TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/25 2003/01/0147

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Veröffentlicht am 25.05.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d Abs1 idF 2001/I/137;
B-VG Art130 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des R, geboren am 21. März 1965, vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Auhofstraße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. November 2002, Zl. 232.843/0-V/13/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 27. August 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 28. August 2002 die Gewährung von Asyl. Er ist Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.

Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 4. Oktober 2002 begründete er seinen Asylantrag im Wesentlichen wie folgt:

"... Glauben Sie mir mein Fall ist etwas spezifischer. Einige Verwandte von mir, haben während des Krieges mit den Serben zusammengearbeitet. Deswegen hat unser Familienkreis darunter gelitten. Obwohl ich nicht der gleichen Meinung war, wie meine Verwandten, sind wir alle benachteiligt worden. Drei Cousin's von mir wurden von Seiten der UCK umgebracht. Im Kosovo gibt es noch Anarchie. Auf dieser Familienzugehörigkeit kann ich im Kosovo keine Arbeit erhalten. Ich bin stolz auf meine Heimat, ich leide nur aufgrund meiner Verwandtschaft. Ich komme aus der Region Drenica. Diese Region wurde vom Krieg am meisten zerstört. Ich fühle mich diskreminiert. Es ist eine Schweinerei, dass studierte Personen keine Arbeit erhalten. Ich weiß, dass viele Einwohner vom Kosovo um Asyl angesucht haben und dieses nicht erhalten werden. Bei mir ist dies jedoch anders. Ich bin indirekt verfolgt.

F: Der einzige Grund?

A: Ja der einzige Grund.

F: Haben Sie den Dolmetscher bisher einwandfrei verstehen

können und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig

und vollständig wiedergibt?

A: Ja.

F: Sind Sie jemals in Haft gewesen oder festgenommen worden?

A: Nein.

F: Haben Sie jemals Probleme mit den Behörden gehabt?

A: Nein. Außer vor dem Krieg am 03.06.1990 mit den Serben.

Ich verlor meine Arbeitstelle beim Gericht. Ich wurde von der Polizei in einem Gespräch bedroht, da ich den Gemeindenamen Srbica in albanischer Sprache Skenderaj in einem Gerichtsbeschluß geschrieben habe.

F: Sind Sie jemals aufgrund Ihrer Rasse, Religion oder Nationalität verfolgt worden?

A: Ja, ich bin wegen meiner albanischen Herkunft im Jahr 1990 von meiner Arbeitsstelle entlassen worden.

F: Waren Sie einer politischen Partei angehörig?

A: Ich war 1989 bis 1998 aktives Mitglied der LDK. 1994 bis

1997 war ich Vorsitzender der LDK in Deutschland, Landkreis Esslingen. Seit Beginn des Krieges bin ich keiner Partei mehr angehörig.

F: Sind Sie jemals aufgrund Ihrer politischen Gesinnungen

Verfolgungen ausgesetzt worden?

A: Nein.

F: Sind Sie jemals aus irgendwelchen sonstigen Gründen

verfolgt worden?

A: Ich habe aus Gesprächen erfahren, das es gegen mich Drohungen udgl, aufgrund meiner Verwandtschaft zu meinen Cousin's gegeben hat. Beschimpfung direkt an mich hat es gegeben. Zum Beispiel Nieder mit der Familie LUTANI udgl Du wirst nie eine Arbeit kriegen. Es ist bei uns Primitiv, dass eine Person wegen einer anderen Person leidet.

F: Was glauben Sie, was Ihnen in der BR Jugoslawien im Falle einer Rückkehr passieren würde?

A: Die Belastungen durch die Beschimpfungen und Provokationen sind sehr groß. Ich weiß, dass dies mit der Zeit vergehen wird. Dazu benötigt man jedoch Zeit. Es wird später die Toleranz und Vernunft dominieren. In meiner Region sind in der letzten Zeit 7 Personen aus politischen Gründen umgebracht worden. Es gibt große politische Spannungen.

F: Haben Sie alles vorgebracht, was Sie bewogen hat, die BR

Jugoslawien zu verlassen?

A: Im Prinzip ja. ..."

Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer bei dieser Einvernahme an, dass er bereits einmal in Europa und zwar im Jahre 1992 in Stuttgart, Deutschland, einen Asylantrag gestellt habe und er sich bis zum Jahr 1998 in Stuttgart aufgehalten habe und sodann freiwillig zurückgekehrt sei.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 17. Oktober 2002 gemäß § 7 Asylgesetz ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, gemäß § 8 Asylgesetz zulässig sei. Bezüglich des oben wiedergegebenen Vorbringens des Beschwerdeführers führte es - nach abstrakten Überlegungen zu "Grundanforderungen" an die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens - aus, dass der Umstand, dass der Beschwerdeführer wegen der früheren Zusammenarbeit von Verwandten mit den Serben Bedrohungen ausgesetzt sei, eine Asylgewährung nicht zu begründen möge. Die "sehr sichtbare Präsenz" der KFOR-Einheiten gebe dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, sich um Schutz und Hilfe an die Sicherheitsorgane der KFOR zu wenden und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese nicht in der Lage oder nicht gewillt wären, den Beschwerdeführer vor eventuellen Übergriffen zu schützen. Auch die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Probleme, die er vor dem Krieg in seiner Heimat gehabt habe, könnten die Asylgewährung nicht herbeiführen, weil sich die Situation mittlerweile grundlegend geändert habe. Aus diesen Gründen könne auch nicht damit gerechnet werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Heimat einer Strafe oder einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des § 57 Fremdengesetz ausgesetzt wäre.

In der gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer unter anderem aus:

"Einige aus meiner Verwandtschaft haben mit den Serben kollaboriert und wurden deshalb nach dem Rückzug der Serben oftmals bedroht, zwei meiner Verwandten wurden ermordet. Ich selbst habe zwar nicht mit den Serben kollaboriert, aber doch 1990 einige Monate für die serbische Verwaltung gearbeitet. Nach dem Krieg war es mir nicht nur unmöglich einen Arbeitsplatz zu finden, ich hatte auch Angst um mein Leben, ich wurde mehrfach bedroht - auf das Schicksal meiner zwei getöteten Verwandten wurde ich hingewiesen. Aus diesem Grund musste ich Kosovo verlassen und flüchten."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 7, 8 Asylgesetz ab und führte begründend im Wesentlichen aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, nachvollziehbar konkrete Hinweise für eine ihm persönlich drohende Verfolgung von erheblicher Eingriffsintensität aufzuzeigen. So sei der Hinweis, dass drei Cousins des Beschwerdeführers von Seiten der UCK wegen des Verdachtes der Kollaboration mit Serben umgebracht worden seien, kein ausreichendes Indiz, dass der Antragsteller mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer konkreten Bedrohungssituation ausgesetzt sei. Das selbe gelte für den Umstand, dass der Beschwerdeführer aus "Gesprächen" erfahren habe, dass es gegen seine Person Drohungen etc. auf Grund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu den obzitierten Cousins gegeben habe. Auch die an den Antragsteller persönlich gerichteten Beschimpfungen ließen kein maßgeblich konkretes Gefährdungspotential entnehmen. Weiters führe der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren aus, selbst niemals konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Insgesamt seien dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine ausreichenden Indizien dafür zu entnehmen, dass ihm im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit intensive planmäßige Verfolgung von Seiten privater Personen unter gleichzeitiger Verletzung der den staatlichen bzw. nunmehr quasistaatlich agierenden Sicherheitsorganen auferlegten Garantenstellung drohe. Vielmehr zeige sich, dass der Beschwerdeführer seine Heimat auf Grund der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen habe.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde macht unter anderem unter Verweis auf die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebrachten Bedrohungen sowie die unterlassene Anberaumung einer mündlichen Verhandlung Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Damit ist der Beschwerdeführer im Recht: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt für die Fälle, in denen keine Berufungsverhandlung beantragt wurde, dem Kriterium des Vorliegens eines geklärten Sachverhaltes nach Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG die Bedeutung eines Maßstabes für die Ausübung des Ermessens des unabhängigen Bundesasylsenates bei Anwendung des § 67d Abs. 1 AVG in der Fassung der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001 zu. Bei der zu prüfenden Frage, ob die belangte Behörde den Sachverhalt als geklärt ansehen und angesichts des fehlenden Parteienantrages auf Durchführung einer Verhandlung in Ausübung ihres Ermessens von einer solchen Abstand nehmen durfte, ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG nach wie vor anwendbar. Nach dieser Judikatur ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat u.a. nur dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336 mwH).

Im vorliegenden Fall hat nun der Beschwerdeführer in seiner Berufung erstmals geltend gemacht, dass er persönlich unter Hinweis auf das Schicksal seiner beiden getöteten Verwandten bedroht worden sei.

Auch hätte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er für die serbische Verwaltung gearbeitet habe, beschäftigen müssen, zumal es unabhängig von der tatsächlich eingenommenen Position darauf ankommt, welche Schlussfolgerungen aus der Beschäftigung des Beschwerdeführers durch den als Verfolger in Betracht kommenden Personenkreis gezogen werden und ob der Betroffene damit zu rechnen habe, als Kollaborateur der Serben behandelt zu werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2004, Zl. 2003/01/0017). Im vorliegenden Fall ist die vom Beschwerdeführer angeführte Beschäftigung in der serbischen Gerichtsbarkeit bzw. Verwaltung Grund genug, eine asylrelevante Verfolgung nicht von vornherein ausschließen zu können.

Die belangte Behörde hat es unterlassen sich in einer mündlichen Verhandlung mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers näher auseinander zu setzen und die spezifische Situation des Beschwerdeführers als ehemaliger Mitarbeiter der serbischen Gerichtsbarkeit bzw. Verwaltung im Hinblick auf eine mögliche asylrelevante Verfolgung zu untersuchen. Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Mai 2004

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010147.X00

Im RIS seit

25.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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