TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/18 2004/10/0077

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Veröffentlicht am 18.05.2004
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E13301500;
E3L E15202000;
E6J;
40/01 Verwaltungsverfahren;
59/04 EU - EWR;
82/04 Apotheken Arzneimittel;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

11997E030 EG Art30;
31965L0065 idF 31989L0341 Arzneimittel-RL Art1 Nr2 Abs1;
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1;
61977CJ0106 Simmenthal 2 VORAB;
62000CJ0150 Kommission / Österreich;
62000CJ0221 Kommission / Österreich ;
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AMG 1983 §1 Abs1;
AMG 1983 §1 Abs3 Z2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
EURallg;
LMG 1975 §18 Abs2;
LMG 1975 §18;
LMG 1975 §3;
LMG 1975 §9 Abs1;
LMG 1975 §9 Abs3;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2002/10/0057 B 27. August 2002 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62000CJ0150 5. April 2004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde der M Gesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Otto Bauer-Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 28. Jänner 2002, Zl. 333.506/0-IX/B/12/02, betreffend Zulassung gesundheitsbezogener Angaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 10. Juli 2001 beantragte die beschwerdeführende Partei gemäß § 9 Abs. 3 LMG die Zulassung näher bezeichneter gesundheitsbezogener Angaben für das Produkt "Bion 3".

Gleichzeitig erfolgte die Anmeldung des genannten Erzeugnisses gemäß § 18 Abs. 1 LMG als Verzehrprodukt.

Der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige für Pharmazie legte dar, die als Verzehrprodukt angemeldete Ware sei als Arzneimittel im objektiven Sinn und in der Folge als Arzneispezialität einzustufen.

In ihrer Stellungnahme vertrat die beschwerdeführende Partei die Auffassung, die Vorgangsweise der belangten Behörde stehe im Widerspruch zum Grundsatz des freien Warenverkehrs. Der Gehalt des Produkts an Vitaminen übersteige die bei Nahrungsergänzungsmitteln zulässige Dosierung nicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid ließ die belangte Behörde die beantragten gesundheitsbezogenen Angaben für das gegenständliche Produkt nicht zu. In der Begründung führte sie nach Hinweisen auf die Rechtslage aus, gesundheitsbezogene Angaben dürften nur für Lebensmittel und Verzehrprodukte, nicht aber für Arzneimittel zugelassen werden. Es sei somit - auf Grundlage des schlüssigen Gutachtens des Amtssachverständigen - zu prüfen, ob es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel handle. Das Produkt enthalte als pharmakologisch wirksame Bestandteile 800 (g Vitamin A, 18 mg Nicotinamid, 6 mg Pantothensäure und 30 (g Vitamin K pro Tablette;

die Einnahmeempfehlung laute: 1 Tablette täglich. Laut einschlägiger Fachliteratur (u.a.: Hager's Handbuch der pharmazeutischen Praxis; Martindale, The Extra Pharmacopeia;

Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch) kämen den Inhaltsstoffen zweifelsfrei spezifische pharmakologische Wirkungen zu. Vitamin A habe besondere Bedeutung für den Aufbau und Schutz epithelialer Gewebe sowie beim Aufbau des Sehpurpurs. Als erste Symptome des Vitamin A Mangels würden Nachtblindheit, Störungen der Adaption an das Sehen in der Dämmerung sowie eine gesteigerte Blendempfindlichkeit genannt. An Haut und Schleimhaut treten Keratosen auf. Die übermäßige Zufuhr von Vitamin A könne zu einer Vergiftung führen. Die Fachliteratur beschreibe als Zeichen einer Intoxikation u.a. das Auftreten von starken Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Bei chronischer Vitamin A Überdosierung würden als Symptome Schlafstörungen, Anorexie, Haarausfall, Pruritus, Papillen-Ödem, Diplopie, Rhagaden sowie Knochen- und Gelenkschmerzen genannt. Niacin (Nikotinamid) sei wichtig als Bestandteil der beiden Coenzyme Nicotinamid Adenin Dinucleotid und Nicotinamid Adenin Dinucleotid-Phosphat (NAD und NADP). Diese Coenzyme kämen in allen Zellen vor und seien von Bedeutung für viele metabolische Prozesse, insbesondere Glycolyse, Fettsäuremetabolismus und Zellatmung. Mangel an Niacin bedinge Pellagra, eine Krankheit, die durch Dermatitis, Durchfall, Entzündungen der Schleimhäute und in schweren Fällen Demenz charakterisiert sei. Pantothensäure werde der Vitamin B Gruppe zugezählt. Pantothensäure sei Bestandteil von Coenzym A und spiele daher eine wesentliche Rolle im Fettsäure- und Kohlenhydratstoffwechsel. Parästhesien insbesondere an den unteren Extremitäten (burning feet syndrome), Müdigkeit, Muskelschwäche und Unwohlsein würden mit einem Pantothensäuredefizit in Verbindung gebracht. Ein ernährungsbedingter Pantothensäuremangel sei in der Regel nicht zu erwarten, weil Pantothensäure in zahlreichen Lebensmitteln enthalten sei, sodass der Bedarf hinreichend gedeckt sei. Ein Pantothensäuremangel könne bei Fehlernährung (Unterernährung) und bei Erkrankungen auftreten (Holtmeier: Gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen, Huth, Muskat: Ernährung, Diätetik, Lebensmittelbereich). Als Vitamin K werde eine Gruppe von Verbindungen bezeichnet, die sich vom Vitamin K1 (Phytomenadion) ableite. Gemeinsam sei diesen Substanzen eine strukturabhängige Coenzymfunktion bei der Biosynthese der Blutgerinnungsfaktoren in der Leber. Therapeutisch eingesetzt werde Vitamin K bei entsprechenden Mangelzuständen infolge Antibiotikatherapie oder Krankheit und Verminderung von Prothrombin und Gerinnungsfaktoren VII und IX mit Blutungsneigung. Die oben angeführten pharmakologischen Wirkungen seien auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten. Die vorliegende Dosierung bewege sich in jenem Rahmen, der in der Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben sei. Das gegenständliche Produkt sei nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Arzneimittel und in der Folge als zulassungspflichtige Arzeispezialität zu beurteilen. Ein Inverkehrbringen sei daher erst nach der erfolgten Zulassung als Arzneispezialität statthaft, eine solche Zulassung liege jedoch nicht vor. Nach dem Gutachten des Amtssachverständigen, das vollständig und schlüssig sei und ohne Zweifel auch den neuesten wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen entspreche, handle es sich bei dem Produkt nach allgemeiner Verkehrsauffassung um ein Arzneimittel. Für Arzneimittel käme die Anwendung lebensmittelrechtlicher Vorschriften, also auch des § 9 Abs. 3 LMG, begrifflich nicht in Betracht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde; darin wird Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich (ua) "im Recht auf Vertrieb des von unserer Mutterfirma in Deutschland erzeugten und vertriebenen Produktes Bion 3 in der 'deutschen Zusammensetzung' mit der 'deutschen Packung' und im Recht, das Produkt als Verzehrprodukt mit den beantragten gesundheitsbezogenen Angaben genehmigt zu bekommen," verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 9 Abs. 1 LMG lautet:

"Es ist verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln,

Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jungerhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesunderhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden."

Gemäß § 9 Abs. 3 LMG hat der zuständige Bundesminister auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

Verzehrprodukte sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein (§ 3 LMG).

Gemäß § 18 Abs. 1 LMG ist es verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung beim zuständigen Bundesminister in Verkehr zu bringen. Der Bundesminister hat gemäß § 18 Abs. 2 leg. cit. das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder seinen Verordnungen nicht entspricht.

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, sind jene Bestimmungen des österreichischen Lebensmittelgesetzes 1975, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

Im Erkenntnis vom 31. März 2003, Zl. 2003/10/0029, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Begründungserwägungen des EuGH u.a. Folgendes dargelegt:

"Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser 'Anwendungsvorrang' hat zur Folge, dass entgegen stehendes innerstaatliches Recht ohne Weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77 (Simmenthal II, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, ua). Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des LMG, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt zum einen eine Einschränkung des alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassenden Verbotstatbestandes des § 9 Abs. 1 leg. cit.; verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie a) sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder b) irreführend sind (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2003, Zl. 2003/10/0025). Zum anderen ergibt sich daraus die Unanwendbarkeit der Regelung des LMG, soweit die Verwendung einer bestimmten Aufmachung oder Bezeichnung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Verzehrprodukten nur nach einem 'vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben' (Rn 37) zulässig ist. Daraus folgt, dass einer Bestrafung oder der Erlassung einer einschränkenden administrativen Maßnahme, die allein an den Umstand des Fehlens einer 'vorherigen Genehmigung' der gesundheitsbezogenen Bezeichnung anknüpft, Gemeinschaftsrecht entgegensteht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 LMG in vollem Umfang unanwendbar geworden wäre. Einer (mit Bescheid ausgesprochenen) Zulassung von Angaben im Sinne des § 9 Abs. 3 LMG auf Antrag desjenigen, der die Verwendung der Angabe beabsichtigt, steht Gemeinschaftsrecht ebenso wenig entgegen wie der in einem solchen über Antrag eingeleiteten Verfahren (in Form der 'Nichtzulassung') getroffenen Feststellung, dass die beantragte Angabe nach § 9 Abs. 1 LMG in der oben dargelegten, durch Gemeinschaftsrecht modifizierten Fassung verboten sei. Auch das Gemeinschaftsrecht vermittelt nämlich keinen Anspruch auf über Antrag erfolgende bescheidmäßige Zulassung solcher Angaben, die nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 verboten sind. Der angefochtene Bescheid verletzt die Beschwerdeführerin nicht schon deshalb in dem ihrer Beschwerde zu Grunde liegenden Recht auf 'Nichtuntersagung' (= Zulassung) der in Rede stehenden Angabe, weil er in einem nach § 9 Abs. 3 LMG eingeleiteten Verfahren erging; dies wäre nur dann der Fall wenn die Angabe nicht unter das durch Gemeinschaftsrecht modifizierte (inhaltlich dem Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 entsprechende) Verbot des § 9 Abs. 1 LMG fiele."

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 31. Mai 1999, Zl. 98/10/0366,-  in einem Fall, in dem eine Untersagung des Inverkehrbringens als Verzehrprodukt in der dafür vorgesehen Frist nach § 18 Abs. 2 LMG nicht erfolgte - u.a. Folgendes dargelegt:

"Die Behörde handelt aber auch nicht rechtswidrig, wenn sie in einem Verfahren nach § 9 Abs. 3 LMG 1975 die Frage, ob es sich um ein Verzehrprodukt oder um ein Arzneimittel handelt, einer selbstständigen Beurteilung unterzieht. Dies vor dem Hintergrund, dass der Nichtuntersagung des Inverkehrbringens der als Verzehrprodukt angemeldeten Ware gemäß § 18 Abs. 2 LMG 1975 auch nicht die Wirkung einer mit Rechtskraft ausgestatteten Entscheidung über die rechtliche Qualität dieser Ware als Verzehrprodukt zukommt (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. Oktober 1995, Zl. 93/10/0235, mit Hinweis auf Vorjudikatur, sowie das Erkenntnis vom 19. Dezember 1983, VwSlg. Nr. 11.267/A)."

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt ferner in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass gesundheitsbezogene Angaben nur für Lebensmittel oder Verzehrprodukte zugelassen werden können. Ist ein Produkt weder ein Lebensmittel noch ein Verzehrprodukt, sondern etwa ein Arzneimittel, dann kommt eine Zulassung gesundheitsbezogener Angaben nicht in Betracht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 15. Juni 1992, Zl. 91/10/0209, vom 31. Jänner 1994, Zl 92/10/0142, und vom 22. März 1999, Zl. 98/10/0417).

Die belangte Behörde hat das in Rede stehende Produkt als Arzneimittel (nach objektiver Zweckbestimmung) angesehen. Nach dem oben Gesagten hängt die Rechtmäßigkeit des Bescheides davon ab, ob diese Beurteilung dem Gesetz entspricht.

Verzehrprodukte sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein (§ 3 LMG).

§ 3 LMG setzt nach seinem letzten Halbsatz für die Verzehrprodukteigenschaft voraus, dass es sich nicht um ein Arzneimittel handelt.

Die Frage, ob ein Arzneimittel vorliegt, ist anhand der durch

§ 1 Abs. 1 AMG gegebenen Definition zu lösen.

Danach sind "Arzneimittel"

"Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung an oder im menschlichen oder tierischen Körper

1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,

2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,

3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,

4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder

5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen."

Nach § 1 Abs. 3 Z. 2 AMG sind Verzehrprodukte im Sinne des LMG, sofern sie nach Art und Form des Inverkehrbringens nicht dazu bestimmt sind, die Zweckbestimmungen des Abs. 1 Z. 1 bis 4 zu erfüllen, keine Arzneimittel.

§ 1 Abs. 1 AMG stellt für das Vorliegen eines "Arzneimittels" somit - alternativ - auf zwei verschiedene Kriterien ab, nämlich darauf, ob Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen "nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen" (objektive Zweckbestimmung) oder "nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind" (subjektive Zweckbestimmung), bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die in den Z. 1 bis 5 beschriebenen Wirkungen hervorzurufen bzw. Funktionen zu erfüllen. Das Vorliegen des subjektiven Kriteriums bedingt unabhängig davon, ob auch die objektive Zweckbestimmung bejaht werden kann, schon für sich allein die Einstufung eines Produkts als Arzneimittel. Aus § 1 Abs. 3 Z. 2 AMG folgt allerdings, dass ein Produkt, auf das die Voraussetzungen des § 3 LMG zutreffen, und das nach seiner subjektiven Zweckbestimmung (nur) dazu bestimmt ist, Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 5 AMG zu erzielen, kein Arzneimittel ist. Hingegen kann eine Ware nicht als Verzehrprodukt beurteilt werden, wenn sie objektiv geeignet oder subjektiv dazu bestimmt ist, die in § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG genannten Wirkungen zu erfüllen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 27. August 2002, Zl. 99/10/0176, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Nichtzulassung der Verwendung bestimmter gesundheitsbezogener Bezeichnungen beim Inverkehrbringen des in Rede stehenden Produkts beruht auf der Bejahung der Arzneimitteleigenschaft auf der Grundlage der objektiven Zweckbestimmung des Produkts. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt somit zunächst davon ab, ob dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit der Frage der Arzneimitteleigenschaft von Vitaminpräparaten auf Grund ihrer objektiven Zweckbestimmung bereits mehrfach zu befassen (vgl. die Erkenntnisse vom 28. April 1997, Zl. 95/10/0131 und Zl. 96/10/0239, vom 7. September 1998, Zl. 97/10/0242, vom 19. Oktober 1998, Zl. 97/10/0152 und Zl. 97/10/0043, sowie vom 9. Oktober 2000, Zl. 2000/10/0075). Der Verwaltungsgerichtshof vertrat die Auffassung, die Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt werde, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen, entspreche nur dann dem Gesetz, wenn dargelegt wird, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere auf Grund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind. Ein Bescheid, der lediglich auf der nicht zum Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen in Beziehung gesetzten Annahme beruht, die den Inhaltsstoffen im Allgemeinen zukommenden pharmakologischen Wirkungen seien "auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten", entbehre einer nachvollziehbaren Begründung.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat im Urteil vom 29. April 2004, C-150/00 (Kommission/Österreich), Folgendes ausgesprochen:

"Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen, dass sie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden, durchgängig als Arzneimittel einstuft, wenn ihr Gehalt an Vitaminen außer den Vitaminen A, C, D oder K oder an Mineralstoffen außer solchen der Gruppe Chromate die einfache Tagesdosis dieser Nährstoffe überschreitet oder wenn sie, unabhängig von der Dosierung, die Vitamine A, D oder K enthalten."

In den Urteilsgründen (Rn 63) legte der EuGH u.a. Folgendes dar:

"Da Vitamine und Mineralstoffe gewöhnlich als Stoffe definiert werden, die in ganz geringer Menge für die tägliche Ernährung und das ordnungsgemäße Funktionieren des Organismus unbedingt erforderlich sind, können sie im Allgemeinen nicht als Medikamente angesehen werden, soweit sie nur in kleinen Mengen eingenommen werden. Dagegen ist unstreitig, dass Vitamin- oder Mineralstoffpräparate bisweilen, im Allgemeinen in starken Dosen, zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitamin- oder Mineralstoffmangel ist. In diesen Fällen stellen diese Präparate unbestreitbar Arzneimittel dar (Urteil Van Bennekom, Randnrn. 26 und 27)."

Der EuGH verwies ferner (Rn 64, 65) auf seine ständige Rechtsprechung, wonach es den nationalen Behörden obliege,

"von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Vitamin- oder Mineralstoffpräparat als Arzneimittel einzustufen ist, und dabei alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften - so, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (u.a. Urteile Van Bennekom, Randnr. 29, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-60/89, Monteil und Samanni, Slg. 1991, I-1547, Randnr. 29, vom 16. April 1991 in der Rechtssache C-112/89, Upjohn, Slg. 1991, I-1703, Randnr. 23, und Kommission/Deutschland, Randnr.17).

Die zuständigen nationalen Behörden können also auch andere Merkmale als dasjenige berücksichtigen, ob ein Erzeugnis ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt. Es liegt auf der Hand, dass sich auch ein Erzeugnis, das kein reales Risiko für die Gesundheit darstellt, auf das Funktionieren des Organismus auswirken kann. Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel 'nach der Funktion' müssen sich die Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann (Urteil Upjohn, Randnr.17)."

Im vorliegenden Zusammenhang in den Blick zu nehmen ist weiters der Rn 73, 74 zu entnehmende Hinweis, wonach Präparate, die (bestimmte) Vitamine enthalten, nicht als "Arzneimittel nach der Funktion" einzustufen sind, wenn ihr Gehalt an diesen Stoffen zu gering ist, um ihre Eignung "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen" zu begründen.

Dem Vorbringen der österreichischen Regierung, es komme häufig vor, dass Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel in höheren Dosierungen konsumierten als auf den Beipackzetteln angegeben; dies erhöhe das Risiko der Überdosierung, erwiderte der EuGH, es seien

"fast alle Erzeugnisse potenziell gesundheitsschädlich, wenn sie im Übermaß aufgenommen werden, so dass für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein Arzneimittel 'nach der Funktion' ist, auf die normale Anwendungsweise abzustellen ist" (Rn 75).

Verkehrsbeschränkungen unter Berufung auf Art. 30 EG erforderten es, ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung zu ermitteln und zu bewerten, wofür in jedem Einzelfall eine eingehende Prüfung der mit dem Zusatz der fraglichen Vitamine oder Mineralstoffe möglicherweise verbundenen Folgen erforderlich wäre (Rn 96).

Der Verwaltungsgerichtshof hatte das vorliegende Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt. Nach Ergehen des Urteiles des EuGH ist festzuhalten, dass sich die oben dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gesetzmäßigkeit der Bescheidbegründung im Einklang mit der soeben dargestellten Rechtsprechung des EuGH befindet.

Im vorliegenden Beschwerdefall hängt die Entscheidung somit davon ab, ob in der Bescheidbegründung dargelegt wurde, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere auf Grund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind.

Im Gutachten und der auf diesem aufbauenden Bescheidbegründung werden (im Wesentlichen) Wirkungen der im gegenständlichen Produkt enthaltenen Substanzen beschrieben, ohne diese Darlegungen zum Gehalt des vorliegenden Produkts an bestimmten Inhaltsstoffen konkret in Beziehung zu setzen; weiters werden die bei Vitaminmangelzuständen im Allgemeinen auftretenden Symptome beschrieben.

Diese Ausführungen entsprechen nicht den oben dargelegten Anforderungen an die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt wird, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen; denn es fehlen konkrete Feststellungen, wonach dem Produkt im Hinblick auf seine konkrete Zusammensetzung, also seinen quantitativen Gehalt an bestimmten Stoffen, bei bestimmungsgemäßer Verwendung (der Einnahmeempfehlung entsprechend) eine objektiv-arzneiliche Wirkung zukommt, mit anderen Worten, dass es auf Grund seines Gehaltes an bestimmten Inhaltsstoffen bei "normalem" Gebrauch "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen" im Sinne der oben referierten Rechtsprechung des EuGH geeignet sei.

Zu der hier entscheidenden Frage nach den Wirkungen des gegenständlichen Produkts auf Grund seiner konkreten quantitativen Zusammensetzung beschränkt sich der Bescheid auf die Annahme, dass "die angeführten pharmakologischen Wirkungen auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten sind", und den Hinweis, dass sich die vorliegende Dosierung in jenem (allerdings nicht genannten) Rahmen bewege, der in der angeführten (nicht jedoch unter Angabe der genauen Fundstellen wiedergegebenen) Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben sei. Erfahrungssätze oder wissenschaftliche Erkenntnisse, auf deren Grundlage sich die Schlüssigkeit der Annahme, dem Produkt kämen bei Einhaltung der Einnahmeempfehlungen objektiv-arzneiliche Wirkungen zu, überprüfen ließe, werden jedoch nicht angeführt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. Mai 2004

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Besondere Rechtsgebiete DiversesGemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004100077.X00

Im RIS seit

25.06.2004

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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