TE OGH 1948/5/26 3Ob160/48

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Veröffentlicht am 26.05.1948
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Norm

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §56
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art131
Mietengesetz §19 Abs2 Z9a
Mietengesetz §19 Abs2 Z11
Mietengesetz §36
ZPO §500 Abs3

Kopf

SZ 21/99

Spruch

§ 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG.: Die Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums ist bindend und unterliegt nicht der Prüfung durch das Gericht; eine Interessensabwägung hat nicht stattzufinden.

Entscheidung vom 26. Mai 1948, 3 Ob 160/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht erklärte die auf den Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. gestützte Kündigung für rechtswirksam, da durch die Entscheidung des Bundesministeriums für Verkehr vom 28. August 1947, Zl. 41.053/47, festgestellt sei, daß die Wohnung zur Unterbringung eines aktiven Bediensteten, also auf eine Art verwendet werden solle, die in höherem Maße den Interessen der Verwaltung dient, als die gegenwärtige Verwendung. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß über die Frage des überwiegenden Interesses der Verwaltung an der Freimachung einer bundeseigenen Wohnung das zuständige Bundesministerium zu entscheiden habe und das das Gericht an eine solche Entscheidung gebunden sei. Es erklärte gemäß § 500, Abs. 3 ZPO. die Revision für zulässig.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe:

Der geltend gemachte Revisionsgrund wird dahin ausgeführt, daß die Rechtsansicht der Untergerichte, die Entscheidung des Bundesministeriums für Verkehr sei ein die Gerichte bindender Verwaltungsakt, es sei daher nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. gegeben sind, verfehlt sei; die Stellungnahme des Bundesministeriums für Verkehr sei vielmehr kein Verwaltungsbescheid, sondern lediglich ein vom Gericht zu überprüfendes Gutachten, wie dies der Verwaltungsgerichtshof in seiner über die Beschwerde der Beklagten gefällten Entscheidung vom 19. Dezember 1947, Z. 1319/47-1, zum Ausdruck gebracht habe. Die Untergerichte wären daher verpflichtet gewesen, die Überprüfung des Gutachtens und eine gegenseitige Interessenabwägung vorzunehmen, was sie im Hinblick auf ihre unrichtige Rechtsansicht unterlassen haben.

Die Revision ist nicht begrundet.

Der Oberste Gerichtshof findet keinen Anlaß, von seiner ständigen, unter anderem in den Entscheidungen 1 Ob 969/35, 1 Ob 370/36, 3 Ob 1116/36, 3 Ob 181/37, JBl. 1937, S. 475 = RZtg. 1937, S. 401, zuletzt 1 Ob 806/47 vom 10. Dezember 1947 vertretenen Rechtsansicht abzugehen, daß die im § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. angeführte Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums für das Gericht bindend ist und daher eine Abwägung der beiderseitigen Interessen zu unterbleiben hat, wobei es nicht darauf ankommt, ob dieser Ausspruch des zuständigen Bundesministeriums einen an die Verfahrens- und Formvorschriften nach §§ 56 ff. AVG. gebundenen Bescheid darstellt, schließlich daß den Bestimmungen des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. durch die Entscheidung des zuständigen Ministeriums Genüge getan ist. Dem steht nicht entgegen, daß derVVerwaltungsgerichtshof in seiner oben angeführten Entscheidung die Beschwerde der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen hat, daß die Entscheidung des Bundesministeriums für Verkehr keinen behördlichen Bescheid darstelle, der für das Zivilgericht verbindlich wäre und nach Art. 131 B-VG. vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden könnte, vielmehr nur als ein der Überprüfung durch das Zivilgericht unterliegendes Gutachten gewertet werden könne. Abgesehen davon, daß dieser Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes erst nach Fällung des Urteils erster Instanz gefaßt wurde, ist das Gericht an diesen Beschluß nur insoweit gebunden, als er die Zurückweisung der Beschwerde ausspricht. Die Frage, ob das Gericht eine Überprüfung der mehrfach erwähnten Entscheidung des Bundesministeriums vorzunehmen habe, ist aber lediglich von den Gerichten zu entscheiden. Der zitierte Beschluß enthält übrigens für seine Rechtsansicht keine nähere Begründung, sondern verweist auf die Begründung des Beschlusses vom 6. November 1947, Zl. 511/46 (veröffentlicht in der ÖJZ. 1948, Heft 6, Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes, Nr. 11). In diesem Beschluß stellt sich der Verwaltungsgerichtshof selbst auf den Standpunkt, daß sich das Gericht über die Entscheidung des Bundesministerium nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. nicht grundlos hinwegsetzen könne und nur dann die Stichhältigkeit der in der Entscheidung vorgebrachten Gründe zu überprüfen habe, wenn der Kündigunggegner die Entscheidung mit überzeugenden Gründen bekämpfe oder wenn die Entscheidung Unschlüssigkeiten enthalte. Selbst bei Zugrundlegung dieser Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wäre hiedurch für die Beklagte nichts gewonnen, denn sie hat lediglich eingewendet, daß sie sich seit dem Jahr 1919 in der Wohnung aufhält, im September 1944 die Mietrechte ihres Mannes gemäß § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG.erworben habe und durch den Verlust der Wohnung sehr arg betroffen würde, weil sie fast erblindet und nicht arbeitsfähig sei, schließlich daß ihre bei ihr wohnende Tochter wegen der für die Beschaffung eines Ersatzquartiers notwendigen Laufereien dienstliche Nachteile befürchten müsse. Die Beklagte hat somit lediglich in ihrer Person gelegene Gründe geltend gemacht, die Absicht der Verwendung des Bestandobjektes für einen aktiven Verkehrsbediensteten aber gar nicht bestritten. Da die Verwendung einer Wohnung ein einem der Bundesbahn gehörigen Hause für einen aktiven Verkehrsbediensteten jedenfalls in höherem Maße den Interessen der Bundesbahnverwaltung dient als bisherige Verwendung durch einen betriebsfremden Mieter, kann von einer Bekämpfung der Entscheidung des Bundesministeriums aus überzeugenden Gründen somit keine Rede sein. Von allfälligen Unschlüssigkeiten der Entscheidung des Bundesministeriums kann gleichfalls nicht gesprochen werden, weshalb auch nach dem Standpunkt des Verwaltungsgerichtshofes in seinem vorerwähnten Beschluß kein Grund zur Überprüfung der Entscheidung vorliegen würde.

