TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/17 2001/20/0086

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Veröffentlicht am 17.09.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Oktober 2000 (mündlich verkündet am 5. Oktober 2000), Zl. 217.719/4-II/04/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, reiste am 27. April 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 4. Mai 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Juni 2000 gab der Beschwerdeführer an, Sikh zu sein. Ein Freund seines Bruders sei Terrorist gewesen. Dieser habe die Familie des Beschwerdeführers ab und zu besucht und dabei im Elternhaus des Beschwerdeführers sein Gewehr versteckt. Nach einer Streiterei mit Nachbarn hätten die Nachbarn der Polizei gemeldet, dass im Hause der Familie des Beschwerdeführers ein Terrorist sei. Die Polizei sei gekommen und habe den Terroristen, der gerade anwesend gewesen sei, sowie den Vater des Beschwerdeführers verhaftet. Dies sei im März 1999 gewesen. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten von der Verhaftung erfahren und seien daraufhin nicht mehr nach Hause gegangen sondern (getrennt) geflüchtet. Seit damals habe der Beschwerdeführer von seinem Vater nichts mehr gehört. Im Fall einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer sofort verhaftet werden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Juni 2000 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen. Gemäß § 8 Asylgesetz wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, seine Fluchtgründe glaubhaft zu machen.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid legte der Beschwerdeführer im Wesentlichen dar, nur auf Grund seiner Familienzugehörigkeit in den Verdacht der Zusammenarbeit mit Terroristen gekommen zu sein. Er werde daher vom indischen Staat verfolgt.

Die belangte Behörde führte am 5. Oktober 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, wobei insgesamt zehn Asylverfahren verbunden wurden. Der Beschwerdeführer wurde als "BW III" bezeichnet. Dem Verhandlungsprotokoll ist u.a. Folgendes zu entnehmen:

"...

SV erstattet nachstehendes Gutachten:

Allgemein möchte ich zunächst folgendes ausführen:

(1) Nach den mir vorliegenden Dokumenten und Informationen (siehe beiliegende Aufstellung) stehen willkürliche Verhaftungen durch die Polizei, Mißhandlungen im Polizeigewahrsam und Schmiergelderpressungen durch die Polizei in Indien weiterhin auf der Tagesordnung. Die Gefahr Opfer willkürlicher Handlungen der Polizei zu werden, wird von verschiedenen Faktoren beeinflußt: Zum einen durch die politische Lage und Sicherheitslage in der entsprechenden Region und zum anderen durch persönliche Faktoren (des potentiellen Opfers), wie Bildung, Vermögen und sozialer Status. Was die politische bzw. Sicherheitslage anlangt, so ist diese gegenwärtig im Punjab sicherlich günstiger als noch Anfang der 90er Jahre. Ich habe selbst zuletzt im März 1999 während eines mehrtägigen Aufenthaltes in einem Bauernhof im Punjab Kontakt zu Personen mit ähnlichem sozialen Hintergrund, wie ihn die BW aufweisen gehabt und festgestellt, dass diese nicht in ständiger Furcht vor polizeilichen Übergriffen leben; gleichwohl würde ich für Personen mit dem sozialen Hintergrund der BW die Gefahr, Opfer derartiger Übergriffe zu werden, jedenfalls höher einschätzen als in Österreich.

Außerdem werden zahlreiche Fälle von Personen dokumentiert, die in der Obhut der Sicherheitsbehörden 'verschwinden'. Besonders häufig sind diese Fälle in Jammu und Kashmir und in Assam. Das 'Verschwinden' erstreckt sich auch auf Sympathisanten, einfache Mitglieder, Funktionäre, Aktivisten von diversen politischen Gruppierungen in diesen beiden Bundesstaaten sowie von deren Angehörigen.

(2) Was den Themenkreis der Sikh-Terroristen betrifft, so weisen die Informationen darauf hin, dass für Sympathisanten, Angehörige, Freunde und einfache Mitglieder von Gruppen, die für ein unabhängiges Khalistan eintreten, heute in der Regel keine Gefahr von Verfolgungshandlungen durch staatliche Organe besteht. Im Falle ihrer ungerechtfertigten Behandlung durch staatliche Organe haben sie normalerweise Zugang zum Gerichtswesen. Allerdings gehen viele Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Behörden noch immer straflos aus.

Die vorliegenden Dokumente und Informationen legen nahe, daß nur noch für hochrangige ('high profile', d.h. entweder in der Organisationshierarchie hochstehende, oder durch besondere Aktivitäten herausragende) Führungspersonen bzw. Funktionäre militanter Organisationen die Gefahr besteht, von staatlichen Behörden verfolgt zu werden. Sie werden jedoch meistens nur dann gesucht, wenn sie im Verdacht einer konkreten Straftat stehen. Die Tatsache, daß Angehörige in der Regel nicht verfolgt werden, deckt sich auch mit den Aussagen der BW, die angegeben haben, daß ihre Eltern von der Polizei unbehelligt leben.

(3) Personen, die des illegalen Waffenbesitzes verdächtigt werden, werden nach meinen Informationen nur dann in Polizeigewahrsam genommen, wenn ihnen darüberhinaus kriminelle Aktivitäten zur Last gelegt werden. Bei einfachen Verstößen gegen das Waffengesetz bleibt der Angeklagte in der Regel bis zum Urteilsspruch auf freiem Fuß.

(4) Prinzipiell ist es denkbar, dass Personen, welche die Zusammenarbeit mit terroristischen Gruppierungen verweigern, mit Verfolgungshandlungen von seiten dieser Gruppen zu rechnen haben, und daß diese Gruppierungen auch über die logistischen Fähigkeiten verfügen, von ihnen gesuchte Personen auch in anderen Teilen Indiens zu verfolgen. Allerdings sind in den mir vorliegenden Dokumenten keine derartigen Fälle erwähnt. Entführungsfälle durch Khalistan Aktivisten werden nur im Zusammenhang mit Lösegeldforderungen (meist handelt es sich um vermögende Geschäftsleute) erwähnt.

Zu den konkreten Berufungswerbern: (deren heutige Aussage meiner Beurteilung, soweit nicht ausdrücklich anderes ausgeführt, zugrundegelegt wird, ohne damit zugleich eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieser Aussagen abzugeben):

...

Zu BW III (auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vorbringens): Es treffen die Absätze 2 und 3 meiner allgemeinen Ausführungen zu, denn nur der Freund des Bruders war Mitglied einer terroristischen Vereinigung und hat sein Gewehr beim BW versteckt.

..."

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung

des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend führte die belangte

Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:

"...

Im gegenständlichen Fall hat der Berufungswerber sein Begehren, ihm Asyl bzw. zumindest Refoulementschutz zu gewähren, damit begründet, wegen des Umstandes, dass ein 'Terrorist', und zwar 'ein Freund' des Bruders des Berufungswerbers, gelegentlich sein Gewehr im Elternhaus des Berufungswerbers versteckt habe, auch selbst hinkünftig Verfolgung befürchten zu müssen, zumal deshalb auch schon sein Vater verhaftet worden sei.

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung entbehrt nun diese Befürchtung, selbst für den Fall ihrer Wohlbegründetheit in der Vergangenheit, jedenfalls in asylrechtlicher Hinsicht (sowie im Bereich des § 57 Abs. 2 FrG) der Aktualität, hat der Berufungswerber doch als eine Person, die jedenfalls selbst nicht das vom Sachverständigen für eine künftige zielgerichtete Verfolgung erforderliche 'high profile' aufweist (auch unter Zugrundelegung der Sichtweise indischer Polizeiorgane), eine derartige zielgerichtete Verfolgung (etwa als Sympathisant von 'Terroristen') auch dann nicht (mehr) zu befürchten, wenn das Vorbringen des Berufungswerbers in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zutreffen sollte.

Nicht auszuschließen vermochte der Sachverständige freilich allgemein 'willkürliche Verhaftungen durch die Polizei, Mißhandlungen im Polizeigewahrsam und Schmiergelderpressungen durch die Polizei.' Der Sachverständige hat allerdings auch, wenngleich erst auf Nachfrage des gesetzlichen Vertreters des Berufungswerbers, klar gestellt, dass derartige 'willkürlichen Handlungen der Staatsorgane' gegenwärtig 'dadurch in Grenzen gehalten (werden), daß die Gerichte

in der Regel ordentlich funktionieren und daß Mißbrauchsfälle durch die Presse, die in Indien sehr frei ist, aufgedeckt werden';

...

Nachdem nun das Risiko des Berufungswerbers, Opfer willkürlicher Verhaftungen und, damit verbunden, künftiger Misshandlungen, zu werden, zwar nach dem Sachverständigen 'jedenfalls höher einzuschätzen (ist) als in Österreich', jedoch im gerade umschriebenen Sinne eingegrenzt ist, die Lage im Punjab, der Herkunftsregion des Berufungswerbers, jedenfalls günstiger als in anderen Bundesstaaten Indiens (der Sachverständige nannte in diesem Zusammenhang einerseits Jammu und Kaschmir, andererseits Assam) beschaffen ist, im Punjab gegenwärtig 'Personen mit ähnlichem sozialen Hintergrund, wie ihn (u.a. der) BW (aufweist) ... nicht in ständiger Furcht vor polizeilichen Übergriffen leben' und überdies gegenwärtig, auf Grund der vorstehend verneinten Gefahr zielgerichteter Verfolgung, gegenüber dem Berufungswerber auch eine Anwendung der - besonders gefährlichen - Sondergesetze ausgeschlossen erscheint, erachtet der unabhängige Bundesasylsenat die dem Berufungswerber im Falle seiner Rückkehr nach Indien dort allenfalls drohende Gefahr nicht zielgerichteter, sondern willkürlicher Mißhandlung als für eine Gewährung von Refoulementschutz nicht 'stichhältig' bzw. 'konkret' genug - dies auch dann, wenn das Vorbringen des Berufungswerbers, sein Vater sei wegen des im Elternhaus des Berufungswerbers versteckten Gewehrs verhaftet worden, zutreffen sollte, zumal nicht ersichtlich ist, warum dem Berufungswerber aus dem von ihm (einzig) genannten Vorfall just für ihn selbst, der weder selbst mit den 'Terroristen' befreundet war noch sein Haus für das Verstecken des Gewehres zur Verfügung gestellt hat, ein gegenüber der allgemeinen Situation erheblich gesteigertes, iSd Art. 3 EMRK 'reales' Risiko erwachsen sollte.

..."

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung auf das bei der mündlichen Berufungsverhandlung erstellte Gutachten des Sachverständigen gestützt. Damit hat sie ihren Bescheid nicht schlüssig nachvollziehbar begründet. In dem laut Aussage des Sachverständigen auf den Beschwerdeführer anzuwendenden "Absatz 2" seiner gutächtlichen Äußerungen wird nämlich festgehalten, dass die Tatsache, dass Angehörige in der Regel nicht verfolgt werden, sich mit den Aussagen der Asylwerber decke, die angegeben hätten, dass ihre Eltern von der Polizei unbehelligt lebten. Der Beschwerdeführer hat jedoch dargelegt (und die belangte Behörde hat die Angaben des Beschwerdeführers nicht für unwahr gehalten), dass sein Vater wegen des Kontaktes mit Terroristen und der Auffindung eines Gewehres im Elternhaus des Beschwerdeführers verhaftet worden sei und der Beschwerdeführer über sein weiteres Schicksal nichts wisse.

Die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides, dass auch unter Zugrundelegung des Vorbringens hinsichtlich der Verhaftung des Vaters des Beschwerdeführers nicht ersichtlich sei, warum dem Beschwerdeführer ein gegenüber der allgemeinen Situation erheblich gesteigertes, reales Risiko erwachsen sollte, entbehren somit einer näheren Begründung und finden im Gutachten des Sachverständigen jedenfalls keine Grundlage.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001200086.X00

Im RIS seit

22.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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