TE Vwgh Erkenntnis 2003/10/15 2001/08/0195

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2003
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §47 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §52 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Y in W, vertreten durch Dr. Barbara Pesce-Cihlar, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Naglergasse 6/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 18. Juni 2001, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2001-5636, betreffend Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 9. November bis 19. Dezember 2000, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 29. Mai 2000 beim Arbeitsmarktservice Metall-Chemie die Zuerkennung von Arbeitslosengeld.

In dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt befindet sich (bezogen auf den im Beschwerdefall relevanten Zeitraum) zunächst dieser Antrag (GF18/21), sodann ein Aktenvermerk zu § 7 Abs. 3 AlVG für drittstaatsangehörige Leistungswerber und Leistungswerberinnen (GF18/22), eine undatierte Krankenscheinanforderung (GF19/23), eine Arbeitsbescheinigung der Firma C. vom 6. Dezember 2000 betreffend ein Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers am 9. November 2000 (GF21/24) sowie ein Auszug "PST-Dienstverhältnisse" vom 28. Dezember 2000 (GF22/25).

Weiters erliegt eine Bezugsbestätigung des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste vom 20. November 2001 (also bereits nach Erlassung des angefochtenen Bescheides) im Verwaltungsakt (40), aus der ersichtlich ist, dass für den Beschwerdeführer in der Zeit von 29. Mai bis 31. Dezember 2000 folgende Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung vorgemerkt waren:

"29.05.2000

22.07.2000

Arbeitslosengeld

(...)

23.07.2000

08.11.2000

Notstandshilfe

(...)

23.12.2000

31.12.2000

Notstandshilfe

(...)"

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2000 traf das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste folgende Entscheidung:

"Auf Grund ihrer Eingabe wird festgestellt, dass Ihnen Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 und gemäß § 58 in Verbindung mit den §§ 44 und 46 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 in geltender Fassung, ab dem nachstehend angeführten Tag gebührt:

20.12.2000"

Begründend wurde nach einer auszugsweisen Wiedergabe von Inhalten der im Spruch angeführten Gesetzesbestimmungen ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe Folgendes ergeben:

"Sie haben sich erst am 20122000 wieder beim Arbeitsmarktservice persönlich nach dem Dienstverhältnis bei der Firma C. gemeldet weshalb der Anspruch auf Leistung erst ab 20122000 gebühren würde."

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und machte geltend, dass er am 9. November 2000 bei der Firma C., einer Leihfirma, wegen eines Dienstverhältnisses vorstellig geworden sei. Das Dienstverhältnis sei jedoch nicht zu Stande gekommen, er habe keine Minute für diese Firma gearbeitet. Er sei vielmehr noch am selben Tag bei einer Firma M. in Wels gewesen und habe sich dort vorgestellt. Eine diesbezügliche Bestätigung legte der Beschwerdeführer seiner Berufung bei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Der Beschwerdeführer habe in einer Einvernahme vor der belangten Behörde am 20. April 2001 angegeben, dass er zwar am Morgen des 9. November 2000 bei der Einsatzfirma mit einem Mitarbeiter der Firma C. gewesen, ein Dienstverhältnis jedoch nicht zu Stande gekommen sei, weil er, nachdem er ca. eine halbe Stunde auf einen zuständigen Einsatzleiter gewartet habe, über eine Telefonzelle der Firma C. mitgeteilt habe, dass er bei der vorgesehenen Einsatzfirma nun doch nicht arbeiten wolle. Er sei mit dem Auto zu einem Vorstellungsgespräch in Wels gefahren und erst wieder um ca. 20 Uhr nach Wien zurückgekehrt. Von der Anmeldung durch die Firma C. wegen Beschäftigung am 9. November 2000 habe er erst einen Monat später erfahren und auch nie ein Gehalt für die nicht stattgefundene Beschäftigung erhalten.

Die berufungsbehördlichen Ermittlungen hätten dagegen ergeben, dass der Beschwerdeführer laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger-Versicherungslauf am 9. November 2000 bei der Firma C. (Personalvermittlungsfirma) als Arbeiter - in Übereinstimmung mit den Angaben der Personalabteilung der Firma - vollversichert beschäftigt gewesen sei. Es läge ferner eine diesbezügliche Arbeitsbescheinigung vor. Die Firma selbst habe die Abrechnung und Auszahlung des Gehaltes für den fraglichen Tag bestätigt und ausführlich Arbeitseinsatzort, -firma und -tätigkeit dargelegt. Die Wahrnehmung des vom Beschwerdeführer bestätigten Vorstellungsgespräches bei der Firma M. am 9. November 2000 schließe "die belegte Ausübung eines Dienstverhältnisses" am selben Tag bei der Firma C. nicht aus.

Rechtlich begründete die belangte Behörde den Bescheid folgendermaßen:

"Das Dienstverhältnis bei der Firma C. wurde (vom Beschwerdeführer) dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet. Deshalb ist für die Fortgewährung der Notstandshilfe nach o.a. Bestimmungen, nicht allein der Tag der Ausübung des Dienstverhältnisses vom Bezug ausgenommen, sondern das Datum der erstmaligen (Neu)meldung beim AMS: 20.12.2000, als Meldedatum nach einer vorher für das Arbeitsmarktservice unbestimmbaren Bezugsunterbrechung, maßgebend heranzuziehen.

Die (vom Beschwerdeführer) zitierte Entscheidung des VwGH v. 18.10.00, Zl. 96/08/0196, bezieht sich auf eine Einstellung der Leistung, die allein auf die Annahme gründet, eine Anspruchsvoraussetzung sei weggefallen.

Das Faktum der Wahrnehmung einer vollversicherten Beschäftigung jedoch, beendet den Leistungsanspruch per se, somit allein durch faktische Einstellung der Leistung, ohne des Bedarfs einer diesbezüglichen Bescheiderteilung.

Die (...) Vorsprache (des Beschwerdeführers) beim Arbeitsmarktservice ist diesfalls, einer neuen Antragstellung im Anschluss an ein Dienstverhältnis gleichzusetzen, und nicht einer Wiedermeldung aufgrund faktischer Einstellung der Leistung, sodass das angeführte Erkenntnis des VwGH (...) nicht zum Tragen kommt.

Aus diesem Grund befand der bei der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien eingerichtete Ausschuss für Leistungsangelegenheiten, dass ab dem Datum der persönlichen Meldung mit 20.12.2000, als Tag der Geltendmachung (des) Notstandshilfeanspruches nach Ausübung des Dienstverhältnisses bei der Firma C., die Notstandshilfe zuzuerkennen ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zuerkennung von Notstandshilfe erst ab dem 20. Dezember 2000 mit der Begründung, diese hätte ihm schon ab 9. November 2000 durchgehend gebührt, weil er an diesem Tag in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltung durch den Verwaltungsgerichtshof setzt das Vorliegen eines Bescheides voraus, in dessen Begründung die Ergebnisse eines nach den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AVG unter Bedachtnahme auf § 52 Abs. 1 AVG nach Maßgabe der Vorschrift des § 37 AVG geführten Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst sind. Die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides erfordert somit in einem ersten Schritt die Feststellung jenes, in einem nach Maßgabe der Verfahrensgesetze amtswegig geführten Ermittlungsverfahren erhobenen Sachverhaltes, welchen die Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde legt, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche sie im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse im Sinne des § 45 Abs. 2 AVG dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnis zum Spruch des Bescheides zu führen hatte.

Der angefochtene Bescheid ist einer nachprüfenden Kontrolle seiner inhaltlichen Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich:

Die erstinstanzliche Behörde hat eine Zuerkennung der Notstandshilfe ab 20. Dezember 2000 ausgesprochen, welche die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid bestätigt hat. In beiden Bescheiden fehlen aber jegliche Feststellungen, ob bzw. wann der Beschwerdeführer überhaupt einen Antrag auf Notstandshilfe gestellt hat, in welcher Form ein allfälliger Leistungsbezug zuerkannt wurde (ob durch Bescheid oder formlos), wann und wie lange er in einem Leistungsbezug gestanden ist (dass der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen dem 23. Juli und 8. November 2000 in einem Leistungsbezug gestanden ist, kann lediglich auf Grund der im Akt befindlichen Bezugsbestätigung vom 20. November 2001 (40) nachvollzogen werden) und auf welche Weise dieser schließlich geendet hat (z.B. ob durch bloß faktische Zahlungseinstellung oder ob ein Bescheid darüber erlassen wurde). Zudem wurde der Verwaltungsakt unvollständig vorgelegt, da in der Zeit zwischen der Antragstellung auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld am 29. Mai 2000 (GF18/21) bis zu einem "Übermittlungsblatt" betreffend die Aktenvorlage nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens vom 17. Jänner 2001 (26) keinerlei Unterlagen zu den dargestellten Fragen im Akt zu finden sind, was auch eine Rekonstruktion des Verwaltungsgeschehens auf Grund der Aktenlage (und damit eine Prüfung der Frage, ob die aufgezeigten Begründungsmängel für das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss sein konnten, durch den Verwaltungsgerichtshof) unmöglich macht.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid lediglich anspruchshindernde Feststellungen getroffen, die aber voraussetzen, dass tatsächlich bereits eine Unterbrechung des Notstandshilfebezuges im Rechtssinne eingetreten war. Die Rechtswirkungen einer eine persönliche Wiedermeldung des Arbeitslosen erfordernden Unterbrechung treten nämlich so lange nicht ein, als die "Unterbrechung" - wenn diese auf einem Einstellungsgrund beruhen soll - nicht bescheidmäßig verfügt ist (vgl. dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1998, Zl. 98/08/0151 und vom 31. Mai 2000, Zl. 98/08/0387).

Die belangte Behörde wird sich im fortgesetzten Verfahren aber auch mit der Behauptung des Beschwerdeführers, am 9. November 2000 - im Ergebnis - in keinem Dienstverhältnis gestanden zu sein (im Sinne dessen, dass vor Antritt der Beschäftigung die telefonische Erklärung gegenüber dem "Dienstgeber" abgegeben wurde, die Beschäftigung nunmehr nicht antreten zu wollen) und auch kein Entgelt erhalten zu haben, auseinander zu setzen und - gegebenenfalls - zu begründen haben, aus welchen Gründen die Behörde ohne über ein Ermittlungsergebnis zu der Frage zu verfügen, ob, wann und auf welche Weise der Beschwerdeführer das Entgelt tatsächlich erhalten haben soll, den gegenteiligen "Behauptungen" des "Dienstgebers" folgte und nicht jenen des Beschwerdeführers.

Voraussetzung für die Annahme von Arbeitslosigkeit am 9. November 2000 wäre nämlich, dass der Beschwerdeführer für die Arbeitsleistung an diesem Tag entweder Anspruch auf ein die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG übersteigendes Entgelt hatte oder (zumindest) ein solches Entgelt tatsächlich erhalten hat. Im Lichte jenes Sachverhaltes, den der Beschwerdeführer behauptet (nach fruchtlosem Zuwarten von ½ Stunde am zugewiesenen Arbeitsplatz telefonische Abgabe der Erklärung, an der bezeichneten Arbeitsstelle nicht arbeiten zu wollen, sowie Wahrnehmung eines anderweitigen Vorstellungstermins), läge die Möglichkeit einer - infolge Nichtbeachtung des Austritts des Beschwerdeführers vor Beginn der Beschäftigung - irrtümlichen Ausstellung der Arbeitsbescheinigung (sowie einer ebenso irrtümlichen Meldung eines Beschäftigungsverhältnisses an die Gebietskrankenkasse) über die Beschäftigung für einen (ganzen) Tag nicht so fern, dass nähere Ermittlungen dazu entbehrlich wären. Solche Ermittlungen sind - entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde vertretenen Auffassung - auch nicht aus Blatt 30 des Verwaltungsaktes ersichtlich, weil sich die Aussagekraft des dort dokumentierten Vorganges darin erschöpft, dass "lt Auskunft der Fa..." ein Dienstverhältnis mit dem Beschwerdeführer "aufscheint" und die Unterlagen, aus denen dies entnommen wurde, wieder nur aus der (der belangten Behörde per Fax übermittelten) Arbeitsbescheinigung bestehen.

Ein Nachweis der tatsächlichen Entgeltzahlung an den Beschwerdeführer für einen Arbeitstag ist diesen Unterlagen jedenfalls nicht zu entnehmen, sodass die nähere Prüfung der Frage, ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf ein solches die Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Arbeitseinkommen hatte, erforderlich wäre.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden. Eine "Übermittlung" einer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das über den Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand der genannten Verordnung hinausgehende Kostenbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in diesem Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am 15. Oktober 2003

Schlagworte

Allgemein Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001080195.X00

Im RIS seit

13.11.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten