TE OGH 1985/10/8 2Ob36/85

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Veröffentlicht am 08.10.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Helmut A, Elektroingenieur, Georg-Queri-Straße 3, D 8150 Holzkirchen, vertreten durch Dr. Peter Pfarl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagten Parteien 1.) Dr.Franz B, prakt.Arzt, Mitterweg 22, 4800 Attnang-Puchheim,

2.) C D UNFALL-und E,

Landesdirektion für Oberösterreich, Zollamtsstraße 1, 4020 Linz, beide vertreten durch DDr.Rolf R.Schlegl, Rechtsanwalt in Ebensee, wegen S 100.426,-- und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 3.April 1985, GZ 2 R 1/85-18, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 12.Oktober 1984, GZ 4 Cg 69/84-10, aufgehoben wurde,folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Erstbeklagte, der praktischer Arzt in Attnang-Puchheim ist, besuchte am 16.5.1981 in Bad Ischl ein berufsbildendes Seminar. An diesem Samstag hatte ab Mittag der Wochenenddienst die ärztliche Betreuung in Attnang-Puchheim übernommen; der Erstbeklagte wäre 'außer Dienst' gewesen. Er hatte aber mit seiner Frau vereinbart, daß er in dringenden Fällen über ein von ihm mitgeführtes Ausrufgerät alarmiert werden könne. Am Nachmittag bekam er über dieses Ausrufgerät ein Signal, worauf er sich zu seinem, als Einsatzfahrzeug für örzte ausgestatteten, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW begab, das Blaulicht einschaltete und wegfuhr (nachträglich erfuhr der Erstbeklagte, daß es sich um einen schwerkranken Patienten in Attnang-Puchheim gehandelt hatte). Auf der Salzkammergut-Bundesstraße B 145 zwischen Bad Ischl und Ebensee fuhr vor dem Erstbeklagten der Kläger mit seinem PKW. Der Kläger benützte die Mitte des rechten Fahrstreifens, hielt eine Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h ein und suchte einen geeigneten Platz zum Umkehren. Als er ein Hinweisschild zu einem links gelegenen Gasthaus mit Parkplatz sah, entschloß er sich, auf diesem Parkplatz zu wenden. Er reduzierte seine Geschwindigkeit auf 20 km/h, betätigte den linken Blinker und bog nach links ab. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von rund 120 km/h bereits in überholposition. Der Erstbeklagte betätigte während des überholmanövers die Lichthupe. Als er den Blinker am PKW des Klägers aufleuchten sah, leitete er ein Bremsmanöver ein, konnte eine Kollision aber nicht mehr verhindern. Wäre der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren, dann hätte er noch vor der Kollisionsstelle anhalten können. Der Kläger hätte bei einem Blick in den Rückspiegel vor Beginn des Einbiegens den in überholposition befindlichen PKW sehen müssen. Der Kläger wurde wegen dieses Unfalls vom Strafgericht rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung schuldig erkannt, weil er beim Abbiegen nach links die Änderung der Fahrtrichtung zu spät angezeigt, sich nicht entsprechend eingeordnet und den Nachfolgeverkehr zu mangelhaft beobachtet habe. Der Erstbeklagte wurde hingegen freigesprochen.

