TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/1 2001/20/0338

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Veröffentlicht am 01.04.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des I in G, geboren 1975, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Februar 2001, Zl. 219.759/0- XI/33/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 18. August 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Gewährung von Asyl. Bei seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt führte er aus, er sei in seinem Heimatstaat beschuldigt worden, an der Beschädigung einer Pipeline und am Diebstahl von Erdöl in Amokpe beteiligt gewesen zu sein, im Zuge dessen es zu einer Explosion und zu einem Brand gekommen sei. Im Mai 2000 sei der Beschwerdeführer mit seinem Lastkraftwagen auf dem Weg in sein Dorf in der Nähe von Benin City bei einer Straßensperre von Polizisten und Soldaten aufgehalten worden. Als diese auf dem Fahrzeug des Beschwerdeführers mehrere hundert Liter Benzin und Diesel, die er zuvor gekauft habe, gesehen hätten, habe man ihn verhaftet und auf die Polizeistation gebracht, wo er misshandelt worden sei. Man habe dem Beschwerdeführer mit einem Gewehr auf die Stirn geschlagen, wovon er noch immer eine Narbe habe. Er sei zunächst in ein Gefängnis nach Lagos, dann aber wegen seiner Verletzungen und wegen Symptomen von Malaria in ein Krankenhaus gebracht worden. Von dort habe er unter Mithilfe eines Bekannten flüchten können. Im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria fürchte er, wegen der Beschädigung von öffentlichem Eigentum erneut ins Gefängnis zu kommen.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Begründend sprach die Erstbehörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit ab.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er seine Fluchtgeschichte im Wesentlichen wiederholte. Nach seiner Verhaftung habe man versucht, ein Geständnis aus ihm "herauszupressen", wovon auch die erwähnte Narbe auf seiner Stirn stamme. Es sei daher Aufgabe der Asylbehörde, ein ärztliches Gutachten über die Narbe einzuholen, weil ohne ein solches ein Kausalitätszusammenhang zwischen der Narbe und den geschilderten Ereignissen nicht verneint werden dürfe.

In der Berufungsverhandlung vom 15. Februar 2001 erläuterte der Beschwerdeführer, er habe den mit sich geführten Treibstoff von einem unbekannten Tankwagenfahrer gekauft und daher der Polizei und dem Militär keine Rechnung für den Kauf vorweisen können. Er sei beschuldigt worden, den Treibstoff von der beschädigten Pipeline gestohlen zu haben. Dem Vorhalt des Verhandlungsleiters, dass "in einer Pipeline weder Benzin noch Diesel fließt", widersprach der Beschwerdeführer. Am Ende der Verhandlungsschrift hielt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer mache einen intelligenten Eindruck, wirke entspannt und nicht verängstigt und folge der Verhandlung amüsiert, letzteres insbesondere bei Fragen zu seinen Vermögensverhältnissen.

Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG erneut fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens sprach die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen und zum Fluchtweg die Glaubwürdigkeit ab. Dem angefochtenen Bescheid könne lediglich zugrunde gelegt werden, dass der der englischen Sprache mächtige Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Nigeria und zum genannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet eingereist sei. Die belangte Behörde traf in Bezug auf die politische Situation Nigerias Feststellungen zum seit 1998 fortschreitenden Demokratisierungsprozess und verwies auf "ethnische Spannungen" und Verteilungskämpfe mit zunehmendem Migrationsdruck im Heimatstaat des Beschwerdeführers. So sei die Lage in den erdölproduzierenden Gebieten des Niger-Deltas "unvermindert kritisch", da die dort ansässigen Ethnien bisher benachteiligt worden seien. Faktoren wie Überbevölkerung, Unterentwicklung, Stammesrivalitäten und "staatliche Benachteiligung" hätten in diesem Landesteil eine "hochkomplexe und explosive Lage" geschaffen. Die Befriedung dieser Region gehöre daher zu den erklärten Prioritäten des neuen Präsidenten Nigerias.

Gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers spreche, so die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung, dass der von ihm geschilderte Fluchtweg nicht nachvollziehbar und die von ihm genannten Fluchtgründe "äußerst vage" seien. Als "noch schlagendere Argumente" für die Tatsachenwidrigkeit des vorgebrachten Fluchtgeschehens führte sie ins Treffen, es sei "allgemein bekannt", dass "in Pipelines Rohöl oder Erdgas transportiert, aber weder fertig raffiniertes Benzin oder Diesel" befördert werde. Die Polizei habe den Beschwerdeführer daher auch nicht mit den von ihm genannten Treibstoffen antreffen können. Da sich somit das "Kernstück der Fluchtgeschichte" als mit den Tatsachen nicht vereinbar erweise, könne der Berufungsentscheidung das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Verfolgung nicht zugrunde gelegt werden. Ergänzend führte die belangte Behörde an, der Beschwerdeführer habe den Eindruck eines intelligenten jungen Mannes mit guter Schulbildung hinterlassen und in der Verhandlung entspannt und emotionslos sowie durchaus amüsiert gewirkt. Sein Gesamtbild habe nicht dem eines Hilfe suchenden Menschen entsprochen, da er zur Verhandlung "in teurer Bekleidung und im Besitz einer goldenen Uhr" erschienen sei. Die vom Beschwerdeführer beantragte Überprüfung der erwähnten Narbe habe unterbleiben können, weil abgesehen von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers auch mit Hilfe eines ärztlichen Gutachtens die Ursache der Narbe "entweder durch Privatpersonen oder durch staatliche Behörden" nicht hätte festgestellt werden können.

