TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/31 2003/10/0029

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Veröffentlicht am 31.03.2003
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E15202000;
E6C;
E6J;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

31979L0112 Etikettierungs-RL Art15 Abs2;
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1;
31979L0112 Etikettierungs-RL;
62000CC0221 Kommission / Österreich Schlussantrag;
62000CJ0421 Sterbenz VORAB;
EURallg;
LMG 1975 §9 Abs1;
LMG 1975 §9 Abs3;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2002/10/0090 B 30. September 2002 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62000CJ0421 23. Jänner 2003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde der W Gesellschaft m. b. H. in Wien, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in 1014 Wien, Tuchlauben 17, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziale Sicherheit und Generationen vom 3. April 2002, Zl. 334.444/0-IX/B/12/02, betreffend Zulassung gesundheitsbezogener Angaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei, gemäß § 9 Abs. 3 LMG die gesundheitsbezogenen Angaben "Calcium ist lebensnotwendig für gesunde Knochen und Zähne, in welchen 99% des körpereigenen Calcium enthalten ist." beim Inverkehrbringen des Produkts "NutriliteTM Calcium Magnesium - Tabletten" zuzulassen, abgewiesen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht u. a. einen Verstoß des angefochtenen Bescheides bzw. der angewendeten Vorschrift gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht geltend.

Im Verfahren über die zur Zl. 99/10/0260 protokollierte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Steht Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür (nunmehr kodifizierte Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Amtsblatt Nr. L 109 vom 6. Mai 2000, Seite 0029; im Folgenden: Etikettierungs-Richtlinie), wonach die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, vorbehaltlich der Gemeinschaftsvorschriften über natürliche Mineralwässer und über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, einem Lebensmittel nicht Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen dürfen, einer nationalen Vorschrift entgegen, nach der es verboten ist, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln a) sich auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlank machende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken; b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen; c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden?

2. Stehen die Etikettierungs-Richtlinie oder die Artikel 28 und 30 EG einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Anbringung gesundheitsbezogener Angaben im Sinne der Frage 1 beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Bundesminister zulässt, wobei Voraussetzung für die Genehmigung ist, dass die gesundheitsbezogenen Angaben mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar sind?"

Mit Urteil vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über das erwähnte Ersuchen um Vorabentscheidung für Recht:

"Die Art. 2 Absatz 1 Buchstabe b und 15 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür in der durch die Richtlinie 97/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 geänderten Fassung stehen einer Regelung wie der des § 9 Absätze 1 und 3 des Bundesgesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln, Verzehrprodukten, Zusatzstoffen, kosmetischen Mitteln und Gebrauchsgegenständen (Lebensmittelgesetz 1975) entgegen, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbietet."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 9 Abs. 1 LMG ist es verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.

Nach § 9 Abs. 3 leg. cit. hat der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, sind jene Bestimmungen des österreichischen Lebensmittelgesetzes 1975, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

In der Begründung dieses Urteils hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dazu ausgeführt, dass die Richtlinie 79/112 (Etikettierungsrichtlinie) alle Angaben verbietet, die sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, unabhängig von ihrer Eignung, den Verbraucher irrezuführen, sowie diejenigen Angaben, die, obzwar sie sich nicht auf eine Krankheit, sondern etwa auf die Gesundheit beziehen, irreführend sind (Rz 28).

Weiters hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass Lebensmittel mit einer Etikettierung, die nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben enthält, als den Vorschriften der Richtlinie 79/112 entsprechend anzusehen sind und dass die Mitgliedstaaten ihren Vertrieb nicht mit der Begründung untersagen können, diese Etikettierung sei möglicherweise nicht ordnungsgemäß (Rz 30).

Im Zusammenhang mit der Frage, "ob Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie 79/112, soweit danach nichtharmonisierte einzelstaatliche Vorschriften, die zum Schutz der Gesundheit und vor Täuschung gerechtfertigt sind, ein Erfordernis der vorherigen Genehmigung wie das des § 9 Absatz 3 LMG zulässt" (Rn 36), hat der Gerichtshof Folgendes dargelegt:

"37. Zwar verbietet Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 zum einen alle Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beziehen, auch wenn sie nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen, und zum anderen irreführende gesundheitsbezogene Angaben, doch lässt sich mit dem Schutz der Gesundheit, falls in einer bestimmten Situation überhaupt von Gesundheitsrisiken ausgegangen werden kann, nicht eine den freien Warenverkehr so beschränkende Regelung rechtfertigen, wie sie sich aus einem vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln ergibt, und zwar auch solchen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt wurden und sich dort im freien Verkehr befinden.

