TE OGH 1955/3/2 2Ob96/55

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.1955
beobachten
merken

Norm

ABGB §1295
ABGB §1298
ABGB §1333

Kopf

SZ 28/62

Spruch

Zur Frage, ob Prozeßführung ein Verschulden darstellt.

Unverschuldeter Rechtsirrtum des Schuldners und damit Befreiung von der Schadenersatzpflicht wegen Verzuges ist anzunehmen, wenn der Schuldner mit einer von seiner Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung ohne Fahrlässigkeit nicht rechnen mußte und daher weiter prozessiert hat.

Entscheidung vom 2. März 1955, 2 Ob 96/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Im Rechtsstreit 16 Cg 293/47 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien wurde mit dem im Instanzenzug bestätigten Urteil vom 11. Oktober 1948 festgestellt, daß das zwischen, den Streitteilen am 2. Oktober 1946 abgeschlossene Übereinkommen zu Recht bestehe.

Gegenstand dieses Übereinkommens war im wesentlichen: 1.) Die Übertragung des Wiederaufbaues des im Eigentum der Erstbeklagten, gestandenen Hauses Wien XVIII., A.-Gasse 17, EZ. 222 Katastralgmeinde W., an den Kläger, 2.) die Abtretung des Eigentums an diesem Hause an den Kläger, 3.) die Einräumung des lebenslänglichen unentgeltlichen Wohnungsrechtes an einer bestimmten Wohnung samt Zubehör und des Nutzungsrechtes am Hausgarten an die Erstbeklagte und ihre Tochter, die Zweitbeklagte, 4.) die Zusicherung einer lebenslänglichen Rente von monatlich 100 S an die beiden Beklagten durch den Kläger.

Mit der Klage 16 Cg 543/49 begehrte der Kläger, die Erstbeklagte schuldig zu erkennen, in die bücherliche Einverleibung seines Eigentums an dem bezeichneten Hause zu willigen.

Gegenstand der vorliegenden Klage ist gegenüber der Erstbeklagten Ersatz des Verspätungsschadens, der dadurch entstanden sei, daß sich die Erstbeklagte lange Zeit geweigert habe, die Einverleibung des Eigentumsrechtes des Klägers an dem Haus Wien XVIII., A.-Gasse Nr. 17, zu gestatten. Infolge dieser Weigerung habe der Kläger für den schon beim Kauf des Hauses in Aussicht genommenen Wiederaufbau und für den Einbau einer Garage erhöhte Kosten aufwenden müssen. Zudem sei ihm durch die Verzögerung des Wiederaufbaues Mietzins für das Haus und die Garage entgangen. Endlich habe die Erstbeklagte der Wiener Molkerei einen Kellerraum vermietet und dafür einen dem Kläger gebührenden Mietzins einkassiert. Gegenüber beiden Beklagten begehrt der Kläger die Baukostendifferenz zwischen Ende Juli 1947 und September 1952 für eine Garage, die der Kläger in fünf von den Beklagten vertragswidrig in Besitz genommenen Kellerräumlichkeiten auszubauen beabsichtigt hatte, sowie Ersatz für den Entgang des Garagenmietzinses in dieser Zeit. Schließlich begehrt der Kläger gegenüber der Zweitbeklagten die Feststellung, daß sie als die aus der Übereinkunft vom 2. Oktober 1946 begünstigte Dritte schuldig sei, sich die Schadenersatzforderung des Klägers gegen die Erstbeklagte auf ihre ob dem Hause A.-Gasse Nr. 17 einverleibten grundbücherlichen Rechte aufrechnen zu lassen.

Das Erstgericht hat die Erstbeklagte zur Zahlung eines Betrages von 82.335 S 60 g und beide Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines weiteren Betrages von 18.800 S verurteilt, das darüber hinausgehende Mehrbegehren hingegen abgewiesen.

Auf die Berufung der beiden Beklagten hat das Berufungsgericht das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers gegen den Aufhebungsbeschluß nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die entscheidende Frage, von deren Lösung der vorliegende Rechtsstreit abhängt, geht dahin, ob entschuldbarer Rechtsirrtum entschuldbarem Tatsachenirrtum gleichgestellt werden kann; ob es also die Erstbeklagte ohne Verschulden auf eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Übereinkunft vom 2. Oktober 1946 und auf eine weitere Entscheidung über ihre Verpflichtung zur Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechtes des Klägers an dem Hause Wien XVIII., A.-Gasse 17, ankommen lassen durfte. Zu der grundsätzlichen Frage, ob Porzeßführung an sich ein Verschulden im Sinne des § 1295 ABGB. darstellt, hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. VII 396 Stellung genommen und ausgesprochen, daß eine Partei, die Prozeß führt, nun in Ausübung ihres Rechtes handle und in der Prozeßführung, nicht nur in äußeren, vom Willen unabhängigen Umständen, eine Behinderung im Sinne des § 1298 ABGB. erblickt werden könne. Auch der Grundsatz vom Handeln auf eigene Gefahr könne nicht in weiterem Umfang herangezogen werden als er sich in das Gesetz einfügen läßt. Regelmäßig bestehe im Fall der Prozeßführung nur die Gefahr der Pflicht zum Kostenersatz. Das beruhe auf dem in der Zivilprozeßordnung für die Kosten anerkannten Grundsatz der Erfolgshaftung. Eine weitergehende Haftung könne nach § 408 ZPO. oder in den Fällen abgesonderten Kostenersatzes für schuldhafte Prozeßführungsakte eintreten (z. B. § 44 ZPO.). Ein ähnlicher Gedanke kommt auch in dem sich allerdings nur auf Geldschulden beziehenden Gutachten SZ. V 53 zum Ausdruck, in welchem der Oberste Gerichtshof für den Bereich des bürgerlichen Rechtes - und nach bürgerlichem Recht ist der vorliegende Anspruch, da weder der Kläger noch die Erstbeklagte Kaufleute sind, zu beurteilen - ausgesprochen hat, daß der Gläubiger - über die Verzugszinsen hinaus - Anspruch auf Ersatz eines konkreten Schadens nur im Falle böser Absicht oder auffallender Sorglosigkeit des Schuldners, insbesondere auch im Falle einer auf Verzögerungsabsicht zurückgehenden Prozeßführung (§ 408 ZPO.), habe. Zu den gleiche Ergebnissen ist die Judikatur des deutschen Reichsgerichtes und des deutschen Bundesgerichtshofes im Rahmen des dem § 918 AGB. entsprechenden § 285 BGB. bei der Lösung der Frage, ob eine durch Prozeßführung verursachte Verzögerung zum Verschulden gereiche, gekommen (vgl. Reichsgerichtsrätekommentar zum BGB. 10. Aufl. 1 Band S. 562). Der Oberste Gerichtshof hält die rechtlichen Erwägungen, die in der Judikatur des Obersten Gerichtshofes, des Reichsgerichtes und des deutschen Bundesgerichtshofes, ihren Ausdruck finden, grundsätzlich für zutreffend. Danach ist unverschuldeter Rechtsirrtum des Schuldners und damit Befreiung von der Schadenersatzpflicht wegen Verzuges anzunehmen, wenn der Schuldner mit einer von seiner Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung ohne Fahrlässigkeit nicht rechnen mußte. Wird auf diesen Rechtsgedanken abgestellt, so ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ein unverschuldeter Rechtsirrtum der Erstbeklagten bis zur Zustellung des Urteiles des Berufungsgerichtes im Rechtsstreit 16 Cg 293/47 anzunehmen. Denn, wie das Berufungsgericht in dieser Entscheidung ausgeführt hat, lagen sowohl für den Standpunkt der Erstbeklagten wie für den des Klägers Beweisergebnisse vor, wobei der Parteiaussage des Klägers Beweiskraft abgesprochen wurde; es konnte daher die Erstbeklagte ohne Fahrlässigkeit der Auffassung sein, daß die Beweise vom Berufungsgericht in einem ihr günstigen Sinn würden gewürdigt werden. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes hat sich aber die Sachlage nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes geändert, denn es ist vor allem auf die nicht revisible Beweiswürdigung angekommen. Durch das Berufungsurteil wurde der Erstbeklagten deutlich vor Augen geführt, daß ihr Prozeßstandpunkt von einer höheren gerichtlichen Instanz nicht geteilt werde. Mochten ihre Zweifel an der objektiven Richtigkeit dieses Urteils fortbestehen, so verlangte es doch die Beobachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt, daß die Erstbeklagte nunmehr den Kläger nicht mehr in der Ausübung von Eigentumsbefugnissen hinderte (vgl. die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9. Februar 1951, NJW. 1951 S. 398). Auf den weiteren Prozeß 16 Cg 543/49 hätte es die Erstbeklagte nicht mehr ankommen lassen dürfen, weil der Punkt 7 der Übereinkunft vom 2. Oktober 1946 wohl nur in dem Sinn verstanden werden kann, daß jeder Teil für sich die Einverleibung seiner Rechte ohne Zug um Zug-Leistung begehren könne.

Anmerkung

Z28062

Schlagworte

Fahrlässigkeit, Prozeßführung, Verzugsschaden, Prozeßführung als Verschulden, Schadenersatz Verzug, Prozeßführung, Verschulden Prozeßführung als -, Verzug durch Prozeßführung, Schadenersatz, Wald- und Weiderechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00096.55.0302.000

Dokumentnummer

JJT_19550302_OGH0002_0020OB00096_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten