TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/22 2004/20/0026

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Veröffentlicht am 22.07.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d Abs1 idF 2001/I/137;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/20/0027 2004/20/0028 2004/20/0029

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerden der 1. IK, geboren 1968, 2. SK, geboren 1991, 3. DK, geboren 1999, und

4. GK, geboren 1992, alle in L und vertreten durch Mag. Hartwig Götzenberger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Europaplatz 7, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1.) vom 2. Oktober 2003, Zl. 241.966/0-VII/43/03, 2.) vom 3. Oktober 2003, Zl. 241.964/0-VII/43/03, 3.) vom 3. Oktober 2003, Zl. 241.965/0- VII/43/03, und 4.) vom 3. Oktober 2003, Zl. 241.963/0-VII/43/03, betreffend § 7 AsylG hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin und §§ 10, 11 AsylG hinsichtlich der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, die zweit- bis viertangefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder, die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien, alle Staatsangehörige von Georgien, sind am 10. Jänner 2002 nach Österreich eingereist. Am 11. Jänner 2002 beantragte die Erstbeschwerdeführerin für sich und die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien Asyl.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23. Mai 2002 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien seien nicht verfolgt, für sie werde die Erstreckung des der Erstbeschwerdeführerin zu gewährenden Asyls beantragt.

Zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin an, im Zusammenhang mit einer von ihr erstatteten Korruptionsanzeige von einer ehemaligen Kanzleiangestellten des georgischen Parlaments mit Geldforderungen bedrängt und im Mai 2001 von vier Männern überfallen worden zu sein. Danach habe sie Schutz bei ihrem Bruder gesucht, der aber seinerseits Probleme mit der Polizei gehabt habe und gezwungen gewesen sei, unterzutauchen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin mit Bescheid vom 2. September 2003 gemäß § 7 AsylG ab. Es erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Georgien aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig, weil die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Georgien weiteren Übergriffen durch ihren Ehemann ausgesetzt sein könnte. Ihr Vorbringen zu den behaupteten Erpressungsversuchen werde aus rechtlichen Gründen "keiner Beweiswürdigung unterzogen". Der "nicht als unglaubwürdig qualifizierte Teil" ihres Vorbringens (gemeint also offenbar:

unter Einschluss der keiner Beweiswürdigung unterzogenen Behauptungen) beschreibe keine Verfolgungshandlungen aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Motive. Da Abschiebungsschutz ohnehin (aus anderen Gründen) zu gewähren sei, erübrige sich "in der Beweiswürdigung eine Überprüfung Ihrer Behauptungen hinsichtlich der von Ihnen geschilderten Erpressungsversuche auf ihre Glaubwürdigkeit".

Mit drei weiteren Bescheiden vom selben Tag wies das Bundesasylamt die Erstreckungsanträge der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien ab, weil der Erstbeschwerdeführerin nicht Asyl gewährt worden sei.

Die Erstbeschwerdeführerin erhob gegen die zuletzt genannten Bescheide im Namen der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien sowie gegen den abweisenden Teil des sie selbst betreffenden Bescheides im eigenen Namen Berufung und modifizierte in der sie selbst betreffenden Berufung ihr Vorbringen zu den Fluchtgründen u.a. dahingehend, dass sie weder, wie in erster Instanz behauptet, armenischer Abstammung sei noch den behaupteten Bruder habe. Die Frau, von der sie wegen ihrer Korruptionsanzeige verfolgt werde, habe sehr gute Beziehungen zum Parlament und zum Innenministerium, weshalb die georgische Polizei der Erstbeschwerdeführerin keinen Schutz gewähre. In die Affäre seien hochrangige Mitglieder des Parlaments involviert, deren "System" die Erstbeschwerdeführerin durch ihre Korruptionsanzeige massiv gestört habe.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. Sie traf eine negative Feststellung zur behaupteten Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin "auf Grund einer Korruptionsanzeige oder aus sonstigen Gründen" und führte dazu aus, das Bundesasylamt habe es zu Unrecht unterlassen, dieses Vorbringen bei der Entscheidung über den Asylantrag einer Würdigung zu unterziehen. Der belangten Behörde sei es - auf Grund der im Einzelnen dargestellten Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten im Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin - "ohne Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung möglich, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen und auf seine Glaubwürdigkeit hin zu würdigen". Das von der Erstbeschwerdeführerin vorgelegte Urteil könne "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als falsch klassifiziert werden" und gegen die von ihr vorgelegte Korruptionsanzeige bestünden "noch größere Bedenken". Das Vorbringen sei als "reine Erfindung" anzusehen. Die Erstbeschwerdeführerin habe in erster Instanz "eingestandenermaßen falsche Angaben gemacht" und "in der Folge versucht, den Vorbringensrest so umzukonstruieren, dass er noch geeignet bleibt, asylrelevante Sachverhalte darzutun". Dies sei ihr aber nicht gelungen.

Zur Begründung für die Abstandnahme von einer Berufungsverhandlung führte die belangte Behörde allerdings aus, das "Vorbringen in der Berufung" decke sich "zur Gänze mit dem Vorbringen vor der Erstbehörde", und "eigene Ermittlungen der Berufungsbehörde" seien "wegen geklärter Sachlage nicht mehr erforderlich".

Mit den zweit- bis viertangefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die namens der Kinder der Erstbeschwerdeführerin erhobenen Berufungen gemäß §§ 10, 11 AsylG ab, weil der Erstbeschwerdeführerin nicht Asyl gewährt worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Begründung der belangten Behörde für die Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung ist aktenwidrig, weil von einer Identität des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt und in der Berufung nach den eigenen - insofern zutreffenden - Ausführungen der belangten Behörde nicht die Rede sein kann. Dies macht freilich im Ergebnis keinen Unterschied, weil die Behörde erster Instanz das von der belangten Behörde als relevant erachtete Vorbringen über die Schwierigkeiten der Erstbeschwerdeführerin infolge der behaupteten Korruptionsanzeige ausdrücklich aus der Beweiswürdigung ausgeklammert hatte, sodass sich der erstangefochtene Bescheid auf eine erstmals von der belangten Behörde getroffene negative Feststellung über die Fluchtgründe stützt. Dementsprechend hat die belangte Behörde auch selbst ausgeführt, es sei ihr gelungen, "den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen und auf seine Glaubwürdigkeit hin zu würdigen".

Stellt erst die Berufungsbehörde den entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt fest, so hat dies nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auf der Grundlage einer mündlichen Berufungsverhandlung zu geschehen (vgl. zur hier maßgeblichen Rechtslage nach der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 für den Fall des Fehlens eines ausdrücklichen Antrages auf Durchführung einer Berufungsverhandlung das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336, und zuletzt etwa das Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0147). Die Beweiswürdigung der belangten Behörde beruht daher auf einem fehlerhaften Verfahren, wobei sich ohne antizipierende Beweiswürdigung auch nicht sagen lässt, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer Berufungsverhandlung - statt bloßer Würdigung der erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisse und des neuen Vorbringens in der Berufung aus den Akten - zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Dies hat zur Folge, dass die zweit- bis viertangefochtenen Bescheide, deren Rechtmäßigkeit von der Abweisung des Asylantrages der Erstbeschwerdeführerin abhängt, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0285).

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Ein EUR 991,20 übersteigender Aufwandersatz wurde in der Beschwerde nicht beantragt (§ 59 Abs. 1 VwGG).

Wien, am 22. Juli 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004200026.X00

Im RIS seit

18.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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