38. Solche Restrisiken für die Gesundheit lassen sich nämlich durch weniger beschränkende Maßnahmen vermeiden, so insbesondere die Verpflichtung des Herstellers oder des Vertreibers des betreffenden Erzeugnisses, in Zweifelsfällen die Richtigkeit der auf der Etikettierung enthaltenen Tatsachenbehauptungen nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 49).

39. Dem Vorbringen der österreichischen Regierung zum Verbraucherschutz kann ebenfalls nicht gefolgt werden.

40. Die durch § 9 Absätze 1 und 3 LMG aufgestellte Regelung, die auf ein Verbot irreführender gesundheitsbezogener Angaben abzielt, führt nämlich in Wirklichkeit dazu, dass Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben in Österreich selbst dann nicht frei vermarktet werden können, wenn sie nicht geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen.

41. ... Das allgemeine Verbot des § 9 Absätze 1 und 3 LMG kann daher nicht als gegenüber dem angestrebten Zweck verhältnismäßig angesehen werden.

42. Überdies hat der Gerichtshof in ähnlichen, Angaben auf der Verpackung bestimmter kosmetischer Mittel betreffenden Rechtssachen, in denen sich die österreichischen Behörden ebenfalls auf den Schutz der Gesundheit der Verbraucher und den Schutz vor Täuschung beriefen, entschieden, dass die Zulassungspflichtigkeit nach § 9 Absatz 3 LMG ein ungerechtfertigtes Hindernis für den freien Verkehr mit dem betreffenden Erzeugnis darstellt (Urteile vom 28.Januar 1999 in der Rechtssache C-77/97, Unilever, Slg. 1999, I-431, Randnr. 34, und Linhart und Biffl, Randnr. 45).

43. Schließlich ist zum Vorbringen der österreichischen Regierung, der täuschende Charakter einer gesundheitsbezogenen Angabe könne in bestimmten Fällen schwer nachzuweisen sein, festzustellen, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu einer Überzeugung zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2000 in der Rechtssache C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, Randnr. 20)."

Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser "Anwendungsvorrang" hat zur Folge, dass entgegen stehendes innerstaatliches Recht ohne Weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77 (Simmenthal II(, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, u. a.).

Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des LMG, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt zum einen eine Einschränkung des alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassenden Verbotstatbestandes des § 9 Abs. 1 leg. cit.; verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie

a)

sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder

b)

irreführend sind (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2003, Zl. 2003/10/0025).

Zum anderen ergibt sich daraus die Unanwendbarkeit der Regelung des LMG, soweit die Verwendung einer bestimmten Aufmachung oder Bezeichnung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Verzehrprodukten nur nach einem "vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben" (Rn 37) zulässig ist. Daraus folgt, dass einer Bestrafung oder der Erlassung einer einschränkenden administrativen Maßnahme, die allein an den Umstand des Fehlens einer "vorherigen Genehmigung" der gesundheitsbezogenen Bezeichnung anknüpft, Gemeinschaftsrecht entgegensteht.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 LMG in vollem Umfang unanwendbar geworden wäre. Einer (mit Bescheid ausgesprochenen) Zulassung von Angaben im Sinne des § 9 Abs. 3 LMG auf Antrag desjenigen, der die Verwendung der Angabe beabsichtigt, steht Gemeinschaftsrecht ebenso wenig entgegen wie der in einem solchen über Antrag eingeleiteten Verfahren (in Form der "Nichtzulassung") getroffenen Feststellung, dass die beantragte Angabe nach § 9 Abs. 1 LMG in der oben dargelegten, durch Gemeinschaftsrecht modifizierten Fassung verboten sei. Auch das Gemeinschaftsrecht vermittelt nämlich keinen Anspruch auf über Antrag erfolgende bescheidmäßige Zulassung solcher Angaben, die nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 verboten sind.

Der angefochtene Bescheid verletzt die Beschwerdeführerin nicht schon deshalb in dem ihrer Beschwerde zu Grunde liegenden Recht auf "Nichtuntersagung" ( = Zulassung) der in Rede stehenden Angabe, weil er in einem nach § 9 Abs. 3 LMG eingeleiteten Verfahren erging; dies wäre nur dann der Fall wenn die Angabe nicht unter das durch Gemeinschaftsrecht modifizierte (inhaltlich dem Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 entsprechende) Verbot des § 9 Abs. 1 LMG fiele.

In Rede steht die Angabe "Calcium ist lebensnotwendig für gesunde Knochen und Zähne, in welchen 99% des körpereigenen Calcium enthalten ist." beim Inverkehrbringen des Produkts "NutriliteTM Calcium Magnesium - Tabletten". Der angefochtene, die Verwendung dieser Angabe nicht zulassende Bescheid entspricht dem Gesetz, wenn die Angabe sich im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit bezieht (auch wenn sie nicht geeignet wäre, den Käufer irrezuführen), oder wenn sie irreführend ist.

Zur Frage der Unterscheidung von im dargelegten Sinn "krankheitsbezogenen" von (schlicht) "gesundheitsbezogenen" Angaben hat sich der EuGH nicht geäußert; offenbar wird vorausgesetzt, dass eine Zuordnung im Einzelfall möglich wäre (Rn 37). Auch zu den Darlegungen des Generalanwaltes L. A. Gelhoeed, die diesen Fragenkomplex betreffen, hat sich der Gerichtshof nicht geäußert.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen vom 4. Juli 2002 zu der im Verfahren vorgetragenen Auffassung, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 differenziere nicht zwischen "gesundheitsbezogenen" und "krankheitsbezogenen" Behauptungen, es gebe kein handhabbares Kriterium der Abgrenzung zwischen "gesundheitsbezogenen" und "krankheitsbezogenen" Behauptungen und auch die Verbraucher seien nicht in der Lage, zwischen "gesundheitsbezogenen" und "krankheitsbezogenen" Behauptungen zu unterscheiden (Rn 51), u.a. Folgendes dargelegt:

              "53.              Ich schließe mich der Auffassung an, dass hier zu differenzieren ist, .... Aus Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b geht unzweideutig hervor, dass Gegenstand des Verbots eine Etikettierung ist, in der unmittelbar oder mittelbar auf eine menschliche Krankheit Bezug genommen wird. Krankheit ist ein Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren. Der Krankheit wird der Zustand des Gesundseins gegenübergestellt, bei dem eine Person eben frei von physischen oder gegebenenfalls psychischen Leiden ist. Es gibt daher einen fundamentalen Unterschied zwischen Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit beziehen, und Angaben, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens beziehen. Bei krankheitsbezogenen Behauptungen liegt die Betonung auf der Behandlung bzw. Heilung von einer bestimmten Krankheit oder deren Vorbeugung. Gesundheitsbezogene Behauptungen gehen von einer positiven Grundidee aus, nämlich der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit. In Extremfällen kann die Abgrenzung von gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben tatsächlich schwierig sein, da bestimmte gesundheitsbezogene Angaben beim Verbraucher den Eindruck erwecken können, das Produkt habe eine heilende Wirkung. Z. B. wird mit der ausdrücklichen Angabe, ein bestimmtes Lebensmittel hält Dich gesund, implizit der Eindruck erweckt, dass das Produkt Krankheiten vorbeugen kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die beiden Kategorien von Behauptungen grundsätzlich unterscheiden. Es muss im Einzelfall festgestellt werden, um welche Art von Angabe es sich handelt.

              54.              Das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 ist absolut, d. h., die so genannten krankheitsbezogenen Angaben sind grundsätzlich verboten, unabhängig davon, ob sie zutreffen oder den Verbraucher irreführen. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, krankheitsbezogene Angaben zu verbieten, erfasst aber umgekehrt nicht gesundheitsbezogene Angaben, die also nicht nach dieser Bestimmung verboten sind. Ist eine Angabe auf einem Lebensmittel sowohl krankheits- als auch gesundheitsbezogen, so fällt sie wegen der besonderen Gefahren krankheitsbezogener Angaben für die Gesundheit unter das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b. Auf Grund dieser besonderen Gefahren kann ein Mitgliedstaat meines Erachtens eine weite Auslegung dieser Bestimmung zu Grunde legen, wobei aber die oben beschriebene grundsätzliche Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben nicht in Frage gestellt werden darf."

Zum Ausgangsfall (Inverkehrbringen von Kürbiskernkapseln unter der Bezeichnung "Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata" mit den Angaben "Zum Schutz der Zellmembran vor den freien Radikalen, wichtig für die Funktion vieler Enzyme, wichtig als Baustein für Knochen und Zähne, Regulation des Wasserhaushalts (Blasenfunktion)") hat der Generalanwalt Folgendes ausgeführt:

              "92.              Zweitens stimme ich mit der Kommission darin überein, dass eine Aussage im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren zu beurteilen ist. Eine Angabe auf der Etikettierung kann für sich betrachtet wahr sein, und ihr Inhalt ist für einen Durchschnittsverbraucher möglicherweise nicht verwirrend, doch durch eine suggestive Platzierung oder schon durch die bloße Form der Verpackung kann die Angabe irreführende Wirkung haben.

