TE OGH 1955/5/4 1Ob249/55

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Veröffentlicht am 04.05.1955
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Norm

Aktiengesetz §129 Abs1
Aktiengesetz §135
Aktiengesetz §197

Kopf

SZ 28/115

Spruch

Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses einer Aktiengesellschaft über die Genehmigung des Jahresabschlusses wegen unklarer Bilanzierung (§ 197 Abs. 1 AktG.).

Entscheidung vom 4. Mai 1955, 1 Ob 249/55.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin, die Minderheitsaktionärin der Beklagten ist, verlangt den Ausspruch, daß die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 16. Juli 1953 gefaßten Beschlüsse über die Genehmigung und Feststellung der Rechnungsabschlüsse der Jahre 1950 und 1951 nichtig und als nicht zustande gekommen anzusehen seien.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die bei der Hauptversammlung vom 16. Juli 1953 genehmigten und festgestellten.

Rechnungsabschlüsse der angeführten Jahre beruhten nicht auf den Rechnungsabschlüssen der vorangegangenen Jahre 1948 und 1949, wie sie bei der Hauptversammlung vom 22. Juli 1950 festgestellt worden seien. Den Rechnungsabschlüssen der Jahre 1950 und 1951 seien vielmehr abgeänderte Rechnungsabschlüsse der Jahre 1948 und 1949 zugrunde gelegt worden. Damit sei die Bilanzkontinuität gestört worden und der Hauptversammlungsbeschluß über die Genehmigung und Feststellung der Rechnungsabschlüsse der Jahre 1950 und 1951 sei nach § 135 Abs. 1 AktG. nichtig.

Infolge Berufung beider Parteien bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Die Aktivlegitimation der Klägerin müsse bejaht werden (§ 198 Abs. 1 Z. 1 AktG.). Die Beklagte habe bei der Genehmigung der Jahresabschlüsse der Jahre 1950 und 1951 die materielle Kontinuität außer acht gelassen, weil der Jahresabschluß 1950 von anderen Zahlen ausgegangen sei als denen, mit denen der festgestellte Abschluß 1949 geendet habe. Der Abschluß des Jahres 1950 entspreche daher nicht der Vorschrift des § 129 Abs. 1 AktG., wonach der Jahresabschluß so klar und übersichtlich aufzustellen sei, daß er einen möglichst sicheren Einblick in die Lage der Gesellschaft gewähre. Diese Mängel des Abschlusses 1950 hätten auf den Abschluß 1951 weiter gewirkt. Damit sei der Anfechtungsgrund des § 197 Abs. 1 AktG. gegeben, ganz gleich, ob die Abschlüsse für die Jahre 1950 und 1951 materiell richtig gewesen seien oder nicht. Der Umstand, daß die abgeänderten Jahresabschlüsse 1948 und 1949 nach Vornahme der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfung durch Buchprüfer in der außerordentlichen Hauptversammlung vom 24. September 1953, also während des vorliegenden Rechtsstreites, mit den Zahlen neu festgestellt worden seien, die den Jahresabschlüssen 1950 und 1951 zugrunde gelegt worden seien, nehme der Klage nicht die Berechtigung. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin sei nach wie vor gegeben, weil es nach der Hauptversammlung vom 24. September 1953 der neuerlichen Genehmigung und Feststellung der Abschlüsse 1950 und 1951 bedurft hätte, was unterblieben sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Aktiengesellschaft nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Grundsatz der Bilanzklarheit (§ 129 Abs. 1 AktG.) erfordert, daß die Jahresabschlüsse so übersichtlich aufgestellt werden, daß sich die Aktionäre einen möglichst sicheren Einblick in die Lage der Aktiengesellschaft verschaffen können (vgl. Baumbach - Hueck, Aktiengesetz, 7. Aufl. S. 308 f.; Godin - Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Aufl. S. 587 f.; Schlegelberger - Hefermehl, Aktiengesetz, 3. Aufl. S. 550 ff.). Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf verwiesen, daß dies nur in der Weise geschehen kann, daß der Jahresabschluß jeweils an die Ergebnisse des vorherigen anzuschließen hat. Andernfalls wäre es insbesondere den Minderheitsaktionären in der Hauptversammlung nicht möglich, sich in den abweichenden Zahlen des zu genehmigenden Abschlusses zurechtzufinden und die Gebarung der Gesellschaft zu kontrollieren. Die den Jahresabschlüssen der Jahre 1950 und 1951 vorangegangenen Abschlüsse der Jahre 1948 und 1949 waren in der Generalversammlung des Jahres 1950 mit einem anderen Endergebnis festgestellt worden, als in den Abschlüssen der Jahre 1950 und 1951 angenommen wurde. Der Umstand, daß sich der Hauptversammlungsbeschluß des Jahres 1950 über die gesetzliche Notwendigkeit, die Abschlüsse vor ihrer Genehmigung von Rechnungsprüfern kontrollieren zu lassen (§ 135 Abs. 1 AktG.), hinweggesetzt hat, hätte dahin führen müssen, daß die Ergänzung und neuerliche Genehmigung noch vor der Genehmigung der Jahresabschlüsse 1950 und 1951 veranlaßt worden wäre. So aber wurden abgeänderte Abschlüsse der Jahre 1948 und 1949 herangezogen, die ihrerseits zwar vom Buchprüfer geprüft, aber von der Hauptversammlung nicht genehmigt worden waren. Auch die nachträglich einberufene außerordentliche Hauptversammlung vom 24. September 1953 sanierte den Fehler nicht, weil nach der ordnungsmäßigen Feststellung der Abschlüsse für 1948 und 1949 eine neuerliche Hauptversammlung hätte einberufen werden müssen, in der auf der neuen zureichenden Bilanzgrundlage über die Abschlüsse für 1950 und 1951 Beschluß zu fassen gewesen wäre. Der Umstand, daß die Klägerin vom Inhalt auch der geprüften Jahresabschlüsse 1948 und 1949 vor der Hauptversammlung vom 16. Juli 1953 wußte, nimmt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da sie vor der Genehmigung dieser Abschlüsse nicht wissen konnte, wie das endgültige Ergebnis der Abschlüsse beschaffen sein würde.

Weiterer Beweiserhebungen bedurfte es nicht. Insbesondere war es nicht nötig, klarzustellen, daß die erneuerten Abschlüsse 1948 und 1949 materiell mit den früheren übereinstimmten und daher auch die Abschlüsse für 1950 und 1951 materiell richtig waren. Es kam nach dem Sinn des Gesetzes nicht darauf an, sondern nur auf die Möglichkeit, daß die Aktionäre in der Lage waren, an Hand der vorgelegten Abschlüsse die Gebarung der Aktiengesellschaft wirksam zu kontrollieren. Diese Möglichkeit ist ihnen durch die gesetzwidrige, wenn auch möglicherweise materiell nicht zu beanstandende, Bilanzierung genommen worden. Der Anfechtungsgrund des § 197 Abs. 1 AktG. liegt daher vor, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat.

Anmerkung

Z28115

Schlagworte

Aktiengesellschaft, Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses, Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses einer AG., Bilanzierung, Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses einer AG., Genehmigung des Jahresabschlusses einer AG., Anfechtung, Hauptversammlungsbeschluß einer AG., Anfechtbarkeit, Jahresabschluß der AG., Anfechtung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0010OB00249.55.0504.000

Dokumentnummer

JJT_19550504_OGH0002_0010OB00249_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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