Der Kläger begehrte - ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 - einen Schadenersatzbetrag von S 100.426,--. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren. Das Mitverschulden des Erstbeklagten bestehe in einer überhöhten Geschwindigkeit, da die Voraussetzungen für die Benützung des Fahrzeuges als Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht nicht gegeben gewesen seien. Der Erstbeklagte hätte aber auch die Blinkzeichen des Klägers und dessen 'eingeordnetes Fahren' beachten müssen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, der Erstbeklagte, dessen Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt als Einsatzfahrzeug im Sinne des § 26 StVO anzusehen gewesen sei, sei nicht an die Geschwindigkeitsbeschränkung des § 20 Abs 2 StVO gebunden gewesen. Er habe seine Geschwindigkeit zwar trotzdem den sonstigen Verkehrsbeschränkungen und den konkreten Verhältnissen anzupassen gehabt, doch scheine bei den hinreichenden Sichtverhältnissen auf der großzügig ausgebauten Salzkammergut-Bundesstraße eine Geschwindigkeit von 120 km/h nicht überhöht, wobei zu berücksichtigen sei, daß diese Geschwindigkeit nicht als Ausgangsgeschwindigkeit, sondern im Zuge eines überholmanövers gewählt worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Das Berufungsgericht führte aus, der Erstbeklagte sei nicht berechtigt gewesen, an seinem PKW das Blaulicht einzuschalten, und hätte daher die gesetzlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen einhalten müssen. Nach dem sich aus den 'Materialien' ergebenden offenkundigen Willen des Gesetzgebers, bei Beurteilung des Einsatzes der Signale nach § 26 Abs 1 StVO einen strengen Maßstab anzulegen, hätte der Erstbeklagte vor Antritt der Fahrt unbedingt Rücksprache mit seiner Frau über den Grund ihres Anrufes machen müssen, bevor er die Fahrt auf einer stark frequentierten Strecke als Einsatzfahrt kennzeichnete. Daß sich nachträglich herausgestellt habe, daß der außer Dienst gewesene Erstbeklagte zu einem schwerkranken Patienten gerufen worden war, könne die Einsatzfahrt des Erstbeklagten als solche schon in Anbetracht der Organisation des ärztlichen Wochenenddienstes nicht rechtfertigen, zumal nicht hervorgekommen sei, daß der Zustand des Patienten lebensbedrohlich gewesen sei. Offensichtlich habe diesem Patienten trotz der unfallsbedingten Unterbrechung der Einsatzfahrt des Erstbeklagten rechtzeitig geholfen werden können. Die Einschätzung der Notwendigkeit einer Einsatzfahrt im Sinne des § 26 StVO müsse dem Arzt persönlich vorbehalten bleiben, der sich nach seinem Fachwissen und seiner Erfahrung die hiefür erforderlichen Informationen notfalls telefonisch oder per Funk beschaffen müsse. Daß der Erstbeklagte dem Kontaktanruf seiner Frau sozusagen blindlings gefolgt sei, begründe eine fahrlässige Verletzung seiner im § 26 StVO festgelegten Pflichten. Der Erstbeklagte habe daher gegen § 20 Abs 2 StVO verstoßen und dieser Verstoß sei für den Unfall auch kausal gewesen. Mit Recht ziehe daher der Kläger die Beklagten zum Schadensausgleich nach § 11 Abs 1 EKHG heran. Der Haftungsanteil der Beklagten könne indes noch nicht abschließend beurteilt werden, weil die Feststellungen über den Unfallshergang teils widersprüchlich und teils aktenwidrig seien. Eine Verfahrensergänzung betreffend den Unfallshergang sei daher notwendig. Außerdem müßten zur Höhe der Klagsforderung und der eingewendeten Gegenforderung Feststellungen getroffen werden. Gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Bestätigung des Ersturteiles. Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Beklagten vertreten die Ansicht, der Erstbeklagte habe bei seiner Fahrt mit Recht das Blaulicht verwendet, es habe sich um eine Einsatzfahrt gehandelt. Da ein schwerkranker Patient nach der Hilfe des Erstbeklagten verlangt habe, sei es gerechtfertigt gewesen, daß die Gattin des Erstbeklagten den Funkkontakt hergestellt habe. Dieser Funkkontakt sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, da der Erstbeklagte gewußt habe, daß nur ärztlicher Wochenenddienst versehen werde. Erfahrungsgemäß sei bei diesem Dienst eine unmittelbare sofortige Hilfeleistung nur in seltenen Fällen möglich. Außerdem lehre die Lebenserfahrung, daß nur der behandelnde Arzt imstande sei, nicht nur Krankheitssymptome sondern die Krankheitsursachen, die er bei seinen Patienten kenne, erfolgversprechend in dringenden Fällen sofort zu behandeln. Diese Erwägungen seien es auch gewesen, warum der Erstbeklagte mit seiner Gattin vereinbart gehabt habe, daß sie ihn in dringenden Fällen 'anzufunken' habe. Einzig und allein dem Arzt müsse es überlassen bleiben, zu bestimmen, ob eine akute Gefahr im Sinne des § 26 Abs 1 StVO vorliege. Der Erstbeklagte habe sich auf seine Gattin verlassen können und müssen. Es sei im gesamten Verfahren keinerlei Behauptung aufgestellt worden, daß die Gattin des Erstbeklagten nicht imstande gewesen wäre, die Dringlichkeit einer Einsatzfahrt richtig abzuschätzen. Auszugehen sei davon, daß der Funkkontakt seine sachliche Berechtigung gehabt habe. Unverständlich sei die Meinung des Berufungsgerichtes, der Erstbeklagte hätte erst eine telefonische Informationsaufnahme durchführen müssen. Es sei allgemeine Lebenserfahrung, daß es speziell am Samstagnachmittag äußerst schwierig sei, über öffentliche Fernsprechanlagen sofort eine telefonische Verbindung herzustellen. Gerade für einen Arzt, der auf Grund einer Mitteilung von einem dringenden Krankenfall seiner ärztlichen Pflicht nachkommen müsse und wolle, sei nicht zu verlangen, kostbare Zeit für telefonische Versuche zur Information über die Dringlichkeit eines Arztbesuches verstreichen zu lassen. Gerade die Zeit sei es, die Erfolg verspreche. überdies sei der Aufhebungsbeschluß auch deshalb nicht berechtigt, weil der Kläger das Ersturteil nur mit Rechtsrüge bekämpft habe, die Tatsachenfeststellungen aber unbekämpft geblieben seien. Nach dem Strafurteil und den unbekämpften Feststellungen lägen dem Kläger schwerste mehrfache Verkehrverstöße zur Last. Das Strafgericht habe festgestellt, daß der Erstbeklagte sofort reagiert habe. Die im Aufhebungsbeschluß angeordnete überprüfung der Fahrsituation sei daher überflüssig.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Der Beklagte hatte offensichtlich die Bewilligung, im Sinne des § 20 Abs 5 lit e KfG auf seinem PKW Warnleuchten mit Blaulicht zu verwenden. Sein Fahrzeug war daher im Sinne des § 26 Abs 1 StVO mit Blaulicht ausgestattet. Dieses durfte er nach der genannten Vorschrift nur bei Gefahr im Verzug, so zu Fahrten zum Ort der dringenden Hilfeleistung, verwenden. Ob und in welchem Umfang von einem Arzt, der zu einer Hilfeleistung gerufen wird, im allgemeinen verlangt werden kann, zu überprüfen, ob Gefahr im Verzug ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, denn im vorliegenden besonders gelagerten Fall hätte der Erstbeklagte jedenfalls allein auf Grund des Funkkontaktes das Blaulicht nicht auf der Fahrt von Bad Ischl nach Attnang-Puchheim verwenden dürfen. Gemäß § 20 Abs 5 lit e KfG kann die Ausstattung des Fahrzeuges mit Blaulicht für die Leistung dringender ärztlicher Hilfe durch örzte in verkehrsreichen Gebieten, in denen kein mit einem Arzt besetzter Rettungsdienst und kein ärztlicher Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen, bewilligt werden. Daraus ergibt sich, daß der Einsatz des Blaulichtes für örzte auf Fälle beschränkt ist, in denen nicht anderweitig für eine ärztliche Hilfe Vorsorge getroffen ist. Der Hinweis im Rekurs auf eine persönliche Betreuung durch den behandelnden Arzt ist daher nicht berechtigt. Im vorliegenden Fall bestand ein ärztlicher Wochenenddienst. Entgegen den Rekursausführungen muß davon ausgegangen werden, daß bei wirklich dringenden Fällen - und nur solche könnten die Verwendung des Blaulichtes rechtfertigen - auch durch den Wochenenddienst eine rasche Hilfe geleistet worden wäre, weshalb es nicht dringend notwendig war, daß der außer Dienst befindliche Erstbeklagte, der vom Ort der Hilfeleistung ohne Zweifel wesentlich weiter entfernt war als der den Wochenenddienst versehende Arzt, von Bad Ischl nahezu 50 km/h weit nach Attnang-Puchheim fuhr. Das Gesetz toleriert bei Einsatzfahrten ein höheres als das sonst im Straßenverkehr übliche Risiko (4 Ob 30/78; 8 Ob 63/79). Dieses erhöhte Risiko, das im vorliegenden Fall auch Mitursache des Unfalles war, kann aber dann nicht in Kauf genommen werden, wenn eine relativ große Strecke bis zum Ort der Hilfeleistung zurückzulegen ist und für die nötige Hilfe ohnedies durch die Einrichtung eines ärztlichen Notdienstes, also durch einen in der Nähe des Kranken abrufbar befindlichen Arzt Vorsorge getroffen wurde. Der Hinweis auf ärztliche Berufspflichten vermag die durch das höhere Risiko hervorgerufene unnötige Gefährdung anderer Personen nicht zu rechtfertigen. Ob Ausnahmefälle möglich sind, braucht hier nicht erörtert zu werden, denn der Erstbeklagte hätte einen solchen jedenfalls nicht annehmen dürfen, ehe er nähere Informationen eingeholt hätte. Die Behauptung, am Samstag nachmittag sei es äußerst schwierig, über öffentliche Fernsprechanlagen sofort eine telefonische Verbindung herzustellen, entbehrt jeglicher Grundlage. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Erstbeklagte hätte das Blaulicht nicht verwenden dürfen, weshalb ihm wegen überhöhter Geschwindigkeit ein Verschulden anzulasten sei, ist daher zu billigen.

