TE OGH 1951/1/17 1Ob11/50

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Veröffentlicht am 17.01.1951
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Norm

ABGB §276
Drittes Rückstellungsgesetz §14 Abs4
JN §112
ZPO §116
ZPO §118

Kopf

SZ 24/15

Spruch

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 ZPO. und des § 276 ABGB. kann der Kläger nach seiner Wahl die Bestellung eines Prozeßkurators nach § 116 ZPO. oder die eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. beantragen.

Entscheidung vom 17. Jänner 1951, 1 Ob 11/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Da im Rechtsstreit der St.-Werke Josef St. gegen Karl D. die Klage dem Beklagten wegen Abwesenheit nicht zugestellt werden konnte, beantragte die Rechtsnachfolgerin der klagenden Partei beim Erstgerichte, für Karl D. einen Abwesenheitskurator gemäß § 276 ABGB. zu bestellen.

Mit Beschluß vom 15. Juni 1949 bestellte das Erstgericht Dr. Karl K. zum Abwesenheitskurator nach § 276 ABGB. für Karl D. Mit Beschluß vom 29. Juli 1949 enthob es dann Dr. K. auf sein Ersuchen und bestellte an seiner Stelle Dr. Eduard L. zum Abwesenheitskurator des Beklagten. Dieser erhob dagegen Vorstellung und für den Fall der Verwerfung Rekurs mit der Begründung, daß dann, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kurators nach § 116 ZPO. durch das Prozeßgericht gegeben seien, nicht ein Kurator nach § 276 ABGB. bestellt werden könne, weil sich dies aus den allgemeinen Grundsätzen über das Verhältnis des jüngeren, besonderen zum älteren, allgemeinen Gesetz ergebe. Das Erstgericht gab mit Beschluß vom 22. August 1949 der Vorstellung Folge und änderte seinen Beschluß vom 29. Juli 1949 dahin ab, daß kein neuer Abwesenheitskurator bestellt und der Bestellungsantrag abgewiesen werde und schloß sich in der Begründung seines Beschlusses im wesentlichen den Ausführungen der Vorstellung an.

Das Rekursgericht gab dagegen mit dem angefochtenen Beschluß dem Rekurse der Antragstellerin Folge, änderte den erstgerichtlichen Beschluß vom 22. August 1949 dahin ab, daß der Vorstellung des Dr. L. gegen den Beschluß des Erstrichters vom 29. Juli 1949 nicht Folge gegeben wird, und führte in der Begründung aus, nachdem einmal mit Beschluß vom 15. Juni 1949 ein Abwesenheitskurator für Karl D. bestellt und dieser nur aus persönlichen Gründen enthoben worden sei, könne eine Beendigung der Kuratel nur bei Vorliegen der Voraussetzungen im Sinne des § 283 ABGB. eintreten; von einem Aufhören der Gründe, die zur Bestellung des Abwesenheitskurators geführt haben, könne aber keine Rede sein, da sich nach der Aktenlage nichts geändert habe, überdies sei die materiellrechtliche Bestimmung des § 276 ABGB. durch die Zivilprozeßordnung nicht berührt worden; für die Bestellung eines Kurators nach § 276 ABGB. sei ausschließlich maßgebend, ob die Rechte des Abwesenden gefährdet oder die Rechte eines Dritten in ihrem Gange gehemmt werden könnten. Es könne, sofern nur diese Voraussetzungen gegeben sind, ein Kurator nach § 276 ABGB. auch in Fällen bestellt werden, in denen mit einer Kuratorbestellung nach § 116 ZPO. das Auslangen gefunden werden könnte.

Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen von Dr. L. erhobenen Revisionsrekurs nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Vorschrift des § 116 ZPO. geht auf § 391 Allgemeine Gerichtsordnung (1781) zurück. "Wenn der Beklagte", so schrieb § 391 vor, "außer den Erblanden seinen Wohnsitz hat, oder dieser unbekannt ist, soll zu dessen Vertretung auf seine Gefahr und Unkosten ein Kurator bestellt und dieses ihm durch ein Edikt zu dem Ende kundgemacht werden, damit er allenfalls einen anderen Sachwalter bestellte." Die Bestellung dieses Kurators erfolgte durch das Prozeßgericht.

Obwohl also bereits 1781 die Bestellung des Abwesenheitskurators für abwesende Beklagte in der Prozeßordnung geregelt war, wurde 1811 nichtsdestoweniger in § 276 ABGB. - fast wörtlich dem Urentwurf I § 255 entnommen - für den Fall Vorsorge getroffen, daß die Rechte eines Abwesenden, der keinen ordentlichen Sachwalter zurückgelassen hat, ohne solchen durch Verzug gefährdet oder die Rechte eines anderen in ihrem Gange gehemmt würden. Soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich, bestand unter der Herrschaft der alten Gerichtsordnungen kein Streit über die Abgrenzung des § 391 AGO. und des § 276 ABGB. Auch die einzige größere Abhandlung über die Abwesenheitskuratoren von Wagner in der Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit 1825 II 244 erwähnt dieses Problem nicht; ebenso nicht Moser: "Der Kurator nach § 276 ABGB.", JBl. 1884, S. 281. Es wurde vielmehr immer davon ausgegangen, daß den Parteien das Wahlrecht zustehe, ob sie die Bestellung eines Kurators nach der einen oder der anderen Gesetzesstelle beantragen wollen; die Parteien waren schon deshalb daran kaum interessiert, weil der Kurand auf jeden Fall allein die Kuratorkosten zu tragen hatte, gleichgültig, ob es sich um einen nach § 391 AGO. oder nach § 276 ABGB. bestellten Kurator handelte. Es wurde wohl einmal versucht, die antragstellende Partei zum Kostenersatz aus dem Titel des Lohnvertrages heranzuziehen, doch hat dies der Oberste Gerichtshof als indiskutabel abgelehnt (GlU. 1919) und Pfaff - Hofmann, Commentar (1877) II 39 N 56 haben daran noch die spöttische Bemerkung geknüpft, das klinge doch beinahe so, als hätte sich der Vindicant den Kurator bestellt, damit dieser den Prozeß gegen ihn verliere, quo facto Letzterer nun seinen Lohn von jenem verlangt.

Daran knüpft § 116 ZPO. an. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Zivilprozeßordnung bemerken zu § 124 Entw. § 116 ZPO. "Wenn einer Person unbekannten Aufenthaltes Erledigungen zuzustellen sind oder Schriftstücke, die zu Prozeßhandlungen des Adressaten Anlaß enthalten, so soll die Zustellung nicht mittels öffentlicher Bekanntmachung erfolgen, sondern das Gericht hat hier von Amts wegen oder über Antrag für die einstweilige Repräsentation der abwesenden Partei zu sorgen (Bestellung des Kurators) und, nachdem so ein Vertreter des Abwesenden verlangt worden ist, ist diesem die Ladung usw. namens der abwesenden Partei zuzustellen (§ 124). Das entspricht dem heutigen Vorgang bei Anbringen der Klage gegen abwesende Parteien ....." Daß § 116 ZPO., der § 391 ersetzen sollte, über die bisherige Regelung hinaus die Bestellung eines Kurators nach § 276 ABGB. ausschließen solle, wurde weder in den erläuternden Bemerkungen noch in den weiteren Bemerkungen auch nur mit einem Worte angedeutet, obwohl nunmehr nach § 118 ZPO. die Kosten des Prozeßkurators vom Prozeßgegner zu tragen sind.

§ 116 ZPO. hat - abgesehen von der Regelung der Kostenfrage - noch eine weitere Änderung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand mit sich gebracht, nämlich die Beschränkung der Kuratorbestellung auf den Fall der "Unbekanntheit des Aufenthaltsortes", während bisher ein Prozeßkurator nach § 391 AGO. auch dann zu bestellen war, wenn der Beklagte seinen Wohnort außerhalb der Erblande hatte. Hier bleibt nach dem derzeit geltendem Recht nur die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. übrig.

Daraus kann aber keinesfalls erschlossen werden, daß ein Kurator für einen Abwesenden unbekannten Aufenthaltes nunmehr nur nach § 116 ZPO. bestellt werden kann; es würde den Regeln der Gesetzesauslegung widersprechen, aus dem Umstand, daß nunmehr Prozeßkuratoren nicht mehr in allen Fällen bestellt werden können, die das ältere Recht vorgesehen hat, zu schließen, das jetzt, abweichend vom früheren Recht, die Bestellung eines Prozeßkurators die eines Abwesenheitskurators ausschließt. Der Oberste Gerichtshof hält daher nach wie vor an dem in der Entscheidung vom 1. August 1910, JBl. 1910, S. 521, ausgesprochenen Grundsatz fest, daß § 276 ABGB. durch § 116 ZPO. nicht berührt worden ist (vgl. auch Entscheidung vom 21. Jänner 1946, EvBl. Nr. 142/1946). Auch die fast ausnahmslose Praxis der Untergerichte hat sich dieser vom Obersten Gerichtshof gebilligten Anschauung angeschlossen.

Es muß demnach davon ausgegangen werden, daß, wofern die Voraussetzungen der §§ 116 ZPO. und 276 ABGB. vorliegen, dem Kläger die Wahl zusteht, ob er die Bestellung eines Prozeßkurators nach § 116 ZPO. oder die eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. beantragen will. Das Wahlrecht wird z. B. ausgeschlossen sein, wenn bereits ein Prozeßkurator bestellt worden ist, weil in diesem Falle nicht mehr gesagt werden kann, daß ohne Bestellung eines Abwesenheitskurators die Rechte des anderen in ihrem Gange gehemmt wurden.

