TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2002/01/0579

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2003
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des K alias K in P, geboren 1958, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. August 2002, Zl. 215.351/0- VIII/22/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus der im serbischen Teil des Sandzak gelegenen Stadt Tutin, ist moslemischen Glaubens und gehört der bosnischen Volksgruppe an. Gemäß seinen Angaben reiste er am 4. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein und begab sich in der Folge in die Bundesrepublik Deutschland. Von dort wurde er in Anwendung des Dubliner Übereinkommens am 6. Dezember 1999 nach Österreich rücküberstellt, wo er daraufhin die Gewährung von Asyl beantragte. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 17. Dezember 1999 schilderte er seine Fluchtgründe wie folgt:

"...

Ich habe die Heimat verlassen, weil ich von den Behörden

verfolgt wurde.

...

Am 30.03.1999 ist ein Polizist zu mir nach Hause gekommen und hat mir gesagt, dass er beauftragt wurde, mich zu verhaften.

F: Warum hat man sie verhaften wollen bzw. lag ein Haftbefehl gegen Sie vor?

A: Ich weiß das auch nicht. Es könnte sein, dass ich als Angehöriger der SDA verhaftet werden sollte, aber ich weiß es wirklich nicht. Es könnte auch sein, dass ich verhaftet werden sollte, dass ich 40 - 50 Kosovo-Albanern geholfen habe, nach Montenegro zu gelangen. Der Polizist hat mich jedoch nicht mitgenommen, weil dieser ein Freund von mir war. Er hat gemeint, dass ich am 31.3.1999 in der Früh an der Grenze sein sollte, und ich dann das Land verlassen könnte.

Vorhaltung: Ihre Aussage ist nicht glaubwürdig, weil kein Polizist Ihnen den Grenzübergang ermöglichen kann.

A: Ich bin nach Montenegro gefahren und zwischen Serbien und Montenegro gibt es keine Grenze.

...

Vorhaltung: Ihre Gründe für Ihre Ausreise sind weiters unglaubwürdig, weil der Polizist am 30.03.1999 gekommen sein will, Ihre Frau mit den Kindern jedoch schon am 27.3.1999 die Heimat verlassen hat. Vor allem aber wird Ihre Aussage dadurch unglaubwürdig, dass sie im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesasylamt in der BRD in Piding am 7.5.1999 die Aussage tätigten, dass Sie die verlassen haben, in der Hoffnung, dass die NATO die Serben vertreiben würde. Auch meinten Sie damals, dass Sie Ihre Familie deshalb zum Onkel der Frau geschickt zu haben. Es ist offensichtlich, dass Sie hier etwas vorbringen, was nicht den Tatsachen entspricht bzw. etwas vorbringen, um Ihren Asylantrag zu begründen. Sie werden an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass Angaben, die nicht den Tatsachen entsprechen, zur Ablehnung des Asylantrages führen. Ihre Antwort bitte!

A: Die NATO habe ich nur erwähnt, weil die NATO Jugoslawien bombardiert hat. Ich kann auch eine Ladung vorlegen, wonach ich mich am 26.11.1998 beim Gericht melden sollte. Auch habe ich eine Vorladung zum Gemeindegericht in Tutin für den 25.3.1999.

F: Aus welchen Gründen wurden Sie zu einem Gericht geladen bzw. haben Sie den Ladungen Folge geleistet.

A: Ich weiß es nicht. Der letzten Ladung habe ich keine Folge geleistet. Bei der Ladung am 26.11.1998 kann ich mich nicht mehr erinnern, ob ich der Ladung Folge geleistet habe oder nicht (wortwörtlich). Aber ich glaube, dass ich nicht dort war. Ich weiß nicht, worum es ging.

Vorhaltung: Nach gesicherten Erkenntnissen der Behörde ist es eine notorische Tatsache, dass in Jugoslawien Dokumente, aber auch Gerichtsladungen etc., gegen Entgelt käuflich zu erwerben sind. Zudem lassen die von Ihnen vorgelegten Ladungen zumindest in einem Fall den Schluss der Bedenklichkeit zu. ...

A: Beide sind echt und original (wortwörtlich). Nahezu jede Woche erhielt ich derartige Ladungen.

F: Wenn Sie so viele Ladungen erhalten haben wollen, so stellt sich doch die Frage, warum man Sie einerseits nicht zwangsweise dem Gericht oder der Behörde vorgeführt hat und andererseits Sie selbst nicht eigene Nachforschungen ob der Häufigkeit der Ladungen bei Gericht oder Behörde vorgenommen haben bzw. durch einen Anwalt haben vornehmen lassen. Ihre Erklärung!

