TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/22 2001/20/0018

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Veröffentlicht am 22.07.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des S in W, geboren 1971, vertreten durch Mag. Dr. Christian Hoenig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den am 5. Oktober 2000 verkündeten und am 11. Oktober 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 218.307/4-II/04/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Sikh indischer Staatsangehörigkeit, reiste am 10. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. Juni 2000 gab er im Wesentlichen an, sein Bruder sei Mitglied der "Khalistan Kommando Force" gewesen und am 12. Mai 1997 bei einem Schusswechsel mit der Polizei ums Leben gekommen. Noch am selben Tag habe die Polizei den Beschwerdeführer festgenommen. Sie habe ihn unter dem nicht zutreffenden Vorwurf, ebenfalls Mitglied des erwähnten Kommandos zu sein, zwei Tage lang festgehalten und in näher beschriebener Weise gefoltert. Nach seiner durch den Dorfvorsteher erwirkten Entlassung am 14. Mai 1997 habe sich der Beschwerdeführer bis kurz vor der Ausreise aus Indien im Tempel von Amritsar versteckt gehalten. Auch dort habe ihn die Polizei noch wiederholt gesucht.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 21. Juli 2000 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien fest. Es schenkte seinen Angaben keinen Glauben.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid und über weitere neun Berufungen anderer indischer Asylwerber führte die belangte Behörde am 5. Oktober 2000 eine gemeinsame mündliche Berufungsverhandlung durch, die (mit einer Unterbrechung) von 10.45 Uhr bis 20.00 Uhr dauerte und in der vom Beschwerdeführer ("BW VIII") nur eine kurze Stellungnahme zu Protokoll genommen wurde.

Der von der belangten Behörde beigezogene Sachverständige Mag. Brüser äußerte sich zur Angelegenheit des Beschwerdeführers wie folgt:

"Zu BW VIII: siehe Ausführungen zu BW VII, mit der Maßgabe, dass bei BW VIII nicht der Cousin, sondern der Bruder terroristischen Hintergrund aufweist."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Vorweg ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 26. Juli 2001, Zl. 2001/20/0064, vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0484 (mit Hinweisen auf Vorjudikatur), und vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0086 (mit Wiedergabe der allgemein gehaltenen Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung), zu verweisen. Mit diesen Erkenntnissen wurden drei in derselben Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2000 verkündete, andere indische Asylwerber betreffende Bescheide der belangten Behörde, deren Begründungen in den schriftlichen Ausfertigungen - jeweils auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Verneinung von "Aktualität" der geltend gemachten Verfolgung bei Wahrunterstellung des Vorbringens - mit derjenigen des hier angefochtenen Bescheides zum Teil wörtlich übereinstimmten, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben (vgl. seither etwa auch das Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2001/20/0663, sowie die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0558 und Zl. 2001/20/0564). Insoweit sich die belangte Behörde in der Gegenschrift auf das Erkenntnis vom 25. Jänner 2001, Zl. 2001/20/0011, beruft, ist sie auf die erwähnten neueren, dieselbe Berufungsverhandlung wie im vorliegenden Fall betreffenden Entscheidungen sowie darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer anders als im Fall des von der belangten Behörde zitierten Erkenntnisses nicht als Ausreisegrund angegeben hat, er habe sich durch die Polizei "schikaniert gefühlt".

Im vorliegenden Fall stützt die belangte Behörde die mangelnde "Aktualität" des Vorbringens auf den Hinweis, dem Beschwerdeführer fehle "das vom Sachverständigen für eine künftige zielgerichtete Verfolgung erforderliche 'high profile'". Sie bezieht sich damit auf die vom Sachverständigen zu "BW VII" und mittels Verweisung in der Folge auch zum Beschwerdeführer ("BW VIII") getroffene Aussage, auf ihn treffe "Abs. 2" der "allgemeinen Ausführungen" des Sachverständigen zu, "da nicht er selbst, sondern der Cousin Mitglied einer militanten Sikh Organisation war". Auf den Beschwerdeführer soll das "mit der Maßgabe" zutreffen, dass "nicht der Cousin, sondern der Bruder terroristischen Hintergrund aufweist".

     "Abs. 2" der "allgemeinen Ausführungen" des Sachverständigen

(vgl. dazu die wörtliche Wiedergabe in dem schon zitierten

Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0086) enthält zum

"Themenkreis der Sikh-Terroristen" u.a. die Aussage, "die

Informationen" wiesen darauf hin, "dass für ... Angehörige ...

heute in der Regel keine Gefahr von Verfolgungshandlungen durch

staatliche Organe besteht. ... Die vorliegenden Dokumente und

Informationen legen nahe, dass nur noch für hochrangige ('high

profile', d.h. ...) Führungspersonen bzw. Funktionäre militanter

Organisationen die Gefahr besteht, von staatlichen Behörden

verfolgt zu werden ... Die Tatsache, dass Angehörige in der Regel

nicht verfolgt werden, deckt sich auch mit den Aussagen der BW, die angegeben haben, dass ihre Eltern von der Polizei unbehelligt leben".

Bei den "Informationen" bzw. "vorliegenden Dokumenten und Informationen" - auf die der Sachverständige in der Verhandlung nur in der dargestellten Weise pauschal zusammenfassend Bezug genommen hat - soll es sich um die Unterlagen handeln, die in einer der Niederschrift über die Berufungsverhandlung angeschlossenen Liste aufgezählt sind ("Quellen"). Diese Unterlagen sind in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten, sodass auch eine weniger allgemein gehaltene Bezugnahme auf sie durch den Sachverständigen nicht nachvollziehbar wäre. Zu dem in der Liste aufscheinenden "India Assessment" des "UK Home Office" vom April 2000 kann allerdings auf das Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/20/0354, verwiesen werden, wonach das erwähnte "Assessment" von einer Verfolgungsgefahr für die Angehörigen militanter Sikh-Aktivisten auszugehen und den Ausführungen des Sachverständigen in diesem Punkt zu widersprechen scheint (vgl. in diesem Sinn etwa auch das Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2000/20/0373).

Davon abgesehen steht aber das konkrete, von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig erachtete Vorbringen des Beschwerdeführers der Beurteilung, Angehörige würden grundsätzlich nicht behelligt, von vornherein entgegen, wenn nicht gezeigt wird, dass seit den Erlebnissen des Beschwerdeführers eine in dieser Hinsicht maßgebliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (vgl. ähnlich etwa auch das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2001/01/0097).

Da die belangte Behörde unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers auf die ihm wegen der familiären Nahebeziehung zu einer Person mit "terroristischem Hintergrund" drohende Verfolgungsgefahr nicht ausreichend konkret eingegangen ist, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit ihren - in der Beschwerde ebenfalls kritisierten - Ausführungen zu den "Grenzen" des allgemeinen Risikos von Polizeiübergriffen im Punjab ("Abs. 1" der Lagebeurteilung des Sachverständigen).

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juli 2004

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200018.X00

Im RIS seit

26.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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