In der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Falles verwies die belangte Behörde auf die Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und vertrat hilfsweise die Auffassung, dass selbst bei Zugrundelegung der vom Beschwerdeführer geschilderten Fluchtgeschichte die behauptete Verfolgung lediglich strafrechtlicher Natur sei und nicht auf einem der Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention beruhe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde führt ins Treffen, dass die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde auf reinen Mutmaßungen beruhe und dass es unhaltbar sei, vom äußeren Erscheinungsbild des Beschwerdeführers auf dessen Glaubwürdigkeit zu schließen. Die belangte Behörde habe zudem in unzulässiger Weise von Ermittlungen hinsichtlich der vom Beschwerdeführer eingewendeten Narbe Abstand genommen.

Abgesehen von dem für das Ergebnis der Beweiswürdigung angesichts des mangelnden Zusammenhanges mit den Fluchtgründen für sich genommen nicht tragfähigen Argument der Unrichtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtweg (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2001/20/0329) hat die belangte Behörde dem "Kernstück der Fluchtgeschichte", also dem dem Beschwerdeführer unterstellten Diebstahl von Treibstoffen, die Glaubwürdigkeit versagt, weil "allgemein bekannt" sei, dass Benzin oder Diesel nicht in Pipelines transportiert würden. Ihre Behauptung, durch Pipelines werde weder Benzin noch Dieselkraftstoff, sondern nur unraffiniertes Erdöl transportiert, steht aber nicht nur mit allgemein zugänglichen Berichtsquellen im Internet, sondern auch mit ihren eigenen Feststellungen im Widerspruch. In dem dem hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0387, zugrunde liegenden Bescheid hat die belangte Behörde zu einer Pipelineexplosion im auch verfahrensgegenständlich relevanten Gebiet des Nigerdeltas ausgeführt, unbekannte Personen hätten im Sommer 2000 eine Pipeline angezapft "und lassen Benzin in wartende Kahne und Tanker ab".

Die Ansicht der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen entspreche nicht den Tatsachen, lässt sich aber auch mit den übrigen beweiswürdigenden Argumenten des angefochtenen Bescheides nicht schlüssig begründen. So ist das vom Beschwerdeführer geschilderte Fluchtvorbringen weder als "äußerst vage" zu erkennen, noch lässt sich aus dem gepflegten äußeren Erscheinungsbild eines Asylwerbers ohne weiteres auf die Unglaubwürdigkeit seiner Fluchtgründe schließen.

Zu Recht wendet sich die Beschwerde auch gegen die zum Teil unter antizipierender Würdigung vertretene weitere Ansicht der belangten Behörde, die Einholung eines ärztlichen Gutachtens habe unterbleiben können, weil es im Ergebnis zur Glaubwürdigkeit seines Vorbringens nichts beitragen könne. Der Beschwerdeführer hat nämlich, wie erwähnt, behauptet, die Narbe auf seiner Stirn sei ihm durch einen Schlag mit dem Gewehr zugefügt worden. Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf die nicht nachvollziehbaren Argumente der Beweiswürdigung der belangten Behörde kann, insbesondere nach näherer Befragung des Beschwerdeführers über den ihn verletzenden Teil des Gewehres, aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass sich sein Vorbringen durch ein Sachverständigengutachten erhärten ließe.

Die genannten Verfahrensfehler der belangten Behörde wären im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung, sofern die Hilfsbegründung des angefochtenen Bescheides denselben zu tragen imstande wäre. Die belangte Behörde hat alternativ die Auffassung vertreten, dass selbst bei hypothetischer Zugrundelegung des vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringens die von ihm geschilderte Verfolgungsgefahr nicht auf einem in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgrund beruhe, sondern lediglich strafrechtlicher Natur sei. Der letztgenannten Auffassung scheinen freilich die Feststellungen im angefochtenen Bescheid über ethnische Spannungen im verfahrensgegenständlichen Gebiet des Nigerdeltas und die - u.a. aus der staatlichen Benachteiligung einzelner Volksgruppen resultierende - explosive Lage in diesem Gebiet entgegen zu stehen. Mit der Frage, ob die dem Beschwerdeführer in Nigeria drohende Strafverfolgung daher rein strafrechtlicher Natur ist, oder ob sie aus den genannten ethnischen Konflikten und staatlichen Schlechterstellungen einzelner Volksgruppen resultiert und deswegen zu verschärften Sanktionen gegenüber den betroffenen Volksgruppen führt, hat sich die belangte Behörde nicht weiter auseinander gesetzt (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372). Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht etwa schon durch ihren - nicht näher ausgeführten - Hinweis im angefochtenen Bescheid (Seite 12), eine nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis sei in Nigeria nicht festzustellen, entsprochen hat.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 1. April 2004

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200338.X00

Im RIS seit

11.05.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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