TE OGH 1947/6/21 1Ob345/47

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.1947
beobachten
merken

Norm

ABGB §91
Ehegesetz §55

Kopf

SZ 21/40

Spruch

Der Widerspruch nach § 55, Abs. 2 EheG. ist in der Regel trotz Zerrüttung der Ehe beachtlich, solange nicht die eheliche Beistandspflicht im konkreten Fall jeden Sinn verloren hat.

Entscheidung vom 21. Juni 1947, 1 Ob 345/47.

I. Instanz: Landesgericht Linz-Nord; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die erste Instanz hat dem Ehescheidungsbegehren stattgegeben; das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil der Widerspruch der Beklagten beachtlich sei.

Aus der Begründung des Berufungsgerichtes:

Die Zerrüttung der Ehe muß auch dann als gegeben angesehen werden, wenn die Beklagte selbst an der Ehe noch festhält. Es genügt daher, wenn die Zerrüttung der Ehe nur eine einseitige ist. Da mit Rücksicht auf die schweren Verfehlungen des Klägers der Widerspruch der Beklagten zulässig ist, bleibt nur zu prüfen, ob der Widerspruch der Beklagten beachtlich ist.

Hier geht das Berufungsgericht davon aus, daß das Ehegesetz dem schuldigen Gatten das Recht zum Widerspruche grundsätzlich einräumt. Es müssen nun nach der neueren Praxis besondere Umstände vorliegen, welche die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Beachtlichkeit des Widerspruches bildet daher den Regelfall und nicht den Ausnahmefall.

Soll die Beachtlichkeit des Widerspruches verneint werden, müssen besondere Gründe vorliegen, etwa daß die Ehegatten die eheliche Gemeinschaft nur durch kurze Zeit aufrechterhalten haben und daß die Ehe kinderlos geblieben ist, während im Falle der Scheidung die Legitimierung unehelicher Kinder erfolgen könnte.

Die Beklagte ist seit 12 Jahren mit dem Kläger verheiratet und aus der Ehe stammt ein unmundiges Kind. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen und hält an der Ehe fest, welche vom Kläger zerrüttet worden ist. Daß sie sich mit dem Kläger auf sein Drängen in außergerichtliche Verhandlungen über die Ehescheidung eingelassen hat, kann ihre rechtliche Stellung nicht beeinträchtigen, denn ihre Weigerung, eine schriftliche Zustimmungserklärung zu geben, welche bei dem zwingenden Charakter der Scheidungsbestimmungen überdies unerheblich wäre, weist darauf hin, daß sie sich mit dem Gedanken an eine Scheidung eben nicht abfinden kann.

Im vorliegenden Prozeß kommt zwar bei Beurteilung des Scheidungsbegehrens keine ausschlaggebende Bedeutung zu, doch ist immerhin festzuhalten, daß im Falle der Scheidung der auf § 91 ABGB. gegrundete Unterhaltsanspruch der Beklagten sich in einen bedingten verwandelt, daß er dann mit dem Unterhaltsanspruch der zweiten Gattin konkurriert und daß schließlich die Beklagte Gefahr läuft, den Anspruch auf Witwenpension einzubüßen. Die Behauptung des Klägers trifft daher nicht zu, daß die Versorgung der Beklagten durch die Scheidung keine Beeinträchtigung erleidet.

