Norm
ABGB §91Kopf
SZ 23/244
Spruch
Zur Frage der Zulässigkeit des Unterhaltsverzichtes anläßlich einer Scheidung durch Bezahlung einer Abfertigung.
Entscheidung vom 6. September 1950, 2 Ob 568/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die am 10. Jänner 1938 den Streitteilen auf ihr einverständliches Ansuchen bewilligte Scheidung ihrer Ehe von Tisch und Bett war am 21. Dezember 1938 in eine Scheidung gemäß § 115 EheG. umgewandelt worden. Bereits anläßlich der einverständlichen Scheidung war zwischen ihnen vereinbart worden, daß der Beklagte der Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 200 S so lange zu bezahlen habe, bis sie sich ein Geschäft aufgebaut habe, für welchen Zweck er sich außerdem zur Zahlung eines Betrages von 10.000 S - bei Abruf durch die Klägerin - verpflichtete. Der Beklagte leistete in der Folge der Klägerin den vereinbarten Unterhalt, bezahlte ihr auf ihr Verlangen in Raten auch den Betrag von 10.000 S und stellte daraufhin jede weitere Leistung ein. In einer am 28. Oktober 1940 von der Klägerin unterfertigten Urkunde hatte diese erklärt, daß nach Auszahlung der.,Abfertigungssumme" von 10.000 S (= 6667 RM), jedwede Alimentation oder sonstige Forderung an den Beklagten erlösche. In einer im Jahre 1949 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer Unterhaltsleistung.
Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision ist wohl zulässig, weil es sich im vorliegenden Fall nicht um die Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes, also um dessen Höhe, sondern um eine Entscheidung dem Gründe nach handelt, da der Beklagte in erster Linie im Hinblick auf den Vergleich vom 28. Oktober 1940 das völlige Erlöschen seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin behauptet und somit der Rechtsgrund des erhobenen Anspruches streitig erscheint (SZ. XI/259, AnwZtg. 1932, S. 359, AnwZtg. 1937, S. 134).
Die Revision ist aber inhaltlich unbegrundet.
Lehre und Rechtsprechung lassen den Verzicht der Gattin auf den ihr im Scheidungsfall gebührenden Unterhalt zu (Ehrenzweig, II/2, S. 151, Klang, I/1, S. 692, Judikat Nr. 244 u. a. m.). Solche Verzichte können im Wege eines Scheidungsübereinkommens vor allem damit zusammenhängen und begrundet werden, daß die Frau statt der ihr gebührenden Alimente eine Kapitalsabfindung erhält (GlUNF. 4186), die es ihr ermöglicht, sich eine Existenz zu grunden, etwa ein Geschäft zu erwerben oder zu eröffnen. Die Untergerichte haben zutreffend und bindend sowohl für die Revisionswerberin, wie für das Revisionsgericht festgestellt, daß dieser Fall vorliegt, da die Gewährung einer Abfertigungssumme den Zweck hatte, der Klägerin eine Versorgung zu gewähren, etwa derart, daß ihr die Existenzgrundung durch Erwerbung eines Geschäftes ermöglicht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt, der durch die Fälligstellung der Kapitalschuld, nicht etwa durch die tatsächliche Erwerbung und Inbetriebsetzung des mit dem Abfertigungskapital anzuschaffenden Geschäftes gegeben sein sollte, hatte die Klägerin Anspruch auf monatlich fortlaufende Unterhaltsleistung. Es war also, wie die Untergerichte in richtiger Auslegung des vorliegenden Urkundenmateriales feststellen, der Sinn der Vereinbarung, die vom Beklagten anläßlich der einverständlichen Scheidung nach § 105 ABGB. anerkannte und durch das Abkommen vom 28. Oktober 1940 neuerlich bestätigte Unterhaltspflicht zunächst in der Form einer Monatsrente, nach Wunsch der Beklagten aber in der Folge durch Umwandlung der Alimentation in eine einmalige Abfertigung zu erfüllen, die auf Abruf der Klägerin fällig wurde. Die Fassung der Urkunde, vor allem der Gebrauch des Wortes "Abfertigung", aber auch die ausdrückliche Erklärung, daß nach erfolgter Auszahlung der Abfertigungssumme jedwede Alimentations- oder sonstige Geld- oder Sachforderung an den Beklagten erloschen sein solle, ist so klar und eindeutig, daß es schwer zu verstehen ist, daß trotz dieser Sach- und Rechtslage von der Klägerin viele Jahre nach Abschluß dieses Abkommens neuerliche Unterhaltsansprüche erhoben werden.
Die Klägerin behauptet selbst nicht mehr, daß die Versorgung durch eine von der Klägerin mit Hilfe der Abfertigungssumme geplante Existenzgrundung aus Verschulden des Beklagten unmöglich geworden sei, und eine solche Behauptung, wie sie aus einzelnem Vorbringen der Klägerin im Verfahren erster Instanz allenfalls erschlossen werden könnte, ließe sich auch angesichts der klaren Sprache der Urkunden, wonach die Auszahlung der Abfertigungssumme vereinbarungsgemäß in Raten zu erfolgen hatte, und der Außerstreitstellung der Parteien über die Termine dieser Ratenzahlungen nicht aufrecht erhalten.
Der Einwand der Klägerin, auch sie trage kein Verschulden an der Vereitlung der Existenzgrundung, ist nicht ganz zutreffend, weil die Klägerin nicht einmal behauptet, geschweige denn unter Beweis gestellt und bewiesen hat, daß die Existenzgrundung in keiner anderen Form als durch die Erwerbung eines ganz bestimmten Modistengeschäftes möglich war, das ihr von einem anderen Interessenten weggenommen wurde. Gerade im Kriege und während der Kriegskonjunktur gab es, wenigstens in den ersten Jahren, eine beträchtliche Zahl von Erwerbsmöglichkeiten, für welche die Klägerin die abgerufene Abfertigungssumme hätte verwenden können. Ebenso unrichtig ist es, daß sie an der Existenzgrundung durch ihre Einberufung zum Reichsarbeitsdienst gehindert wurde, da das Erstgericht unwidersprochen festgestellt hat, daß die Klägerin erst 1942 zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet wurde, während sie bereits am 29. Oktober 1940 einen Teilbetrag von 1000 RM aus der Abfertigungssumme, und dann am 6. Mai 1941 4000 RM, am 30. Mai 1941 1000 RM und den Rest von 667 RM am 12. Juni 1941 erhielt. Ihr stand also schon mindestens ein halbes Jahr vor ihrer Einrückung der größte Teil des Abfertigungskapitals zu Gebote. Dennoch hat sie nicht einmal behauptet, irgendeinen geeigneten Versuch zur Schaffung anderer Erwerbsmöglichkeiten gemacht zu haben, sondern hat das Kapital in die Sparkasse gelegt und später zum Lebensunterhalt verbraucht, also nicht zur dauernden Versorgung verwendet. Mit Recht verweist das Berufungsgericht darauf, daß sie nach dem Parteiwillen bei wirklich nachgewiesener Unmöglichkeit einer bestimmungsmäßigen Verwendung des Kapitals dieses dem Beklagten wieder hätte zur Verfügung stellen sollen, wobei dann dessen Verpflichtung zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge wieder aufgelebt wäre. Daß ein etwa rechtzeitig erworbenes Geschäft im Fall ihrer Einrückung zum Reichsarbeitsdienst hätte gesperrt werden müssen, ist eine unbewiesene Behauptung der Klägerin. Es ist ebenso möglich, daß ihre Einberufung zum Reichsarbeitsdienst damit zusammenhing, daß sie keiner regelmäßigen und wichtigen Erwerbstätigkeit nachging. Keinesfalls könnte aber eine solche spätere Sperre oder gar der durch die politischen Ereignisse des Jahres 1945 möglicherweise herbeigeführte Verlust des erworbenen Unternehmens dem Beklagten zur Last fallen und ihn zur Wiederaufnahme der durch den Abfertigungsantrag endgültig abgegoltenen Unterhaltszahlungen verpflichten.
Denn auch dann, wenn man von der Annahme eines Verschuldens der Klägerin bei der Vereitlung der geplanten Existenzgrundung mit Hilfe der Abfertigungssumme absieht, könnte die Gefahr dieser Vereitlung nach dem Inhalt der Abmachung doch niemals den Beklagten treffen. Dieser war nur verpflichtet, die Mittel zur Existenzgrundung beizustellen, eine Pflicht, der er entsprochen hat. Die Existenzgrundung selbst hatte sich ohne sein Zutun durch einen Akt der Klägerin zu vollziehen, für dessen richtige und ordnungsmäßige Durchführung sie die Verantwortung trifft und deren Behinderung durch den Ablauf der Kriegsereignisse oder durch die wirtschaftliche Lage, wie sie der Kriegsverlauf herbeiführte, einen Zufall darstellt, der sich in ihrem Vermögen ereignete (§ 1311 ABGB.). Eine so weitgehende, ganz ungewöhnliche und im übrigen durch nichts zu rechtfertigende Belastung des Beklagten mit der Gefahr zufälliger Unmöglichkeit der Existenzgrundung hätte im Übereinkommen ausdrücklich erwähnt und bedungen sein müssen, was nicht der Fall ist.
