TE OGH 1953/3/4 2Ob902/52

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Veröffentlicht am 04.03.1953
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Norm

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1299
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1311
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1315
Kraftfahrverordnung 1947 §91 Abs4
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §9
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §18
Straßenpolizeigesetz §14 Abs1
Straßenpolizeigesetz §18

Kopf

SZ 26/59

Spruch

Keine Haftung wegen Mangel des Führerscheines, wenn die Beschädigung nicht auf die Unfähigkeit oder mangelnde Eignung des Kraftwagenlenkers zurückzuführen ist (gegensätzlich zu SZ. XXII/1).

Entscheidung vom 4. März 1953, 2 Ob 902/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Laa a. d. Thaya; II. Instanz:

Kreisgericht Korneuburg.

Text

Am 10. Juni 1951 um 19 Uhr fuhr der bei dem Zweitbeklagten als Gutsverwalter beschäftigte Erstbeklagte auf einem vom Zweitbeklagten den Gutsangestellten für Dienstfahrten zur Verfügung gestellten Motorrad auf seiner rechten Straßenseite über die Bezirksstraße durch L. Auf der anderen Straßenseite stand ein Traktor samt Anhänger. Der Erstbeklagte besaß keinen Führerschein, stand aber unmittelbar vor der Ablegung der Fahrerprüfung zwecks Erlangung eines solchen. Er hatte schon früher einen Führerschein gehabt und war jahrelang ohne Anstand gefahren.

Er fuhr mit einer Stundengeschwindigkeit von 15 km, verlangsamte aber auch noch diese Geschwindigkeit etwas, als, hinter dem Anhänger des Traktors hervorkommend, zwei Knaben sechs bis acht Meter vor ihm über die Straße liefen. Gleich darauf lief die 1944 geborene Zweitklägerin in derselben Richtung wie die Knaben über die Straße, wurde vom Motorrad erfaßt, einige Zentimeter von dem anhaltenden Motorrad mitgeschleift, zu Boden geschleudert und schwer verletzt. Die Unfallstelle befand sich in der Höhe des rückwärtigen Endes des Traktoranhängers, vier Meter von dessen linker hinterer Ecke entfernt. Der Bremsweg des Motorrades betrug zirka einen Meter, das Kind wurde eben noch vor dem Anhalten des Rades niedergestoßen. Die Fahrbahn des Erstbeklagten war sonst frei.

Mehrere Leute standen beim Traktorzug und blickten dem Erstbeklagten entgegen.

Der Erstkläger, der Vater der verletzten Zweitklägerin, verlangt den Ersatz der ihm durch die Verletzung seiner Tochter erwachsenen Kosten, die Zweitklägerin mit gesonderter Klage Schmerzengeld. Die beiden Rechtsstreite wurden gemäß § 187 ZPO. verbunden.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht wies sie ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes in zweifacher Richtung: a) Die Revision nimmt - dem Erstgerichte folgend - an, daß der Erstbeklagte deshalb gemäß § 1311 ABGB. hafte, weil er mit dem Motorrad gefahren sei, ohne einen Führerschein zu haben. Daher sei der Erstbeklagte als in Bezug auf das Lenken des Kraftrades untüchtig anzusehen. b) Das Hineinspringen des Kindes in das Motorrad sei kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 des Gesetzes DRGBl. 1909 I S. 437.

Zu a): Auch die Übertretung einer Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB., die dazu bestimmt ist, die Gefährdung anderer Personen zu verhindern, macht nicht für alle Nachteile haftbar, die in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit dieser Übertretung stehen. Ein gegenteiliger Standpunkt, der den Übertreter für alle Folgen seiner widerrechtlichen Handlung haften ließe, auch für alle mit dem Schutzzweck der übertretenen Norm in keinerlei Zusammenhang stehenden natürlichen Folgen, wäre der vom Gesetz gewiß nicht gewollte kindliche Standpunkt der mittelalterlichen Lehre von versari in re illicita. Danach würde der Kraftwagenlenker, der einmal auf einer Fahrt seine höchstzulässige Fahrgeschwindigkeit (§ 91 Abs. 4 Kraftfahrverordnung 1947) überschritten oder einmal eine Linkskurve geschnitten (§ 14 Abs. 1 StPolG.) hätte, schon deshalb für alle Unfälle auf der Weiterfahrt haften, weil er bei Einhaltung der höchstzulässigen Fahrgeschwindigkeit oder Ausfahren der Linkskurve in weitem Bogen noch nicht am Unfallsort hätte sein können. Eine weitere Ausdehnung der Haftung nach § 1311 ABGB. ist abzulehnen. Auch zu der Haftung nach dieser Gesetzesstelle ist erforderlich, daß die Interessen verletzt wurden, deren Schutz die übertretene Rechtsnorm bezweckt. Auch hier wird die Rechtsnorm durch ihren Zweck begrenzt, ist Adäquanz der Verursachung zu fordern. Die Besonderheit bei der Haftung nach § 1311 ABGB. liegt darin, daß bei Übertretung einer Schutzvorschrift im Sinne dieser Gesetzesstelle die adäquate Kausalität, die Zugehörigkeit des Schadenseintrittes zum Zweckbereich der verletzten Schutznorm vermutet wird, der Übertreter der Schutznorm (arg. "so haftet er für allen Nachteil, welcher außerdem nicht erfolgt wäre") daher beweisen muß, daß der Schaden auch ohne Übertretung der Schutznorm eingetreten wäre (vgl. 2 Ob 336/32 in GH. 1932, S. 117 über die Beweislast, ferner die bei Kapfer, Große Manzsche Ausgabe des ABGB., zu § 1311 unter Nr. 9 angeführten Entscheidungen ferner daselbst die Entscheidung bei § 1295 unter Nr. 16 e und neuestens 2 Ob 712/52, ferner Ehrenzweig, Obligationenrecht, 1928, S. 43 f. und 39 ff.).

Wie sich aus §§ 9 ff. des Kraftfahrgesetzes 1946 ergibt, wird die Führung von Kraftfahrzeugen zu dem Zwecke an die Erteilung einer Erlaubnis (Ausstellung eines Führerscheines) gebunden, um die Gefährdung anderer Personen durch fachlich nicht genügend befähigte, seelisch (insbesondere sittlich) oder körperlich ungeeignete Kraftfahrzeuglenker zu verhindern. In Bezug auf befähigte und geeignete Personen beinhaltet diese Vorschrift lediglich die Pflicht, die Ausstellung eines Führerscheines zu erwirken. Der Mangel des Führerscheines macht nach dem Ausgeführten nicht haftbar, wenn erwiesen ist, daß die Beschädigung nicht auf die Unfähigkeit oder mangelnde Eignung des Kraftwagenlenkers zurückzuführen ist, daß die Beschädigung vielmehr bei einem Fahrer im Besitze des Führerscheines ebenso eingetreten wäre, daß also keine Fahrlässigkeit im Sinne des § 1299 ABGB. unterlaufen ist. Wenn in diesem Sinne die Sachverständigendiligenz prästiert wird, kann selbstverständlich auch von einer unfallskausalen Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. nicht die Rede sein (SZ. XVIII/76 und EvBl. Nr. 162/1939). Im Falle der zitierten Entscheidung EvBl. Nr. 162/1939 ist ebenso wie im Falle der Entscheidung SZ. XXII/1 ein Verschulden des Gehilfen gegeben. Die in den Gründen der Entscheidung SZ. XXII/1 ausgesprochene Rechtsansicht, daß jeder Kraftwagenlenker als untüchtig anzusehen sei, solange er keinen Führerschein ausgestellt erhalten habe, mag er auch die fachliche Eignung besitzen, kann nicht aufrechterhalten werden (vgl. Klang - Wolff, Kommentar 2. Aufl. zu § 1315 ABGB., S. 95).

Zu b): Dem Berufungsgericht ist aber beizupflichten, daß der Schaden nicht durch ein Verschulden des Erstbeklagten, sondern allein durch das Verhalten des verletzten Kindes, der Zweitklägerin, verursacht worden ist und daß der Erstbeklagte jede nach den Umständen des Falles gebotene Vorsicht beobachtet hat (§ 7 Abs. 1 und 2 und § 18 Abs. 1 des Gesetzes DRGBl. 1909, I S. 437, vgl. Bartsch, Kraftfahrrecht, 1948, S. 27). Die Fahrbahn des Erstbeklagten war nach dem Passieren der beiden Knaben frei. Nichts kundete das Kommen des später verunglückten Kindes an. Der Erstbeklagte fuhr so langsam, daß er sein Motorrad auf ganz kurze Entfernung zum Anhalten bringen konnte (§ 91 Abs. 2 Kraftfahrverordnung 1947, § 18 Abs. 4 StPolG., § 20 Abs. 4 StPolO.), als ihm das Mädchen in die Maschine sprang. Da der Bremsweg des Erstbeklagten nur zirka einen Meter, die Entfernung vom Traktor vier Meter, die Entfernung von den beim Traktor befindlichen Leuten sohin nicht viel weniger betragen hat, der Erstbeklagte das Auftauchen des laufenden Mädchens daher höchstens auf eine Distanz von vier Metern gewahr werden konnte, also etwa eine Sekunde vor dem Unfall und seinem Anhalten, muß der Beklagte sofort nach dem Auftauchen des Mädchens scharf abgebremst haben. Die Beschädigung ist daher nicht auf Unfähigkeit oder mangelnde Eignung des Erstbeklagten zurückzuführen, sie wäre ebenso eingetreten, wenn an Stelle des Beklagten der Besitzer eines Führerscheines das Motorrad gelenkt hätte, denn das Verhalten des Erstbeklagten zeigt keine Eigenschaft, die ihn von der Erlangung eines Führerscheines ausgeschlossen hätte. Der Erstbeklagte hat die Sachverständigendiligenz des § 1299 ABGB. prästiert.

Demnach haften die Beklagten weder nach dem Haftpflichtrecht für Kraftfahrzeuge noch nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

Anmerkung

Z26059

Schlagworte

Auto, Führerschein Eignung, Führerschein Haftung Lenker ohne Führerschein Kraftfahrzeug, Fahrt ohne Führerschein Kraftwagenlenker ohne Führerschein Lenker ohne Führerschein Unfall Führerschein Untüchtigkeit, Führerschein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0020OB00902.52.0304.000

Dokumentnummer

JJT_19530304_OGH0002_0020OB00902_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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