Davon abgesehen verbleibt der Oberste Gerichtshof, wie bereits erörtert, bei seiner bisherigen Rechtsmeinung, daß durch die Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums, der Mietgegenstand solle auf eine Art verwendet werden, die in höherem Maße den Interessen der Verwaltung diene als die gegenwärtige Verwendung, den Bestimmungen des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. Genüge getan, das Gericht an diese Entscheidung gebunden ist und eine Interessensabwägung zu entfallen hat. Denn der Wortlaut der durch die Mietgesetznovelle 1933 in das Mietengesetz eingefügten Bestimmung des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG., insbesondere die Worte "ob diese Voraussetzung zutrifft, entscheidet im Zweifel das Bundesministerium ..." lassen nur die eine Auslegung zu, daß für den Fall, als die Voraussetzungen des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. bestritten werden oder das Gericht über das Zutreffen dieser Voraussetzungen im Zweifel sein sollte, eine Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums herbeizuführen ist, die aber nicht bloß als ein der Prüfung durch das Gericht unterliegendes Beweismittel angesehen werden kann, sondern, wie sich aus der Bestimmung des § 36, Abs. 2 MietG. eindeutig ergibt, für die Entscheidung des Gerichtes von präjudizieller Bedeutung ist; denn diese Gesetzesstelle spricht aus, daß für den Fall, als die Entscheidung des Rechtsstreites von der im letzten Satz des erwähnten Absatzes angeführten Vorfrage abhängt, das Gericht das Verfahren bis zur Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums über diese Vorfrage zu unterbrechen hat. Damit hat der Gesetzgeber in einer jeden Zweifel ausschließenden Art bestimmt, daß über die erwähnte Vorfrage das zuständige Bundesministerium ausschließlich zu entscheiden hat und daß daher das Gericht an diese Entscheidung gebunden ist. Es handelt sich hier um eine dem § 1, Abs. 2 der Verordnung über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse vom 28. September 1943, DRGBl. I S. 546, analoge Bestimmung, hinsichtlich deren die Rechtsprechung gleichfalls auf dem Standpunkte steht, daß das Gericht an die Entscheidung der Feststellungsbehörde über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1, Abs. 1 der erwähnten Verordnung gebunden ist. Nach den Grundsätzen des österreichischen Zivilprozeßrechtes kann auch ein Rechtsstreit nur wegen eines für die Entscheidung präjudiziellen Verfahrens, nicht aber zwecks Beischaffung eines Beweismittels unterbrochen werden, als welches die Entscheidung des Bundesministeriums anzusehen wäre, wenn sie nur als ein der Überprüfung durch das Gericht unterliegendes Gutachten aufzufassen ist. Es ist daher für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, ob die Entscheidung des Bundesministeriums einen Bescheid im Sinne des AVG. darstellt. Sie ist jedenfalls aus dem vorangeführten Gründen für das Gericht bindend und es ist dem Gericht die Prüfung dieser Entscheidung verwehrt.

Wenn die Revision darauf verweist, daß es bei Zutreffen dieser Rechtsansicht nicht verständlich wäre, warum der Gesetzgeber die Entscheidung über die Kündigung nicht gleich der Verwaltungsbehörde übertragen habe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß die Entscheidung über die Kündigung von Mietverträgen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte fällt und daß das Gericht auch im Falle einer Kündigung nach § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG. das Zutreffen aller übrigen Voraussetzungen, so das Vorliegen eines Bestandvertrages, die Einhaltung der Kündigungsfrist und aller sonstigen Formvorschriften, die Prozeßfähigkeit usw. zu prüfen und darüber zu entscheiden hat.

Anmerkung

Z21099

Schlagworte

Bindung der Gerichte an Entscheidung des zuständigen Bundesministeriums, im Sinne des § 19, Abs. 2, Z. 9 a MietG., Interesse öffentliches, Feststellung desselben bei Kündigung nach § 19„ Abs. 2, Z. 9 a MietG., Interessensabwägung nicht beim Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 9 a, MietG., öffentliches Interesse Feststellung desselben bei Kündigung nach § 19„ Abs. 2, Z. 9 a MietG., Unterbrechung des Verfahrens, nicht zwecks Beischaffung von, Beweismitteln, Verwaltungsakte Bindung der Gerichte an V.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0030OB00160.48.0526.000

Dokumentnummer

JJT_19480526_OGH0002_0030OB00160_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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