TE Vwgh Erkenntnis 2004/6/24 2001/20/0472

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Veröffentlicht am 24.06.2004
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
MRK Art3;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in Steyr, geboren am 15. Mai 1970, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 2001, Zl. 217.425/0-X/31/00, betreffend § 5 Abs. 1 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsbürger, gelangte am 20. Juni 1999 mit dem Flugzeug von Indien nach Wien-Schwechat und reiste aufgrund eines von der griechischen Botschaft in New Delhi am 21. Mai 1999 ausgestellten "Schengen-Visums C" in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 25. Juni 1999 einen Asylantrag.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Juli 1999 gab der Beschwerdeführer an, er habe das Visum durch "einen Reiseagenten" erhalten. Mit einer Ausweisung nach Griechenland sei er nicht einverstanden.

Nachdem sich Griechenland gemäß Art. 11 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens (DÜ) bereit erklärt hatte, den Beschwerdeführer einreisen zu lassen und seinen Asylantrag zu prüfen, wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 25. Mai 2000 den Asylantrag des Beschwerdeführers "ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 1997, BGBl I 76/1997 (AsylG) idgF, als unzulässig" zurück und stellte fest, dass "für die Prüfung Ihres Asylantrages ... gemäß Artikel 5 Abs. 4 und Artikel 11 Absatz 4 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl III 1997/165 (Dubliner Übereinkommen), Griechenland zuständig" sei. Der Beschwerdeführer werde aus dem Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen.

Begründend führte die Erstbehörde zusammengefasst aus, dass sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, den vorgelegten Beweismitteln (Reisepass und Visum) "und dem amtswegigen Ermittlungsverfahren" ergeben habe, dass für die Prüfung des Asylantrages Griechenland aufgrund des erwähnten Visums gemäß Art. 5 Abs. 4 DÜ zuständig sei und sich auch bereit erklärt habe, den Beschwerdeführer einreisen zu lassen und seinen Asylantrag zu prüfen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der er im Wesentlichen nur ausführte, es hätte ermittelt werden müssen, ob das in seinem Reisepass befindliche Visum nicht gefälscht sei; zudem sei ihm die Zustimmungserklärung Griechenlands "nie zur Kenntnis gebracht worden".

Die belangte Behörde führte am 18. September 2000 eine Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer vorbrachte, er habe Angst, dass er "von Griechenland aus nach Indien ausgewiesen werde, wo ich um mein Leben fürchte". Die Rechts- und Verwaltungspraxis Griechenlands ermögliche mangels entsprechenden Schutzes vor Refoulement eine weitere Abschiebung des Beschwerdeführers (Kettenabschiebung), sodass eine Abschiebung in diesen Staat u.a. gegen Art. 3 EMRK verstoße.

Die belangte Behörde vertagte daraufhin die Berufungsverhandlung zur Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer "in Griechenland Gefahr liefe, in seinen Rechten, insbesondere nach Art. 3 EMRK, verletzt zu werden", und richtete an den Hochkommissär der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge (UNHCR) die Anfrage, ob beim Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung die erwähnte Gefahr bestehe und ob die griechischen Behörden "ihren Pflichten nach dem DÜ" in effektiver Weise nachkämen.

Der UNHCR beantwortete diese Anfrage mit Schreiben vom 10. Jänner 2001 dahin, dass Asylsuchende während laufenden Asylverfahrens nicht aus Griechenland abgeschoben würden. Abgelehnte Asylsuchende könnten einen "Antrag auf Erteilung eines humanitären Status" stellen, der unter anderem dann gewährt werde, wenn eine Abschiebung in den Heimatstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Es müsse jedoch festgehalten werden, "dass die Erteilung dieses Status sehr willkürlich erfolgt und einer Berufung an den Staatsrat" (das höchste Verwaltungsgericht in Griechenland) "keine aufschiebende Wirkung zukommt". Asylsuchenden, die im Rahmen des DÜ nach Griechenland überstellt würden, werde Zugang zu einem Asylverfahren gewährt, in dem jeder Asylantrag individuell geprüft werde.

Ohne Durchführung einer weiteren Berufungsverhandlung erließ die belangte Behörde in der Folge den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG abwies. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Berufung habe kein neues und konkretes Vorbringen enthalten, sodass von der Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können. Hinsichtlich der Erfüllung der aus der Genfer FlKonv und Art. 3 EMRK resultierenden Verpflichtungen habe der Beschwerdeführer "in seiner Berufung ... keinerlei Bedenken gegenüber Griechenland vorgebracht"; auch der belangten Behörde seien solche Bedenken aus dem Amtswissen nicht bekannt. Es sei zwar denkbar, dass im Falle "von über einzelne Fehlleistungen hinausgehenden Verletzungen" des Art. 3 EMRK Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 4 DÜ Gebrauch mache, dazu bestehe aber "mangels jedes Indizes hinsichtlich asylrelevanter Pflichtverletzungen" Griechenlands gegenüber dem Beschwerdeführer oder allgemein gegenüber Asylwerbern kein Anlass. "Der Berufung und den in der Berufungsschrift gestellten Anträgen" müsse daher der Erfolg versagt bleiben.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, die vom Beschwerdeführer zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhoben und nach deren Ablehnung mit Beschluss vom 11. Juni 2001, B 605/01, mit Beschluss vom 9. Juli 2001 antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der Beschwerde werden die Echtheit des Visums und die daher nach Art. 5 Abs. 4 DÜ gegebene Zuständigkeit Griechenlands vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen.