Gegen diese Auffassung des Obersten Gerichtshofes kann auch nicht aus der Regelung der Zuständigkeit zur Kuratorbestellung im § 112 JN. ein Argument gewonnen werden; die für das gerichtliche Verfahren geltenden Bestimmungen regeln nur die Zuständigkeit, wenn ein Prozeßkurator, sei es nach welcher Gesetzesstelle immer, zu bestellen ist. Nur in diesem Falle ist das Prozeßgericht zuständig. Wird aber außerhalb des Prozeßverfahrens eine Kuratorbestellung begehrt, so kommen der Natur der Sache nach die für das gerichtliche Verfahren geltenden Bestimmungen nicht zur Anwendung. Die Bestellung eines gewöhnlichen Abwesenheitskurators kann daher, mag um seine Bestellung vor oder nach Einleitung des Prozeßverfahrens angesucht werden, nur bei dem nach § 112 JN. im einzelnen Fall zuständigen Gericht angesucht werden.

Sofern dem Antragsteller das Wahlrecht zwischen Prozeßkurator und Abwesenheitskurator zusteht, kann auch nicht gesagt werden, daß der Antragsteller durch die Anrufung des zur Bestellung eines Abwesenheitskurators zuständigen Kuratelgerichtes das Gesetz umgehe, um sich der Kostenersatzpflicht, die § 118 ZPO. statuiert, zu entziehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die in GlU. 1919 ausgesprochene Rechtsauffassung heute noch aufrecht zu halten ist, daß ein Kurator vom Antragsteller, wenn er von seinem Kuranden keinen Ersatz erlangen kann, nicht nach allgemeinen Grundsätzen trotz der früher erwähnten Bemerkung bei Pfaff - Hofmann Entlohnung im Prozeßwege verlangen kann. Denn selbst dann, wenn der Antragsteller zur Tragung der Kuratorkosten nicht verpflichtet ist, wenn ein nicht vom Prozeßgericht bestellter Kurator einschreitet, kann man nicht von einer "Umgehung" sprechen, wenn der Antragsteller die für ihn günstigere Möglichkeit wählt, die ihm das Gesetz wahlweise zur Verfügung stellt.

Wäre es richtig, daß das Kuratelgericht einen Abwesenheitskurator nur dann bestellen darf, wenn der Aufenthalt des Kuranden bekannt ist, so würden sich daraus eine Reihe von prozessualen Streitfragen ergeben, die nur angedeutet werden sollten. Ist das Prozeßgericht berechtigt, zu überprüfen, ob das Kuratelgericht zu Recht angenommen hat, daß der Aufenthalt des Kuranden bekannt ist? Wie ist vorzugehen, wenn der bekannte Aufenthalt des Kuranden im Zuge des Prozesses tatsächlich unbekannt wird? Hat das Prozeßgericht dann einen Prozeßkurator zu bestellen oder ist es Sache des Kuratelgerichtes, in diesem Fall den Kurator zu entheben, oder endlich, ist das nachträgliche Unbekanntwerden des Aufenthaltes des Kuranden rechtlich bedeutungslos? usw.

Das traditionelle Wahlrecht des Klägers zwischen der Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB. und eines Prozeßkurators nach § 116 ZPO., das vor 1945 kaum ernstlich bestritten worden ist, findet endlich neuestens eine Stütze im § 14 Abs. 4 Drittes RückstG., das für das Gebiet des Rückstellungsrechtes dem Antragsteller das Recht zuerkennt, auch beim Vorsitzenden der Rückstellungskommission die Bestellung eines Abwesenheitskurators zu beantragen.

Da nun im vorliegenden Fall bisher kein Prozeßkurator bestellt worden ist, so hat das Rekursgericht mit Recht dem Rekurse Folge gegeben und liegt daher auch kein Anlaß vor, den Kurator vor Beendigung des Prozesses bzw. Eintritt des Kuranden in den Prozeß zu entheben.

Anmerkung

Z24015

Schlagworte

Abwesenheitskurator nach § 116 ZPO. und § 276 ABGB., Bestellung eines Abwesenheitskurators, Gesetzliche Vertretung, Abwesenheitskurator, Kurator nach § 116 ZPO. und § 276 ABGB., Kuratorbestellung wahlweise nach § 116 ZPO. und § 276 ABGB., Pflegschaft für Abwesende, Kuratorbestellung, Pflegschaftsgericht, Abwesenheitskurator, Prozeßgericht Kuratorbestellung für Abwesende durch -, Prozeßkurator und Abwesenheitskurator, Vertretung gesetzliche -, Abwesenheitskurator, Zustellkurator, Abwesenheitskurator

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0010OB00011.5.0117.000

Dokumentnummer

JJT_19510117_OGH0002_0010OB00011_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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