TE OGH 1953/1/21 3Ob19/53

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Veröffentlicht am 21.01.1953
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Norm

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1294
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1295
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1313a
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1315
Versicherungsvertragsgesetz §61

Kopf

SZ 26/20

Spruch

Grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kraftfahrzeuglenker hat nur dann die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Kasko- und Feuerversicherung zur Folge, wenn in den Versicherungsbedingungen die Haftung für Dritte ausgeschlossen wurde.

Zur Frage des adäquaten Kausalzusammenhanges.

Begriff des Betriebsschadens und des Bedienungsfehlers.

Entscheidung vom 21. Jänner 1953, 3 Ob 19/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Prozeßgericht verurteilte die beklagte Partei zur Bezahlung eines Betrages von 13.400 S s. A. an die Klägerin und wies das Mehrbegehren hinsichtlich eines weiteren Betrages von 18.000 S ab.

Es stellte nachstehenden Sachverhalt fest: Die Klägerin hat mit der beklagten Partei eine Kraftfahrzeugversicherung für ihren Lastkraftwagen Marke Berliot abgeschlossen. Der Lastkraftwagen erlitt am 4. Juli 1950 dadurch einen Unfall, daß der an diesem Tage von der Klägerin neu angestellte Kraftfahrzeuglenker Peter P. einem ihm entgegenkommenden Autobus ausweichen und daher ganz an den rechten Rand der Fahrbahn heranfahren mußte, der Rand der neu hergestellten Straße nachgab und der Kraftwagen mit dem rechten Vorderrad absank und auf der Straße aufsaß. Hiedurch wurde das Trittbrett, der Kotflügel und das Führerhaus leicht beschädigt, außerdem erhielt die Ölwanne an der unteren Seite einen Riß, der nach den Feststellungen des Sachverständigen bei der von diesem lange nach dem Unfall vorgenommenen Untersuchung eine Breite von 1 mm und eine Länge von 15 mm aufwies. Peter P. putzte den Schmutz von der Unterseite der Ölwanne weg, fand aber nichts Verdächtiges und fuhr weiter. Nachdem er eine Strecke von ungefähr 30 km zurückgelegt hatte, ohne das Ölmanometer oder besonders die Arbeit des Motors zu beobachten und ohne sich zu vergewissern, ob Öl ausrinne, zerbarst der Motor, weil in der Zwischenzeit das Öl aus der Wanne zur Gänze ausgeronnen war. Nach Ansicht des Prozeßgerichtes fällt zwar dem Lenker insofern eine grobe Fahrlässigkeit zur Last, als dieser bei grundlicher Reinigung der Aufsitzstelle an der Ölwanne deren Eindellung hätte bemerken müssen, was ihn zu größerer Vorsicht veranlaßt hätte; er hätte die Erdkruste an der beschädigten Stelle der Ölwanne entdecken müssen, außerdem wäre er verpflichtet gewesen, beim Weiterfahren die Ölwanne genau zu untersuchen und das Ölmanometer zu beobachten. Durch diese grobe Fahrlässigkeit des Peter P. sei aber die Verpflichtung der beklagten Partei zur Ersatzleistung aus dem Versicherungsvertrage nicht aufgehoben worden, da die Voraussetzungen des § 12 der Allgemeinen Kraftfahrzeugversicherungsbedingungen (AKB.) für die Befreiung der beklagten Partei von der Versicherungsleistung nicht gegeben seien und die Versicherung sich auf alle Unfälle im ursächlichen Zusammenhang mit dem Lenken und Benützen des Lastkraftwagens mit Ausnahme der in § 12 angeführten beziehe, die Beschädigung des Motors aber auf das Ausrinnen des Öls und dieses auf den Unfall selbst zurückzuführen sei, an welchem überdies P. kein Verschulden trage. Der Anspruch bestehe daher dem Gründe nach zu Recht, der Höhe nach jedoch nur bis zum Betrag von 13.400 S. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es vertrat die Ansicht, daß sich die Versicherung gemäß § 17 AKB. auf alle Unfälle, die im ursächlichen Zusammenhang mit dem Lenken und der Benützung des Kraftfahrzeuges stehen, erstrecke und daß die Versicherungsgesellschaft nicht nur für solche Beschädigungen hafte, die unmittelbar durch das schädigende Ereignis eingetreten seien, sondern auch für alle damit in ursächlichem Zusammenhang stehende Folgen. Es bestehe ein adäquater Kausalzusammenhang, da der nachträglich eingetretene Schaden in Verbindung mit dem Verhalten des Lenkers nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als wahrscheinlich zu erwarten war, zumal das Verhalten des Lenkers nur als leichte, nicht aber als grobe Fahrlässigkeit anzusehen sei, da dieser den Wagen zum ersten Mal lenkte. Es handle sich auch nicht um einen reinen Betriebsschaden oder Bedienungsfehler.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof kann die Auffassung der Revisionswerberin nicht teilen, daß die Haftung des Versicherers gemäß § 61 VersVG. ausgeschlossen sei, wenn dem vom Versicherungsnehmer mit der Führung eines Kraftwagens betrauten Fahrer eine grobe Sorglosigkeit zur Last fällt. Daß Obliegenheitsverletzungen von Hilfspersonen die Haftung des Versicherers nicht ausschließen, hat der Oberste Gerichtshof bereits in SZ. XXII/54 dargelegt. Eine Obliegenheitsverletzung kommt freilich im vorliegenden Fall nicht in Frage, da eine Zuwiderhandlung gegen §§ 2 Abs. 2, 7 I oder III AKB. gar nicht behauptet wird und andere vertraglich mit Anspruchsverwirkung bedrohte Obliegenheiten in den Allgemeinen Kraftfahrzeugversicherungsbedingungen nicht vorgesehen sind. Es handelt sich vielmehr diesmal um die Frage, ob die Bestimmung des § 61 VersVG., daß der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, auch ohne besondere Vereinbarung in den Allgemeinen Kraftfahrzeugversicherungsbedingungen dann anwendbar ist, wenn einer Hilfsperson des Versicherungsnehmers grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Eine Haftung für Dritte kommt überhaupt nur dann in Frage, wenn die Hilfsperson nicht als Besorgungs-, sondern als Erfüllungsgehilfe nach § 1313a ABGB. anzusehen ist (Judikat 50 neu), da die Voraussetzungen des § 1315 ABGB. gar nicht behauptet wurden. § 61 schreibt aber überhaupt keine Leistung vor, sondern enthält nur eine Sanktion für den Fall des grobfahrlässigen Verhaltens.

Da sich aber eine Erfüllungshandlung im Sinne des § 1313 a ABGB. nicht auf die bloße Vermeidung grober Fahrlässigkeit beschränken kann, so muß das Vorliegen einer Erfüllungsverpflichtung im Sinne des § 1313 a ABGB., die eine Vertretung durch einen Dritten zuläßt, verneint werden. Grobfahrlässiges Herbeiführen des Versicherungsfalles durch einen Beauftragten des Versicherungsnehmers kann deshalb die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht zur Folge haben, es sei denn, daß die Haftung für Dritte in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen worden ist.

Diese Lösung entspricht auch dem praktischen Bedürfnis, weil der Versicherungsnehmer sich durch die Versicherung gerade dagegen schützen will, daß Beauftragte in der Regel nicht mit der gleichen Sorgfalt vorgehen, wie derjenige, der sein eigenes Interesse an einer Sache versichert. Dem mit der Versicherung für Handlungen Dritter verbundenen erhöhten Risiko kann der Versicherer durch seine Prämienpolitik Rechnung tragen. Er muß dies auch tun, weil, wie die tägliche Erfahrung lehrt, Kasko-, Feuerversicherungen usw., welche die Haftung für grobe Nachlässigkeit des Beauftragten des Versicherungsnehmers ausschließen, praktisch überhaupt für den Versicherungsnehmer wertlos wären.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Beklagte auch dann, wenn der Lenker grobfahrlässig gehandelt hat, Deckung gewähren müßte. Das Berufungsgericht hat aber auch mit Recht eine grobe Fahrlässigkeit des Lenkers verneint. Der Lenker hatte erst am Unfallstage den Dienst bei der Klägerin angetreten und den Wagen vorher nicht gekannt. Da es sich um einen Lastkraftwagen französischer Herkunft handelt und der Lenker mit dem Motorgeräusch nicht vertraut war, mußte ihm weder die Art des Motorgeräusches noch eine etwa eintretende Hitzeentwicklung auffallen. Der Riß an der Wanne, die sich zwar vorne, aber an der Unterseite des Wagens befand, sodaß die freie Sicht auf den Boden der Ölwanne zumindest beeinträchtigt war, hatte im Zeitpunkte der Untersuchung durch den Sachverständigen nur eine Breite von 1 mm und eine Länge von 15 mm, wozu noch kommt, daß der Sachverständige die Möglichkeit offen gelassen hat, daß sich der Riß erst während der Weiterfahrt vergrößert hat. Der Riß war daher so unbedeutend, daß er mit freiem Auge kaum sichtbar war. Selbst wenn P. die Stelle, an der der Wagen aufgesessen war, grundlich gereinigt hätte, bestunde die Möglichkeit, daß er den Riß nicht wahrnehmen konnte. Im übrigen könnte das Übersehen des mit dem Auge nur schwer wahrnehmbaren Risses keine grobe Fahrlässigkeit darstellen. Das gleiche gilt hinsichtlich der Unterlassung der Beobachtung des Öldruckmanometers. Da P. den Riß nicht wahrgenommen hat, bestand für ihn weder ein Anlaß für eine besondere Beobachtung des Öldruckmanometers noch ein Grund zu einem Abschleppen des Wagens in eine Reparaturwerkstätte, zu einem besonders langsamen und vorsichtigen Fahren oder einer wiederholten Untersuchung der Ölwanne während der Fahrt. Schließlich könnte in der Unterlassung einer derartigen Untersuchung lediglich eine leichte, nicht aber eine grobe Fahrlässigkeit erblickt werden.

Es haben aber auch die Untergerichte entgegen der Meinung der Revision mit Recht angenommen, daß ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden besteht. Nach der Theorie von der adäquaten Kausalität ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden nicht nur dann anzunehmen, wenn der Unfall den eingetretenen Schaden unmittelbar verursacht hat. Ein derartiger adäquater Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazugetreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erfahrung liegt. Es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht ganz außergewöhnlich ist. Der eingetretene Unfall hat einen Riß an der Ölwanne nach sich gezogen und daher einen Schaden unmittelbar verursacht. Dieser Riß an der Ölwanne hat das Auslaufen des Öls und damit den an dem Kraftwagen sodann entstandenen weiteren Schaden zur Folge gehabt. Daß der Lenker den äußeren Boden der Ölwanne nicht grundlich reinigen, den Riß nicht bemerken und weiterfahren werde, kann keineswegs als ungewöhnliches, außerhalb jeder menschlichen Erfahrung liegendes Ereignis angesehen werden und hat daher den ursächlichen Zusammenhang nicht unterbrochen. Der Schaden ist auch weder ein Betriebsschaden noch ist er auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen. Denn unter Betriebsschäden sind nur solche Schäden zu verstehen, die durch den normalen Gebrauch des Fahrzeuges, durch die normale Abnützung bzw. durch den Betrieb selbst entstehen. Es liegt aber auch kein Bedienungsfehler vor, der allein den Schaden verursacht hat, da dem Lenker kein Fehler in der normalen Bedienung des Fahrzeuges beim Lenken, Bremsen oder dergleichen zum Vorwurf gemacht werden kann. P. ist normal gefahren und hat auch den Wagen vorschriftsmäßig bedient. Der Schaden ist vielmehr durch ein von außen her kommendes Ereignis, nämlich dadurch entstanden, daß der durch den Unfall verursachte Riß an der Ölwanne das Auslaufen des Öls und durch den Ölverlust das Zerspringen des Motors verursacht hat. Der Umstand, daß Peter P. den Rißnicht bemerkt und nicht Vorsorge dafür getroffen hat, daß kein Öl ausrinne, hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und Schaden nicht unterbrochen. Die in der Revision zitierte Entscheidung SZ. III/107, der übrigens ein ganz anders gelagerter Sachverhalt zugrunde lag, da dort durch ein frei weidendes Pferd jemand an seinem Körper beschädigt wurde, spricht ausdrücklich aus, daß nur für den ersten unmittelbaren Schaden, also im gegenständlichen Falle für den Riß an der Ölwanne, der adäquate Zusammenhang erforderlich ist, während für den weiteren Schaden die Qualität des schädigenden Ereignisses als bloßeBedingung genügt, und daß somit die Haftung für allen mittelbaren Schaden zu statuieren ist, der ohne die den Ausgangspunkt bildende Handlung oder Ereignung nicht eingetreten wäre, und daß nicht angenommen werden könne, daß durch die spätere Handlung oder Unterlassung eine Kausalkette erst begonnen hätte. Zu Unrecht beruft sich die Revision auf die Entscheidung des Landgerichtes Hamburg vom 4. Feber 1930, Praxis des Versicherungsrechtes 1930, S. 48; diese besagt imGegensatz zur Meinung der Revision ausdrücklich, daß bei einem durch ein Ereignis von außen her verursachten Unfall (Beschädigung der Ölwanne) die durch das Ausrinnen des Öls verursachten Schäden vom Versicherer zu ersetzen sind. Daß durch eine nach dem Unfall eingetretene Fahrlässigkeit des Lenkers der Kausalzusammenhang unterbrochen oder erst eine neue Kausalkette gebildet werde, wird in dieser Entscheidung nicht ausgesprochen. Die zitierte Entscheidung steht daher mit der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht in Widerspruch.

Zusammenhängend ergibt sich daher, daß es sich bei dem eingetretenen Schaden nicht um einen Betriebsschaden handelt, daß auch kein Bedienungsfehler vorliegt und daß der Unfall mit dem eingetretenen

Anmerkung

Z26020

Schlagworte

Adäquanz, Kausalzusammenhang, Bedienungsfehler, Kraftfahrzeugversicherung, Betriebsschaden, Kraftfahrzeugversicherung, Feuerversicherung, Leistungsfreiheit, Haftung für Dritte, Versicherung, Kasko-Versicherung, Leistungsfreiheit, Kausalzusammenhang, Adäquanz, Kraftfahrzeugversicherung, Betriebsschaden und Bedienungsfehler, Kraftfahrzeugversicherung, Leistungsfreiheit, Schadenersatz, adäquater Kausalzusammenhang, Versicherer, Leistungsfreiheit, Versicherung, Bedienungsfehler, Versicherung, Betriebsschaden, Versicherung, Leistungsfreiheit, Versicherungsbedingungen, Haftung für Dritte, Versicherungsfall, Leistungsfreiheit, Vertragsversicherung, Leistungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0030OB00019.53.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19530121_OGH0002_0030OB00019_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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