TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/25 2003/01/0299

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Veröffentlicht am 25.05.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des O in K, geboren 1980, vertreten durch Dr. Janko Tischler jun., Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Neuer Platz 7/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. März 2003, Zl. 235.016/0-V/15/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der Volksgruppe der Ibo angehörender Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 10. März 2002 in das Bundesgebiet ein und stellte am 11. März 2002 einen Asylantrag.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. August 2002 gab er zu den Fluchtgründen im Wesentlichen an, am 27. Jänner 2002 sei es in Lagos in der Militärbaracke Ikeja zu Bombenexplosionen gekommen. Sein Vater, der bei der Armee gearbeitet habe, sei (gemeinsam mit Kollegen) deshalb der Sabotage angeklagt worden; sein Vater sei verhaftet und (gemeinsam mit weiteren Personen) getötet worden. Seine Schwester sei, als sie gemeinsam mit anderen Personen auf Grund der Explosionen flüchtete, in einen Kanal gefallen und ertrunken. Da er der einzige verbliebene Sohn sei, habe die Regierung ihn (den Beschwerdeführer) verhaften wollen. Er habe davon erfahren, dass die Kriminalpolizei nach ihm suche. Er sei zwar nicht persönlich beschuldigt worden, die Polizei habe aber deshalb nach ihm gesucht, weil "mein Vater ein Problem hatte". In Nigeria sei es "meistens so", dass man verhaftet und getötet werde, "wenn man der einzige Sohn ist und der Vater ein Problem hat". Er (der Beschwerdeführer) wisse davon, dass sein Vater (an den Bombenexplosionen) unschuldig sei und im Geheimen getötet worden sei; damit er (der Beschwerdeführer) das Ganze nicht an die Öffentlichkeit bringen könne, habe er verhaftet werden sollen. Wenn die Polizei von einem "Unfall" und nicht von Sabotage im Munitionslager ausgehe, sei dies die "offizielle Version"; dies habe aber einen politischen Unterton. Auch wenn es nach außen so erscheine, dass die Polizei die Umstände eines "Anschlages" aufzuklären versuche, "wollen sie wirklich, dass niemand darüber spricht". Als er am 3. Februar (2002) von der Kirche gekommen sei, sei die Kriminalpolizei gerade aus seinem Haus gekommen. Er (der Beschwerdeführer) sei deshalb weggelaufen und mit einem Bus nach seinem Heimatort gefahren. Danach habe ihn ein Freund nach Lagos gefahren und dort habe er einen Freund seines Vaters getroffen; mit der Hilfe des Freundes seines Vaters habe er dann Nigeria (mit einem Frachtschiff) verlassen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 31. Jänner 2003 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria fest. Es schenkte den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen mit der Begründung keinen Glauben, dass diese "einerseits als vage und andererseits als nicht plausibel daher auch als nicht glaubhaft zu bezeichnen sind". Der Beschwerdeführer habe keine Beweismittel vorgelegt und zum Fluchtweg äußerst vage und nicht verifizierbare Angaben gemacht; daraus sei zu folgern, dass er "bewusst den wahren Reiseweg verschleiere". Den Schilderungen zum fluchtrelevanten Sachverhalt sei nicht "uneingeschränkt zu folgen". Der Beschwerdeführer sei nicht glaubwürdig, seine behauptete Verfolgung in Nigeria entspreche "mit großer Wahrscheinlichkeit nicht den Tatsachen". Nicht plausibel sei es, dass noch im Zuge des Unglücks und vor Untersuchung seiner Ursache der Vater des Beschwerdeführers verhaftet und getötet worden sei. Gleichfalls nicht plausibel sei es, dass am 1. Februar 2002 Polizeibeamte bei seinem Arbeitgeber nach ihm (dem Beschwerdeführer) gefragt hätten und er bis Sonntag in seiner Wohnung ohne Verhaftungsversuch habe leben können. Nach "vorliegenden Informationen" sei das Unglück weder auf Sabotage noch einen Anschlag zurückzuführen; es sei daher "nicht vernünftig nachvollziehbar", dass gerade der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang irgend einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er brachte darin Folgendes vor:

"Ich bekräftige, dass meine Aussage anlässlich der niederschriftlichen Vernehmung am 13.8.2002 der Wahrheit entspricht. Meine Flucht aus Nigeria war überstürzt und nicht geplant, sodass ich keine Dokumente vorzeigen kann, die meine Identität beweisen. Den Fluchtweg nach Europa habe ich nicht verschleiert. Dazu kann ich nur angeben, dass mir die geographischen Kenntnisse von Europa nur unzulänglich bekannt sind und ich dadurch einige Tatsachen und Orte vertauschte. In Nigerien herrscht politische Instabilität und ich fürchte auf Grund von ethnischen und religiösen fanatischen Gruppierungen um mein Leben."

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - erlassenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. März 2003 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Fremdengesetz festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Die belangte Behörde erklärte den Teil des erstinstanzlichen Bescheides über das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. In diesem Bescheid habe das Bundesasylamt die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen "klar und übersichtlich zusammengefasst". Die belangte Behörde schließe sich den bezughabenden Ausführungen des Bundesasylamtes vollinhaltlich an und erhebe diese zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Von einer mündlichen Berufungsverhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung, in der keine neuen, konkreten Tatsachen behauptet worden seien, ausreichend geklärt erscheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde rügt die Begründung des angefochtenen Bescheides als mangelhaft und wendet sich gegen die vollinhaltliche Übernahme der erstinstanzlichen Beweiswürdigung durch die belangte Behörde. Die belangte Behörde habe es unterlassen, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und sich mit der Glaubwürdigkeit und den Ausführungen des Beschwerdeführers eingehend auseinander zu setzen. Der Sachverhalt sei hinsichtlich der Verfolgung ergänzungsbedürftig geblieben.

Mit seinem Vorbringen, die belangte Behörde habe es verabsäumt, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, ist der Beschwerdeführer im Recht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2001/20/0291, und die darin angegebene Judikatur) kann der Sachverhalt im Sinne des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG nur als "geklärt" angesehen werden, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegen stehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes im Sinne der genannten Bestimmung ist auch dann nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird.

Die belangte Behörde hat ihr Absehen von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung damit begründet, dass die Berufung keine neuen, konkreten Tatsachenbehauptungen enthalte. Sie hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass fallbezogen der Sachverhalt auf Grund des Ermittlungsverfahrens und der Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz nicht als "geklärt" angesehen werden konnte. Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes ist nach der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides nicht als schlüssig zu beurteilen. Der Hinweis des Bundesasylamtes auf nicht verifizierbare Angaben des Beschwerdeführers betreffend seinen Fluchtweg lässt keinen Zusammenhang mit den Fluchtgründen erkennen. Die Folgerung des Bundesasylamtes, der Beschwerdeführer habe seinen Reiseweg "bewusst verschleiert", kann dem Inhalt seiner Einvernahme vom 13. August 2002 nicht entnommen werden bzw. ist der Beschwerdeführer dem in der Berufung entgegengetreten. Daraus (aus den Angaben zum Fluchtweg) ist für sich genommen kein tragfähiges Argument für die Unrichtigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zu gewinnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2001/20/0338). Im Übrigen hat das Bundesasylamt nicht näher begründet, welche Angaben der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtweg verabsäumte, bzw. warum diesen fallbezogen besondere Bedeutung zukommen sollten.

Die von der belangten Behörde übernommene Beweiswürdigung des Bundesasylamtes vermag auch keine plausible Begründung dafür zu geben, warum den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen letztlich nicht bzw. "nicht uneingeschränkt" (also doch in Teilbereichen, wenn ja in welchen?) geglaubt wird. Die ins Treffen geführten "vorliegenden Informationen" über "das Unglück" im Munitionslager hat das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Bescheid nicht dargestellt. Der (somit nicht begründeten) Annahme des Bundesasylamtes, es liege nicht Sabotage sondern ein "Unglück" vor, ist im Übrigen zu erwidern, dass etwa der Präsident von Nigeria am 4. Februar 2002 in "BBC News" keine Ursache für ein Zustandekommen der Explosionen ausgeschlossen hat ("It could be negligence, it could be an accident, it could be sabotage, it could be anything, Mr. Obasanjo said"). Die belangte Behörde hätte die (im erstinstanzlichen Bescheid nicht näher dargelegten) "Informationen" des Bundesasylamtes - auf die sich die Verweisung im angefochtenen Bescheid u.a. erstreckt - prüfen und dazu das Ermittlungsverfahren ergänzen müssen. Dass in Nigeria von "offizieller Seite" allenfalls zuletzt als Ursache der Explosionen ein "Unglück" angenommen wird, würde die Darstellung des Beschwerdeführers, man habe ihn inhaftieren und (vorsorglich) zum Schweigen bringen wollen, im Übrigen noch nicht entkräften. Das Bundesasylamt hat sich in der Beweiswürdigung mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründen für seine versuchte Verhaftung und den politischen Hintergrund der Explosionen bzw. den darüber angestellten offiziellen Ermittlungen nicht auseinander gesetzt. Stattdessen bekundete das Bundesasylamt bloß seine Verwunderung darüber, warum gerade dem Beschwerdeführer in Nigeria Verfolgung drohen sollte.

Schon auf Grund dieser Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz und des ergänzungsbedürftig gebliebenen Ermittlungsverfahrens des Bundesasylamtes ließ sich daher eine mündliche Berufungsverhandlung nicht vermeiden. Vielmehr war eine Einvernahme des Beschwerdeführers und eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen sowie eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens über den Hintergrund der Explosionen und die darüber in Nigeria angestellten Ermittlungen durch die belangte Behörde geboten. Davon wurde die belangte Behörde nicht dadurch entbunden, dass der Beschwerdeführer - wie nach der Begründung des angefochtenen Bescheides angenommen wird - kein neues bzw. kein konkretes Tatsachenvorbringen über seine Fluchtgründe erstattet hatte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. April 2003, Zl. 2002/01/0481, und vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0364).

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Mai 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010299.X00

Im RIS seit

23.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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