              93.              Drittens können vorliegend die Behauptungen als funktionsbezogen angesehen werden, d. h., die Angabe bezieht sich darauf, wozu das Produkt oder ein Bestandteil dienen soll. So soll Kalium wichtig sein für die Regulierung des Wasserhaushalts, und durch die Aussage Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata wird, wie die Kommission zutreffend ausführt, ein Zusammenhang zwischen Vitamin E und der Blasen- und Prostatafunktion hergestellt. In der Angabe, dass die Ölkürbiskerne zusätzlich mit Vitamin E angereichert seien, liegt außerdem eine Bezugnahme auf die Zusammensetzung des Produkts. Durch die Nennung von Prostata und Blase wird ferner auf eine bestimmte Erkrankung angespielt, nämlich Prostata- und Blasenkrebs, meines Erachtens ein Grund, diese Angabe als unzulässige krankheitsbezogene Angabe im Sinne vom Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 anzusehen. Entgegen den Ausführungen der Kommission in ihrem Schriftsatz in der Rechtssache C-221/00 und in den Vorabentscheidungsverfahren kann meines Erachtens das Verbot krankheitsbezogener Angaben in der Richtlinie 79/112 über den bloßen Bezug auf Arzneimittel im Sinne des gemeinschaftlichen Arzneimittelrechts hinausgehen."

Es obliegt den Gerichten der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung aller Umstände den Aussagegehalt einer beim Inverkehrbringen eines Lebensmittel oder Verzehrproduktes verwendeten Angabe in Richtung der Bezugnahme auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ist - anknüpfend an die oben wiedergegebenen Darlegungen des Generalanwalts, die als Hinweise auf das Verständnis von Angaben, das im Hinblick auf das Verbraucherleitbild der Gemeinschaft zu ermitteln ist, herangezogen werden können - zunächst der Kontext hervorzuheben, in den die Angabe durch die Verwendung beim Inverkehrbringen eines offenbar zur Ergänzung der Nahrung bestimmten Produkts in Tablettenform gestellt wird. Nicht zuletzt hängt der beim Verbraucher durch solche Angaben hervorgerufene Eindruck davon ab, ob die Aussage als allgemeiner Hinweis auf die Bedeutung bestimmter, in Lebensmitteln enthaltener Stoffe für eine ausgewogene Ernährung verstanden werden kann oder der Eindruck erweckt wird, dass die Zufuhr des Stoffes im Wege von Nahrungsergänzung für die ordnungsgemäße Funktion von Organen des menschlichen Körpers von Bedeutung sei. Hier ist letzteres der Fall, indem die nahrungsergänzende Zufuhr von Calcium zur "gesunden" Beschaffenheit von Zähnen und Knochen in Beziehung gesetzt und mit der Bezeichnung als "lebensnotwendig" geradezu als unentbehrlich herausgestellt wird. Es kann hier auf sich beruhen, unter welchen Umständen schon in der Nennung von Körperorganen (in dem vom Generalanwalt erörterten Fall: Blase und Prostata) beim Inverkehrbringen eines zur Nahrungsergänzung bestimmten Produkts eine Bezugnahme auf schwere Erkrankungen dieser Organe zu sehen ist (vgl. Rn 93 der Schlussanträge). Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist die Frage, ob die Angabe eine assoziative Verbindung zwischen der Zufuhr von Calcium als Nahrungsergänzung, die als "lebensnotwendig" für "gesunde" Zähne und Knochen bezeichnet wird, und Wirkungen des Produkts, die der Verbraucher mit bestimmten Krankheiten (hier: Folgen einer unzureichenden Calciumaufnahme) in Verbindung bringt, zu bejahen, zumal allgemein bekannt ist, dass Calciumpräparate zur Therapie bzw. Prophylaxe von (insbesondere) Osteoporose eingesetzt werden. Die Frage einer objektiven Eignung des Produkts zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken, insbesondere auf Grund seines Gehalts an Calcium, ist im Zusammenhang mit der Ermittlung des durch die in Rede stehenden Angaben beim Verbraucher hervorgerufenen Eindrucks ohne Bedeutung. Ebenso wenig vermag der - auf "Zähne und Knochen" bezogene - Beisatz " , in welchen 99% des körpereigenen Calciums gespeichert ist." die beim Verbraucher entstandene Assoziation einer Beziehung des Produkts zu Calciummangelzuständen und deren Folgeerscheinungen zu beseitigen.

Die in Rede stehende Bezeichnung fällt somit unter den Begriff der "krankheitsbezogenen Angaben" im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112; ihre Verwendung beim Inverkehrbringen eines Verzehrprodukts wurde von der belangten Behörde - im Rahmen des auf Antrag der Beschwerdeführerin eingeleiteten Verfahrens - mit Recht nicht zugelassen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH - Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 31. März 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 62000J0421 Sterbenz VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003100029.X00

Im RIS seit

16.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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