TE OGH 1948/6/16 1Ob76/48

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Veröffentlicht am 16.06.1948
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Norm

ABGB §1096
Mietengesetz §2
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z7
Mietengesetz §19 Abs2 Z9a
Mietengesetz §19 Abs2 Z9b
Mietengesetz §19 Abs2 Z12
Nationalsozialistengesetz II. Hauptstück Abschnitt II
Verbotsgesetz 1947 §14
ZPO §500 Abs3

Kopf

SZ 21/103

Spruch

Zum Begriff: ... "ein dem Bunde gehöriger Mietgegenstand".

Läßt sich eine auf § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. gestützte Kündigung nach § 19, Abs. 2, Z. 12 MietG. oder nach § 19, Abs. 1 MietG. rechtfertigen ?

Entscheidung vom 16. Juni 1948, 1 Ob 76/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin, Republik Österreich (Postverwaltung), ist Hauptmieterin der nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. aufgekundigten Wohnung. Diese ist der Beklagten, einer nicht diensttuenden Postbeamtin, die weder in den Personalstand der Zweiten Republik übernommen, noch pensioniert ist, vermietet. Die Wohnung wird für einen aktiven diensttuenden Beamten benötigt.

Beide Untergerichte haben die Kündigung für wirksam erklärt. Sie hielten die Voraussetzungen zur Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. für gegeben, weil unter Bestandgegenstand nicht das Gebäude, in dem sich das Mietobjekt befindet, sondern das Mietobjekt als solches, nämlich die aufgekundigte Wohnung zu verstehen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der gemäß § 500, Abs. 3 ZPO. zugelassenen Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe:

Der Oberste Gerichtshof hat in wiederholten Entscheidungen ausgesprochen, daß der Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. nicht ausdehnend auf Fälle angewendet werden darf, in denen dem Bund zwar ein Verfügungsrecht über die Wohnung zusteht, der Mietgegenstand als solcher aber nicht dem Bund gehört, worunter dessen Eigentum zu verstehen ist (z. B. 1 Ob 397/47, 1 Ob 319/47). Wohl können die Rechte des Bundes auch von einer anderen Person mit Zustimmung des Bundes geltend gemacht werden (SZ. XIX/131). Aber auch diese Entscheidung geht davon aus, daß das Haus im Eigentum des Bundes steht. Es wurde zwar vereinzelt (1 Ob 480/47) auch die Rechtsansicht vertreten, daß für Anwendbarkeit des besonderen Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. schon das Verfügungsrecht des Bundes über den Mietgegenstand genüge. Der Oberste Gerichtshof hält jedoch die strengere Auslegung der Gesetze für entsprechend, wonach dieser Kündigungsgrund nur anwendbar ist, wenn der Mietgegenstand tatsächlich dem Bund gehört, wie dies in der Entscheidung 1 Ob 693/47 vom 6. März 1948, ÖJZ. 1948, EvBl. Nr. 366, ausdrücklich ausgesprochen wurde. Es liegt der Fall hier ähnlich wie bei § 19, Abs. 2, Z. 7 MietG., wo dieser Kündigungsgrund nur vom Eigentümer geltend gemacht werden kann, wodurch jedoch nicht ausgeschlossen wird, daß der konkrete Sachverhalt die Anwendung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 1 MietG. allenfalls gestattet. Wenn das Berufungsgericht meint, daß sich die Richtigkeit des Gegenteils aus dem Sprachgebrauch des § 2, Abs. 3 MietG. und aus § 1096 ABGB. ergibt, so ist dies nicht überzeugend. Für die strengere Ansicht spricht aber der Umstand, daß hinsichtlich der Worte "gehörig" und "gehört" in Z. 9 a und 9 b zu unterscheiden ist. Im letztgenannten Falle liegt der Mietgegenstand nicht in einem dem Bunde eigentümlichen Gebäude, er gehört wirtschaftlich "zu" einem solchen. Um so eher muß daher im Falle der Z. 9 a angenommen werden, daß der Bund Eigentümer und nicht bloß obligatorisch verfügungsberechtigter Mieter sein muß. Es mag zugegeben werden, daß die Ausdrücke "gehörig" in Z. 9 a und "gehört" in Z. 9 b in diesem Zusammenhange insofern nicht glücklich gewählt sind, als sie nicht einem eindeutigen Sprachgebrauch entsprechen.

Im vorliegenden Falle ist davon auszugehen, daß der Bund nur Mieter und die beklagte Partei Untermieterin der klagenden Partei ist. Es muß daher die Anwendung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. als nicht berechtigt angesehen werden.