Es kann unter solchen Umständen auch nicht gesagt werden, daß das Festhalten der Beklagten an der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Das Berufungsgericht hat trotz Vorliegens aller Voraussetzungen des § 55, Abs. 1 EheG. in Abänderung des erstrichterlichen Urteils das Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen, weil es den Widerspruch der Beklagten für beachtlich hielt. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, der das Urteil seinem ganzen Inhalte nach wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft und den Antrag stellt, in Abänderung des angefochtenen Urteils die Entscheidung erster Instanz wiederherzustellen. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung den Antrag gestellt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht begrundet. Der Oberste Gerichtshof tritt der zutreffenden und erschöpfenden Begründung des angefochtenen Urteils bei und verweist zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen auf sie. Nur im Hinblick auf die Revisionsausführungen sei noch folgendes bemerkt: der Revisionswerber erkennt richtig, daß der Schwerpunkt der Entscheidung in der Lösung der Frage liegt, ob die Beachtlichkeit des Widerspruchs (§ 55, Abs. 2 EheG.) den Regelfall zu bilden hat oder nach der Absicht des Gesetzes eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, daß unheilbar zerrüttete Ehen nicht aufrechtzuerhalten sind. Mit Recht hat das Berufungsgericht sich für die erstere dieser beiden Ansichten entschieden. Wenn man, dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Ideologie Rechnung tragend, davon ausgeht, daß § 55 EheG. nicht mehr bevölkerungspolitischen Zwecken zu dienen hat, sondern mit der in Österreich bodenständigen und in sittlichen Anschauungen verwurzelten Auffassung in Einklang gebracht werden muß, daß die eigentliche Aufgabe der Ehe und ihr höherer Sinn in der seelischen Bindung der Gatten aneinander und in der damit übernommenen Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand zu erblicken ist, dann erscheint die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich so lange gerechtfertigt, als sie diesen Zweck erfüllen kann, das heißt, solange der beklagte Gatte trotz der Zerrüttung der Ehe des Beistandes bedarf und sich auch seinerseits zu einer solchen Beistandsverpflichtung bekennt und solange eine solche Beistandsleistung auch möglich ist. Nur dann, wenn infolge der besonderen Sachlage des Einzelfalles auch diese Verpflichtung jeden Sinn verloren hat und so der Ehe ihr wesentlichster Inhalt genommen ist, wird der Widerspruch nicht zu beachten sein. Eben deshalb aber, weil das Wesen der ehelichen Gemeinschaft in sittlichen Bindungen liegt, die auch bei Wegfall der äußerlichen Gemeinschaftsmomente fortbestehen können, ist in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht daran festzuhalten, daß die Beachtlichkeit des Widerspruchs den Regelfall zu bilden hat.

Von dieser grundsätzlichen Ansicht aus muß es als unwesentlich erscheinen, ob die Beklagte durch die Scheidung der Ehe eine materielle Einbuße erleiden würde. Die sittliche Verpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten reicht eben über die Unterhaltspflicht weit hinaus und deshalb kann die Sicherung des Unterhalts für die Beklagte deren Widerspruch gegen die Scheidung noch nicht als unbeachtlich erscheinen lassen. Anderseits kann aus dem gleichen Gründe der Hinweis auf allfällige materielle Nachteile, die die Beklagte durch die Scheidung erleiden würde, für sich allein noch keine ausreichende Begründung für die Aufrechterhaltung einer in ihrem Wesenskern zerstörten Ehe bieten. Die Ausführungen der Revision über die Erwerbsfähigkeit der Beklagten sowie darüber, daß diese mit einer Beeinträchtigung ihrer Unterhaltsansprüche durch eine Wiederverehelichung des Beklagten eben rechnen müsse, können daher keine Beachtung finden.

Völlig belanglos aber und vom Berufungsgericht rechtlich richtig beurteilt ist das Vorbringen des Klägers, daß sich die Beklagte in Verhandlungen über ihre Unterhaltsansprüche für den Fall einer Scheidung eingelassen und damit die Zerrüttung der Ehe selbst zugegeben hat. An der Zerrüttung der Ehe besteht ja kein Zweifel und sie ist auch vom Berufungsgerichte angenommen worden. Aber trotzdem sprechen sittliche Erwägungen für die Aufrechterhaltung der Ehe und diese Entscheidung hat das Gericht, ohne an die Rechtsansicht der Parteien gebunden zu sein, selbst zu treffen.

Aus all dem ergibt sich, daß dem Urteil des Berufungsgerichtes der vom Kläger behauptete Rechtsirrtum nicht anhaftet und daß darum der

Anmerkung

Z21040

Schlagworte

nach § 55 EheG., Beachtlichkeit des Widerspruches, Scheidung nach § 55 EheG., Widerspruch, Widerspruch nach § 55, Abs. 2 EheG., Beachtlichkeit, Zerrüttung der Ehe, Beachtlichkeit des Widerspruches nach § 55, Abs. 2, EheG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00345.47.0621.000

Dokumentnummer

JJT_19470621_OGH0002_0010OB00345_4700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten