TE Vwgh Erkenntnis 2003/8/13 2002/11/0222

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Veröffentlicht am 13.08.2003
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Index

L94404 Krankenanstalt Spital Oberösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
14/02 Gerichtsorganisation;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASGG §65 Abs1 Z2;
ASVG §107;
ASVG §144;
ASVG §354 Z2;
ASVG §354;
ASVG §367 Abs2;
ASVG §367;
AVG §38;
KAG OÖ 1997 §55 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der P in T, vertreten durch Dr. Gerhard Schatzlmayr und Dr. Klaus Schiller, Rechtsanwälte in 4690 Schwanenstadt, Stadtplatz 29, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 16. September 2002, Zl. SanRL-51311/8-2002-Kie/Ws, betreffend Pflegegebühren (mitbeteiligte Partei: Konvent der Barmherzigen Brüder, 4020 Linz, Seilerstätte 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war ab 1. August 1991 als Beschäftigte der T. GmbH bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse angemeldet. In der Zeit vom 2. August 1992 bis 10. August 1992 befand sich die Beschwerdeführerin zur Entbindung in der von der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: Mitbeteiligte) betriebenen Krankenanstalt.

Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse bezahlte den von der Mitbeteiligten für den stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin verrechneten Betrag ("Entbindungspauschale").

Nach einer Beitragsprüfung stellte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse mit Bescheid vom 7. Juni 1994 fest, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich der gemeldeten Beschäftigung bei der T. GmbH nicht der Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und damit auch nicht der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei.

Mit Schreiben vom 30. Juni 1994 teilte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse der Mitbeteiligten mit, dass die Versicherung "rückwirkend storniert" worden sei und daher kein Leistungsanspruch bestehe. Es werde um Refundierung der zu Unrecht übernommenen Entbindungspauschale ersucht.

Im dritten Quartal 1994 führte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse eine "Gegenverrechnung" in der Weise durch, dass sie eigenmächtig bei der Bezahlung anderer offener Forderungen der Mitbeteiligten den offenen Betrag um den für die Beschwerdeführerin bezahlten Betrag verringerte.

Mit Rechnung vom 13. September 1994 schrieb die Mitbeteiligte der Beschwerdeführerin den Betrag von S 27.274,50 für den stationären Aufenthalt vom 2. bis 10. August 1992 vor.

Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Einspruch mit der Begründung, das Verfahren sei noch anhängig.

Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz gab dem Einspruch mit Bescheid vom 15. Mai 1995 keine Folge und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Zahlung des Betrages von S 27.274,50 an die Mitbeteiligte. In der Begründung stützte sich die Behörde auf das Schreiben der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 30. Juni 1994, dass keine Leistungspflicht bestehe, weil die Versicherung "rückwirkend storniert wurde".

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der darauf hingewiesen wurde, dass das Verfahren betreffend die Versicherungspflicht noch nicht abgeschlossen worden sei.

Der im Instanzenzug ergangene - die Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin verneinende - Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 17. Juni 1996 wurde mit hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 96/08/0230, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Mit Ersatzbescheid vom 9. Oktober 2001 gab der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen der Berufung der Beschwerdeführerin neuerlich keine Folge. Gegen diesen Ersatzbescheid vom 9. Oktober 2001 erhob die Beschwerdeführerin neuerlich (die zur hg. Zl. 2001/08/0210 protokollierte) Verwaltungsgerichtshofbeschwerde. Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit hg. Beschluss vom 11. Jänner 2002, Zl. AW 2001/08/0046-6, in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 22. Februar 2002, Zl. AW 2001/08/0046- 8, stattgegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 15. Mai 1995 keine Folge und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Zahlung von EUR 1.982,12 an die Mitbeteiligte. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, mit Bescheid vom 29. Dezember 1995 sei das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren betreffend die Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin ausgesetzt worden. Dieses Verfahren sei mit Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 9. Oktober 2001 rechtskräftig abgeschlossen worden. Dem Antrag, der dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sei mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Jänner 2002 nicht stattgegeben worden. Da nunmehr feststehe, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 1. August 1991 bis 19. Juni 1992 nicht der Pflichtversicherung unterlegen sei und daher zur Zeit des Krankenhausaufenthaltes, der in das Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz gefallen sei, keinen Leistungsanspruch gegenüber der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse gehabt habe, sei sie gemäß § 55 Abs. 1 des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes 1997 - O.ö. KAG 1997 zur Bezahlung der Pflegegebühren verpflichtet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt. In ihrer Gegenschrift bringt sie vor, dass ihr der genannte Berichtigungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 2002 nicht zugegangen sei. Sie weist weiters darauf hin, dass die gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 9. Oktober 2001 erhobene Beschwerde nichts an der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens betreffend die Versicherungspflicht ändere. Das ausgesetzte Verfahren sei daher fortzusetzen gewesen. Nach § 55 Abs. 1 O.ö. KAG 1997 sei zur Bezahlung der in einer Krankenanstalt aufgelaufenen Pflegegebühren in erster Linie der Patient selbst verpflichtet, sofern nicht eine andere physische oder juristische Person auf Grund sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen, sonstiger gesetzlicher Vorschriften oder vertraglich ganz oder teilweise dazu verpflichtet sei oder dafür Ersatz zu leisten habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei entscheidend, ob der Sozialversicherungsträger tatsächlich Ersatz leiste, nicht jedoch, ob er verpflichtet sei, Ersatz zu leisten. Die Ablehnung der Leistungspflicht durch den Sozialversicherungsträger begründe die Zahlungspflicht des Patienten. Dieser habe den Streit mit dem Träger der Sozialversicherung im Leistungsstreitverfahren auszutragen, nicht jedoch im Verfahren betreffend die Vorschreibung der Pflegegebühren.

Die Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall ist folgende Bestimmung des O.ö. KAG 1997 - es handelt sich dabei um die Wiederverlautbarung des O.ö. KAG 1976 - maßgebend:

"§ 55

Pflegegebühren, Sondergebühren; Verpflichtete

(1) Zur Bezahlung der in einer Krankenanstalt aufgelaufenen Pflege-(Sonder-)gebühren ist in erster Linie der Patient selbst verpflichtet, sofern nicht eine andere physische oder juristische Person auf Grund sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen, sonstiger gesetzlicher Vorschriften oder vertraglich ganz oder teilweise dazu verpflichtet ist oder dafür Ersatz zu leisten hat.

..."

Weiters sind folgende Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG von Bedeutung:

"Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen

§ 107. (1) Der Versicherungsträger hat zu Unrecht erbrachte Geldleistungen sowie Aufwendungen für Heilbehelfe und Anstaltspflege und an Stelle von Sachleistungen erbrachte Kostenersätze beziehungsweise bare Leistungen (§§ 131, 131a, 132 und 150) zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger (§ 106) beziehungsweise der Leistungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40) herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger (§ 106) beziehungsweise der Leistungsempfänger erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Geldleistungen sind ferner zurückzufordern, wenn und soweit sich wegen eines nachträglich festgestellten Anspruches auf Weiterleistung der Geld- und Sachbezüge herausstellt, dass sie zu Unrecht erbracht wurden.

(2) Das Recht auf Rückforderung nach Abs. 1

a) besteht nicht, wenn der Versicherungsträger zum Zeitpunkt, in dem er erkennen musste, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen hat;

b) verjährt binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist.

(3) Der Versicherungsträger kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände, insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers,

1.

auf die Rückforderung nach Abs. 1 verzichten;

2.

die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen zulassen.

...

Leistungssachen

§ 354. Leistungssachen sind die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um

1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs. 1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§ 245) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246) in Frage steht;

2. Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung.

...

Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen

§ 367. (1) Über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung ... ist ein Bescheid zu erlassen, wenn

...

(2) Abs. 1 ist entsprechend anzuwenden bei Entziehung, Versagung, Neufeststellung, Widerruf, Abfindung, Abfertigung oder Feststellung des Ruhens eines Leistungsanspruches, ferner bei Geltendmachung des Anspruches auf Rückersatz einer unrechtmäßig bezogenen Leistung, bei Aufrechnung auf eine Geldleistung oder Zurückhaltung der Ausgleichszulage."

Der Großteil der Beschwerdeausführungen zielt darauf ab zu zeigen, dass die belangte Behörde nicht berechtigt gewesen sei, trotz ihres rechtskräftigen Aussetzungsbescheides den angefochtenen Bescheid zu erlassen, weil der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 9. Oktober 2001 vom Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei.

Diesen Ausführungen ist die ständige Rechtsprechung zu den Wirkungen eines Aussetzungsbescheides entgegen zu halten, nach der die Partei kein subjektives Recht auf Nichterledigung des Verfahrens vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage hat (siehe dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), unter E. Nr. 128 bis 130 zu § 38 AVG zitierte Rechtsprechung). Auch die von der Beschwerdeführerin zitierten hg. Erkenntnisse vom 21. März 1985, Zlen. 85/08/0031 und 0032, und vom 30. Juni 1992, Zl. 91/11/0177, stehen im Einklang mit der genannten Rechtsprechung und sind nicht geeignet, die Auffassung der Beschwerdeführerin zu stützen.

Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift zutreffend erkannt, dass das genannte Verfahren betreffend die Versicherungspflicht in Wahrheit keine Vorfrage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung zum Gegenstand hatte, weil bei Ablehnung der Leistungspflicht durch den Sozialversicherungsträger der Patient zur Zahlung verpflichtet ist und die Auffassungsunterschiede zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger im Leistungsstreitverfahren auszutragen sind (siehe dazu das zu § 35 Abs. 1 O.ö. KAG 1976 - dieser Bestimmung entspricht nunmehr § 55 Abs. 1 O.ö. KAG 1997 - ergangene hg. Erkenntnis vom 27. April 1989, Zl. 86/09/0215, sowie die zu vergleichbaren Regelungen in den Krankenanstaltengesetzen anderer Bundesländer ergangenen hg. Erkenntnisse vom 15. Februar 1991, Zl. 90/18/0195, Slg. Nr. 13.378/A (Stmk.), vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0298 (NÖ), vom 21. Jänner 1997, Zl. 94/11/0090 (W), und vom 5. August 1997, Zl. 95/11/0351 (W)).

Im Beschwerdefall geht es aber nicht darum, dass der Sozialversicherungsträger seine Leistungspflicht abgelehnt hat. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat vielmehr ihre Leistungspflicht zunächst anerkannt und die Kosten für die Anstaltspflege der Beschwerdeführerin bezahlt. Kommt der Sozialversicherungsträger nach Erbringung der Leistung - wie im vorliegenden Fall nach Durchführung einer Beitragsprüfung - zur Auffassung, dass er die Leistung zu Unrecht erbracht hat, kann er die Leistung unter den Voraussetzungen des § 107 ASVG zurückfordern. Dazu bedarf es gemäß § 367 Abs. 2 in Verbindung mit § 354 Z. 2 ASVG der Erlassung eines Bescheides in Leistungssachen, gegen den gemäß § 65 Abs. 1 Z. 2 ASGG Klage bei den ordentlichen Gerichten eingebracht werden kann. Auch dieser Leistungsstreit ist zwischen den Parteien des Leistungsstreitverfahrens (rückfordernder Sozialversicherungsträger und Leistungsempfänger) auszutragen und nicht im Rahmen des Verfahrens betreffend Festsetzung der Pflegegebühren. Die genannten Vorschriften können durch die im Beschwerdefall gepflogene, eingangs beschriebene "Rückverrechnung" nicht umgangen werden.

Aus den dargelegten Gründen folgt, dass die Pflegegebühren für den stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Zeit vom 2. bis 10. August 1992 von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse bezahlt worden sind. Dies hatte gemäß § 43 Abs. 1 O.ö. KAG 1976 zur Folge, dass gegen die Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Pflegegebühren für die Dauer der vom Versicherungsträger gewährten Anstaltspflege besteht.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 13. August 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002110222.X00

Im RIS seit

11.09.2003

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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