A: 100 mal wurde ich vorgeführt (wortwörtlich!).

Vorhaltung: Aufgrund Ihrer behaupteten Vorführungen ist es absolut nicht glaubwürdig, dass nicht einmal eine Gerichtsverhandlung stattgefunden hat. Sie werden an dieser Stelle nochmals an die Wahrheitspflicht im Asylverfahren aufmerksam gemacht!

A: Doch ich war oft bei den Gerichtsverhandlungen (wortwörtlich).

Vorhaltung: Nachdem Sie 'oft' bei Gerichtsverhandlungen gewesen sein wollen, ergibt sich die Frage nach Verurteilungen bzw. welchen Strafen sie zugeführt wurden.

A: Ich wurde oft verurteilt. Ich kann jedoch keine Urteile vorlegen.

F: Aus welchen Gründen wurden Sie jeweils verurteilt bzw. wie oft erfolgte eine Verurteilung?

A: Oft war die Verurteilung eine Geldstrafe. Oft wurde ich wegen des Kiosk verurteilt (wortwörtlich).

F: Bitte antworten Sie auf die gestellte Frage, warum genau Sie verurteilt wurden!

A: Ich wurde z.B. verurteilt, weil an einem Artikel kein Preis gestanden hat. Einmal habe ich einem Serben mit einem Stock auf den Kopf geschlagen, weil er versucht hat, meine Schwester zu vergewaltigen. Oft wurde ich beschuldigt, betrunken mit dem Auto gefahren zu sein. Sogar wegen Falschparkens wurde ich vorgeladen.

Vorhaltung: Es ist nicht glaubwürdig, dass Sie eine Vorladung wegen Falschparkens vom Gericht erhalten haben!

A: Es war immer das Gericht (wortwörtlich!). Das ist möglich

bei uns.

F: Können Sie dazu noch etwas anführen?

A: Mir fällt nichts mehr ein.

F: Haben Sie sonst noch etwas vorzubringen, was Ihnen wichtig

für das Verfahren erscheint?

A: Ich hätte Angst, dass ich im Falle einer Rückkehr

umgebracht werde.

F: Von wem sollten Sie umgebracht werden?

A: Die serbische Polizei.

Vorhaltung: Die Todesstrafe ist in der BR Jugoslawien schon

seit Jahren abgeschafft!

A: Vom Gesetz her schon, aber praktisch nicht. Sie kommen in der Nacht und bringen einen um."

Das Bundesasylamt ließ die vom Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme vorgelegten Ladungen auf ihre Echtheit überprüfen. Im Untersuchungsbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck, kriminaltechnischer Dienst, vom 14. Jänner 2000 wurde diesbezüglich ausgeführt, dass zu den vorliegenden Untersuchungsgegenständen weder authentische Vergleichsstücke noch entsprechende Ausführungsbeschreibungen existierten, weshalb hinsichtlich der Echtheit keine letztlich verlässliche Aussage getroffen werden könne; in den beiden Dokumenten hätten (allerdings) keine konkreten Merkmale vorgefunden werden können, welche auf das Vorliegen von allfälligen nachträglich vorgenommenen Veränderungen (= Verfälschungen) hinweisen würden.

Mit Bescheid vom 24. Jänner 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach BR Jugoslawien" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es traf - gestützt auf "zur Verfügung stehende eigene Dokumentationsunterlagen und auf die in internationalen Medien verbreiteten Nachrichten" - Feststellungen zur Verfassung, zum Strafrecht und zum Gerichtssystem der Bundesrepublik Jugoslawien; weiters stellte es fest, "Meldungen über politische Verfolgung in Montenegro dort lebender Minderheiten, über erhebliche Diskriminierungen oder andere Repressionsmaßnahmen liegen nicht vor". Bezüglich des Vorbringens des Beschwerdeführers führte das Bundesasylamt aus, dass es weder glaubhaft noch nachvollziehbar sei, dass dieser im Fall der Rückkehr von der serbischen Polizei umgebracht werde. Auch bezüglich der behaupteten Verfolgung "seitens der Behörde" werde jede asylrelevante Verfolgung in Abrede gestellt. Mit der nach diversen Vorhaltungen und Nachfragen zum Vorschein gekommenen Verfolgung seitens der Behörden des Heimatstaates - keine Preisbeschilderung der Artikel, Schlagen eines Serben mit einem Stock auf den Kopf, Trunkenheit am Steuer, Falschparken - habe der Beschwerdeführer keine maßgebliche Verfolgungsgefahr glaubhaft darlegen können. Zudem mangle es seinen weiteren Ausführungen an der Glaubwürdigkeit; die Angaben des Beschwerdeführers seien zum Teil sehr vage gehalten, und er habe erst nach mehrmaligen Nachfragen eine konkrete Erklärung für behauptete Verurteilungen vorzubringen vermocht. Es entspreche jedoch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich Menschen, die für ihr Leben einschneidende Erlebnisse hinter sich hätten, sehr wohl auch an Einzelheiten erinnerten und diese lange Zeit nicht vergessen und verarbeiten könnten; der Beschwerdeführer selbst habe sich jedoch von den vergangenen Ereignissen wenig beeindruckt gezeigt, habe obskure Vermutungen aufgestellt und erst nach mehrmaligem Nachfragen einige Hinweise auf behauptete Verurteilungen liefern können.

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungsmaßnahmen seitens der Behörden seines Heimatlandes lediglich im Zusammenhang mit der Begehung strafbarer Handlungen gestanden hätten; ein Einschreiten staatlicher Behörden sei in solchen Fällen nicht als Verfolgung anzusehen, zumal keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Beschwerdeführer aus einem der in § 7 AsylG angeführten Gründe zu einer gegenüber dem üblichen Strafausmaß unangemessen überhöhten Strafe verurteilt worden wäre. Der Asylantrag sei somit abzuweisen gewesen, auch eine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG könne nicht erkannt werden.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Sie gab zunächst die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt wieder und führte aus, dass bei Untersuchung der von ihm vorgelegten Gerichtsladungen keine eindeutigen Hinweise auf eine Fälschung hätten gefunden werden können. Weiters stellte die belangte Behörde den wesentlichen Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides - insofern fehlerhaft, als vorerst die Erwägungen des Bundesasylamtes dergestalt wiedergegeben werden, es habe die Angaben "zum Fluchtgrund" als glaubwürdig angesehen - dar und erklärte, hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung auf die zutreffenden Darlegungen dieses Bescheides zu verweisen. In rechtlicher Hinsicht sei vorauszuschicken, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers von der ersten Instanz - zutreffend - als unglaubwürdig qualifiziert worden sei und dass sich aus diesem Vorbringen auch kein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ genannten Verfolgungsgründen ergebe. Weiters sei hervorzuheben, dass sich die BR Jugoslawien nach dem Sturz von Milosevic und der Wahl Kostunicas zum Staatspräsidenten und den darauf folgenden Parlamentswahlen in einem fortschreitenden Demokratisierungsprozess befinde und danach trachte, die Menschenrechtssituation (auch der ethnischen Minderheiten) zu verbessern und Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden; dieser Prozess habe sich zwischenzeitig in positiver Weise fortgesetzt. Insgesamt sei die Berufung daher abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung auf den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes verwiesen und - im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung - resümierend ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig qualifiziert worden sei. Dem erstinstanzlichen Bescheid ist indes nicht mit Klarheit zu entnehmen, ob das gesamte Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers zum Fluchtgrund als unzutreffend erachtet wurde. Die Erwägungen betreffend die "nach diversen Vorhaltungen und Nachfragen zum Vorschein" gekommene Verfolgung seitens der (jugoslawischen) Behörden im Zusammenhang mit fehlender Preisbeschilderung u.a. könnten nämlich auch so verstanden werden, dass das Bundesasylamt diese Ausführungen des Beschwerdeführers für wahr erachtet habe. Unabhängig davon stellt sich die erstinstanzliche Beweiswürdigung aus nachstehenden Gründen als unschlüssig dar, weshalb die belangte Behörde im Übrigen eine Berufungsverhandlung durchzuführen gehabt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0111). Die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesasylamtes beschränken sich im Ergebnis darauf, dass die Angaben des Beschwerdeführers zum Teil sehr vage gehalten seien und dass er erst nach mehrmaligem Nachfragen eine konkrete Erklärung für behauptete Verurteilungen vorzubringen vermocht habe, von den vergangenen Ereignissen wenig beeindruckt gewesen sei sowie obskure Vermutungen aufgestellt habe. Diese Überlegungen stellen indes keine ausreichend adäquate Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers dar bzw. werden seinem Vorbringen nur teilweise gerecht. So ist etwa darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer keine erkennbar für sein Leben "einschneidende Erlebnisse" geschildert hat, die - so das Bundesasylamt - typischerweise "lange Zeit nicht vergessen und verarbeitet" werden können; dass er "von den vergangenen Ereignissen wenig beeindruckt" gewesen sei, ist daher wenig aussagekräftig. Vor allem aber hätte es einer näheren Beschäftigung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Gerichtsladungen bedurft. Wenn die belangte Behörde dazu ausführt, es hätten keine eindeutigen Hinweise auf eine Fälschung gefunden werden können - was eine Bedenklichkeit dieser Urkunden indiziert - , so stellt sie das Ergebnis des Untersuchungsberichtes der Bundespolizeidirektion Innsbruck, kriminaltechnischer Dienst, vom 14. Jänner 2000 nicht korrekt dar. Darin ist zwar zunächst davon die Rede, dass weder authentische Vergleichsstücke noch entsprechende Ausführungsbeschreibungen existierten, weshalb hinsichtlich der Echtheit keine letztlich verlässliche Aussage getroffen werden könne. Der Bericht schließt allerdings damit, dass in den beiden Gerichtsladungen keine konkreten Merkmale vorgefunden werden konnten, welche auf das Vorliegen von allfälligen nachträglich vorgenommenen Veränderungen (= Verfälschungen) hinweisen würden. Von einer Bedenklichkeit dieser Gerichtsladungen hätte daher nicht ohne Weiteres ausgegangen werden dürfen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die dargestellten beweiswürdigenden Überlegungen keine Erklärung dafür bieten können, warum etwa die Angabe des Beschwerdeführers, er sei Angehöriger der SDA, nicht der Wahrheit entsprechen solle. Soweit seitens des die Einvernahme vom 17. Dezember 1999 durchführenden Beamten des Bundesasylamtes über die dargestellten beweiswürdigenden Erwägungen hinaus Argumente gegen die Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ins Treffen geführt worden sind, haben diese im Bescheid des Bundesasylamtes und damit im nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde keinen Niederschlag gefunden.

