TE OGH 1949/11/2 1Ob33/49

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Veröffentlicht am 02.11.1949
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Norm

ABGB §96
Ehegesetz §22
Ehegesetz §35
Ehegesetz §37
Ehegesetz §39
Ehegesetz §56

Kopf

SZ 22/166

Spruch

Fortsetzung der Ehe nach Eheverfehlungen des anderen Gatten schließt noch nicht unter allen Umständen das Scheidungsrecht aus.

Entscheidung vom 2. November 1949, 1 Ob 33/49.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Berufungsgericht hat in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Scheidungsklage abgewiesen, weil Kläger nach Klagserhebung mit der Beklagten ehelichen Verkehr gepflogen habe, woraus das Berufungsgericht den Schluß zog, daß alle bis zur Erhebung der Klage vorgefallenen Eheverfehlungen der Beklagten - andere wurden nicht geltend gemacht - als verziehen zu gelten haben.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile beider Untergerichte auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Revision ist begrundet.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß mit der Fortsetzung der Ehe, d. h. der ehelichen Beiwohnung, die vorgefallenen Eheverfehlungen verziehen sind, in dieser allgemeinen Formulierung nicht anzuschließen.

Wenn auch zugegeben werden kann, daß diese Frage seit jeher streitig war und die österreichische Rechtsprechung vor dem Jahre 1938 eher dazu geneigt war, in der Fortsetzung der ehelichen Beiwohnung an sich eine Verzeihung der bis dahin vorgefallenen Eheverfehlungen zu erblicken, eine Ansicht, die damals in § 96 ABGB. ihre Stütze finden konnte, so ist doch durch die Einführung des Ehegesetzes vom 6. Juli 1938, DRGBl. I S. 807, die Gesetzeslage wesentlich verändert worden. Es ist durchaus kein Versehen des Gesetzgebers, wenn die Manifestation des Willens zur Fortsetzung der Ehe nach § 22 Abs. 2 EheG. den Nichtigkeitsgrund der Geschäfts- oder Urteilsunfähigkeit heilt und nach den §§ 35 bis 39 EheG. die Aufhebung der Ehe ausschließt, die Scheidung der Ehe dagegen durch ein solches Verhalten noch nicht ausgeschlossen wird, § 56 EheG. dafür vielmehr andere Voraussetzungen fordert. Sowohl § 22 Abs. 2 wie auch die §§ 35 bis 39 EheG. betreffen Willensmängel, die sich auf den Abschluß der Ehe beziehen und mit ihrem Verlauf, d. h. mit dem Verhalten der beiden Gatten zueinander in der Ehe, nichts zu tun haben. Daß in solchen Fällen die Geltendmachung des Mangels schon dann ausgeschlossen ist, wenn der betroffene Gatte trotz Kenntnis vom Nichtigkeits- oder Aufhebungsgrunde seinen Willen, die Ehe fortzusetzen, deutlich zum Ausdruck gebracht hat und damit zu erkennen gibt, daß er sich mit dem Abschluß der Ehe abfindet, läßt sich leicht rechtfertigen. Die Scheidungsgrunde aber liegen nicht im formalen Bestand der Ehe, sondern im Verhalten der Gatten zueinander. Sie werden ihrer Natur nach noch nicht dadurch beseitigt, daß jener der beiden Gatten, der wegen eines solchen Gründes die Scheidung begehren kann, den Fortbestand der Ehe durch sein Verhalten anerkennt, wenn er nicht gleichzeitig damit zum Ausdruck bringt, daß er auch das Verhalten des anderen Gatten hinnimmt, d. h. entweder verziehen oder als nicht ehestörend empfunden hat (§ 56 EheG.). Diese Regelung entspricht in ihrer Verschiedenheit von der der § 22 Abs. 2 und §§ 35 bis 39 EheG. dem Wesen der Scheidung und ihrer Verschiedenheit von der Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe.

Daraus folgt, daß auch die Fortsetzung der ehelichen Beiwohnung durch den einen Ehegatten nach Eheverfehlungen des anderen Gatten noch nicht das Scheidungsrecht ausschließen kann.

Sie hat diese Wirkung nur, wenn der Ehegatte, dem das Scheidungsrecht vom Gesetz eingeräumt wird, durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er die Eheverfehlungen des anderen Gatten verziehen oder nicht als Ehestörung empfunden hat. Ob dies der Fall ist, läßt sich nur aus den Begleitumständen, aus dem gesamten Verhalten des gekränkten Ehegatten erschließen. Die geschlechtliche Annäherung kann der Ausdruck noch immer vorhandener echter Zuneigung sein, sie kann aber ebenso bloß den bequemsten Weg zur Befriedigung eines rein körperlichen Bedürfnisses darstellen, das von jeder seelischen Betontheit frei bleibt. Und zwischen diesen beiden Extremen kann es Abstufungen aller Grade geben. Je mehr hiebei ein seelisches oder ethisches Moment mitwirkt, um so mehr wird davon gesprochen werden können, daß der gekränkte Gatte die Eheverfehlungen des anderen verziehen oder nicht als ehestörend empfunden hat. Je weniger es der Fall ist, um so weniger kann dadurch das Scheidungsrecht verlorengehen.

Das Berufungsgericht hat sich von seiner Rechtsansicht aus, die der Oberste Gerichtshof aus den vorangeführten Gründen nicht billigt, mit der gerade wesentlichen Frage nicht auseinandergesetzt.

Anmerkung

Z22166

Schlagworte

Beischlaf als Verzeihung von Eheverfehlungen, Ehescheidung Geschlechtsverkehr als Verzeihung, Geschlechtsverkehr als Verzeihung von Eheverfehlungen, Scheidung Geschlechtsverkehr als Verzeihung, Verzeihung von Eheverfehlungen durch Geschlechtsverkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00033.49.1102.000

Dokumentnummer

JJT_19491102_OGH0002_0010OB00033_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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