Die klagenden Partei hat jedoch in ihrer Aufkündigung noch ausdrücklich angeführt, "daß die aufgekundigte Wohnung zur Unterbringung eines aktiven Bundesbeamten dienen soll". Hiezu hat die beklagte Partei vorgebracht, daß sie als Postsekretärin auf Grund des § 14 des VerbotsG. 1947 aus dem Postdienste entlassen wurde und daß mit Bescheid des "Liquidators der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich, Post- und Telegraphenverwaltung" vom 24. April 1947 ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienste auf Grund der Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, II. Hauptstück, Abschn. II, aufgehoben wurde. Aus der Kündigung ist daher ohne weiteres zu entnehmen, daß die gegenständliche Wohnung vom Bund für einen noch aktiven Bundesbeamten verwendet werden soll. Wenn sich auch die beklagte Partei deshalb, weil ihre Entlassung aufgehoben wurde, als aktive Beamtin bezeichnet, so ist aus der Kündigung und dem übrigen Vorbringen der klagenden Partei völlig klar, was diese mit dem Satze "daß die aufgekundigte Wohnung zur Unterbringung eines aktiven Bundesbeamten dienen soll" sagen will. Denn es ist unbestritten, daß die beklagte Partei seit ihrer Entlassung nicht mehr Dienst tut. Deshalb sagt auch die klagende Partei in der Berufungsmitteilung, "daß sie die Wohnung dringend zur Unterbringung aktiver, diensttuender Postbediensteter benötigt".

Die Untergerichte gingen jedoch bei ihrer Entscheidung nur vom Rechtsstandpunkte des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. aus, wonach die Verwendung der dem Bunde als Hauptmieter gehörigen Wohnung durch Unterbringung eines aktiven Bediensteten dem Interesse des Bundes in größerem Maße dient, als die Aufrechterhaltung des Untermievertrages mit der Beklagten. Die Untergerichte haben - ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkte - deshalb auch nicht geprüft, ob in der von der klagenden Partei zur Begründung ihres Kündigungsgrundes angeführten Verwendung für einen diensttuenden Bundesbediensteten ein wichtiger Grund im Sinne des § 19, Abs. 1 MietG. gelegen ist. In dem Vorbringen der klagenden Partei, wonach sie den Bestandgegenstand für eine aktiven Bundes(Post)bediensteten dringend benötigt, kann ein wichtiger Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 1 MietG. begrundet sein. Wie bereits im oben angedeuteten Falle des § 19, Abs. 2, Z. 7 MietG. ist die Anwendung der Generalklausel des § 19, Abs. 1 MietG. nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (1 Ob 77/47) dann gerechtfertigt, wenn die Prüfung des Falles ergibt, daß einem im Gesetze ausdrücklich nicht geregelten Falle die gleiche Bedeutung für die Kündigung zukommt wie den vom Gesetzgeber beispielsweise angeführten Kündigungsgrunden. Ein solcher Fall liegt hier vor. Hiemit steht auch die Anwendungsmöglichkeit des § 19, Abs. 1 MietG. zwischen Untervermieter und Untermieter außer Zweifel. Selbst wenn man im vorliegenden Falle in der Beanspruchung für einen diensttuenden Postbediensteten den Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 12 MietG. ("... durch die Fortsetzung der Untermiete wichtige Interessen des Untervermieters verletzt würden ...") nicht erblickt, ändert dies nichts an der Verpflichtung der Untergerichte, auch diese Voraussetzungen zu prüfen. Wesentlich bleibt, daß die kundigende Partei außer dem ziffernmäßig angeführten Gründe nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. noch einen Sachverhalt vorgebracht hat, der einen gesetzlichen Kündigunggrund abgibt, auch wenn er ziffernmäßig nicht benannt ist. Der Kündigungsgrund der Z. 9 a erschöpft sich bereits darin, daß der Mietgegenstand nach der Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums auf eine Art verwendet werden soll, die in höherem Maße den Interessen der Verwaltung dient als die gegenwärtige Verwendung. Die Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums ist bindend und unterliegt nicht der Prüfung durch das Gericht (3 Ob 160/48). (Siehe Nr. 99.) Die Erklärung des Bundesministeriums für Verkehr, Generaldirektion für Post- und Telegraphenverwaltung, hat bei dieser Prüfung außer Betracht zu bleiben, da sie das Gericht nur bei Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG bindet.

Anmerkung

Z21103

Schlagworte

Bindung der Gerichte an Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums, im Sinne des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG., Bund, ein dem B. gehöriger Mietgegenstand, Interesse Kündigung nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a oder § 19, Abs. 1 MietG.?, Mietgegenstand, ein dem Bund gehöriger M., öffentliches Interesse Kündigung nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a oder § 19„ Abs. 1 MietG., Untermietverhältnis kann auch nach § 19, Abs. 1 MietG. gekundigt werden, Verwaltungsakte Bindung der Gerichte an V.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0010OB00076.48.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19480616_OGH0002_0010OB00076_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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