Käme dem Vorbringen des Beschwerdeführers uneingeschränkt Glaubwürdigkeit zu, so könnte aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht ohne weiteres gesagt werden, es fehle die Asylrelevanz. Der Beschwerdeführer hat nämlich u.a. darauf hingewiesen, dass er Angehöriger der SDA sei und dass er 40 - 50 Kosovo-Albanern geholfen habe, nach Montenegro zu gelangen. Eine aus diesen Gründen drohende Verhaftung wäre asylrechtlich zweifelsohne von Bedeutung. Zwar hat der Beschwerdeführer nur vermutet, dass die ihm am 30. März 1999 von einem befreundeten Polizist behauptetermaßen angekündigte Verhaftung auf diese Gründe zurückzuführen sei. Ohne weitere Ermittlungen zur Situation von Angehörigen der SDA und zu einer möglicherweise wegen der Unterstützung von Kosovo-Albanern drohenden Verfolgung durfte darüber jedoch nicht hinweggegangen werden. Dass im Zuge dieser Ermittlungen auch eine Beschäftigung mit dem Inhalt der vorgelegten Gerichtsladungen zweckmäßig erscheinen könnte, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Über das bisher Gesagte hinaus ist dem bekämpften Bescheid anzulasten, dass er sich nicht mit der Situation von Angehörigen der bosnischen Volksgruppe aus dem serbischen Teil des Sandzak beschäftigt. Er hält lediglich allgemein fest, dass sich die BR Jugoslawien in einem fortschreitenden Demokratisierungsprozess befinde und danach trachte, die Menschenrechtssituation (auch der ethnischen Minderheiten) zu verbessern und Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Im erstinstanzlichen Bescheid findet sich außerdem die - mangels gegenteiliger Äußerung offenbar ebenfalls in den Bescheid der belangten Behörde übernommene - Feststellung, wonach keine Meldungen über politische Verfolgung von in Montenegro lebenden Minderheiten bzw. über erhebliche Diskriminierungen oder andere Repressionsmaßnahmen vorlägen. Diese allgemeine Darstellung ist einerseits zu unscharf (zur Verpflichtung der Asylbehörden, sich dann, wenn diese Frage wie vorliegend eine Rolle spielen kann, mit der spezifischen Situation der konkreten Volksgruppe auseinander zu setzen, vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0176); andererseits geht sie am Thema vorbei, weil der Beschwerdeführer nicht aus Montenegro, sondern unstrittig aus dem serbischen Teil des Sandzak (der Gemeinde Tutin) stammt. Zusammenfassend leidet der bekämpfte Bescheid daher an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010579.X00

Im RIS seit

28.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten