TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/22 2004/20/0132

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Veröffentlicht am 22.07.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §10 Abs1;
AsylG 1997 §11 Abs1;
AsylG 1997 §11 Abs2;
AVG §68 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/20/0133 2004/20/0134

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerden 1. des GP, geboren 1999, 2. der AP, geboren 2002, und 3. der WN, geboren 1974, alle in B, vertreten durch Dr. Michael Zsizsik, Rechtsanwalt in 8600 Bruck an der Mur, Hauptplatz 23, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. November 2003, Zl. 217.831/7-IX/27/03 (zu 1.), Zl. 243.399/0-IX/27/03 (zu 2.) und Zl. 216.748/2-IX/27/03 (zu 3.), betreffend §§ 10, 11 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat jeder der beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Die Mehrbegehren werden abgewiesen.

Begründung

Die Drittbeschwerdeführerin, eine armenische Staatsangehörige, reiste im Mai 1999 zusammen mit dem staatenlosen A.P. in das Bundesgebiet ein und beantragte wie dieser Asyl. Sie gab an, mit A.P. verheiratet zu sein, und brachte am 1. Juli 1999 den gemeinsamen Sohn, den Erstbeschwerdeführer, zur Welt. Am 26. Juli 1999 stellte A.P. einen Erstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG für den Erstbeschwerdeführer. Die Drittbeschwerdeführerin gab bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. November 1999 an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und (ebenfalls nur) einen Erstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG stellen zu wollen. Mit Bescheiden vom 18. April 2000 und vom 27. Juni 2000 wies das Bundesasylamt die Erstreckungsanträge der Drittbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers gemäß §§ 10, 11 AsylG ab. Zur Begründung wurde jeweils ausgeführt, der von A.P. gestellte Asylantrag sei mit Bescheid vom 6. April 2000 abgewiesen worden. Mit der gleichen Begründung - bezogen auf die Abweisung der von A.P. erhobenen Berufung mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. Juli 2000 - wies die belangte Behörde mit Bescheiden vom 18. Juli 2000 und vom 31. Juli 2000 die Berufungen der Drittbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers gegen die Abweisung ihrer Erstreckungsanträge ab. Mit Beschlüssen vom 30. November 2000, Zl. 2000/20/0451, und vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0465, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerden gegen diese Bescheide ab. Mit Beschluss vom 30. November 2000, Zl. 2000/20/0445, war auch die Behandlung der von A.P. gegen den ihn betreffenden Berufungsbescheid vom 18. Juli 2000 erhobenen Beschwerde abgelehnt worden.

Mit Schriftsatz vom 22. November 2002, beim Bundesasylamt eingelangt am 25. November 2002, beantragten A.P. sowie der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin "gemäß § 3 Asylgesetz 1991" Asyl, da sie in ihrer Heimat im Sinne der Genfer Konvention verfolgt seien. Einen gleichartigen Antrag stellte A.P. mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2002 in Bezug auf die am 5. Dezember 2002 geborene Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Juli 2003 bezeichnete die Drittbeschwerdeführerin - der Aktenlage zufolge - sich selbst als ledig und A.P. als ihren Lebensgefährten. Im Falle einer Rückkehr nach Armenien drohe ihr Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe "aus den im ersten Asylverfahren genannten Gründen".

Am 21. August 2003 wurde mit der - erneut zum Bundesasylamt vorgeladenen - Drittbeschwerdeführerin ein Aktenvermerk aufgenommen, wonach ihr Asylantrag "auf Wunsch der Asylwerberin mit 21.08.2003 ... auf einen Antrag gem. § 10 Asylgesetz umgestellt" werde. Sie wünsche "Erstreckung auf Ihren Mann und Vater Ihrer Kinder". Diese Erklärung gebe sie (gemeint offenbar: auch) "betreffend der Asylanträge ihrer Kinder" ab. Bezüglich ihrer "Flucht und Asylgründe" verweise sie auf ihre Angaben bei der Einvernahme am 3. Juli 2003.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2003 wies das Bundesasylamt die Asylerstreckungsanträge der beschwerdeführenden Parteien "vom 21.08.2003" gemäß §§ 10, 11 AsylG ab. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der von A.P. (mit dem Schriftsatz vom 22. November 2002) gestellte Zweitantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Oktober 2003 "gemäß § 68 AVG zurückgewiesen worden" sei, sodass keine Asylgewährung vorliege. Der Bescheid enthielt die Feststellung, die Drittbeschwerdeführerin sei die "Gattin" von A.P.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid brachten die beschwerdeführenden Parteien u.a. vor, ihre Erstreckungsanträge wären mit Rücksicht darauf, dass der von A.P., dem "Ehegatten" der Drittbeschwerdeführerin, gestellte Zweitantrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen worden sei, ex lege zu Asylanträgen gemäß § 3 AsylG umzudeuten gewesen, sofern darauf nicht nach Belehrung ausdrücklich verzichtet worden sei. Ein solcher Verzicht sei "im gegenständlichen Fall nicht zu entnehmen, geschweige denn wurde eine Belehrung durchgeführt".

Mit den angefochtenen, ohne weiteres Ermittlungsverfahren erlassenen Bescheiden vom 12. November 2003 wies die belangte Behörde die Berufung der beschwerdeführenden Parteien jeweils gemäß §§ 10, 11 AsylG ab. In jedem dieser Bescheide wurde begründend ausgeführt, die Partei habe "am 25.11.2002 einen Antrag auf Erstreckung" des A.P. zu gewährenden Asyls begehrt, der von A.P. gestellte Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Oktober 2003 "abgewiesen" und seiner Berufung dagegen sei von der belangten Behörde mit Bescheid vom 11. November 2003 "nicht Folge gegeben" worden. Da A.P. kein Asyl gewährt worden sei, könne auch kein Asyl durch Erstreckung gewährt werden. In dem die Drittbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid wird A.P. als deren "Lebensgefährte" bezeichnet.

Mit Bescheid vom 11. November 2003 hatte die belangte Behörde die von A.P. gegen die erstinstanzliche Zurückweisung seines Zweitantrages erhobene Berufung "gemäß § 68 Abs. 1 AVG abgewiesen". Die Behandlung der von A.P. dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2004/20/0113, abgelehnt.

Gegen die Bescheide vom 12. November 2003 richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung der Verfahren wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen hat:

Die belangte Behörde stützt die angefochtenen Bescheide (abgesehen von zum Teil doppelten Aktenwidrigkeiten in Bezug auf das Datum der Erstreckungsanträge und vom begründungslosen Abgehen von der erstinstanzlichen Feststellung, wonach die Drittbeschwerdeführerin mit A.P. verheiratet sei) auf die - aktenwidrige - Feststellung, der von A.P. gestellte (zweite) Asylantrag sei "abgewiesen" worden, und setzt sich über das Berufungsvorbringen, wonach die Erstreckungsanträge wegen der Zurückweisung des von A.P. gestellten (zweiten) Asylantrages mangels Verzichts darauf in eigene Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien umzudeuten gewesen wären, wortlos hinweg.

Die Aktenwidrigkeit ist wesentlich, weil die in § 11 Abs. 2 AsylG getroffene Anordnung einer derartigen Umdeutung von Erstreckungsanträgen im Sinne der in der Berufung vertretenen Auffassung auch auf Fälle zu beziehen ist, in denen der Asylantrag des Angehörigen gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (vgl. zu entscheidungsrelevanten Aktenwidrigkeiten jeweils im Zusammenhang mit Erstreckungsanträgen bereits die hg. Erkenntnisse vom 3. Dezember 2003, Zl. 2001/01/0547, betreffend die Anwendung eines Verlusttatbestandes in Verbindung mit der Behauptung, es sei Asyl gemäß § 7 AsylG und nicht durch Erstreckung gewährt worden, und vom 1. April 2004, Zlen. 2003/20/0196-0202, betreffend die Anwendung des § 68 AVG in Verbindung mit der Behauptung, es lägen wiederholte Asyl- und nicht Erstreckungsanträge vor).

Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2000, Zlen. 98/20/0581-0583, verwiesen werden (vgl. auch den hg. Beschluss vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0531).

Der angefochtene Bescheid war aus den in diesem Vorerkenntnis dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichteten Mehrbegehren finden in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 22. Juli 2004

Schlagworte

Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004200132.X00

Im RIS seit

25.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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