TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/18 2001/10/0184

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Veröffentlicht am 18.05.2004
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E15202000;
E6J;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1;
62000CJ0221 Kommission / Österreich ;
EURallg;
LMG 1975 §9 Abs1;
LMG 1975 §9 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde der M Gesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Otto Bauer-Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 13. August 2001, Zl. 333.466/0-IX/B/12/01, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens eines als Verzehrprodukt angemeldeten Produktes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 10. Juli 2001 meldete die beschwerdeführende Partei das Produkt "BION3" unter Vorlage der vorgesehenen Aufmachung (Faltschachtel, Beipackzettel) gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukt an.

Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die belangte Behörde das Inverkehrbringen des Produktes als Verzehrprodukt. In der Begründung bildete sie zunächst auf Seiten 2 bis 5 den auf der Faltschachtel und dem Beipackzettel enthaltenen Text ab. Sie vertrat sodann unter Hinweis auf die §§ 3, 9 und 18 LMG die Auffassung, die auf Faltschachtel und Beipackzettel enthaltenen Angaben schrieben dem Produkt bzw. bestimmten Bestandteilen des in Rede stehenden Produktes physiologische bzw. gesund erhaltende Wirkungen zu. Es handle sich somit um gemäß § 9 Abs. 1 LMG verbotene gesundheitsbezogene Angaben.

Das Aufscheinen der verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben bei der Anmeldung des Erzeugnisses als Verzehrsprodukt stelle einen Untersagungsgrund gemäß § 18 Abs. 2 LMG dar, weil das Produkt damit gemäß § 8 lit. f LMG als falsch bezeichnet anzusehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 9 Abs. 1 LMG lautet:

"Es ist verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln,

Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jungerhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden."

Gemäß § 9 Abs. 3 LMG hat der zuständige Bundesminister auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

Verzehrprodukte sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein (§ 3 LMG).

Gemäß § 18 Abs. 1 LMG ist es verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung beim zuständigen Bundesminister in Verkehr zu bringen. Der Bundesminister hat gemäß § 18 Abs. 2 leg. cit. das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder seinen Verordnungen nicht entspricht.

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, sind jene Bestimmungen des österreichischen Lebensmittelgesetzes 1975, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

Im Erkenntnis vom 31. März 2003, Zl. 2003/10/0029, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Begründungserwägungen des EuGH u.a. Folgendes dargelegt:

"Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser 'Anwendungsvorrang' hat zur Folge, dass entgegen stehendes innerstaatliches Recht ohne Weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77 (Simmenthal II, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, ua). Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des LMG, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt zum einen eine Einschränkung des alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassenden Verbotstatbestandes des § 9 Abs. 1 leg. cit.; verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie a) sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder b) irreführend sind (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2003, Zl. 2003/10/0025). Zum anderen ergibt sich daraus die Unanwendbarkeit der Regelung des LMG, soweit die Verwendung einer bestimmten Aufmachung oder Bezeichnung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Verzehrprodukten nur nach einem 'vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben' (Rn 37) zulässig ist. Daraus folgt, dass einer Bestrafung oder der Erlassung einer einschränkenden administrativen Maßnahme, die allein an den Umstand des Fehlens einer 'vorherigen Genehmigung' der gesundheitsbezogenen Bezeichnung anknüpft, Gemeinschaftsrecht entgegensteht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 LMG in vollem Umfang unanwendbar geworden wäre. Einer (mit Bescheid ausgesprochenen) Zulassung von Angaben im Sinne des § 9 Abs. 3 LMG auf Antrag desjenigen, der die Verwendung der Angabe beabsichtigt, steht Gemeinschaftsrecht ebenso wenig entgegen wie der in einem solchen über Antrag eingeleiteten Verfahren (in Form der 'Nichtzulassung') getroffenen Feststellung, dass die beantragte Angabe nach § 9 Abs. 1 LMG in der oben dargelegten, durch Gemeinschaftsrecht modifizierten Fassung verboten sei. Auch das Gemeinschaftsrecht vermittelt nämlich keinen Anspruch auf über Antrag erfolgende bescheidmäßige Zulassung solcher Angaben, die nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 verboten sind. Der angefochtene Bescheid verletzt die Beschwerdeführerin nicht schon deshalb in dem ihrer Beschwerde zu Grunde liegenden Recht auf 'Nichtuntersagung' (= Zulassung) der in Rede stehenden Angabe, weil er in einem nach § 9 Abs. 3 LMG eingeleiteten Verfahren erging; dies wäre nur dann der Fall wenn die Angabe nicht unter das durch Gemeinschaftsrecht modifizierte (inhaltlich dem Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 entsprechende) Verbot des § 9 Abs. 1 LMG fiele."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB das Erkenntnis vom 22. März 1999, Zl. 98/10/0250) dürfen Verzehrprodukte nicht mit Angaben bzw. einer Aufmachung, deren Inhalt gegen § 9 LMG verstößt, in Verkehr gebracht werden. Unter Bedachtnahme auf die soeben referierte Rechtsprechung des EuGH entspräche der angefochtene Bescheid somit dem Gesetz, wenn in der den Gegenstand des Antrages der beschwerdeführenden Partei bildenden Aufmachung des Produkts Angaben enthalten wären, die sich auf eine menschliche Krankheit beziehen oder irreführend sind (vgl. hiezu auch das Erkenntnis vom 5. April 2004, Zl. 2002/10/0224).

Die belangte Behörde hat aber nicht angenommen; dass die beantragten Angaben sich auf eine menschliche Krankheit bezögen oder irreführend wären; sie hat sich vielmehr allein auf die "Gesundheitsbezogenheit" der Angaben gestützt. Dies vermag den Bescheid nach dem oben Gesagten nicht zu tragen (vgl. hiezu des Näheren auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/10/0028, mit dem der gemäß § 9 Abs. 3 LMG die Zulassung gesundheitsbezogener Angaben beim Inverkehrbringen des Produkts "BION 3" verweigernde Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben wurde).

Nach dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004, C-150/00 (vgl. hiezu auch die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zlen. 2004/10/0073 bis 0076 mwN), kann die Untersagung der in Rede stehenden Angaben auch nicht ohne weiteres (im Ergebnis) darauf gegründet werden, dass es sich bei dem Produkt (einem Kombinationspräparat mit Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und "probiotischen Kulturen") um ein Arzneimittel handle.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. Mai 2004

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001100184.X00

Im RIS seit

25.06.2004

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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