TE OGH 1949/5/7 4Ob24/49

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Veröffentlicht am 07.05.1949
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Norm

Arbeitsgerichtsgesetz §1
Arbeitsgerichtsgesetz §2
Handelsagentengesetz §1

Kopf

SZ 22/66

Spruch

Handelsagenten, deren wirtschaftliche Abhängigkeit vom Geschäftsherrn so groß ist, daß der Agent wirtschaftlich und sozial betrachtet, einem Angestellten nahekommt, sind arbeitnehmerähnliche Personen.

Entscheidung vom 7. Mai 1949, 4 Ob 24/49.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Beschluß des Rekursgerichtes, womit dieses die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit bejaht hatte.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Kläger haben als Vertreter (Inseratenagenten) für die Beklagten gearbeitet und begehren aus diesem Verhältnis Provisionen und Kündigungsentschädigungen. Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen Unzuständigkeit des Arbeitsgerichtes zurückgewiesen, weil kein Dienstverhältnis vorliege und die Kläger selbständige Handelsagenten seien. Das Rekursgericht hat diesen Beschluß aufgehoben (richtig abgeändert) und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens in der Hauptsache aufgetragen.

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs macht geltend, daß die Kläger selbständige Handelsagenten seien und daß auch kein arbeitnehmerähnliches Verhältnis vorliege, weil § 2 Abs. 1 ArbGerG. auf selbständige Handelsagenten nicht anwendbar sei.

Der Revisionsrekurs ist nicht begrundet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kläger selbständige Gewerbetreibende sind, da auch dann, wenn diese Vorfrage bejaht wird, die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist; der Oberste Gerichtshof kann sich der Rechtsanschauung der Beklagten, daß Handelsagenten niemals als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, nicht anschließen. Auch Handelsagenten sind arbeitnehmerähnlich, wenn sie wirtschaftlich abhängig sind. Ob das der Fall ist, kann nur nach ihrer gesamten wirtschaftlichen Stellung im Einzelfall entschieden werden. Hat ein Handelsagent seine berufliche Tätigkeit in einer Form organisiert, daß diese Organisation als Unternehmen angesehen werden kann, dann ist diese Frage zu verneinen, anders aber bei der großen Anzahl derjenigen Handelsagenten, die sich von angestellten Agenten nur durch das Fehlen eines Fixums, einer gewissen Freizügigkeit und der Einteilung ihrer Arbeit, einer Beschränkung der Berichterstattungspflicht u. dgl. unterscheiden, im übrigen aber, wirtschaftlich betrachtet, mit einem selbständigen Unternehmer nichts gemein haben. Entscheidend ist das Maß der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit, in dem er, sei es auch nur tatsächlich, gegenüber dem Geschäftsherrn steht. Ist die wirtschaftliche Abhängigkeit so groß, daß der Handelsagent, wirtschaftlich und sozial betrachtet, einem Angestellten nahekommt, so ist er eine arbeitnehmerähnliche Person. Daß die Kläger angeblich selbständige Kaufleute sind, schließt die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 ArbGerG. nicht aus, auch dann nicht, wenn sie einen Gewerbeschein besitzen, denn wenn sie nicht selbständige Gewerbetreibende sind, dann sind sie Angestellte und daher überhaupt keine arbeitnehmerähnlichen Personen. Völlig bedeutungslos ist, ob sie sozialversicherungsrechtlich als versicherungspflichtige Personen angesehen werden, weil der Begriff der versicherungspflichtigen Person nach dem Sozialversicherungsrecht weder mit dem Begriff der Arbeitnehmer nach Arbeitsrecht noch mit dem Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person nach § 2 Abs. 1 ArbGerG. zusammenfällt. Das gilt auch für die steuerrechtliche Behandlung.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, kann aber nicht gesagt werden, daß das Rekursgericht mit Unrecht das Vorliegen der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit bejaht hat.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen, die im Rekursverfahren auch für die oberen Instanzen maßgebend sind, hatten die Vertreter der Beklagten das ihnen rayonsweise zugewiesene Adressenmaterial zu bearbeiten, sie mußten auf der Rückseite der ihnen bekanntgegebenen Adressen den Erfolg ihrer Tätigkeit verzeichnen und hatten das Adressenmaterial nach Bearbeitung abzuliefern. Jeden Freitag zwischen 2 Uhr und 6 Uhr wurde mit den Vertretern bei der Firma abgerechnet; wer nicht persönlich erscheinen konnte, pflegte sich zu entschuldigen. Die Arbeitsbedingungen, welche die Vertragsgrundlage bildeten, schrieben dem Agenten u. a. vor, daß sie Kunden, die Aufträge stornieren, nochmals aufzusuchen haben, um diese Aufträge in Ordnung zu bringen. Es war genau vorgeschrieben, in welcher Form die Aufträge aufzunehmen und einzureichen sind. Ihre Stellung war also unselbständigen Angestellten sehr angeglichen, wenngleich ihnen das Recht zustand, auch für andere Firmen zu arbeiten und ihnen keine Arbeitszeiten vorgeschrieben wurden. Auch ist nicht hervorgekommen, daß sie ein organisiertes Unternehmen mit eigenem Büro und eigenen Angestellten betrieben haben. Sie müssen daher, auch wenn sie rechtlich unabhängige Gewerbetreibende gewesen sein sollten, als wirtschaftlich abhängige Personen angesehen werden. Das genügt aber, um die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit zu bejahen.

Es konnte daher dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben werden.

Anmerkung

Z22066

Schlagworte

Agent, Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes, Arbeitsgericht sachliche Zuständigkeit, Handelsagent, Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes, Unzuständigkeit sachliche, des Arbeitsgerichtes, Zuständigkeit sachliche, des Arbeitsgerichtes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0040OB00024.49.0507.000

Dokumentnummer

JJT_19490507_OGH0002_0040OB00024_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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