialität in den zugrunde liegenden Verfahren fehle.

3.2.2. Sodann wendet sich die Bundesregierung mit näherer Begründung in der Sache gegen die Anträge, soweit sie die verbleibende angefochtene Wortfolge in §6 Abs3 leg. cit. betreffen. Die Bundesregierung führt dazu aus (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Wie das anfechtende Gericht in seinem Antrag richtig ausführt, sind die Fälle, in denen nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz in Verbindung mit der Strafprozeßordnung zwingend eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen ist, im Gesetz genau bestimmt. Das bedeutet aber nicht im Sinne eines Umkehrschlusses, daß in den vom Gesetz nicht genannten Fällen keine mündliche Verhandlung stattfinden darf. Die angefochtene Wortfolge in §6 Abs3 StEG schließt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung daher nicht explizit aus. Durch diese Wortfolge wird vielmehr normiert, daß das Gericht, das über den Anspruch auf Haftentschädigung entscheidet, vor der Beschlußfassung zwingend den Antragsteller oder den Verurteilten zu hören hat.

Der Wegfall der angefochtenen Wortfolge könnte die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen - auch nach Wegfall der Wortfolge würde eine mündliche Verhandlung immer noch nicht ausdrücklich angeordnet werden -, es würde darüberhinaus sogar die Folge eintreten, daß die Anhörung des Betroffenen nicht sichergestellt wäre. Die Aufhebung der Wortfolge im §6 Abs3 StEG würde somit nicht nur an der behaupteten Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung nichts ändern, sie würde ihr sogar einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren Inhalt geben, der im Ergebnis die behauptete Verfassungswidrigkeit im Lichte der geltend gemachten Bedenken sogar nach vertieft würde (vgl. VfSlg. 14740/1997).

...

... Das Oberlandesgericht Wien bringt gegen die von ihm angefochtenen Bestimmungen auf der Grundlage der beiden Urteile des EGMR in den Fällen Szücs und Werner gegen Österreich vom 22. November 1997 bzw. vom 24. November 1997 (siehe ÖJZ 1998/12) im wesentlichen vor, der gegen den Bund gerichtete Anspruch auf Ersatz des durch eine strafgerichtliche Anhaltung entstandenen Vermögensschadens sei nicht öffentlich-rechtlicher, sondern zivilrechtlicher Natur. Der Antragsteller hätte daher im Verfahren, in dem über den Anspruch auf Ersatz des Schadens abgesprochen werde, gemäß Art6 Abs1 EMRK das Recht auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung und öffentliche Verkündung der Entscheidung. Die angefochtenen Bestimmungen würden hingegen die vom EGMR geforderten Garantien ausschließen.

Dazu ist folgendes festzuhalten:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den zitierten Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Werner gegen Österreich und Szücs gegen Österreich festgehalten, daß es sich beim Anspruch auf Ersatz des durch eine strafgerichtliche Anhaltung entstandenen Vermögensschadens um ein 'civil right' handle. Das Verfahren über diese Frage hat demnach Art6 EMRK zu entsprechen.

Die Bundesregierung erlaubt sich, zunächst das in §6 StEG festgelegte System zu erläutern:

Nach §6 Abs2 StEG hat grundsätzlich das erkennende Gericht, das eine Person freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder neuerlich - zu einer milderen Strafe - verurteilt, von Amts wegen oder auf Antrag des Angehaltenen oder Verurteilten oder des Staatsanwaltes durch Beschluß festzustellen, ob die im §2 Abs1 litb oder c und Abs2 und 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind oder ob einer der im §3 StEG bezeichneten Ausschlußgründe vorliegt. Ist das Urteil aufgrund eines Wahrspruches der Geschworenen gefällt worden, so entscheidet der Gerichtshof gemeinsam mit den Geschworenen.