Soweit sich die Beklagten gegen die vom Berufungsgericht dem Erstgericht erteilten Aufträge zur Verfahrensergänzung über den Unfallshergang wenden, ist darauf hinzuweisen, daß der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, diesen Aufträgen, die nicht auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhen, nicht entgegentreten kann. Den Ausführungen der Beklagten, das Berufungsgericht hätte eine Aufhebung des Ersturteiles zur Verfahrensergänzung hinsichtlich des Unfallsherganges nicht vornehmen dürfen, weil der Kläger in der Berufung nur eine Rechtsrüge erhoben habe, ist zu erwidern, daß der Mangel ausreichender Feststellungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen ist und auch widersprüchliche Feststellungen einer rechtlichen Beurteilung nicht unterzogen werden können, weshalb das Rechtsmittelgericht auch auf Grund der Rechtsrüge die Beseitigung derartiger Widersprüche zu veranlassen hat. Der Umstand, daß das Strafgericht eine Reaktionsverspätung des Erstbeklagten verneinte, ist ohne Bedeutung, weil gemäß § 268 ZPO der Freispruch für das Zivilgericht nicht bindend ist.

Aus allen diesen Gründen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E06633

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00036.85.1008.000

Dokumentnummer

JJT_19851008_OGH0002_0020OB00036_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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