Daß der Beklagte sich nicht auf den Rechtsstandpunkt eines unbedingten Verzichtes gestellt und ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht bei veränderten Verhältnissen, vor allem bei Notlage der Klägerin, nicht ausdrücklich bestritten habe, ist eine der Revision unterlaufene Aktenwidrigkeit. Das Parteivorbringen des Beklagten und seine Berufung auf den Inhalt der Urkunden gestatten keinen Zweifel darüber, daß er ein solches Wiederaufleben der Unterhaltspflicht und damit eine Unterstellung der Abmachung unter die clausula rebus sic stantibus entschieden bestreitet. Eine solche ist jedoch im Zweifel überhaupt nicht anzunehmen (Judikat 244), wenn der Wortlaut oder die Absicht der Vereinbarung das Gegenteil nicht zweifelsfrei erkennen lassen. Wenn während der Inflationszeit nach dem ersten Weltkrieg die Rechtsprechung aus Billigkeitsrücksichten wegen der Geldentwertung eine Abänderung eines ein für allemal festgesetzten Unterhaltsbetrages, also eine Berücksichtigung der Änderung der Verhältnisse, mit wechselnder Begründung zugelassen hat (Klang, I/1, S. 693, und die bei Anm. 34, 35 zitierten Entscheidungen), so hat sie sich nach der Stabilisierung des Geldwertes wieder zu einer Anerkennung der Vertragstreue und ihres bindenden Charakters herbeigelassen (Klang, l. c., Anm. 38). Im vorliegenden Falle kommt aber noch dazu, daß der Parteiwille, wie er sich aus der Urkundenauslegung nach den Feststellungen der Untergerichte ergibt, in keiner Weise entnehmen läßt, daß die clausula rebus sic stantibus gewollt oder auch nur subintelligiert gewesen wäre. Vielmehr wollten die Parteien eindeutig und endgültig jede weitere Unterhaltspflicht durch die Bezahlung der Abfertigung als abgegolten ansehen. Die Meinung der Revision, das Motiv der Existenzgrundung sei hier zur Vertragsbedingung erhoben worden, findet in den Beweisergebnissen, vor allem in den maßgebenden Urkunden, keine Stütze. Der Abfertigungsbetrag war bedingungslos zugesagt, wurde bedingungslos abgerufen und ausbezahlt. Es geht nicht an, nachträglich eine solche Bedingung zu Lasten des Beklagten hineinzuinterpretieren. Das Vorgehen der Klägerin, die fünf Jahre nach Kriegsende mit neuen Ansprüchen an den Beklagten herantritt, verstößt nicht nur gegen den Inhalt der Parteivereinbarungen, sondern auch gegen Treu und Glauben.
Sie kann sich auch nicht auf die vagen Zusicherungen des Beklagten aus dem Jahre 1938, sie nicht im Stiche lassen zu wollen, für sie immer sorgen zu wollen, selbst wenn solche wirklich abgegeben worden wären, berufen, da diesen allgemeinen und unverbindlichen Erklärungen (§ 869 ABGB.) die konkrete Regelung der Unterhaltspflicht, wie sie in der Abmachung vom 28. Oktober 1940 getroffen wurde, entgegensteht.
Es kann darum auch eine Verschlechterung der klägerischen Erwerbsverhältnisse oder ihrer Erwerbsfähigkeit infolge zunehmenden Alters, Umstände die übrigens beim Vertragsabschluß teilweise vorhersehbar waren, ihr keinen neuen Anspruch gegen den Beklagten geben.
Anmerkung
Z23244Schlagworte
Abfertigung des Unterhaltsanspruches der geschiedenen Gattin, Alimente Zulässigkeit eines Verzichtes durch geschiedene Gattin, Ehegattin Unterhaltsverzicht, Ehescheidung Verzicht auf Unterhalt, Scheidung Verzicht auf Unterhalt, Unterhaltsverzicht der geschiedenen Gattin, Zulässigkeit, Verzicht der geschiedenen Gattin auf UnterhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00568.5.0906.000Dokumentnummer
JJT_19500906_OGH0002_0020OB00568_5000000_000