Es entspricht der eindeutigen Absicht des Gesetzgebers, daß grundsätzlich das erkennende Gericht (in einem öffentlichen Verfahren) über den Ersatzanspruch zu entscheiden hat, und nur in dem Fall, daß eine sofortige Beschlußfassung über den Anspruch durch das Geschworenen- oder Schöffengericht (oder durch das Rechtsmittelgericht) nicht möglich ist, an Stelle des erkennenden Gerichtes der Senat von drei Richtern (§13 Abs3 StPO) entscheiden soll (EB zur RV 1969, 1197 BlgNR XI. GP, 14). Dies drückt auch die Bestimmung des §6 Abs4 StEG aus, wonach der Beschluß über den Entschädigungsanspruch erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung zuzustellen ist, mit der der Angehaltene oder Verurteilte freigesprochen, außer Verfolgung gesetzt oder gelindert verurteilt wird, die Rechtskraft dieser Entscheidung mithin nicht voraussetzt. Dementsprechend hat auch das Bundesministerium für Justiz in seinem Erlaß vom 12. April 1994, JABl. Nr. 22, eine sofortige Beschlußfassung über den Entschädigungsanspruch im Anschluß an die Entscheidung in der Strafsache selbst empfohlen.

Die geltende Rechtslage zeigt somit, daß die Entscheidung über einen Entschädigungsanspruch in öffentlicher mündlicher Verhandlung (mit öffentlicher Verkündung des Beschlusses) der Regelfall sein sollte.

Wenngleich es zutrifft, daß jene Fälle, in denen zwingend eine öffentliche mündliche Verhandlung nach der StPO durchzuführen sind, im Gesetz abschließend geregelt sind, so schließt dennoch §6 Abs3 StEG eine öffentliche Verhandlung über den Anspruch in jenem Fall, in dem eine Entscheidung durch das erkennende Gericht nicht sofort möglich ist, nicht aus. Es ist zwar zuzugeben, daß in der Praxis keine mündlichen Verhandlungen durchgeführt werden. Dennoch wäre eine solche rechtlich nicht ausgeschlossen.

Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der EGMR im Fall Werner nicht zu entscheiden hatte, ob die österreichische Rechtslage dem Art6 EMRK entspricht, sondern ob die beiden konkreten Verfahren in Übereinstimmung mit der genannten Konventionsbestimmung abgeführt worden sind (Z48).

Der vom antragstellenden Gericht vorgenommene Umkehrschluß, in allen Fällen, in denen keine mündliche Verhandlung durch das Gesetz vorgeschrieben sei, müsse eine solche unterbleiben, ist damit nicht zwingend. Wie bereits ... ausgeführt, schließt §6 Abs3 StEG eine mündliche Verhandlung nicht explizit aus, diese Bestimmung ist vielmehr einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

§6 Abs3 StEG wird daher in verfassungskonformer Weise dahingehend zu interpretieren sein, daß neben der Verpflichtung, den Angehaltenen oder Verurteilten zu hören, jedenfalls eine mündliche, öffentliche Verhandlung durchzuführen ist. Damit wäre jedoch insoweit die Vereinbarkeit des Entschädigungsverfahrens mit Art6 EMRK gegeben."

3.2.3. Zur beantragten Aufhebung der Worte "nicht kundzumachende" sieht die Bundesregierung von einer meritorischen Stellungnahme ab.

3.2.4. Für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen ersucht die Bundesregierung um die Einräumung einer Frist von einem Jahr für die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen.

4.1. Die Partei des dem Erstantrag des Oberlandesgerichtes Wien zugrunde liegenden Verfahrens hat eine Äußerung zum Antrag des Oberlandesgerichtes abgegeben:

Der Entschädigungswerber tritt in seiner Äußerung dem Antragsvorbringen des Oberlandesgerichtes im wesentlichen bei. Er hält jedoch eine weitergehende Aufhebung für notwendig, weil auch jener Halbsatz des §6 Abs3 StEG, der eine neuerliche Aufnahme von Beweisen verbietet, die im Strafverfahren bereits erhoben wurden, angesichts der Verschiedenheit der Verfahren und ihrer Gegenstände mit Art6 EMRK unvereinbar sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Anträge erwogen:

1.1. Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes auf Antrag eines zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gerichtes, wenn dieses in der bei ihm anhängigen Rechtssache das betreffende Gesetz anzuwenden hat oder hätte. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines über Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens ist somit die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine diesbezügliche Entscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde.

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag i.S.d. Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

2.1. Hinsichtlich der Wortfolge "oder Verurteilte" ist letzteres der Fall:

Das antragstellende Oberlandesgericht hat in keinem der Anlaß gebenden Fälle über die gemäß §6 Abs5 StEG erhobene Beschwerde einer Person zu entscheiden, die von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt wurde. Vielmehr ist in allen zugrunde liegenden Fällen der Beschuldigte freigesprochen oder das Strafverfahren eingestellt worden. Die Wortfolge "oder Verurteilte" kann daher denkmöglich in den Anlaß gebenden Verfahren vom Oberlandesgericht nicht anzuwenden sein. Aus diesem Grund sind die Anträge insoweit zurückzuweisen, als sie die Aufhebung auch dieser Wortfolge begehren.

2.2. Hinsichtlich der verbleibenden Wortfolgen ist die Annahme des Oberlandesgerichtes nicht denkunmöglich, sie seien bei Überprüfung der Entscheidung des Erstgerichtes auch vom Rechtsmittelgericht anzuwenden. Die Anträge des Oberlandesgerichtes Wien sind daher im übrigen zulässig.

3. In einem auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahren kommt den Parteien des Ausgangsverfahrens keine Berechtigung zu, den Gegenstand des Verfahrens durch eigenes Vorbringen einzuschränken oder zu erweitern.

Auf die über den Antrag des Oberlandesgerichtes hinausgehende Anregung der mitbeteiligten Partei, eine weitere Wortfolge in §6 Abs3 StEG als verfassungswidrig aufzuheben, ist daher schon deshalb nicht weiter einzugehen.

III. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1.1. Art6 Abs1 EMRK lautet:

"Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen, oder, und zwar unter besondern Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang."

1.2. Österreich hat zu dieser Bestimmung gemäß Art64 EMRK einen Vorbehalt abgegeben. Dieser Vorbehalt lautet:

"(D)ie Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention (werden) mit der Maßgabe angewendet ..., daß die in Artikel 90 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung 1929 festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden."

1.3. Art90 Abs1 B-VG lautet:

"Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz."

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat auf Grund eines von einem Gericht eingebrachten Antrages die jeweils angefochtene Bestimmung nicht in jede Richtung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Der Gerichtshof ist vielmehr in einem solchen Verfahren an die vom Gericht geltend gemachten Bedenken gebunden und hat lediglich zu überprüfen, ob die behauptete Verfassungswidrigkeit der jeweils angefochtenen Bestimmung vorliegt bzw. vorgelegen ist.

2.2. Das Oberlandesgericht führt nun aus, die Strafprozeßordnung bestimme sowohl für das Verfahren erster Instanz als auch für das Rechtsmittelverfahren jene Fälle, in denen eine öffentliche Verhandlung stattzufinden hat, taxativ. Ausgehend von dieser Prämisse könnte allerdings eine allfällige Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Verfahren über die Anspruchsberechtigung nach dem StEG auch durch Aufhebung der (nach Zurückweisung der Anträge, soweit sie sich auf die Wortfolge "oder Verurteilte" beziehen verbleibenden) angefochtenen Wortfolge des §6 Abs3 leg. cit. nicht beseitigt werden, weil dadurch die - nach Auffassung des antragstellenden Oberlandesgerichtes abschließende - Regelung über die Durchführung mündlicher Verhandlungen nicht erweitert würde.

Trifft aber die Prämisse des antragstellenden Oberlandesgerichtes nicht zu, dann steht jedenfalls die angefochtene Wendung, nach der der Angehaltene vor der Entscheidung "zu hören" ist, einer - schon im Hinblick auf Art90 Abs1 B-VG gebotenen - Interpretation nicht im Wege, nach der zwar eine Verhandlung ohne Anhörung des Entschädigungswerbers ausgeschlossen, die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung aber zulässig wäre.

Es war daher - ausgehend von den vorgebrachten Bedenken - dem Antrag auf Aufhebung der (verbleibenden) Wortfolge "ist der Angehaltene zu hören und es" schon deshalb nicht stattzugeben.

3.1. Auf Grund des österreichischen Vorbehaltes zu Art6 EMRK sind gesetzliche Ausnahmen von der Öffentlichkeit eines gerichtlichen Verfahrens mit Art6 EMRK grundsätzlich vereinbar (vgl. VfSlg. 11569/1987, 11795/1988, 11855/1988, 12929/1991, jeweils bezogen auf Verwaltungsverfahren). Dies gilt schon wegen der Bezugnahme des Vorbehaltes auf Art90 B-VG auch (und in erster Linie) für gerichtliche Verfahren.

3.1.1. Nun hat zwar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer §39 VwGG betreffenden Entscheidung ausgesprochen, daß der österreichische Vorbehalt zu Art6 EMRK gesetzlichen Regelungen, die Einschränkungen der Öffentlichkeit eines Verfahrens über "civil rights" oder strafrechtliche Anklagen vorsehen, nur insoweit Deckung bietet, als diese Bestimmungen im Zeitpunkt der Abgabe des Vorbehaltes schon in Geltung standen (EGMR vom 26. 4. 1995, 52/1993/447/526, Serie A/312, Fischer gegen Österreich = JBl. 1996, 240).

Der EGMR hielt es aber in dieser Entscheidung grundsätzlich für zulässig, auch spätere Bestimmungen auf den Vorbehalt zu stützen, wenn im wesentlichen gleichartige Vorläuferbestimmungen im Zeitpunkt der Abgabe des Vorbehaltes bestanden haben.

3.1.2. Das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz wurde 1969 (also nach der Erklärung des Vorbehaltes Österreichs zu Art6 EMRK im Jahre 1958) erlassen. Dieses Gesetz löste das Gesetz vom 18. August 1918, RGBl. Nr. 318, über die Entschädigung für Untersuchungshaft und das Bundesgesetz vom 2. August 1932, BGBl. Nr. 242, über die Entschädigung ungerechtfertigt verurteilter Personen, beide novelliert mit BGBl. Nr. 240/1950, ab. Diese Gesetze enthielten der nunmehr angefochtenen Verfahrensbestimmung des §6 Abs4 erster Satz StEG gleichende Regelungen:

a) §3 des Gesetzes vom 18. August 1918 über die Entschädigung für Untersuchungshaft, das die Fälle des Freispruches und der Einstellung des Verfahrens betraf, lautete auszugsweise:

"§3. (1) Über die Verpflichtung des Staates zur Entschädigung beschließt im Falle eines Freispruches das Gericht sofort durch einen nicht kundzumachenden, sondern dem Freigesprochenen nach Rechtskraft des Urteiles zuzustellenden Beschluß. Diese Vorschrift ist entsprechend anzuwenden, wenn der Verhaftete durch Beschluß des Gerichtes außer Verfolgung gesetzt wird; im Verfahren vor dem Gerichtshof entscheidet dann die Ratskammer.

..."

Durch die Novelle BGBl. Nr. 240/1950 wurde zwischen den zitierten Sätzen folgender, im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter interessierender Satz eingefügt:

"Ist das freisprechende Urteil auf Grund eines die Schuld des Angeklagten verneinenden Wahrspruches der Geschwornen gefällt worden, so entscheidet der Gerichtshof gemeinsam mit den Geschwornen (§303 StPO)."

b) §3 des Bundesgesetzes vom 2. August 1932 über die Entschädigung ungerechtfertigt verurteilter Personen lautete, inhaltlich im wesentlichen gleich, in seinem von der Novelle aus 1950 unberührt gebliebenen Teil auszugsweise wie folgt:

"§3. (1) Über die Verpflichtung des Bundes zur Entschädigung entscheidet das Gericht, das den Verurteilten freispricht oder nach einem milderen Gesetz zu einer geringeren Strafe verurteilt oder das Verfahren einstellt, sofort durch einen nicht kundzumachenden, sondern dem Beteiligten nach Rechtskraft der Entscheidung zuzustellenden Beschluß. Wird das Verfahren durch Beschluß des Untersuchungsrichters eingestellt, so beschließt über die Verpflichtung des Bundes zur Entschädigung die Ratskammer. ..."

Im Zeitpunkt der Abgabe des Vorbehaltes zu Art6 EMRK haben also Vorschriften gegolten, die einer Kundmachung der Entscheidung über den Anspruch auf Entschädigung für zu Unrecht erlittene Anhaltung oder Haft entgegenstanden. Der Vorbehalt zu Art6 EMRK kann daher auch auf die später erlassene, inhaltlich gleichartige Nachfolgebestimmung des §6 Abs4 erster Satz StEG angewendet werden.

3.1.3. In den vom Oberlandesgericht Wien zitierten (verurteilenden) Entscheidungen des EGMR hat dieser Vorbehalt deswegen keine Rolle gespielt, weil sich Österreich im Verfahren vor dem EGMR auf diesen Vorbehalt nicht (rechtzeitig) berufen hat (vgl. §42 des Urteils Werner gegen Österreich). Dadurch ist aber die Entscheidung über die Konventions- und Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die Haftentschädigung nicht präjudiziert. Dies umso weniger, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht die Konventionskonformität der österreichischen Rechtslage, sondern nur die Frage einer im Einzelfall erfolgten Konventionsverletzung durch das Vorgehen der österreichischen Behörden zu beurteilen hatte (§48 des genannten Urteils).

3.2. Der österreichische Vorbehalt zu Art6 EMRK umfaßt nicht nur die Öffentlichkeit des Verfahrens, sondern auch die Verkündung der Entscheidung des für zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen oder strafrechtliche Anklagen zuständigen Gerichtes.

Demnach sind von diesem Vorbehalt gedeckte gesetzliche Bestimmungen, die im Einklang mit Art90 B-VG Ausnahmen von der durch diese Bestimmung grundsätzlich angeordneten Verkündung gerichtlicher Entscheidungen vorsehen, im Hinblick auf Art6 EMRK unproblematisch. Daß die angefochtene Wortfolge in §6 Abs4 erster Satz StEG mit Art90 B-VG in Widerspruch stehen würde, wird vom antragstellenden Oberlandesgericht nicht behauptet und ist auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht hervorgekommen.

3.3. Aus diesen Gründen ist dem Antrag auch insoweit nicht stattzugeben, als er die Aufhebung der Worte "nicht kundzumachende" in §6 Abs4 erster Satz StEG begehrt.

4. Die beantragten Kosten waren der beteiligten Partei des zu G259/98 registrierten Verfahrens schon deswegen nicht zuzusprechen, weil es im Falle von - wie hier - auf Grund von Gerichtsanträgen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren Aufgabe der antragstellenden Gerichte ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für ihre Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. VfSlg. 10832/1986 mwN).

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 erster Satz VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verfahren, VfGH / Beteiligter, Strafrecht, Entschädigung Haft-, Haftentschädigung, VfGH / Kosten, Öffentlichkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G259.1998

Dokumentnummer

JFT_10008790_98G00259_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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