TE OGH 1949/12/21 1Ob607/49

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Veröffentlicht am 21.12.1949
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Norm

ABGB §366
ABGB §372
ABGB §375
ABGB §1096
ZPO §11
ZPO §§22 ff

Kopf

SZ 22/207

Spruch

Auch der bloße Inhaber einer Wohnung oder derjenige, der sich, ohne ein eigenes Recht zu behaupten, in der Wohnung befindet und daher den berechtigten Mieter an der Benützung der Wohnung hindert, ist für die Räumungsklage passiv legitimiert.

Entscheidung vom 21. Dezember 1949, 1 Ob 607/49.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Das Erstgericht hat sämtliche vier Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, die Wohnung Graz, H.straße geräumt zu übergeben. Das Berufungsgericht hat der Berufung des Erst- und der Zweitbeklagten nicht Folge gegeben, wohl aber der Berufung des Dritt- und des Viertbeklagten und die gegen sie gerichtete Räumungsklage abgewiesen.

Die Abweisung der Klage gegen den Dritt- und Viertbeklagten wird damit begrundet, daß diese keine Mietrechte an der Wohnung behaupten, sondern nur geltend machen, daß sie bei ihren Eltern, bzw. Schwiegereltern, dem Erst- und der Zweitbeklagten, wohnen und daß sie daher nicht passiv legitimiert seien. Eine Räumungsklage gegen sie sei auch nicht notwendig, weil das gegen die Erst- und Zweitbeklagte ergangene Urteil auch gegen sie wirke, da sie bloß auf Grund der Familienbande die klagsgegenständliche Wohnung benützen.

Der abändernde Teil des berufungsgerichtlichen Urteiles wird vom Kläger mit Revision angefochten, in der nur der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht wird.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge und stellte die erstrichterliche Entscheidung zur Gänze wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die von der Judikatur zugelassene Klage des älteren Mieters gegen den jüngeren ist eine Klage nach Analogie des § 372 ABGB. (SZ. XXI/32). Die Klage aus dem rechtlich vermuteten Eigentum nach § 372 ABGB. kann aber wie die Eigentumsklage nach § 366 ABGB. gegen jeden Inhaber gerichtet werden, da sie sich von der Eigentumsklage nur dadurch unterscheidet, daß der Nachweis des Ersitzungsbesitzes genügt und der Nachweis des Eigentumes nicht erforderlich ist. Bei der Klage des älteren Mieters gegen denjenigen, der sich zu Unrecht in der Wohnung befindet, tritt an die Stelle des Nachweises des Ersitzungsbesitzes der Nachweis, daß dem Kläger ein stärkeres Recht an der Wohnung zusteht als dem Beklagten. Dabei kann es auf den Umstand, ob den Beklagten ein schwächeres Mietrecht zusteht als dem Kläger oder überhaupt kein Recht, nicht weiter ankommen.

Auch der bloße Inhaber einer Wohnung oder derjenige, der sich, ohne ein eigenes Recht zu behaupten, in der Wohnung befindet und daher den berechtigten Mieter an der Benützung der Wohnung hindert, ist demnach passiv legitimiert. Leitet er sein Bewohnen der strittigen Bestandgegenstände von dem Rechte eines Dritten ab, so kann er die Klage unter Berufung auf die Rechte des Dritten abwehren. Das kann er aber nur so lange, als diese Rechte seinem Auktor nicht rechtskräftig aberkannt worden sind. Das ist aber diesmal der Fall, weil durch das Urteil des Berufungsgerichtes gegen den Erst- und die Zweitbeklagte rechtskräftig entschieden ist, daß sie die Wohnung zu räumen haben.

Wenn die Dritt- und Viertbeklagten sich auf den Prozeß nicht hätten einlassen wollen, so wäre ihnen die Möglichkeit offengestanden, im Sinne des § 375 ABGB. und der §§ 22 ff. ZPO. vorzugehen. Da sie dies versäumt haben, so müssen sie auch eine Verurteilung über sich ergehen lassen.

Es kann auch nicht gesagt werden, daß in dem Mitbeklagen der Mitbewohner einer Wohnung, die kein eigenes Recht geltend machen, ein Rechtsmißbrauch zu erblicken sei, der auf gerichtlichen Schutz keinen Anspruch erheben könne; denn durch das Mitbeklagen der Mitbewohner wird verhindert, daß diese nach beendetem Prozeß gegen ihren Auktor im Exszindierungswege eigene Rechte an der Wohnung geltend machen und durch Aufschiebungsanträge auf dieser Grundlage die Räumungsexekution verzögern.

Mit Unrecht wendet die Revisionsbeantwortung ein, daß eine Streitgenossenschaft nach § 11 ZPO. nicht vorliege und daher der Dritt- und Viertbeklagte nicht gemeinsam mit dem Erst- und Zweitbeklagten geklagt werden konnten; denn der Rechtsgrund, auf den die Klage gestützt wird, ist bei beiden Gruppen der Beklagten der Umstand, daß die Beklagten, ohne dazu berechtigt zu sein, in der vom Kläger gemieteten Wohnung wohnen. Nur die Einwendungen sind verschieden, indem der Erst- und die Zweitbeklagte sich auf ein eigenes Recht, die Wohnung zu benützen, berufen, der Dritt- und die Viertbeklagte aber nicht.

Da aber nur der Rechtsgrund entscheidet, aus dem die Räumungsverpflichtung abgeleitet wird, nicht aber die Art der Verteidigung, so liegt eine Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO. vor.

Es mußte daher der Revision Folge gegeben und das erstrichterliche Urteil wiederhergestellt werden.

Anmerkung

Z22207

Schlagworte

Actio Publiciana des Mieters, Passivlegitimation, Besitzesschutz des Mieters, Passivlegitimation, Bestandnehmer petitorischer Rechtsschutz, Passivlegitimation, Klagslegitimation passive, für petitorische Klage des Mieters, Passivlegitimation für petitorische Klage des Mieters, Petitorischer Rechtsschutz des Mieters, Passivlegitimation, Publizianische Klage des Mieters, Passivlegitimation, Räumungsklage des Mieters, Passivlegitimation, Rechtsbesitz des Bestandnehmers, Passivlegitimation für Räumungsklage, Streitgenossenschaft, passive, bei petitorischer Klage des Mieters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00607.49.1221.000

Dokumentnummer

JJT_19491221_OGH0002_0010OB00607_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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