Der Beschwerdeführer macht - wie schon in der Berufungsverhandlung - geltend, dass seine Abschiebung nach Griechenland gegen Art. 3 EMRK verstoße. Insbesondere kenne die griechische Rechtsordnung keinen Refoulement-Schutz. Der belangten Behörde sei auch vorzuwerfen, dass sie die "persönlichen" bzw. "familiären Verhältnisse" des Beschwerdeführers nicht erhoben habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, in Anlehnung an die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., vertretene Ansicht ausgeführt, er halte an seiner Auffassung, dass § 5 AsylG keiner verfassungskonformen Auslegung im Sinne einer Bedachtnahme auf Art. 3 und 8 EMRK zugänglich sei und dem Asylwerber (Antragsteller) kein subjektiv-öffentliches Recht auf Eintritt eines nach dem Wortlaut des Dubliner Übereinkommens unzuständigen Mitgliedstaates (Österreich) in die Prüfung des Asylantrages zustehe, nicht fest, sondern schließe sich der (dort näher wiedergegebenen) Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an; gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird im Übrigen auf dieses Erkenntnis, insbesondere auf Punkt 5. der Entscheidungsgründe, verwiesen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zwar ausgeführt, es sei "denkbar", dass im Falle "von über einzelne Fehlleistungen hinausgehenden Verletzungen" des Art. 3 EMRK Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 4 DÜ Gebrauch mache, sie ist jedoch in der Folge davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer "in seiner Berufung ... keinerlei Bedenken gegenüber Griechenland vorgebracht" habe; auch der belangten Behörde seien solche Bedenken aus dem Amtswissen nicht bekannt.

Damit hat die belangte Behörde unbeachtet gelassen, dass der Beschwerdeführer zwar nicht in der Berufung, wohl aber in der mündlichen Berufungsverhandlung am 18. September 2000 eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Falle seiner Abschiebung nach Griechenland behauptet hat. Im angefochtenen Bescheid wird weder auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung eingegangen noch wird ausdrücklich erwähnt, dass von der belangten Behörde vor Ergehen des angefochtenen Bescheides eine Anfrage an den UNHCR gerichtet wurde und welches Ergebnis diese Anfrage hatte.

Auch wenn es zutrifft, dass die Berufung ein entsprechendes Vorbringen (noch) nicht enthielt, und die belangte Behörde daher im Falle einer ordnungsgemäßen Durchführung des Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung durch die Behörde erster Instanz den Sachverhalt im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG als "geklärt" ansehen hätte können und zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht verpflichtet gewesen wäre (vgl. zur Verhandlungspflicht im Berufungsverfahren - auch im Verfahren über eine auf § 5 AsylG gestützte Zurückweisung eines Asylantrages - die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, etwa die Erkenntnisse vom 12. Dezember 2002, Zl. 2000/20/0080, und vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439, jeweils mwN), so konnte jedenfalls aufgrund des in der Berufungsverhandlung vom 18. September 2002 erstatteten Vorbringens von einem "geklärten Sachverhalt" im Sinne der angeführten Rechtsprechung nicht mehr ausgegangen werden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens über das vom Beschwerdeführer Vorgebrachte - die Anfragebeantwortung des UNHCR und allfällige andere Erkenntnisse darüber, ob im Falle der Ausweisung des Beschwerdeführers nach Griechenland eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei - wären daher in einer fortgesetzten Berufungsverhandlung zu erörtern gewesen.

Der in der Abstandnahme von einem solchen Vorgehen gelegene Verfahrensmangel begründet eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, wenn die Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, was der Beschwerdeführer - sofern die Relevanz nicht offenkundig ist - in der Beschwerde konkret darzulegen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 99/20/0373, und die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 616 wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Ein solches Vorbringen hat der Beschwerdeführer durch seinen Hinweis auf den fehlenden Refoulement-Schutz in Griechenland bezogen auf eine allfällige Verletzung des Art. 3 EMRK jedenfalls erstattet.

Das von der belangten Behörde angenommene Fehlen "jedes Indizes hinsichtlich asylrelevanter Pflichtverletzungen" durch Griechenland entbehrt darüber hinaus angesichts des gegenteiligen Vorbringens des Beschwerdeführers einer nachvollziehbaren Begründung.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 41 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Juni 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200472.X00

Im RIS seit

21.07.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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