TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/25 2001/01/0176

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Veröffentlicht am 25.03.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des Z in S, geboren 1964, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Februar 2001, Zl. 213.371/0- V/14/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der (damaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus Montenegro und ist moslemischen Glaubens. Er reiste am 26. Jänner 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund machte er geltend, als Moslem in Montenegro verfolgt zu werden; die Mitglieder des moslemischen Glaubens erhielten Einberufungsbefehle zur serbischen Armee und würden an die Front gestellt; er habe zwar nie einen Einberufungsbefehl erhalten, jedoch geahnt, dass er einen solchen bekommen würde;

dies sei der Grund für das Verlassen seiner Heimat gewesen; sonst sei er nie einer Verfolgung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen, die Verfolgung richte sich gegen die gesamte Volksgruppe;

für den Fall einer Rückkehr befürchte er keine Strafe, wohl aber unmenschliche Behandlung; die moslemische Bevölkerung würde immer von den Serben unterdrückt, er würde keine Arbeit bekommen.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Jugoslawien zulässig sei. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. In der in der Folge vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) durchgeführten Berufungsverhandlung vom 9. November 2000 gab der Beschwerdeführer gemäß dem in den Verwaltungsakten erliegenden Verhandlungsprotokoll u.a. Folgendes an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):

"VL: Sie haben angegeben, dass die Angehörigen der moslemischen Gruppe in Montenegro verfolgt werden?

BW: Ja, nicht direkt vom Staat, von schmutzigen Banden, von Tschetnikgruppen, von Leuten die nicht denken. Ich kann in diesem Staat einfach nicht leben, man kann sich frei auf der Straße nur während des Tages bewegen. Wir haben große Angst. ... Das sind die Hauptgründe, wir wollten nicht mehr in Angst leben wie Tiere. Im Feber d.J. hat man einen 27-jährigen Cousin von mir erstochen, ich befürchte, dass mir auch so etwas passiert. Es war ein Bosnienveteran. ...

VL: Wegen Ihrer Religion und Herkunft sind Sie aber keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen?

BW: Im Grunde genommen sind wir sehr wohl verfolgt worden, auch meine Frau als r.k. Christin ist verfolgt worden. Eine Bande hat einen Angriff auf unser Haus vorbereitet, der Angriff wurde vereitelt, weil der Führer dieser Bande selbst durch eine Bombe umkam.

VL: Durch den Staat waren Sie nie einer Verfolgung ausgesetzt wegen Ihrer Herkunft oder Ihres Glaubens?

BW: Nein, direkt nicht aber indirekt schon, der Staat hat

solche Entwicklungen nicht verhindert.

...

VL: Glauben Sie, dass Sie bestraft werden, weil Sie das Land vor Erhalt des Einberufungsbefehls verlassen haben?

BW: Ich weiß es nicht, es interessiert mich überhaupt nicht, ich habe das Leben in Montenegro abgeschlossen und beginne hier ein neues. Wenn ich zurückkehren würde, würde ich vielleicht erschossen werden. Ein Montenegriner, ich kenne ihn. Weil ich ein Moslem bin, würde ich erschossen werden. Ich hatte immer wieder Schlägereien mit Montenegrinern und auch mit Serben. Man fürchtet sich vor dem Tod, das ist das Ärgste. ..."

Mit Bescheid vom 26. Februar 2001 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt A); überdies stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei (Spruchpunkt B). Diesem Bescheid legte die belangte Behörde zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in Niksic, der zweitgrößten Stadt in Montenegro, gewohnt habe und vor seiner Flucht keiner konkreten individuellen Verfolgung von Seiten des Staates ausgesetzt gewesen sei. Sein Heimatland habe er wegen Spannungen zwischen Serben und Montenegrinern verlassen. Angehörige der moslemischen Gruppe sei nicht direkt vom Staat, sondern von "schmutzigen Banden, von Tschetnikgruppen" verfolgt worden. Dass versucht worden sei, den Beschwerdeführer zur jugoslawischen Bundesarmee einzuberufen, dass er konkrete Probleme mit dem Militär, der Polizei oder sonstigen Behörden gehabt hätte, oder dass gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen Nichtbefolgung eines Stellungsbefehles eingeleitet worden wäre, habe nicht festgestellt werden können.

Die belangte Behörde traf weiter Feststellungen zum jugoslawischen Wehrstrafrecht, zur Einberufungspraxis und zum konkreten Vorgehen der Militärbehörden gegenüber Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, insbesondere in Montenegro. Dazu führte sie abschließend aus, dass das Parlament in Belgrad ein Gesetz verabschiedet habe, das u.a. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure amnestiere.

In rechtlicher Hinsicht beschäftigte sich die belangte Behörde umfassend mit der behaupteten "Wehrdienstentziehung" des Beschwerdeführers. Bezugnehmend auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Spannungen zwischen Serben und Montenegrinern führte sie hingegen nur aus, dass allgemeinen Beeinträchtigungen, welchen Muslime aus Montenegro ausgesetzt seien, nicht die Qualifikation von asylrechtlich beachtlichen Diskriminierungen zukomme, da sie sowohl für sich allein als auch in ihrer Gesamtschau mangels Intensität nicht den Tatbestand einer Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten; davon, dass alle Muslime einer Verfolgung alleine auf Grund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit ausgesetzt wären, könne mangels dafür sprechender, aktueller Hinweise nicht ausgegangen werden. Aus der Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation des Beschwerdeführers sei daher nicht nachvollziehbar, dass gerade der Beschwerdeführer wegen eines ethnischen und religiösen Merkmales unzumutbaren Übergriffen ausgesetzt wäre. Auch aus dem Hinweis, dass er vor kriminellen Banden große Angst hätte - so die belangte Behörde abschließend im Rahmen ihrer Beurteilung nach § 8 AsylG -, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen. Davon, dass praktisch jedem serbischen Moslem, der in sein Heimatland abgeschoben werde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maße drohen würden, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erscheine, könne nach den allgemeinen und pauschalen Behauptungen des Beschwerdeführers nicht die Rede sein.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat sich umfassend mit der "wehrrechtlichen Situation" des Beschwerdeführers auseinander gesetzt. Sie gelangte diesbezüglich resümierend zu dem Ergebnis, dass vor dem Hintergrund der Berichte von Amnesty International vom Jänner und Februar 2001, wonach die Bundesrepublik Jugoslawien ein Amnestiegesetz verabschiedet habe, eine Verfolgungshandlung wegen Wehrdienstentziehung nahezu ausgeschlossen sei. Dem hält die Beschwerde entgegen, dass das Amnestiegesetz in Jugoslawien "nicht konsequenterweise durchgesetzt" werde und dass der Beschwerdeführer sohin bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit einer Verfolgung von Seiten der staatlichen Stellen zu rechnen hätte. Auf dieses Amnestiegesetz, welches in der Berufungsverhandlung nicht erörtert wurde und wozu dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren überhaupt kein Gehör eingeräumt worden ist, braucht indes - wie zur Problematik der Wehrdienstentziehung insgesamt - aus folgenden Gründen nicht näher eingegangen werden: Der Beschwerdeführer hat sich nämlich nicht nur auf den Gesichtspunkt "Wehrdienstentziehung" beschränkt, sondern darüber hinaus - sogar primär - geltend gemacht, dass er als Angehöriger der moslemischen Minderheit Verfolgung befürchten müsse. Damit hat sich die belangte Behörde nicht ausreichend beschäftigt. Zum einen hat sie keine näheren Feststellungen über die Situation von Moslems in Montenegro getroffen, weshalb ihre im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des bekämpften Bescheides getätigten Ausführungen, dass allgemeinen Beeinträchtigungen, welchen Muslime aus Montenegro ausgesetzt seien, nicht die Qualifikation von asylrechtlich beachtlichen Diskriminierungen zukomme, einer sachverhaltsmäßigen Grundlage entbehren. Zwar hat sie in der Folge auf mangelnde aktuelle Hinweise Bezug genommen, doch bleibt völlig offen, welche Ermittlungsschritte einen derartigen Befund rechtfertigten. Zum anderen aber lässt der bekämpfte Bescheid - worauf die Beschwerde erkennbar hinweist - völlig außer Acht, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Angriffshandlung "serbischer Banden" zur Sprache gebracht hat, nämlich einen versuchten Anschlag auf sein Haus, der letztlich nur deswegen vereitelt worden sei, weil der Führer der Bande selbst durch eine Bombe umgekommen sei. Von da her kann demnach nicht davon die Rede sein, es sei - so aber die belangte Behörde wörtlich - "nicht nachvollziehbar, dass gerade der Asylwerber wegen eines ethnischen und religiösen Merkmales unzumutbaren Übergriffen ausgesetzt wäre".

Indem die belangte Behörde die spezifische Situation des Beschwerdeführers als Moslem in Montenegro, insbesondere vor dem Hintergrund des behaupteten vorbereiteten Anschlages, nicht näher beleuchtet hat, hat sie den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine Zuerkennung von Umsatzsteuer neben dem Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand nicht in Betracht kommt.

Wien, am 25. März 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010176.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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