TE Vwgh Erkenntnis 2004/3/26 2003/02/0214

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Veröffentlicht am 26.03.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
KFG 1967 §20 Abs1 litd;
KFG 1967 §20 Abs5;
KFG 1967 §22 Abs4;
KFG 1967 §22 Abs6;
StVO 1960 §26 Abs1;
StVO 1960 §26 Abs2;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §44a;
VStG §5 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des MG in L, vertreten durch Mag. Daniela Weiss und Dr. Bernhard Ess, Rechtsanwälte in 6800 Feldkirch, Hirschgraben 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 9. Juli 2003, Zl. uvs-2002/15/142-6, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Juli 2003 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 6. September 2001 gegen 17.00 Uhr an näher umschriebenen Stellen im "Arlberg-Tunnel" ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt und

1. auf einer Straßenstrecke, die durch das Vorschriftszeichen "Überholen verboten" gekennzeichnet sei, ein mehrspuriges Kraftfahrzeug überholt und

2. die doppelte Sperrlinie überfahren.

Er habe Übertretungen zu 1. gemäß § 16 Abs. 2 lit. a StVO und zu 2. gemäß § 9 Abs. 1 StVO begangen. Es wurden Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 145,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 2 Tagen) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es habe sich entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers um keine zulässige Einsatzfahrt im Sinne des § 26 Abs. 1 StVO gehandelt, sondern um die Überstellung eines stabilisierten Patienten von Innsbruck (im Zuge einer Gesamtüberstellung von den Niederlanden ausgehend) in ein Krankenhaus nach Villach.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides sei die verhängte Strafe nicht zu ersehen. Er verkennt, dass mit der Abweisung der Berufung gegen die Punkte 1.) und 2.) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (in denen die jeweils verhängten Geldstrafen enthalten sind) der Inhalt des Spruches desselben in diesen Punkten (mit einer im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Modifikation betreffend die Tatzeit) übernommen wurde. Das Gesetz kennt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Norm, die es der Berufungsbehörde vorschreibt (um den Vorschriften des § 44a VStG zu entsprechen), im Spruch ihrer Entscheidung den erstinstanzlichen Bescheidspruch zu wiederholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2002, Zl. 2002/02/0149).

Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer die ihm in den Punkten 1.) und 2.) des angefochtenen Bescheides angelasteten Fahrmanöver durchgeführt hat und diese grundsätzlich den jeweiligen Tatbestand der angeführten Normen darstellen.

Er beruft sich jedoch darauf, dass er als Lenker eines Einsatzfahrzeuges bei der gegenständlichen Fahrt an Verkehrsverbote oder an Verkehrsbeschränkungen nicht gebunden gewesen sei und hält der Begründung der belangten Behörde entgegen, dass diese keine Ermittlungen zum Zustand des Patienten getroffen habe, der mittels "Ambulanzjet" aus den Niederlanden zum Flughafen Innsbruck überstellt worden sei. Der Ambulanzjet sei dort um 17.30 Uhr gelandet, dessen Stromversorgung habe nur kurze Zeit aufrechterhalten werden können und es sei notwendig gewesen, die ärztliche Notfallversorgung aufrechtzuerhalten.

Gemäß der Definition des § 2 Abs. 1 Z. 25 StVO ist "Einsatzfahrzeug: ein Fahrzeug, das auf Grund

kraftfahrrechtlicher Vorschriften als Warnzeichen (§ 22) blaues Licht und Schallzeichen mit Aufeinanderfolge verschieden hoher Töne führt, für die Dauer der Verwendung eines dieser Signale."

§ 26 StVO lautet auszugsweise:

"Einsatzfahrzeuge.

(1) Die Lenker von Fahrzeugen, die nach den kraftfahrrechtlichen Vorschriften mit Leuchten mit blauem Licht oder blauem Drehlicht und mit Vorrichtungen zum Abgeben von Warnzeichen mit aufeinanderfolgenden verschieden hohen Tönen ausgestattet sind" (Anmerkung des Verwaltungsgerichtshofes: in der Folge als "potentielle Einsatzfahrzeuge" bezeichnet), "dürfen diese Signale nur bei Gefahr im Verzuge, zum Beispiel bei Fahrten zum und vom Ort der dringenden Hilfeleistung oder zum Ort des sonstigen dringenden Einsatzes verwenden. Außerdem dürfen die angeführten Signale soweit als notwendig nur noch zur Abwicklung eines protokollarisch festgelegten Programms für Staatsbesuche oder sonstige Staatsakte sowie in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen verwendet werden. Die Leuchten mit blauem Licht oder blauem Drehlicht dürfen aus Gründen der Verkehrssicherheit auch am Ort der Hilfeleistung oder des sonstigen Einsatzes oder bei einer behördlich vorgeschriebenen Transportbegleitung verwendet werden.

(2) Außer in den in Abs. 3 angeführten Fällen ist der Lenker eines Einsatzfahrzeuges bei seiner Fahrt an Verkehrsverbote oder an Verkehrsbeschränkungen nicht gebunden. Er darf jedoch hiebei nicht Personen gefährden oder Sachen beschädigen.

..."

§ 26 Abs. 1 StVO legt fest, unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen Einsatzsituationen Lenker "potentieller Einsatzfahrzeuge" die besonderen Warnsignale verwenden dürfen. Die Fälle, in denen die Verwendung dieser Signale erlaubt ist, sind erschöpfend aufgezählt (AB 1283 BlgNR 11. GP, 2). Lenker von "potentiellen Einsatzfahrzeugen" dürfen nach § 26 Abs. 1 StVO die besonderen Warnsignale nur bei "Gefahr im Verzug" verwenden, wobei dieser Begriff beispielhaft mit "Fahrten zum und vom Ort der dringenden Hilfeleistung oder zum Ort des sonstigen dringenden Einsatzes" umschrieben wird. Dies ist unter Bedachtnahme auf die Zwecke von Einsatzfahrzeugen im Sinne des § 20 Abs. 1 lit. d und Abs. 5 sowie § 22 Abs. 4 und 6 KFG zu verstehen (vgl. zutreffend Dittrich/Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, I. Teil, Straßenverkehrsordnung3, § 26, Rz 16). "Gefahr im Verzug" kann nur dann mit gutem Grund angenommen werden, wenn der jeweilige Zweck der Fahrt besonders dringlich ist und ohne rasche und möglichst unbehinderte Fahrt nicht erreicht werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 99/03/0008).

Bei Einsatzfahrten wird ein höheres als das sonst im Straßenverkehr übliche Risiko toleriert; dieses erhöhte Risiko kann aber nicht in Kauf genommen werden, wenn eine relativ lange Strecke bis zum Ort der Hilfeleistung zurückzulegen ist und die erforderliche Hilfeleistung auf andere, weniger gefahrvolle Weise gewährt werden kann, wie etwa durch eine gleichartige Möglichkeit der Hilfeleistung durch eine wesentlich näher zum Ort der Hilfeleistung gelegene Einrichtung. In einem solchen Fall liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 StVO nicht vor (vgl. OGH vom 8. Oktober 1985, 2 Ob 36/85, dessen Rechtsansicht sich der Verwaltungsgerichtshof anschließt).

Im Zweifelsfall ist die besondere Dringlichkeit einer Einsatzfahrt in Bezug auf den gesetzlichen Zweck vom Lenker eines "potentiellen Einsatzfahrzeuges" vorzubringen. Geschieht dies nicht, ist von einer widerrechtlichen Verwendung der Signale auszugehen. Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß § 26 Abs. 1 StVO für die Verwendung der besonderen Warnsignale vorliegen, obliegt dem Lenker (vgl. neuerlich zutreffend Dittrich/Stolzlechner, aaO, Rz 16 und 14).

Im gegenständlichen Fall handelte es sich um keinen "überraschenden" Hilfefall. Denn der Notfall hatte sich bereits in den Niederlanden ereignet, der zu überstellende Patient war dort ärztlich erstversorgt, zum Transport mittels Ambulanzjet vorbereitet worden und es erfolgte sodann erst die Überstellung aus den Niederlanden zum Flughafen Innsbruck mittels Ambulanzjet. Sodann stand der Zeitpunkt für die voraussichtliche Landung des Ambulanzjets (17.30 Uhr) und der Ort der von der gegenständlichen Kraftfahrzeugbesatzung zu übernehmenden Hilfeleistung (Flughafen Innsbruck) von vornherein fest. Die Gesamtstrecke zwischen Flughafen Innsbruck und dem Abfahrtsort des gegenständlichen "potentiellen Einsatzfahrzeuges" (der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt der Übernahme des Transportes um 16.30 Uhr in Strengen am Arlberg, fuhr in der Folge zunächst Richtung Vorarlberg, um dem aus Feldkirch kommenden Arzt entgegenzufahren, nahm diesen in Langen am Arlberg auf und fuhr erst dann Richtung Innsbruck) betrug jedenfalls deutlich über 100 km. Bei diesen Voraussetzungen hätten dem Beschwerdeführer jedenfalls bereits bei Auftragsübernahme um 16.30 Uhr Zweifel an der "besonderen Dringlichkeit" der Fahrt kommen müssen. Er hat jedoch in der mündlichen Verhandlung selbst ausgesagt, er habe "nicht hinterfragt, warum ich diesen Auftrag bekommen habe". Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, bereits im Verwaltungsverfahren vorzubringen, dass und aus welchen Gründen die gegenständliche Hilfeleistung nur durch ein derart weit entferntes "potentielles Einsatzfahrzeug" und nicht durch ein wesentlich näher zum Ort der Hilfeleistung befindliches "potentielles Einsatzfahrzeug" (etwa im Raum Innsbruck) in gleicher Weise hätte erbracht werden können. Ein solches Vorbringen wurde aber nicht erstattet. Damit hat der Beschwerdeführer aber in fahrlässiger Weise die Ausnahme des § 26 Abs. 2 StVO in Anspruch genommen, obwohl die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 StVO nicht vorlagen.

Es erübrigt sich deshalb, näher darauf einzugehen, ob es sich bei der Überführung des mit dem Flugzeug auf den Flughafen Innsbruck verbrachten Patienten in ein Krankenhaus in Villach aus medizinischen Gründen überhaupt um eine von § 26 Abs. 1 StVO umfasste Hilfeleistung (wie es der Beschwerdeführer darzustellen sucht) oder um einen bloßen Krankentransport (wie es die belangte Behörde begründet) handelte; auch alle darauf abzielenden Verfahrensrügen des Beschwerdeführers sind demnach unbeachtlich.

Insofern der Beschwerdeführer mangelndes Verschulden behauptet, als ihn der Notarzt zum Überholen "angewiesen" habe, ist ihm zu entgegnen, dass er nicht einmal behauptet hat, aus welchem Grund er verpflichtet gewesen wäre, einer solchen "Anweisung" des Notarztes Folge zu leisten. Wie oben bereits erwähnt, handelt der Lenker aber grundsätzlich bei den von ihm im Straßenverkehr gesetzten Handlungen in eigener Verantwortung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. März 2004

Schlagworte

Spruch der Berufungsbehörde (siehe auch AVG §66 Abs4 Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides)Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Straßenpolizei KraftfahrwesenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastSpruch der Berufungsbehörde vollinhaltliche Übernahme des Spruches der ersten Instanz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003020214.X00

Im RIS seit

12.05.2004

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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